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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 51 - Nr. 60 (2. März - 13. März)
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Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum IO H
Reklame 25 Für hiesige Geschäfts- und Privat
anzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende Rabatt-
bewilligung. Expedition: Zwingerstratze 7.
1890 "

tiigltch «it SsSuahmr der Soun- u. Feiertage.
^»NeweutSpreis mit dem wbchentlichenUnterhaltungs-
CD er SonntagSbvte" für Heidelberg monatlich 50
Trägerlohn, durch di e Post bezogen Viertels. 1.80 franco.




Verantwort!. Redakteur: F. I. Mappe
iu Heidelberg.
Mikl«, dkl I?. Mz.
Drucku.Verlag vonGebr. Huber «Heidelberg
früher Verleger des Pfälzer Boten.

' Wtz des Kkilns — str P»Iks-
icsMii!
, Die weltbewegende Bedeutung, welche die Arbeiter-
Autzreform in jüngster Zeit erhalten bat, spiegelt
A in allen Preßerzeugnissen des Inn- und Auslandes
?"kder. Jedes ernstere politische Organ nimmt Stet-
ig zu dieser Frage, für welche der thatkräftige Kaiser
neugeeinten deutschen Reiches, so unverhohlen sein
Interesse kundgethan und zu deren Lösung er Anregung
einer internationalen Konferenz, welche in den
Ochsten Tagen in Berlin stattfindet, gegeben hat. Es
aber auch nichts mehr, als ein einfaches Gebot
Menschlichkeit, endlich auch an jenes lebendige
Zement des Staates zu denken, welches durch die
genannten unteren Schichten der Gesellschaft reprä-
Atirt wird, nicht über Geld und ähnliche materielle
Aürksgüter verfügt, sondern nur das natürliche, jedem
Menschen von seinem Schöpfer gegebenen Kapital
physischen Kraft besitzt. Dieses, verbunden mit
dem Menschen innewohnenden Intelligenz, ist aber
^Uch, in der überwiegenden Zahl, das einzige Besitz-
tum der Arbeiter, und da dieses einzige Besitzthum
Wesentlich durch die Gesundheit des Inhabers bedingt
sst, der Staat ferner ohne Arbeit und die Träger der-
selben, die Arbeiter, nicht bestehen kann, so ist es
sein? Pflicht, für den Schutz der Gesundheit der Ar-
beiter nach Kräften zu sorgen, ihn zum Gegenstand
gesetzgeberischer Maßnahmen zu machen.
Die Frage des Arbeiterschutzes wird schon seit
wahren ventilirt, der Hauptanstoß hierzu erfolgte, wie
*vir immer und immer wieder hervorhebeu wollen,
?us den Reihen des Centrums, jener Partei, welche
Volke wurzelt und das Gebot der Nächstenliebe
§uch auf den geringsten Arbeiter ausgedehnt wissen
^'ill. Bekämpft wurde dieses Streben unserer katho-
lischen Abgeordneten stets nur von der Unternehmer-
hressk und jener unseligen Politik, welche das Heil
^ks Staates einzig und allein von dem Großgrund-
besitz, von dem Großkapital und der Großindustrie
Erhoffte, nur an den Schutz dieser dachte und über
den Edelsten der Nation die Ritter der Arbeit vergaß.
Darf es den denkenden Menschen da Wunder nehmen,
)venn zersetzende Unzufriedenheit immer mehr und mehr
pes Volkes sich bemächtigte, daß es, nachdem man
Ehm auch die Religion nahm, den letzten Halt verlor
vnd sich der ihr am meisten zusagenden Strömung,
per von der Unzufriedenheit geborenen Sozialdemokratie
ui die Arme warf?
Eine vernünftige Sozialreform mußte damit be-

