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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 1 - Nr. 10 (1. Januar - 14. Januar)
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189V

Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Feiertage.
rrvounemeutspreiS nut dem wöchentlichenUnterhaltungs-
' l,D erSonntagsbote"sur Heidelberg monatlich 50 H
>u Trägerlohn, durch die Post bezogen Viertels. 1.80 franco.

Verantwort!. Redakrmr: F. Z. Knappe
in Heidelberg.

Druck u.Verlag von Gebr. Huber inHeidelberg
früher Verleger des Pfälzer Boten.

w-r* ei er» Inserate die 1-spaltize Petitzerle oder deren Raum IO
1! klINftll lU I /I'l'lN!1 l>11 tV Reklame 25 ^s,. Für hiesige tzieschästs-und Privat-
(v anzeigen, sowie sür Jahres-Anzeigen bedeutende Rabatt¬
bewilligung Expedition: Zwingerstratze 7.





Ak AckilkcklWN im Mn IW.
6 Von dem Augenblicke an, seitdem die Arbeiter
ernstlich begannen, sür die Verbesserung ihrer Lage
einzutreten, ist kein Jahr verflossen, dem in dieser Be-
ziehung eine größere Bedeutung beizumessen wäre, als
dem Jahre 1889. Im Jahre 1873 hatten die Ar-
beiter bereits den Versuch gemacht, durch Streik die
Arbeitgeber zur Erhöhung der Löhne w. zu zwingen,
aber damals war die Bewegung unter den Arbeitern
keine allgemeine, sie sollte dies erst 16 Jahre später
werden. Die schon lange unter den Arbeitern herr-
schende Gährung, hervorgerufen durch sich fortwährend
steigernde Noth und die den Arbeitern seitens der
Arbeitgeber zu Theil gewordene Behandlung, welche
unsern Lesern hinreichend aus den zahlreichen Berichten
der Zeitungen bekannt ist, verursachte den Ausbruch
des Kampfes gegen die Arbeitgeber. Alle Arbeiter-
kategorien nahmen mehr oder minder an demselben
Theil, auf den verschiedensten Gebieten der Industrie
erfolgten Massenstreike, man sprach von einem Streik-
fieber, welches die Arbeiter nicht nur in Deutschland,
sondern auch in den meisten europäischen Staaten
ergriffen, und die Erscheinung, die überall zu Tage
trat, führte uns mit fast elementarer Gewalt die
entsetzlich bedrohte Lage unseres gesammten Wirthschafts-
und Gesellschaftslebens vor Augen. Nach kleinen Vor-
spielen, die sich bis zum Mai an einzelnen Orten
vollzogen, denen aber fast keine Beachtung geschenkt
wurde, brach in den ersten Tagen des genannten
Monats in den verhältnißmäßig gesundesten Theilen
unserer deutschen Arbeiterbevölkerung, unter den
rheinisch-westfälischen Bergleuten ein Ärbeiterausstand
los, der ani 4. Mai im Stadtbezirke Gelsenkirchen
auf der Grube „Hibernia" seinen Anfang nahm und
