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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 71 - Nr. 80 (28. März - 10. April)
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^rfchoivt täglich mit «uSnahmedrr Soun-».Feiertage,
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Att „Der EonntagSbote" sürHeidelberg monatlich SS H
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" anzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende Rabatt,
bewilligung. Expedition: Zwingerstraße 7.
K U.
Verantwort!. Redakteur: F. 2. Knappe
in Heidelberg.
Wk!dkU Dmnhz, ki ll>. Hril
Druck». Verlag vonGrbr. Huber inHeidelberg
srüher Verleger des Pfälzer Boten.
1890.

Ne iitmulimlt MitnMmsmiz.
o Am 28. März verließ Fürst Bismarck Berlin,
und zur selben Stunde, wo er der Stätte seiner
'Ukgjährigen Thätigkeit den Rücken wandte, tauschten
^ie Delegirten der internationalen Arbeiterschutzkonferenz
Scheidegruß aus, um dann ebenfalls die Heimfahrt
Uhzutreten. Es ist eine merkwürdige Fügung, daß
"lese beiden Thatsachen, welche in innerem Zusammen-
hang stehen und unsere politische Lage so scharf
charakterisiren, in der Weltgeschichte auf dem näm-
'lchen Blatte verzeichnet sein und dasselbe Datum
^agen werden.
Fürst Bismarck hat die psychologischen Vorgänge
urs Volkslebens und dessen Entwicklung nie ganz be-
griffen. Das ist der tiefe Schatten, welcher auf seiner
Größe liegt, es ist die Erklärung seiner vielen Miß-
erfolge auf dem Gebiete der inneren Politik. Bei
Auen politischen Berechnungen nahm er nur den
Verstand zu Hilfe, Seele und Gemüth bliebe»
^ußex Betracht. Daher kam auch seine falsche Auf-
urssung der Arbeiterfrage, deren innersten
Grund er übersah. Er glaubte, wenn für den kranken,
^runglückteu, invaliden und alten Arbeiter gesorgt sei,
°ann habe man das Acußerste gethan, um die Arbeiter
Dfrieden zu stellen. Um den Produktionsprozeß
Abst kümmerte er sich nicht; gerade darin aber liegt
dfe eigentliche soziale Frage. Die Produktion darf
"fcht sich selbst überlassen werden, es muß vielmehr
richtiges, den geistigen und materiellen Anforde-
Angen eines christlichen Staatswesens entsprechendes
Verhältnis; zwischen Arbeiter und Arbeitsertrag her-
Wkllt werden. Ohne eine vernünftige Begrenzung
Produktion, ohne Beschränkung der Ausbeutung
7^r Arbeitskraft, ohne eine größere Betheiligung der
Arbeiter am Arbeitsertrag, ohne eine feste umsichtige,
^chtliche Regelung der Beziehungen zwischen Arbeiter
Arbeitgeber, ohne geistige Fürsorge durch Kirche,
schule und Familie wird die heutige Gesellschaft aus
?sn Fugen gehen. Fürst Bismarck hat nie so tief
Ae Arbeiterfrage aufgefaßt, für ihn kam in erster
Anie die Produktion, ihr Umfang und ihre Konkur-
renzfähigkeit; in den Produktionsprozeß wollte er
,'cht eingreifen. Das ist der Hauptgrund seines Stur-
iks. Die Meinungsverschiedenheit über die Gewalt
Ad Tragweite des Kabinetspräsidiums zwischen Kai-
A und Fürst Bismarck war lediglich der äußere Aus-
snck einer grundverschiedenen Auffassung in der so-
Men Frage und in der Arbeiterfrage. Die offiziösen
EArn haben Alles versucht, um die Bismarck'sche

»reuer Siebe Sohn.
Roman von U. Rose».
(»«chdr. verb.i
»Ja, Mama, ich beareife jetzt Alles," erklärte Giralda,
Mutter die Hand küßend.
U;.»Und Du sichst jetzt ein, weshalb ich bei Deinem An-
" an Lord Trewor's Seite erbebte und zusammenftdach?"
d>.„.Ja. Mama, ober Papa war gewiß unschuldig. Er
"te seinem Onkel niemals ein Leid Zufügen."