gonnen werden, daß man den Arbeiter in die Lage
setzte, sein Recht dem Arbeitgeber gegenüber erfolgreich
zu vertheidigen, daß man den Arbeitslohn dem Ar-
beitsertrag anpaßte, und daß, was als eine für den
Staat besonders wichtiges Moment bezeichnet werden
muß, die Gesundheit des Arbeiters gesetzlich schützte.
Wir sagen gesetzlich, denn dem Unternehmen den Ar-
beiterschutz zu überlassen, hieße in den Wind hauchen.
Eine der ersten Maßnahmen, die der Staat schon
längst treffen mußte, ist die Beschränkung der
Kin der a rb eit.
Die öffentliche Gesundheitspflege fordert eigentlich,
daß die regelmäßige Beschäftigung von Kindern in
Fabriken erst nach gänzlicher Vollendung der körper-
lichen Entwickelung ihren Anfang nehme. Denn es
läßt sich in allen Industrieländern der Nachweis er-
bringen, daß die schädlichen Einflüsse der Industrie
bei Kindern und jugendlichen Arbeitern mehr zu Tage
treten, als bei den Erwachsenen. Verkrümmungen bei
Kindern, die in stets vorgebeugter Haltung arbeiten
müssen, werden ungemein häufig beobachtet. Knaben
von 14—15 Jahren, die als Maschinenstricker arbeiten,
sind nach kurzer Zeit durch ihren unregelmäßigen Brust-
korb zu erkennen. Junge Leute, die schon allzufrüh
mit Feile und Raspel zu arbeiten hatten, werden früh
durch ihre hohe Schulter gekennzeichnet. In Plauen
fand man, daß Fädelkinder kaum eine halbe Stunde
lesen konnten, ohne daß ihnen die Augen übergingen,
und daß über 5 Prozent mehr Kurzsichtige, sowie 2'/»
Mal so viel Augenkranke unter ihnen Vorkommen,
als bei den nicht gewerblich beschäftigten Altersgenossen.
Und selbst dort, wo nur der Arbeitsraum mit seinen
Begleitfaktoren als ungünstig einwirkendes Moment
in Betracht kommen rann, selbst dort sind besonders
schädliche Einflüsse für kindliche und jugendliche Ar-
beiter festzustellen. Die Einwirkungen richten aber eben
so lange ganz besonderen Schaden an, bis der Körper
nicht völlig entwickelt ist, und es wäre also auch ein
Gebot der sozialen Hygiene, eine regelmäßige gewerb-
liche Beschäftigung nicht früher zuznlassen. Dieselbe
rechnet indessen von vornherein mit den praktischen
Verhältnissen und mit der für große Volksschichten
vorhandenen Nothwendigkeit, schon sehr früh ans Lernen
uud Verdienen zu gehen. Sie hat bereits Konzessionen
gemacht und dies muß besonders gegenüber Denjenigen
betont werden, welche es schon für ein ungeheuer ar-
beiterfreundliches Zugeständniß halten, wenn sie das
Kind statt vom 8. oder 10., „erst" vom 12. Jahre
ab, wie gegenwärtig nach Lage der deutschen Gesetz-
gebung, in die Frage gehen lassen. Die soziale Hy-

giene bezeichnet durch eine seltene Uebereinstimmung
aller ihrer Autoritäten das 14. Lebensjahr als das
Minimalalter, mit welchem unter Berücksichtigung aller
wirthschaftlichen nnd sozialen Begleitumstände regel-
mäßige Fabrikarbeit beginnen darf. Damit ist die
Hanptreform gegeben, welche Deutschland zunächst auf
dem Gebiete der Kinderarbeit zu vollziehen hat. Unsere
Gesetzgebung muß an Stelle des K 135 der Gewerbe-
ordnung eine Bestimmung setzen, die lautet: „Kinder
unter 14 Jahren dürfen in Fabriken nicht beschäftigt
werden."
Arbeiter im Alter von 14 bis 16 Jahren nennt
man bei uns in Deutschland „jugendliche Arbeiter",
es müßte somit die Kinderarbeit, d. h. die Beschäfti-
gung von Kindern unter 14 Jahren überhaupt gesetz-
lich verboten, nnd nur die Verwendung jugendlicher
Arbeiter gestattet sein. Für die Regelung der jugend-
lichen Arbeit aber ergeben sich bei ihrer Beurtheilnng
vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege
aus, gegenüber der bestehenden und sehr unvollkom-
menen Gesetzgebung, eine Reihe von Reformforderungen,
auf welche wir iu einer weiteren Abhandlung zurück-
kommen wollen.