sich dann innerhalb zweier Wochen einer Lawine gleich
über die oberrheinischen, schlesischen und sächsischen
Kohlenreviere verbreitete. Das gesammte industrielle
Leben wurde durch diesen Massenstreik, wie Prenßen
und Deutschland noch keinen ähnlichen gesehen, in
direkte Mitleidenschaft gezogen. Viele Werke waren
in Folge des herrschenden Kohlemuangels gezwungen,
den Betrieb einzustellen, Tansende von Arbeitern
mußten unfreiwillig feiern und der Eisenbahnverkehr
erlitt erhebliche Einschränkungen. In den Arbeiter-
Versammlungen zeigte es sich, daß der vierte, bis
dahin so vielfach geknechtete und theilweise gewissen-
los ausgebeutete Stand die Zeit für gekommen er-
achtete, seine Rechte geltend zu machen. Die Welt
wurde durch nicht enden wollende Alarmnachrichten
KöHenkuft.
Von Cary Groß.
(Nachdr. verb-i
83) (Fortsetzung.)
«Ich kenne die Dame nicht; habe auch nicht vor Be-
suche zu machen."
„Sie müssen kommen. So etwas versäumt kein Aest-
hctiker, wie sie; den Besuch erspare ich Ihnen- Sie geben
mir Ihre Karte, die überliefere ich und die Einladung ist
Ihnen sicher. Sträuben Sie sich nicht, bitte! — Sie
werden mir danken. Sie können auch gleich meine Frau
begrüben, die, ich vergaß es, nicht früher von ihrem Be-
suche auf einem Schlosse bei Fontainebleau zurück ist,
wohin sie mit Madame Monette über die Feiertage reiste."
„Madame Monetti — aus Mailand?"
„Eben die; es ist die Tante von Madame Uchenieff,
eine der ausgezeichnetsten Frauen, eine moderne Sappho-
Korinna und dergleichen."
„Und sie kommt zu diesen Ausführungen? fragte Al-
fred, eine Karte hervorziehend.
„Gewiß. Sie ist befreundet, intim befreundet mit
meiner Landsmännin. Aber sehen Sie doch, meine Herren,
was der Name einer Sappho-Korinna über das Eisherz
meines deutschen Freundes vermag! Madame Monettis
Name allein lockt ihn dahin, wo die Stimme der schönsten
Sirene sein Ohr verstopft sand. — Und doch ist die
Beit längst vorbei, wo die jetzige Excellenz selbst Paris
durch Stimme und Reize entzückte, ähnlich jenen, die uns
heute anlocken."
Alfred reute es fast, seine Einwilligung zu diesem
Besuche gegeben zu haben. Er setzte die frivolen An-
Wielungen, die umherflogen und deutlich auf Passionen des
allzubekannten Lnö Uchenieff zielten, absichtlich eine so
finstere Stirne entgegen, daß die Pariser ihn als den
mtalstcn Sonderling aniahen, der ihnen vorgekommen sei.
— Dennoch hatte er unmöglich den Namen einer Frau
al eichgiltig hören können, auf die er für Auffindung Rai-
mondas einen Theil seiner neuen Hoffnungen setzte. —
Dieselben waren nämlich erweckt worden, als Alfred auf

