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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 131 - Nr. 140 (12. Juni - 22. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42837#0533

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Wrfcheiut täglich mi! Ausnahme der Sons- u. Feierrage.
UbovormevtSpreitz mit dem wöchentlichen UutnhalkmgS-
Klait „De: SvuuiagSbvte" für Heidelbrrg monatlich KV
«rtt Trägeckohu, durch dr e Post bezogen viertel;. 1.80 si a aco.

Organ für WaliMt, Fretlikli L Kksiii


Brrautwortl. Redakteur: F. L. Knappe j
in Heidelberg.

Wckns, L«ftg, dkl lt Zmi.

Ju serate die 1-tpalüge Petitzccle oder deren Raum 10
Reklame 25 ^r. Für diesige Geschäfts- uud Prrvat-
aszeigen, sowie für Jalncs-Anzeigen bedeutende Rabatt»
bewrlligung. Expedition: Zwingerstraße 7.

Druck». Verlag von Grdr. Huber in Heidelberg
früher Verleger des Pfälzer Boten.

1890.

s

Ak KsmkMchlkii u 8klU«.
-s- Brüssel, 11. Juni.
Der gestrige Tag war für die Zukunft der kath.
Partei und der Regierung in Belgien ein überaus
wichtiger. Die Hälfte der Kammer, die aus 138
Teputirten besteht, stand gestern zur Neuwahl. Be-
kanntlich zählte die katholische, die sogenannte „kleri-
kale" Partei bisher 82 Mitglieder, also 13 über die
absolute Mehrheit, während die Liberalen 43 und die
„Unabhängigen" 13 Sitze entnahmen. Von den aus-
scheidenden Deputirten waren 38 Liberale, 31 Katho-
liken, von den Liberalen blieben also noch 5 iu der
Kammer zurück, von den Katholiken dagegen 53, so
daß letztere immerhin schon von Vvrneherein bedeutend
im Vortheil waren. Von den Ausscheidenden fielen
aus die Provinz Ostflandern 22 (davon 21 Katholiken),
aus Hennegan 25 (davon 2 .Katholiken), auf Lüttich
17 (3 Katholiken), auf Limburg 5 fsämmtlich Katho-
liken^.
Seit langer Zeit haben die Liberalen alle Hebel
in Bewegung gesetzt, um den Konservativen das Ru-
der wieder aus der Hand zu winden. Die bekannten
Spitzel-Prozesse, die Mondion-Rieter-Affaire und tau-
fend andere Dinge hat man benützt, um mit Lug u.
Trug gegen die kath. Partei, mit der die Indepen-
denten Hand in Hand gehen, zu kämpfen und ihr für
die Wahlen den Boden wegzuziehen. Aber selbst der
rosigste Optimismus konnte die liberalen Aussichten
im Ernste nicht für günstig halten, trotz des großen
Geschreis der liberalen Presse. Nicht nur haben die
Katholiken bei den unlängst stattgehabten Provinzial-
wahlen an Terrain gewonnen, statt, wie die Liberalen
gehofft haben, zu verlieren, sondern bei der letzten
Ersatzwahl in Neufchateau haben sie sogar ihren Kan-