.Gewiß nicht, liebes Kind. Aber Papa vermag nicht,
die Inschuld zu beweisen," sagte Beatrice, ihrer Tochter
tz.. Geschichte jener Ünglücksnacht wiederholend. „Um
Zu retten, bin ich gegen seinen Vetter höflich. Or-
ahnt, daß ich ein Gehcimniß habe, welches mit dem
^Z"ried's in Verbindung steht, und heute Abend sah er
^-bemerkte er meine Auslegung und die Deinige, als
, Blicke einander begegneten, und vielleicht hat er die
HnArheit crrathen. Ist dies der Fall, so muß Dein
'" ohne Verzug aus England fliehen, mein Kind."
ich bin es, die all' diesen Jammer über Dich
« heraufbeschwor?" flüsterte Giralda, sich dichter
Mutter anschmiegend.
l^-Kein, mein Engel, Lord Ormond beargwöhnte und
H>,?5Htete mich schon, ehe er Dich gesehen hatte. Dein
sich vertiefte nur seinen Verdacht. Er wird versuchen,
Kjtz an Dich zu drängen und Dir abzulauschen, wer Du
ih L,und was Du weißt. Ich muß Dich noch diese Nacht
Magda's Begleitung hcimschiüen, liebes Kind."
hkr Mama, würde eine solche Flucht dem Argwohn
zNd's nicht neues Gewicht verleihen?"
Beatrice nickte bestätigend.
>tz.»So last' mich bei Lord Trewor bleiben," bat Giralda.
mich und wünscht mich als seine Enkelin zu
Vielleicht wird es mir gelingen, sein Herz
Vapa nachsichtiger zu stimmen- Jung, schwach und
ich bin, hat die Vorsehung mich vielleicht
Kink nkzeug erkoren, Papa'S Unschuld an den Tag zu
i<littzfkn. Vertraue mir, Mama, ich werde muthig, vcr-
Hst Ukn und vorsichtig sein. Niemand soll ein Wort von
ovren, das meine Eltern gefährden könnte. O, wenn

Auffassung bei der obersten Staatsleitung in Geltung
zu erhalten, indeß zeigte die Einberufung der inter-
nationalen Arbeiterfchutzkonferenz die unüberbrückare
Kluft.
Internationale Regelung der Arbeiterfrage! Die
zünftige Diplomatie schüttelt darüber ungläubig und
unwirsch den Kopf, und man darf dann nur noch die
Nothwendigkeit einer internationalen Regelung der
Produktion überhaupt betonen, um den höchsten Un-
willen der überkommenen Staatsweisen zu erregen.
Kaiser Wilhelm hat jetzt den Bann gebrochen. Trotz
der Schwierigkeiten, die sich ihm im Innern, trotz des
Widerspruchs, der sich ihm im Auslande entgegen-
stellte, hat er, auf dem Boden einer werkthätigen,
energischen, christlichen Sozialpolitik stehend, gleich das
höchste Ziel, die internationale Regelung der Arbeiter-
frage, in's Auge gefaßt. Die deshalb einberufene
internationale Konferenz ist schon wieder geschloffen,
sie konnte das Ergebniß ihrer Berathungen als einen
Epilog zur Kanzlerkrisis dem Fürsten Bismarck mit
nach Friedrichsruh geben, denn die Konferenz zeigte
die Haltlosigkeit der nationalen und internationalen
Vorurtheile und endigte mit einem vollen mo-
ralischen Erfolg.
Der Konferenz waren zur Berathung Fragen oor-
gelegt über die Regelung der Arbeit in Bergwerken,
der Sonntagsarbeit, der Kinderarbeit, der Arbeit jun-
ger Leute und weiblicher Personen. Ueber alle diese
Fragen hatte die Konferenz ihr Gutachten abzugeben,
und sie erzielte zu jeder Frage eine positive und ein-
hellige Antwort. -
Bezüglich der Bergwerksarbeit ist der Kon-
ferenzbeschluß über die bei uns geltenden Bestimmungen
im Allgemeinen nicht hinausgegangen. Dagegen ist
es wichtig, daß die Einschränkung der Arbeitsdauer
im gefährlichen Bergbetrieb und die Einführung von
Schiedsgerichten im Bergwerksbetrieb ausgesprochen
wurde. Die Sonntagsarbeit ist bei uns nur
verboten für Kinder und junge Leute von 14 bis 16
Jahren. Die Konferenz fügte noch die Frauen hinzu.