von Militärbewegungen, Reisen der Behörden, Ver-
sammlungen der Interessenten, Arbeitssistirungen, blu-
tigen Zusammenstößen zwischen Ausständigen und
Militär rc. in beständiger Aufregung erhalten.
Am 14. Mai hatte der Streik durch Betheiligung
von über vierzig Zechen des Essener Bezirks einen
solchen Umfang angenommen, daß die Zahl der Theil-
nehmer 110,000 betrug. Zur selben Zeit begann der
Streik verein-elt im Aachener und Wnrmrevier, ebenso
in den schlesischen und sächsischen Revieren und am
16. Mai in den kgt. Saarrevieren. Am 10. Mai
kam der Minister des Innern, Herrfurth, in Dort-
mund an, um sich in der Streikangelegenheit zu in-
fvrmiren; die Landräthe traten in Verhandlungen mit
den Zechen ein. Am 12. Mai reisten die Bergleute
Bunte, Schröder, Siegel nach Berlin und wurden
daselbst am 14. Nachmittags von Kaiser Wilhelm
als Abgeordnete der Streikenden empfangen. Berg-
mann Schröder berichtete über die Lage in den Koh-
lenrevieren und stellte die achtstündige Schicht in den
Vordergrund der Forderungen. Zugleich drückte er
den Wunsch aus, mit den Arbeitgebern in Unterhand-
lungen zu treten und erbat dafür die Intervention
des Kaisers. Dieser empfing darauf am 16. Mai
Morgens auch eine Abordnung aus den Kreisen der
Bergwerksbesitzer. Die Ansprachen, die der Kaiser
in den beiden Audienzen gehalten hat, sind bekannt.
Ain Nachmittage des 16. Mai brachte der Telegraph
die Meldung von den erfolgreichen Ausgleichsver-
handlungen zwischen den Abgeordneten der Bergleute
und derjenigen der Grubenbesitzer. Die achtstündige
Schicht, ohne Einrechnung der Ein- und Ausfahrt,
wurde zugestanden, ebenso die Erhöhung der Löhne
unter Rücksichtnahme auf die stattgehabte Steigerung
der Kohlenpreise. Trotz dieser Abmachung und trotz
der Intervention des Kaisers kam es dennoch nicht
sogleich zu einein Friedensschlüsse zwischen Arbeitge-
bern und Arbeitern. Der kaum zwölftägige Ausstand
der gesammten rheinisch-westphälischen Industrie hatte
einen Verlust von 3 Mill. Mk. an Löhnen zur Folge.
Am 25. Akai wurden die zuständigen preußischen
Behörden der Bergverwaltung und der allgemeinen
Verwaltung angewiesen, mit Ermittlungen über die
Ursachen des Kohlenstreiks vorzugehen, „die etwa
vorhandenen Mißstände, insoweit die gesetzlichen Be-
stimmungen eine Handhabe dazu bieten, sofort abzu-
stellen und im Uebrigen auf deren Abstellung und auf
die Erfüllung der gerechten Forderungen der Arbeiter
in geeigneter Weise hinzuwirken." Das Resultat die-
ser Ermittlungen ist bis jetzt noch nicht bekannt ge-
seinen rastlosen Streifzüaen in Rom dem Baron Reindl
begegnet war, der in Pontresina in den Tagen seines
Glückes verweilte. — Er hatte sich ihm nicht anvertraut,
weil der Baron auffallend zurückhaltend war, wenn er
jener Tage gedachte. Er ahnte, daß sie verhängnißvoll für
den jungen Mann waren, und brachte die Veränderung,
die er an ihm wahrnabm, damit in Verbindung Wozu
alte Wunden aufdecken, oder neue Stürme erregen? Auch
batte die Baronin der Gräfin Lucie Schweigen gelobt über
die Spar, die sie ihr angegeben. — Dennoch konnte
Reindl, als Alfred ihn direkt fragte, ob er nie mehr seine
einstige Pflegeschwester gesehen, sich nicht versagen, ihm die
Adresse Negronis zu geben, mit der Versicherung, Negroni
wisse ganz gewiß, wo das junge Mädchen sich aufhalte.
Am nächsten Morgen verließ Alfred Rom, um nach
Mailand zu eilen, fand aber Negroni nicht in Mailand.
Es hieß, er werde im Dezember von einer Reise in Amerika
und England, die er in Geschäften unternommen habe, zu-
rückkommen, und dann in Paris zu treffen sein, wo die
als „Mäcen" bekannte Madame Monetti seiner bedürfe
und ihn erwartete.
Auf diese Weise waren beide Namen zu Alfreds
Kenntniß gekommen. Er hatte in Mailand nichts anderes
zu suchen, und war mit keinem der Besucher des Monetti'-
schen Hauses zusammengetroffen.
In Paris erwartete Alfred nun mit fieberhafter Un-
geduld, aber auch mit steigender Hoffnung Negronis Rück-
kehr. In dessen Absteige-Quartier hatte man bestätigt, daß
der Maestro demnächst erwartet werde, und Alfred hatte
die Zusicherung erlangt, alsbald benachrichtigt zu werden.
In wenigen Tagen sollte er vielleicht erfahren, wo Rai-
monda sich aushielt! Er war entschlossen, sofort zu ihr zu
eilen, und sollte er bis ans Ende der Welt müssen, und
nicht abzulasfen, daß sie ihm den Schwur ihrer Ver-
lobung hielt.
Diese Hoffnung war es, die Alfred in jene fröhliche-
Stimmung versetzt hatte, aus der ihn anfänglich daß un
liebe Zusammentreffen mit Uchenieff gerissen hatte.
Jetzt, um der Aussicht willen, Madame Monetti, die

