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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 31 - Nr. 40 (7. Februar - 18. Februar)
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«lbonnementSpreiSmit den, wöchentlichen Unterhalte gs-
^latt „Der Sonntag Lbote" fürHeidelberg monatlich SV H
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Berantrvortl. Redakteur: F. L. Knappe
in Heidelberg.

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anzeigen, sowie sür Jahres-Anzeigen bedeutende Rabatt»
bewllligung. Expedition: Zwingerstratze 7.
1890?


Her heutigen Nummer liegt „Der Lonntagsbole' Nr. 6 bei.

ÄS SM seit w?
III.
H Das Kartell und das Volkswohl.
Während der ganzen verflossenen Legislaturperiode
hat es sich gezeigt, daß das Kartell nur einig ist in
der Bekämpsung der Volksrechte zu Gunsten der Kar-
tellherrschast. Ueberall, wo positive Ausgaben an das
Kartell herantraten, wo es in der Gesetzgebung eine
schöpferische Kraft enfalten sollte, da versagte seine
Kraft.
Gleich in der zweiten Session des Reichstags
wurden die Getreidezölle erhöht. Die Landwirthsch'aft
verlangte dringend diese Erhöhung. Wir brauchen
deren Berechtigung nicht noch näher zu begründen,
denn die entschiedene Mehrheit der deutschen Bevöl-
kerung ist überzeugt, daß der Landwirthschaft auf diese
Weise geholfen werden muß. Frankreich, Rußland,
und Oesterreich-Ungarn müssen ihre Landwirthschaft
ebenfalls durch hohe Schutzzölle vor der überseeischen
Konkurrenz und auch dem schon von Asien her dro-
henden Wettbewerb schützen, warum sollte nun in Deutsch-
land die Landwirthschaft schutzlos sein? Freihandel
ist ein sehr schönes Princip und zweifellos ist es ob-
jektiv richtig, daß ein Land nur das treiben soll, wozu
es von Natur aus die besten Vorbedingungen hat.
Aber einer schönen Lehrmeinung wegen können wir
uicht unsere alte deutsche Kultur umstürzen, welche ge-
rade auf der Landwirthschaft fundamentirt ist, blvs
deshalb, weil augenblicklich jüngere Länder günstigere
Verhältnisse für den Ackerbau besitzen. Drei Fünftel
der deutschen Bevölkerung beschäftigt sich mit Ackerbau,
gerade er vorzugsweise hat seither die Mittel geliefert,
unser Staatswesen mit all' seinen Vortheilen, aber
auch mit seinen Belastungen aufrecht zu erhalten. Wie
aber steht es mit dem Kartell in dieser Lebensfrage
der deutschen Nation? Das Kartell hätte aus eigener
Kraft diese Frage nicht zum Wohle der Landwirth-
lchaft gelöst, wenn nicht das Centrum gewesen wäre.
Als die Getreidezölle geschaffen wurden, waren die
Aationallibcralen dagegen. Sie boten durch Bennigsen
der Regierung Finanzzölle zur beliebigen Höhe an,
-jur Schutzzölle wollten sie nicht. Da mußte das
Zentrum einspringen und durch seine führende Mit-
wirkung mit den Konservativen gegen die National-

*) Nachdruck nur mit deutlicher Quellenangabe gestattet.