Für die erwachsenen Arbeiter ist das Verbot der
Sountagsarbeit, gegen welches die französischen Dele-
girten waren, nicht direkt ausgesprochen; indirekt liegt
es aber in dem Konferenzbeschluß, der besagt, es sei
Wünschenswerth, daß ein Ruhetag in der Woche
allen industriellen Arbeitern zukomme, sowie daß
dieser Ruhetag auf den Sonntag falle. Dieses Re-
sultat hat Fürstbischof Dr. Kopp durch geschickte Be-
handlung der Frage erzielt, es ist, wir wir hören,
sein eigenstes Verdienst. Die Gesetzgebung Deutsch-
ich das Glück hätte, Papa die Liebe seines Onkels wieder
zu verschaffen!"
„Ich fürchte, mein Kind, Dein Plan ist zu abenteuer-
lich. Wre sollte ein junges Geschöpf wie Du, die für
solch eine Aufgabe erforderliche Vorsicht besitzen."
„Stelle mich auf die Probe, Mama. Lord Trewor
kann noch viele Jahre leben. Rupert muß seine Studien
vollenden und eine Stellung in der Welt gewinnen, und
sür Dich und Papa ist es schrecklich, diese geheimnißvolle
Existenz n och werter zu führen. Stelle Dir vor, Du hättest noch
zehn Jahre die Huldigungen dieses Ormond zu erdulden!"
»Zehn Jahre !" stönte Beatrice. „In zehn Jahren ist
Rupert ein Mann. Nein, zehn Jahre kann ich unmöglich
noch warten."
„So gestatte mir, wieder zurückzukehren, Mama. Er
denkt nicht einmal im Traum an eine Verwandtschaft
zwischen mir und Dir, und bemerkte nicht das Mindeste
von der Ursache Deiner Ohnmacht. In der Vorliebe des
Marquis für mich sehe ich den Finger der Vorsehung, die
mir den Weg zeigt, aus dem Papa wieder zu seinem guten
Namen kommen kann "
Giralda sprach mit leidenschaftlichem Eifer- Sie sah
ein heiliges Werk vor sich, dem sich widmen zu dürfen, ihr
glühendster Wunsch war-
Beatrice dachte schweigend über den Vorschlag ihrer
Tochter nach. Sie erkannte die Schwierigkeiten auf
Giralda's Pfade, und wußte, wie eigensinnig und hart
Lord ^Trewor war, aber die Sorge um ihren Gatten
und ihre Kinder hielt sie zurück, sich vorschnell zu ent-
scheiden.
„Wie willst Du es anfangen, Lord Trewor von London
wieder heimzulocken, Giralda?" fragte sie nachdenklich.
„Er wird vielleicht darauf bestehen, mich aufznsuchen, und
wenn er die Schauspielerin nicht findet, wird er dir nach
dem Birkenhain folgen wollen."
„Wenn ich die Ueberzeugung gewinne, daß ich ihn
nicht lenken und beeinflussen kann, ohne Euer Gehcimniß
zu verrathen, werde ich ihm entfliehen und mich unter
Deinen Schutz begeben. Nm des theuern Papa, um
Ruperts willen, last' mich den Versuch wagen!"
„Gut, Du magst mit dem Marquis nach Trewor-

lands bleibt hinter dieser Normirung der Sonntags-
arbeit für Frauen und erwachsene Arbeiter völlig
zurück. Die Schweiz, Oesterreich und Holland haben
die Sonntagsarbeit überhaupt verboten, England für
die gesammte Industrie, ausgenommen die Textil-
Industrie; Frankreich setzte einen Ruhetag lediglich für
Arbeiter unter 16 n. Mädchen unter 21 Jahren sch.
Die Kinderarbeit soll nach dem Konferenzbeschluß
erst mit 12 Jahren beginnen, wie das in Deutschland
und Holland der Fall ist. In der Schweiz und
Oesterreich erstreckt sich das Verbot der Kinderarbeit auf
das 14. Lebensjahr. In England gilt das 10. Lebens-
jahr für die Textilindustrie und 'das 8. Lebensjahr
für die übrigen Industrien. In Frankreich beginnt
die Kinderarbeit allgemein mit dem 12. Jahre, jedoch
in der Textil-, Papier- und Glasindustrie vom 10.
Lebensjahre. Die tägliche Arbeitszeit für Kinder soll
nach dem Konferenzbeschluß nicht 6 Stunden über-
schreiten. Sie beträgt gegenwärtig in Deutschland,
Frankreich, Holland und im Wesentlichen auch in
England 6 Stunden. Oesterreich und die Schweiz
kommen nicht in Betracht, da bei diesen Staaten die
Fabrikarbeit erst mit dem 14. Jahr begonnen wird.