worden, wohl aber wurde der Reichstag im Dezember
v. I. über die Ursachen des Streiks u. a. von dem
Abgeordneten Stützet hinreichend informirt. Veran-
lassung hiezu gab die Gefahr eines neuen Streiks,
mit welchem die Bergarbeiter drohten. Nach dem Mai-
ausstand, der zahlreiche Berurtheilungen zum Theil
hohe Gefängnißstrafen im Gefolge hatte, waren Theil-
nehmer an demselben von den Zechenverwaltungen ge-
maßregelt worden, und außerdem hatten dieselben über
die Gemaßregelten die sogenannte „Sperre" verhängt.
Letztere machte die davon betroffenen Bergleute brod-
los und bildete einen Eingriff in die bürgerliche Frei-
heit sowohl, wie einen groben Verstoß gegen das
Freizügigkeitsgesetz. Um diese empörenden Maßregeln
zu beseitigen, drohten die Bergleute mit einem neuen
Ausstand; der Reichstag u. die Behörden nahmen sich
nun der Sache an und die Sperre wurde aufgehoben.
Im rheinisch-westphälischen Gebiete kam es nicht zum
Streik, und im Saargebiet,, wo er theilweise ausge-
brochen, wurde er durch das Nachgeben der Behörden,
beziehungsweise die Bewilligung der Arbeiterforderun-
gen glücklicherweise bald beseitigt.
Die Arbeiter haben im gewissen Sinne durch ihr
energisches Vorgehen im vorigen Fahre immerhin
einen kleinen Sieg davongetragen, sie sind einen
Schritt näher ihrem Ziele gerückt, aber viel haben sie
nicht errungen, und der Friede zwischen ihnen und
den Arbeitgebern ist daher noch nicht als dauernd zu
betrachten. Die verlangten Schiedsgerichte zum Aus-
gleich etwaiger Differenzen zwischen Arbeitgebern und
Arbeitern würden indessen zur Wahrung dieses Frie-
dens erheblich beitragen. Freilich müßte auch der ge-
setzliche A rb e i ter s ch u tz zu diesem Zwecke geschaf-
fen werden, allein der Bundesrath will entgegen den
Beschlüssen des Reichstages noch immer nichts von
diesem Mittel für das Wohl der Arbeiter wissen. Der
Bundesrath der Schweiz hatte für den September
eine Konferenz von Vertretern der europäischen In-
dustriestaaten einbernfen, auf welcher über eine inter-
nationale Fabrikgesetzgebung berathen werden sollte,
aber wie bereits im Jahre 1881, so hatte auch 1889
der gute Wille der Schweiz keinen Erfolg, die Kon-
ferenz fand nicht statt. In Deutschland glaubt man
die soziale Reform, die man nvthgedrungen in Angriff
genommen, durch das Alters - und Invalidi-
täts-Gesetz, welches der Reichstag am 24. Mai v.
Js. mit 185 gegen 165 Stimmen annahm, „gekrönt"
zu haben, aber die Arbeiter geben sich mit dieser
„Krone" nicht zufrieden, sie wollen ihre Kraft, ihre
Gesundheit vor gewissenloser- Ausbeutung geschützt
möglicherweise die gleiche Auskunft wie Negroni geben
konnte, zu begegnen, war Alfred genugsam mit dem Zu-
falle ausgesöhnt, und schied von Uchenieff viel freundlicher
als er ihn begrüßt, willig sein Versprechen wiederholend,
am bestimmten Abend bei Madame Woloff sich einzufinden.
„Man muß diese deutschen Barbaren nur zu nehmen
wissen," sagte Uchenieff befriedigt zu seinen Begleitern.
„Im Grunde sind sie so begierig, sich zu amüsieren, wie
unsereiner; aber sie halten darauf, sich's nicht anmerken
zu lassen. Uebrigens, ein feiner Bursche ist mein Freund
Stahrberg doch, und von besonders vornehmer Familie-
Madame Woloff wird dankbar sein, daß ich ihn bei ihr
einführe, und Ihr werdet alle sehen, er bleibt nicht aus."
2. Kapitel.
Auf der Höhe.
Uchenieff hielt Wort mit der Einladung und behielt
auch recht in der Erwartung, daß der deutsche Graf sie
annehmen werde. Er lächelte befriedigt, als er Alfred
pünktlich zur festgesetzten Zeit schon an einem der nächsten
Abende in den glänzend geschmückten, von einer Menge
Gäste belebten Appartements seiner extravaganten Lands-
männin erscheinen sah. Er eilte auf ihn zu, um ihm die
Honneurs zu machen.
Die Herren durchschritten die Reihe von Zimmern,
die alle mit feenartiger Pracht ausgestattet waren, und
blickten in den Saal, in dem ein nicht großes, aber nach
allen Regeln der Wagner'schen Bühne erbaMes Theater
hergestellt war.
„Es hat Unsummen gekostet," sagte Uchenieff, „aber
ist noch nichts im Vergleiche mit dem, was die, Aufrecht-
erhaltung des Ganzen kostet. Unnnn über Unsinn! Die
Pariser werden doch nur Geschmack an Wagner haben,
wenn schöne Sängerinnen die Rollen ausfüllen, und lfi-'-
rin liegt auch diesmal das Geheimnis, des Erfolges, i n
Madame Woloff erzielt."
Madame Woloff war in keinem der Salons zu finden,
ebensowenig im Zufchauerraume, in dem die Gäste sich zu
installieren begannen.
(Fortsetzung folgt.)
 
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