Deutsches Reich.
-i-» Berlin, l l. März. Die Auszeichnung des
Staatssekretärs von Bötticher mit dem Schwarzen
Adlerorden erregt in politischen Kreisen Aufsehen.
Man bringt, da sich Herr von Bötticher bisher keines-
wegs in hervorragender Weise ausgezeichnet hat, die
Verleihung des hohen Ordens mit dem unsicheren Zu-
stande in Verbindung, den man die Kanzlerkrise nennt,
und hört die merkwürdige Ansicht aussprechen, Herr
von Bötticher habe den Schwarzen Adlerorden er-
halten, weil er nicht Ministerpräsident werden würde.
Selbst zugegeben, daß der Schwarze Adlerorden ein
Trost für getäuschte Hoffnungen sei, so bliebe doch
das Wichtigste noch unerklärt, ob Herr von Bötticher
nicht Ministerpräsident wird, weil Fürst Bismarck
vorläufig noch bleibt, oder weil er sich für eine selbst-
ständig leitende Stelle nicht eignet. — Neber die
Münchener Skandale sagt die „Germania", die
bayerische Centrumsfraktion wende nur erlaubte, ver-
fassungsmäßige Mittel an, während bei den „Neuesten"
die Anfänge einer revolutionären Politik sich zeigen
durch den Versuch, die verfassungsmäßigen Rechte des
Parlaments zu vernichten und die freie Entschließung
der Krone zu behindern. Die Zeche werde aber der
Liberalismus tragen, denn die Bevölkerung des Bayern-
landes denke christlich und konservativ.




S8)

Treuer Liebe Lohn.
Roman von U. Rosen.
(Nachdr. derb.)
. Der Morgen war trotz des Windes und der Kälte
»"bt unangenehm. Die Wolken hoben sich und der Himmel
svZrde Heller. Vögel flogen singend und zwischernd durch
?>e Luft. Auf den Feldern weideten junge Lämmer, und
?kr Frühling schien überall seinen Einzug halten zu
wollen.
Die Straße nach Trewor-Park war felsig und ge-
funden. In der Tiefe breiteten sich lachend grüne Thäler
y.us, und aus dichtem Gebüsch lugten Schäferhütten oder
Infame Pachthöfe hervor. Endlich erreichten sie den Givfel
Hügels, zu dessen Füßen sich Aecker und Wiesen aus-
ahnten, während sich auf seinem breiten Rücken das mäch-
. "Ke alte Schloß erhob.
. Giralda wußte, ohne daß man es ihr sagte, sie sehe
«en ehrwürdigen Herrensitz der Trewor's vor sich. „Wie
vertraut mir dieses durch die Jahrhunderte ragende, zinnen-
kekrönte Gebäude vorkommt," dachte sie. „Papa beschrieb
Uns öfters ein solches Schloß als die Heimath, die er in
Vern Besitz seiner Kinder wünschte. Ich bin neugierig, ob
" jemals in dieser Gegend war und Treworpark kennt."
, , Ein breites Thor versperrte dem Wagen die Weiter-
ehrt. Der Kutscher sprang vom Bock, stieß das knarrende
Thor auf und bog in eine Allee von prächtigen, uralten
säumen ein, deren oberste Zweige so ineinander verschlungen
?kren, daß sie in Sommer einen grünen Bogengang bil-
°"en, jxtzt aber einer geborstenen Dcckenwölbung glichen,
fteber das aufgehäufte trockene Laub des Parkes sprangen
,*>asen, während helläugige Rehe sich ohne Scheu herum-
minrnelten.
. Als sie vor dem Schloß hielten, begann Giralda's Herz
Pltig zu pochen, und sie wurde todtenbleich vor Erregung.
sVer Kutscher läutete an der mesfingbeschlagenen Eingangs-
chur, die nach wenigen Minuten von der Haushälterin,
"uer gulmüthig aussehenden alten Frau geöffnet wurde.
—.Ich wünsche Lord Trewor zu sprechen," sagte das
Mädchen, das hastig ausgestiegen war, halb schüchtern.