Treuer Kiebe Kohn.
b) Roman von U. Rosen.
(N-chdr. Verb.)
1. Kapitel.
Gräfin Beatrice.
Gräfin Beatrice, die einzige Tochter des Grafen Leonor
.Arril, hatte längst die Jahre der ersten Jugendblüthe
Überschritten und war noch immer unverheirathet. Es
Mte ihr niemals an glühenden Bewerbern gefehlt, denn
sw. besaß ein von ihrer Mutter ererbtes fürstliches Ver-
wogen und war von der Natur mit den Gaben der Scbön-
AEÜ. der Anmnth und des Geistes verschwenderisch ausge-
PÜtet. Des alten Grafen höchster Wunsch war es, seine
Achter mit einem ihrer würdigen Manne verheirathet zu
l"den, und er begriff nicht, weßhalb Beatrice beharrlich
W* glänzensten Anerbietungen zurückwies. Er betrachtete
ö? als ein unergründliches Geheim niß, während ihre Be-
wunderer in ihr eine entzückende marmorherzige Sphvnx
blickten.
An einem kühlen Märzabend saß Graf Leonor Berril
m «em Empfangssalon seines Londoner Palastes. Seine
Pedanten waren wie gewöhnlich mit dem Schicksal seiner
Achter beschäftigt. Es war eine wilde stürmische Nacht.
Adr W^d fegte heulend und erstarrend durch die Straßen
Wb Stadt. Der Reaen ergoß sich in endlosen-.Strömen
Ä.'das schlüfrige Pflaster und peitschte klirrend gegen die
^Nfterscheiben.
b- .Das angenehm durchwärmte Zimmer bot einen be-
»Mlchen Gegensatz zu dem düsteren Bilde im Freien.
.Kohlenfeuer knisterte lustig in dem schwarzumrahm'en
y^Mn, die röthlichen Flammen hüpften und tanzten umher
züngelten leckend an dem vergoldeten Gitter entlang.
Kronleuchter überfluthetc den weiten Raum mit blen-
dj"dem taghellen Licht. In verschwenderischer Fülle waren
sw dem Treibhause entnommenen, noch feuchtschimmernden,
»en prahlenden und einen berauschenden Duft aushauchen-
äue Slumen in kostbaren Sevrevasen und Broncekörben
Tischen, in Nischen und Ecken gruppirt. Der Teppich
ik. .wie ein grünes Sommerfeld mit bunten Blüthen
^rsact. ScKel und Divans würden den verwöhntesten