didaten mit 164 Stimmen Majorität durchgebracht,
während sie bei der Wahl 1888 nur eine Majorität
Won 45 Stimmen erreicht hatten.
Immerhin war der gestrige Kampf von eminenter
Wichtigkeit, er hat für lange Zeit über die Schicksale
Belgiens entschieden. Und die Entscheidung ist, wie
wir zu unserer Freude konstatiren können, für die
Katholiken Belgiens s ehr g n n st i g ausgefallen. Der
Hauptkampf drehte sich um Gent. Ein lib. Blatt
schrieb vor wenigen Tagen: „In Gent und seinen 8
Dcputirtensitzen entscheidet sich die Bedeutung des
Tages. Der Sieg der Katholiken in Gent heißt die
Sicherung der konservativen Herrschaft auf Jahre
hinaus, eiu liberaler Genter Sieg bedeutet deren
nahes Ende, weil Brüssel im Jahre 1892 die Macht-
emscheidung in Händen hat."
Treuer Klebe Kohn.
101) Roman von u. Rosen
(Keiüdc. Verb.)
„Tragen Sie das Kind in den Wagen, Wig," befahl
Ormond, Giralda sesthaltend und die Straße auf- und
niederschauend.
Egon wurde mehr todt als lebendig in den Wagen ge-
hoben.
„Binden Sie den Kleinen," gebot Ormond.
Wig beeilte fick, die Beine und die Arme des Kleinen
zusammenzuschnüren.
„O, schleppen Sie ihn nicht ohne mich weg," bat
Giralda, der Egon s leises Wimmern das Herz zerriß.
„Das beabsichtige ich gar nicht," rief Ormond mit
wildem Frohlocken. „Sie werden mit ihm gehen, mein
Fräulein, und gewissermaßen seine Beschützerin sein, denn
von Ihrem Verhalten wird sein Leben abhängen. Ich bin
ein verzweifelter Mensch, Giralda, und ganz in der Stim-
mung, verzweifelte Thaten zu begehen. Gestatten Sie mir.
Ihnen beim Einsieigen behilflich zu sein. Bitte hierher!"
Giralda zögerte, ihr Blick blitzte durch die Finsterniß
und Pen stetig plätschernden Regen. Die Straßen waren
Menschenleer, die Verkaussläden geschlossen. Das Städtchen
schien wie ausgestorben. Halb betäubt und halb ohnmächtig
"eß sie sich in den Wagen heben.
. „Soll ich die junge Dame auch binden, gnädiger Herr ?"
kragte Wig-
„Nein, das ist nicht nöthig, setzen Sie den Knaben nur
w, daß meine Hand ihn bequem erreichen kann. Wenn es
wr beliebt zu entfliehen, wird sie den Tod ihres Brüder-
chens auf dem Gewissen haben."
Giralda sank widerstandslos in die Kissen des Wagens.
Wig bedeckte sie und Eaon mit einem dicken Reiseplaid und
sprang dann auf das Pflaster zurück-
. „Holen Sie mir sofort Frau Bitt aus ihrem Felsennest
herbei, Wig, Wig," flüsterte ihm Ormond zu. „Sic haben
seine Minute zu verliren, wenn Sie den Zug noch antresfen
wollen. Ich werde mit meinen Gefangenen schon allein
'krtig werden." Er stieg auf den Bock, ergriff die Zügel