„Ich komme, um mich auf das Inserat in der „Times" zu
melden."
Die Haushälterin blickte erstaunt auf die kindliche Ge-
stalt, bat aber die junge Fremde mit höflichen Worten ein-
zutreten. „Ich will dem Herrn Marquis sagen, daß Sie
hier sind," bemerkte die Frau, Giralda in eines kleines
ungeheiztes Wartezimmer führend. „Ich glaube nicht, daß
er sich schon für eine Dame entschieden hat."
Mit einer artigen Verbeugung zog sie sich zurück, um
sehr bald wieder zu kehren.
„Der Herr Marquis wünscht Sie zu empfangen,
Fräulein," rief sie. „Bitte, folgen Sie mir." Sie schritt
voran und klopfte an die Thür ihres Gebieters.
Eine barsche Stimme befahl ihr einzutreten'
Giralda überschritt die Schwelle eines vornehmen und
bequem ausgestatteten Zimmers. Lord Trewor saß, den
rechten Fuß in warme Decken gewickelt, vor einem runden
mit Briefen übersäeten Tisch. Einen derselben hielt er in
der Hand.
Der Greis sah nicht aus, wie ein Geizhalz. Er war
von hoher Gestalt, breitschultrig und von gebietender Er-
scheinung. Sein kurzgeschnittenes Haar war weiß wie
Schnee und legte sich in dichten Locken um seine schön ge-
wölbte Stirn. Die Augenbrauen waren weiß und buschig
und der silberglänzende Weiße Schnurrbart verlieh ihm
etwas Militärisches. Seine dunklen Augen hatten den
scharfen durchdringenden Blick der Jugend.
Er war noch immer ein Mann von leicht erregbarem
Temperament. Sein Gesicht trug für gewöhnlich einen
Ausdruck beißenden Spottes. In seinen jüngeren Tagen
war er als Mann von glänzendem Geist und Witz bekannt
gewesen, und auch jetzt hatte er noch viele von seinen mit
Recht hochgepriesenen Gaben und Talenten bewahrt. Er
haßte Falschheit und Trug, und seine gegen sich selbst un-
nachsichtige Natur entschuldigte die hervorragensten Fehler
seines Charakters, eine unerbittliche Strenge, Unduldsam-
keit und Selbstsucht.
Wenige Schritte von Lord Trewor stand Wig, der
Kammerdiener und Krankenwärter des Greises, ein Mann
mit kleinen schwarzen Augen, die List und Verschlagenheit

verriethen. Vor vielen Jahren war er aus dem Dienst
Lord Ormond s in den des Onkels übergetreten. Seinem
ehemaligen Gebieter treu ergeben, v orlqr er niemals eine
Gelegenheit, ihn dem Marquis zu empfehlen, seine Vor-
züge zu rühmen, und das Andenken Gottfried Trewor's
herabzusetzen.
Giralda warf einen schnellen Blick auf Herrn und
Diener, ehe sie ihren Schleier zurückschlug.
Lord Trewor fuhr, von ihrer außergewöhnlichen
Schönheit betroffen, überrascht empor. „Entschuldigen Sie
mich, mein Fräulein," sagte er höflich, „daß ich Sie sitzend
empfange. Ich bin gegenwärtig leider ein Märtyrer der
Gicht. Bille, nehmen Sie gefälligst Platz. Frau Pump,
meine Haushälterin, vergaß, mir Ihren Namen zu nennen."
„Ich heiße Giralda Arevalo," erwiderte das Mädchen
erblassend und erröthend, als es sich auf dem von Frau
Pump neben den Marquis hingeschobenen Sessel niederlieb,
„und kam hierher, um mich auf Ihre Annonce in der
„Times" in Person zu bewerten."
Das kindlich unerfahrene Wesen Giralda's belustigte
den Marquis. „Ich habe einige hundert Anerbietungen
erhalten, Fräulein Arevalo," sagte er wieder ernster
werdend. „Seltsam, wie viele Leute es giebt, die einem
alten kranken Manne Gesellschaft zu leisten wünschen, doch
sind Sie die Erste, welche den Löwen bei der Mähne er-
faßt. Was sind Sie zu leisten im Stande, mein Fräulein?"
Das dunkle sarkastische Gesicht des Marquis trug einen
spöttischen Ausdruck, der Giralda's Selbstgefühl aufstachelte.
„Ich kann vorleseu, singen, Klavier spielen, französisch,
deutsch und spanisch sprechen und schreiben," erwiderte sie
mit ruhiger Würde-
„Hm!" brummte der Marquis. „Sie sind ganz anders
als die grobe Zahl Ihrer Mitbewerberinnen. Eine der-
selben unterbreitet mir eine wahrhaft erschreckende lange
Liste von ihren Leistungsfähigkeiten. Ihnen Allen ist es
eine Freude Nacht für Nacht zu wachen, ohne sich jemals
ermüdet zu fühlen, sie nähen, sticken, lesen, singen und
spielen, und verstehen sich auf Krankenpflege besser wie der
erfahrenste Arzt, und Sie, liebes Kind, können nur lesen,
sinken, spielen und in verschiedenen Sprachen plaudern?"
 
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