liberalen das Schutzzollsystem schaffen. Als dann
188?» die Getreidezölle erhöht wurden, da versagten
die Nationalliberalen trotz der inzwischen erfolgten
Einschwenkung ins gouvernementale Lager der Land-
wirthschaft die Hilfe. Von 47 nationalliberalen Ab-
geordneten stimmten 13 für den Roggenzoll von 3 M,
34 gegen denselben; 25 für den Weizenzoll von 3 M.,
22 gegen denselben. Die Nationalliberalen haben sich
also gegenseitig lahm gelegt. Der Effekt war derselbe,
als wenn sie überhaupt gar nicht dagewesen wären.
Würde das Centrnm nicht für die Getreidezollerhöh-
ung eingetreten fein, so hätten 1885 die Nationallibe-
ralen diese Maßregel durch ihr Verhalten vereitelt.
Im Jahre 1887 erfolgte die Erhöhung der Getreide-
zölle auf ihre jetzige Stufe mit 203 gegen 116 Stim-
men. Diesmal waren nur 17 Nationalliberale für
die Erhöhung, die klebrigen stimmten etwa 70 Maui?
stark dagegen. Das Centrum mußte wiederum die
Führung übernehmen und setzte durch seine entschei-
dende Stellungnahme die Erhöhung durch. Bei dieser
wichtigen Frage hat also das Kartell den Dienst ver-
sagt.
Noch mehr! Ter Führer der NationaMberalen,
Herr von Bennigsen, hat in diesem Kartellreichstag
ausgesprochen, auf die Schutzzoll-Bewegung werde
nach seiner Meinung eine rückläufige Bewegung er-
solgen; man könnte die Schutzzölle als Tauschobjekt
bei der 1892 nothwendig werdenden Erneuerung der
Handelsverträge anwenden! Das heißt nicht mehr
und nicht minder, daß die Nationalliberalen eventuell
bereit sind, die Schutzzölle zu opfern, um günstigere
Handelsbeziehungen mit anderen Nationen zu erzielen.
Der Gedanke ist geradezu ungeheuerlich, zumal mau
ja schon jetzt seitens der Nativnalliberalen erstrebt,
den Identitätsnachweis wieder aufzuheben und so die
Getreidezölle gründlich zu durchlöchern. Ein betref-
fender Antrag der Nationalliberalen wurde vom Reichs-
tag bereits abgelehnt. Jetzt darf bekanntlich Getreide
mit Rückvergütung des Zolls eingeführt werden, wenn
dasselbe Getreide wieder ausgeführt wird, wenn also
das Getreide lediglich dem Transitverkehr dient. Es
muß dann der Identitätsnachweis geliefert, d. h. be-
wiesen werden, daß man dasselbe Getreide ausführt,
das man eingeführt hat.
Die Seeplätze erstreben den Wegfall dieses Identi-
tätsnachweises, so daß dann ohne Weiteres für
so und soviel Centner eingeführtes Getreide ebensoviel
ausgeführt werden könnte — mit Zollrückvergütung.
Dadurch hätten die Getreidehändler Gelegenheit, gutes
Getreide von auswärts, namentlich aus Russisch
Sybariten zu träumerischem Ausruhen verlockt haben. Die
Gemälde und die Marmorstatuetten schienen einem Feenpa-
last zu entstammen. Die schweren rothen Sammetvorhänge
fielen in weichen Falten auf den Boden nieder, die Finster-
niß und das Unwetter ausschließend, und Licht, Wärme
und Wohlgeruch in das Zimmer bannend.
Der Graf war hoch und stattlich gewachsen, seine
Augen besaßen noch die Schärfe und Klarheit der Jugend,
sein rosiges Gesicht zeigte einen edlen männlichen Ernst
und das weiße Haar und der silbergraue Bart verliehen
ihm etwas Ehrwürdiges. Er hatte die Grenze der fiebenzig
beinahe erreicht, aber noch war keine Spur der Schwäche
des Alters an ihm sichtbar.
Sein Gcmüth war offenbar von Sorgen bedrückt.
Ungeduldig erhob er sich, um den Glockenzug in Bewegung
zu setzen. In demselben Augenblick theilte sich die Portiere,
die in einem zweiten Salon führte, und Lady Beatrice nä-
herte sich ihrem Vater.
„Du schicktest nach mir, Papa?" fragte sie. „Wünsch-
test Du mich zu sprechen?"
„Ja, Batrice," erwiederte der Graf beinahe mit Strenge.
„Setze Dich. Ich habe Dir Wichtiges zu sagen "
Beatrice wies den angebotenen Sessel mit leichter
Handbewegung zurück, und blieb, an das Kaminsims ge-
lehnt, erwartungsvoll vor ihrem Vater stehen. Ein trüber
Schatten flog über ihre ernsten Züge- Die Tochter des
Grafen sah mit ihren vierunddreißig Jahren kaum wie
ein Mädchen von fünfundzwanzig aus. Ihre hohe, schlanke
statuenhafte Gestalt schien die Verkörperung eines Künst-
lertraumes. Ihr Gesicht war das einer idealen Klcopatra.
Ihr volles üppiges Haar, aus der kalten bleichen Stirn
zurückgestrichcn und in einem einfachen Knoten aufgesteckt,
war dunkel.
Ein dunkelrothes enganliegendes Sammetkleid mit
goldgestickter Schleppe brachte den Königlichen Wuchs
Beatricens zu besonderer Geltung. An ihrem perlmutter-
weißen Halse, ihren vollendet schönen Armen und in ihrem
blauschwarzen Haar schimmerten Diamannten von un-
schätzbarem Werth.
Graf Berril betrachtete seine Tochter mit väterlichem