Die Liberalen glaubten in der That, wie aus
ihren Organen hervorgeht, an die Möglichkeit des
Sieges in Gent. Nun, die Bedeutung des Tages hat
sich in Gent entschieden, aber zu Zugunsten der Li-
beralen. Denn sie haben nicht nur die Katholiken
aus ihren 7 Sitzen nicht zu verdrängen vermocht,
sondern auch noch den einzigen Sitz, den sie besaßen,
an die Katholiken verloren. Die Katholiken haben in
Gent mit großer Mehrheit gesiegt.
Im klebrigen ist der alte Besitzstand im Großen
und Ganzen erhalten geblieben. Wenn die Liberalen
einen Sitz in Verviers, zwei Sitze in Charteren, die
sie 1886 verloren, diesmal loiedcr gewonnen haben,
so wird dieser Verlust der Katholiken durch den glän-
zenden Sieg in Gent vollständig ausgewogen. Ein
genaues Gesammtresultat liegt noch nicht vor. In
Alod, Andenärde, Maremme, Hasfelt wurden die Ka
tboliken wiedergewählt, in Thuin ist ein Fortschritt
der Katholiken zu verzeichnen, indem die beiden bis-
herigen liberalen Abgeordneten mit zwei katholischen
Kandidaten in die Stichwahl kommen. In Lüttich,
Ath, Tournai, Svignies wurden die Liberalen wieder-
gewählt. Auch liberale Blätter konstatiren, daß im
Allgemeinen an dem bisherigen Besitzstand, der den
Katholiken in der Kammer einen gewaltigen Vorfprnng
gicbl, nichts geändert wird.
So ist denn die Herrschaft der katholisch-konserva-
tiven Partei in Belgien wieder auf lange Zeit hinaus
gesichert, denn nach diesem Wahlergebniß können die
Liberalen die Hoffnung, daß sie 1892 mit Hülfe der
Brüsseler Sitze wieder die Mehrheit in der Kammer
erlangen würden, still begraben. An die konservative
Regierung und au die kath. Partei tritt aber, nach-
dem sie ihren Einfluß auj's Neue befestigt und be-
stätigt sehen, die gebieterische Pflicht heran, sich der
sozialen Reformfragen, des Arbeiterschutzes endlich mit
voller Energie zu widmen, damit sie nickst durch ihre
eigene Schuld schließlich einer Bewegung zum Opfer
fallen, deren Gewalt und Umfang gerade in Belgien
alle vernünftig urtheilenden Leute mit Bangen er
füllen muß. In den sozialen Aufgaben liegt der
Schlüssel zum Heile Belgiens und damit zugleich zur
Befestigung des kath. Einflusses für eine^unabsehbare
Zukunft. Die Frage des allgemeinen Wahlrechts,
welche die Arbeiter bewegt, tritt vollständig in den
Hintergrund vor der eigentlichen Arbeiterfrage,
denn nur die Unzufriedenheit mit der negativen sozial-
politischen Thätigteit der Regierenden treibt die Ar-
beiter zu ihren Demonstrationen gegen das bestehende
Wahlrecht.
und fuhr langsam die Straße aufwärts, während Win sich
zu Fuß nach dem Bahnhof begab.
Ormond's Seele jubelte über den Erfolg seines Tage-
werks. Der Reichthum, den er um jeden Preis und durch
jedes Mittel zu erringen strebte, fchieu ihm jetzt gesichert.
Die holprigen Straßen der Stadt waren bald zurückgelcgt,
und auf dem Landwege rollte der Wagen fast geräuschlos
weiter. Der Nebel senkte sich immer tiefer, und Giralda
sah Häuser und Bäume wie durch einen dichten Schleier.
Hie und da blitzte ein Licht vor ihr auf und der Ton
heiterer Musik und frohen Gelächters verirrte sich zu ihr,
der ihr wie Spott in die Ohren klang.
„Wohin führen Sie uns, Mylord'?" fragte sie endlich,
sich aus ihrer Erstarrung aufrichtend.
„In ein Haus, das ich für Sie gemiethet habe," ant-
wortete Ormonds
„Zu welchem Zweck?"
„Sie wissen das so gut wie ich selbst, Giralda, um Sie
zu zwingen, meine Gattin zu werden Das Haus iu Pelten
ist nur ein vorübergehender Aufenthalt für Sie. Ich will
Sie dort so lange behalten, bis die Ihrigen das Suchen
nach Ihnen als hoffnungslos aufgegeben haben und Ihr
Muth genügend gebrochen ist, Sie meinem Wunsch gefügig
zu machen. In der Stunde, in welcher Sie mich zu hei-
rathen versprechen, erhalten Sie ihre Freiheit wieder, bis
dahin aber bleiben Sie meine Gefangene."
Er sprach mit einer Entschlossenheit, die Giralda mit
Schauder erfüllte. „Sie haben mich bis jetzt beständig
überlastet," fuhr er mit bitterem Nachdruck fort, „aber Sie
werden schließlich doch zu der Erkenntniß gelangen, daß
ein junges Mädchen wie Sie in dem Kampfe mit einem
Gegner wie ich unterliegen muß "
„Sie sprechen davon, daß ich gesucht werde. Wer sucht
nach mir?'
„Zunächst Lord Trewor Weshalb er es thut, können
Sie sich denken, da er Sie jetzt nicht weniger haßt, wie
Ihren Vater, und Sie für verrätherisch hält. Wenn ich
nicht irre, beabsichtigt er vor Gericht die Beschuldigung
gegen Sie zu erheben, daß Sie ihm unter falschen Vor-
spiegelungen Geld zu entlocken versuchten."