Die Konferenz wünscht das Verbot der Sonntags-
und Nachtarbeit, wie die Industriestaaten es wesentlich
schon jetzt durchgeführt haben. Nach dem Konferenz-
beschluß soll die Arbeit der jungen Leute
beider Geschlechter zwischen 14 und 16 Jahren täglich
10 Stunden dauern dürfen, Sonntags und Nackt»
aber ganz verboten sein. Die jungen Leute können
gegenwärtig in Deutschland 10, England durchschnitt-
lich 10, in der Schweiz, Oesterreich und Holland 11,
in Frankreich 12 Stunden beschäftigt werden. Die
Nachtarbeit ist für junge Leute verboten in der Schweiz,
Oesterreich, Holland, Deutschland, England, Frankreich,
hierin ist also nichts zu ändern. Die Sonntagsruhe
ergiebt sich aus der von uns oben gegebenen Dar-
legung; sie ist für junge Leute in allen genannten
Hauptstaaten geschützt. Die Arbeit weiblicher
Personen soll nach dem Konferenzbeschluß erst mit
16 Jahren gestattet sein. Für alle Frauen soll die
tägliche Arbeit 11 Stunden nicht überschreiten; Nacht-
und Sonntagsarbeit soll für alle Frauen verboten
sein. In Deutschland, Frankreich, Holland und Oester-
reich kann nach der jetzigen Gesetzgebung die Frauen-
arbeit mit 16, in England und der Schweiz mit 18
Jahren beginnen. Die tägliche Arbeitszeit für Frauen
beträgt in England 10, in der Schweiz, in Oesterreich
und Holland 11 Stunden, in Deutschland u., Frank-
reich ist die Arbeitszeit gesetzlich unbeschränkt. Die
Park zurückkehren," seufzte Beatrice. „Aber bedenke, mein
Kind, daß Deines Vaters Schicksal und mein Glück in
Deinen Händen ruhen!"
Noch eine Stunde wurde der Berathung und Unter-
haltung gewidmet, ehe Beatrice ihrer Tochter erklärte es
sei Zeit für sie, ihr Hotel aufzusuchen.
„Schreibe mir nicht öfter, als einmal wöchentlich,"
sagte sie, Giralda unter heißen Thronen umarmend. .Und
vergiß nicht, Dich der AdrJse zn bedienen, die ich Dir
gegeben habe- Sei vorsichtig und klug, liebes Kind. Und
nun lebe Wohl."
Magda Fleck verließ die Tochter ihrer Gebieterin nicht
eher, als brs sie das junge Mädchen sicher in seinem
Zimmer angekommen wußte.
19. Kapitel.
Das Glück begünstigt Giralda
Die Nacht brachte keinen Schlaf in Giralda's Augen
Die Geschichte, die sie von ihrer Mutter Lippen gehört
batte ihr Gemüth in allen seinen Tiefen erregt. Es schi-n
ihr bemahe unglaublich, daß der heitere, lebensfrohe Gott-
fried Trewor der Gegenstand des unauslöschlichen Haffes
eines Onkels, der Jüngling, welcher bei einem Mordver-
such auf den Marquis ergriffen worden war, derjenige,
dessen Sache sie der alten Haushälterin versprochen hatte,
bei Lord Trewor zu Vertheidigen, wirklich ihr eigener
Vater, der ernste, edle, gelehrte Mann sein sollte, den sie
von allen Wesen auf Erden am Höchsten verehrte.
„Er war des ihm zugeschriebenen Verbrechens niemals
schuldig!" wiederholte sie sich immer auf's Neue. „Papa
ist unfähig, einem lebenden Geschöpfe das Geringste zu
Leide zu thun. Armer Papa! Wenn nun Lord Trewor
dennoch von meiner Verwandtschaft mit dem gehaßten
Neffen erfährt? Wenn Lord Ormond Mama's Geheim-
niß entdeckt!" dachte sie schaudernd. „Lord Ormond ist
grausam und erbarmungslos wie ein Tiger. Und er liebt
Mama, während er Papa grimmig haßt. Wenn Papa
von dem Onkel oder dem Neffen entdeckt würde gäbe es
keine Rettung für ihn; er würde schmachvoller Strafe
überantwortet, meiner stolzen, schönen Mama würde das
Herz brechen, und meine armen Brüder würden zu Grunde
gehen." (Horts, f.)
 
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