Polen, bei uns einzuführen und weiter zu verkaufen,
und das iniuderwerthige billig aufgekaufte Getreide
des Osteus ins Ausland zu schaffen. Für Süd-
deutschland, für Rheinland und Westfalen würde das
eine eminente Gefahr werden, wir hätten dann eine
scharfe Konkurrenz der preußischen Ostprovinz zu be-
stehen, die uns mit verbilligten Eifenbahntarifen auf
den Leib rücken könnte. Der Schutz unserer Getreide-
Produktion würde dadurch hinfällig. In dieser Frage
stimmen die Konservativen des Ostens mit den Natio-
nalliberalen überein. Süddeutsche Landwirthe haltet
euch das genau vor, ehe ihr den Stimmzettel bei der
Reichstagswahl abgebt! Stärkt ihr das Kartell, so
lauft ihr Gefahr, der Landwirthschaft das wieder zu
nehmen, was das Centrnm unter schwierigen Verhält-
nissen durch seinen entscheidenden Einfluß hat schaffen
helfen. Wollt ihr die Herrschaft des Kartells ver-
mehren, das euch die Einführung und Erhöhung der
Getreidezölle versagt hat und das eventuell bereit ist,
das Schutzzollsystem zu durchlöchern oder gar völlig
abzuschaffen bei der Erneuerung der Handelsverträge?
Wir sind überzeugt, daß ihr das nicht thut, sondern
mannhaft diese Gefahr am Wahltage abwehren werdet.
Und auch von den Handwerkern haben wir dieselbe
Ueberzeugung, Sie sind in der letzten Legislaturperiode,
nicht leer ausgegangen, denn der Reichstag hat in
dritter Lesung mit 130 gegen 92 Stimmen die Ein-
führung des Befähigungsnachweises angenommen.
Natürlich stimmten auch hier wieder die Nationalli-
beralen dagegen, Das Kartell hat sich also auch hier
nicht zugkräftig erwiesen. Die Handwerker haben vom
Kartell überhaupt nicht das Geringste zu erwarten.
Alles, was sie bisher in der Gesetzgebung erreicht
haben, wurde durch das Ceutrnm und die Konserva-
tiven durchgesetzt ; die Natioualliberalen haben nur
Spott und Hohn über die „Zünftler" und deren
„verknöchertes" System, im freien Konkurrenzkampf
mit der Großindustrie wollen sie kalten Blutes das
Handwerk scheitern lassen, da es nun einmal nicht
mehr zu retten sei.
Endlich haben wir noch die Arbeiterfrage hier zu
streifen. Der Reichstag hat einmüthig ein Arbeiter-
schutzgesetz votirt. Bon wem ging es aber aus?
Wieder nicht vom Kartell, sondern vom Centrum.
Als im Jahre 1885 das Centrnm im Reichstag in
einer Resolution auf den Arbeiterschutz drang, da
wies Fürst Bismarck die Forderung zurück und stützte
sich dabei auf Reden des nationalliberalen Abg. Dr.
Buhl und des deutsch-freisinnigen Abg. Dr. Baum-
bach. Das Centrum legte dann einen formulirten
Stolz und doch gleichzeitig mit einem seltsam bekümmerten
Ausdruck- So kalt und verschlossen wie gegen Fremde
war sie auch gegen ihn. Er bezweifelte, daß sie jemals
die zärtlichen Regungen eines Frauenherzens gekannt
habe.
„Du hast Nachrichten von Deinem Freund, Leid
Ormond nicht wahr, Papa?" unterbrach Beatrice das
Schweigen ihres Vaters.
„Ja, er ist nach England zurückgekehrt," erwiederte der
Graf- „Heute Morgen gab er mir durch einige Zeilen
Kenntniß von seiner gestern Abend erfolgten Ankunft in
London. Ich unterließ nicht, ihn sogleich in seinem Hotel
aufzusuchen und ihn einzuladen, am Abend mit uns zu
speisen. Er ist voll Ungeduld, Dich zu begrüßen,
Beatrice- Lord Ormond ist eben, über den ich mit Dir
zu sprechen wünsche."
Beatrile verneigte sich stumm.
„Lord Ormond kehrt nach einer fünfjährigen Pilger-
fahrt Sim Osten mehr denn je als Dein Sklave zurück,"
fuhr der Graf, von der Aufmerksamkeit seiner Tochter
ermuthigt, in freudig erregtem Tone fort. Er sehnt sich
danach, Vie ihm gebührende Stellung in der Gesellschaft
einzunehmen. Dars ich Dir noch gestehen, daß er hofft.
Du werdest nicht ungünstig auf seine Werbung blicken ?
Um meinetwillen empfange ihn gütig, Beatrice."
„Ich denke, daß ich cs niemals an Höflichkeit gegen
die Gäste meines Vaters fehlen lasse," bemerkte Beatrice
ruhig.
„Aber ich verlange mehr, als bloße Höflichkeit für
Lord Ocmond, meine Tochter. Er ist seit zehn Jahren
Dein treuer Verehrer, und während dieser ganzen Zeit
wurde er in seiner Neigung und Hingebung auch nicht einen
Augenblick schwankend. Du, Beatnce, warst es, die ihn zum
Verbannten, zum ruhelosen Wanderer machte. Er blieb
unverheirathet, wartete geduldig und hoffnungsvoll, ohne
jemals einen Vorwurf für Deine Kälte zu haben, ohne
Dir jemals seine vuldrgung aufzudrängen."
(Fortsetzung folgt.)
 
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