Auch diesmal scheint es nicht vsine die in Belgien
schier unvermeidlichen Unruhen und Massendemonstra-
tionen adgegangen zu sein. In Gent veranstaltete
der liberale Janhagel zur Feier seiner Niederlage
blutige Schlägereien und tumultuöse Straßenanfläufe,
in Mons durchzogen große Arbeitermassen die Stadt,
und protestirten gegen das Wahlsystem, weil der von
15,587 Bergleuten ausgestellte Arbeiterkandidat nur
relativ wenig Stimmen auf sich vereinigt hatte.

Deutsches Reich.
-l-» Berlin, l2. Juni. Bezüglich desGehalts-
v e r bes s e r nngs p la n e s ist allgemein im Reichs-
tag unter allen Parteien die Frage vorherrschend, daß
Gründe der Gerechtigkeit und der finanziellen Interessen
der Steuerzahler cs absolut verbieten, über denjenigen
Rahmen hiuauszugehen, Weicker bei den Gebaltsver-
besserungen in Preußen durch den dort soeben zu Stande
gekommenen Nachtragsetat festgelegt ist. Hiernach würde
von vornherein die Gehaltsverbesserung wesentlich auf
die Uuterbeamten zu beschränken sein und für alle
höheren Beamten, für den größten Tbei! der Subal-
ternbeamten, sowie auch für sämtliche Offiziere abzu-
lehnen sein. -- In der „Post" ftlstägt ein bekannter
Parlamentarier zur Deckung der vom Schatzstkretär
bekanntlich auf 60 Millionen berechneten jährlichen
Mehrausgaben eine Verd o p p el nn g d er B ö r sen -
st euer und des L o tte ri este mpe! s vor uud einen
Zuschlag zur Zuckersteuer von 1 bis 2 Mk. aut
den Zentner. — Dem Reichstage sind zahlreiche Peti-
tionen um Aushebung des Impfzwanges zu-
gegangen.— Das Ceutralkomitee der freisinnigen
Partei veröffentlicht nunmehr offiziell, daß fol-
gender Ausgleich einstimmig beschlossen worden ist:
Das Ceutralkomitee beschließt, die Mitglieder des
13er Ausschusses zu ersuchen, eine anderwcite Konfti-
tuirung vorzunehmen uud hierbei, unter Voraussetzung
der Wiederwahl Virchows und Bambergers zum Vor-
sitzenden bezw. Stellvertreter desselben und der Wieder-
wahl der bisherigen sieben Mitglieder des engeren
Ausschusses, die Wahl Riclsters zum Vorsitzenden des-
selben und Schraders zum Stellvertreter herbeizusühren
Der Vorsitzende und der Stellvertreter desselben im
13er Ausschuß uud im 7er Ausschuß sind jeweilig be-
fugt, den betreffenden Ausschuß zu berufen. Sie
führen in den Sitzungen des betreffenden Ausschusses
abwechselnd den Vorsitz. Damit wäre der Riß, der
iu die Partei gekommen, ja wieder verkleistert. Sieger
ist Eugen Richter geblieben.
" Berlin, 12. Juni. Der Kronprinz von Jtaliöu

„Das ist nickt wahr!" rief Giralda unwillig.
„So, kamen Sie nicht unter einem falschen Namen in
sein Haus, und schmeichelten ihm, bis er Sie zur Srdrn
feines Baarvermögens einsetzie?" höhnte Ormond. „In
dieser Auffassung stellt des Marquis wenigstens Ihr Ver-
halten dar."
Thräncn schossen Giralda in die brennenden Augen.
„Und ich liebte ihn war und aufrichtig," murmelte sie
„Armer, alter Mann!"
„Auch Lord Grosvenor hat sich'gegen Sic gewendet,"
bemerkteOrmond kübl. „Er kann die Schmack nickt ertragen,
die ihm aus einer Verbindung mit der Tochter des Meu-
chelmörders Gottfried Trewor erwachsen würde Der
Marquis hat ihn zu feiner Ansicht bekehrt und der junge
Mann ist entschlossen, eine passendere, seines Namens wür-
digere Ehe einzugeben."
.Das ist eine Erfindung, Lord Oromond," unterbrach
Giralda ihn zornig. „Ich kenne Paul Grosvenor zu gut,
um dergleichen Verdächtigungen zu glauben."
„O, denken Sie darüber, wie Ihnen beliebt, und freuen
Sie sich Ihres Wahnes, so lange es geht, Fräulein Mra.'da.'"
Er sprach so gleichgiltig, als ob ihr Vertrauen zu Gros-
vcnor ibn nicht im Mindesten berührte. Seine Ruhe über-
zeugte Giralda mehr, als stürmische Versickerungen es ver-
mocht hätten. Die Erfahrungen der jüngsten Zeit waren
nicht geeignet, ihre kindliche Zuversicht zu der Güte und
dem Wohlwollen der Menschen zu befestigen, und nnt du-
terem Schmerz gestand sie sich die Möglichkeit zu, daß Lord
Grosvenor seine Beziehungen zu der Tochter Gottfried
Trewor's zu lösen wünscht. Aber nur für einen Äugens
blick regte sich der Zweifel an feiner Treue. Jdr Maude
an ihn überwand jede Widerlegung und blieb fest «nd un-
erschütterlich wie ein Felsen.
„Sagen Sie mir nichts mehr von Lord Grosvenor,"
rief sie strenge, „ich glaube Ihnen doch kein Wort von
dem, was Sie von ihm erzählen. Ich bin nicht einmal
gewiß, ob der Marquis von Trewor mir nicht das Ver-
brechen verzeihen will, daß ich die Tochter seines Neffen
bin, und er um meinetwegen nicht geneigt ist, seine Ver-
folgung gegen ihn einzustellen." (Fortsetzung folgt)
 
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