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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 31 - Nr. 40 (7. Februar - 18. Februar)
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Berantwortl. Redakteur: F. Z. Knappe
in Heidelberg.

WM«, ki !i. Mm.

Drucku. Verlag von Gebr.-Huber inHeidelberg
früher Verleger des Pfälzer Bote».

1890.

AM W M.'i
n.
p Das Kartell und die Volksrechte.
Tie Herrschaft des Kartells bedeutet in erster
Linie die politische Versumpfung. Das Kartell kann
nur dauernd bestehen, wenn unter dem Volke Gleich-
giltigkeit gegen die Vorgänge des öffentlichen Lebens
herrscht, und wenn dieses letztere möglichst träge sich
dahinwindet. Darum ist die Thätigkeit des Kartells
zuvörderst auf die Erreichung dieses Zieles gerichtet
durch mögliche Beschneidung der Volksrechte.
Wir haben jetzt fünfjährige Legislatur-
perioden im Reichstage, die wir dem Kartell ver-
danken. Bei dreijährigen Legislaturperioden, wie wir
sie im Reiche bisher besaßen, pulsirt das politische
Leben zweifellos rascher. Die Wähler könnnen drei
Jahre viel leichter überblicken als fünf Jahre. Die
Reden und Abstimmungen der Parteien über alle
Hauptfragen lassen sich in drei Jahren rasch zusammen-
fassen, das Bild der Lage ist dem Gedächtniß der
Wähler frisch eingeprägt, während das Urtheil über
einen Zeitraum von fünf Jahren sich schon schwieriger
gestaltet, weil die Vorgänge schon mehr verblaßt sind.
Durch die dreijährigen Legislaturperioden werden
aber nicht nur die Wähler, sondern auch die Volks-
vertretung munter erhalten, denn, da die politische
Kontrole eine regsamere und schärfere ist, werden
auch die Abgeordneten genöthigt, ihrer Verantwortlich-
keit sich stets mehr bewußt zu bleiben. Ein gewissen-
hafter Mann thut das natürlich immer, aber es ist
für manchen laxeren Abgeordneten sehr Vortheilhaft,
wenn er weiß, daß seine Wähler ihn nicht aus dem
Auge verlieren. Jndeß, das ist nur die eine Seite
dieier Frage denn die Einführung fünfjähriger Legis-
laturperioden bedeutet auch eine direkte Schmälerung
der Volksrechte. Innerhalb eines Zeitraumes von
sünfzehn Jahren wurde das Volk seither fünfmal auf-
gerufen, das Gewicht seiner Stimme in die Wagschale
zu werfen und mit zu bestimmen über den Gang der
Staatsverwaltung. Bei den nun beginnenden fünf-
jährigen Legislaturperioden stimmt das Volk nur drei-
mal ab, seine Rechte sind also verkürzt, das Volk
wird verhindert, das einmal abgegebene Urtheil als-
bald wieder zu korrigiren.
Darum war es eine natürliche Folgerung des
Kartells, daß es die fünfjährige Legislaturperiode
einführte, denn in seinem Interesse liegt es, daß das
Volk weniger zu sagen, und daß es möglichst wenig
Nachdruck nur mit deutlicher Quellenangabe gestattet.
Ulstern verehrten Lesern zur Nachricht, daß in
nächster Nummer des „Bad. Volksboten" mit dem Abdruck
des ebenso schönen, als spannenden Romans „Treuer
Liehe Loh»" von Ü Rosen, eines der besten Werke, von
all' Lenen, die uns seit langem in die Hände gekommen
und, begonnen wird.
Am, m,,A«iUUMkl"ÄWW«!>.
Nach dem Holletivo Lalesinno erzählt von einem
6) Salesianischen Mitarbeiter.
(Schluß.)
„Und doch werde ich mich dieser Folgerung entwinden
Herr Graf. Vor allem bemerke ich, daß, wenn ich es mit
dem Papste Halle, in d die Regierung gegen den Papst ist,
daraus nicht folgt, daß ich gegen die Regierung sei, sondern
vielmehr, daß die Regierung auch gegen mich ist: aber das
-oste ich bei Seite und sage: In Sachen der Religon stehe
'ch zum Papste und will als guter Katholik zum Papste
ballen bis zum Tode; aber das hindert mich durchaus
vicht, ein guter Staatsbürger zu sein; denn °da es nicht
lpein Amt ist, Politik zu treiben, so mische ich mich auch
wcht ein und thue nichts gegen die Regierung. Seit 20
Zähren, die ich in Turin verlebte, habe ich öffentlich ge-
schrieben, gesprochen, gearbeitet, und ich fordere jeden her-
aus, eire Zeile, ein Wort oder eine That vorzubringen,
welche von Seite der Staatsbehörde Tadel verdient. Wenn
ss anders ist, so beweise man es; man strafe mich, wenn
ich strafbar bin; bin ich cs aber nicht, so möge man mich
w Frieden lassen bei meinem Werke."
„Sie haben gut reden, Herr Abbä, äußerte Farini;
«oer Sie werden mir nie zu verstehen geben, daß Sie
Unsere Ideen, die Ideen der Regierung theilen."
„Wie? Herr Minister; zur Zeit einer so großen Mei-
vungsfreiheit will man sogar einem Bürger es als Nach-
weil anrechnen, wenn er für sich deukt, wie es ihm gut
und recht scheint? Will man die Tyrannei so weit treiben,
wm die Gedanken zu befehlen oder zu verbieten? Und
wird da nicht jedermann seine Gedanken zu-
rßckhaUen, wenn dieser oder jener schlecht handelt, und

Begriff von dein Gang der Politik habe. Das Kar-
tell hat schon vor 1887 versucht, die Legislaturperioden
zu verlängern, aber es hatte damals noch nicht die
Majorität im Reichstage, seine diesbezüglichen Anträge
wurden durch das Centrum im Verein mit den übrigen
unabhängigen Parteien zu Fall gebracht. Als endlich
ein Kartellreichstag aus den Septennatswahleu von
1887 hervorgegangen war, da brachten die Kartell-
parteien sofort nach Erledigung der dringendsten Ge-
schäfte den entsprechenden Antrag ein. Der Bnndes-
rath nahm ihn ebenfalls an, jedoch ist von Kaiser
Friedrich, der inzwischen zur Regierung gelangt war,
bekannt, daß er die Verlängerung der Legislaturperioden
nicht vollziehen wollte. Es bedurfte erst eines staats-
rechtlichen Gutachtens, welches die Nothwendigkeit der
kaiserlichen Publikation eines vom Reichstag und
Bundesrath gefaßten Beschlusses darlegte. Der edle
Kaiser selbst war also gegen die That der Kartell-
parteien, und wollte kein Zurückdrängen des politischen
Lebens und der Volksrechte.
Auch das M i li tär s e p tenn at ist eine Maßregel
nach dieser Richtung. Die vom Centrnm geführte
Reichstagsmehrheit hat stets alle nothwendigen Erhöh-
ungen unserer militärischen Rüstungen und dann auch
die Verstärkung unserer Friedenspräsenz bewilligt.
Auch nach der Reichstagswahl von 1887 haben sich
Centrum und Deutschfreisinn dieser Pflicht nicht ent-
zogen; bekannt ist ja, daß gerade auf Antrag des
Freiherrn von Franckenstein das Gesetz über die Aus-
dehnung der Wehrpflicht am 6. Februar 1888 vom
Reichstag ohne Debatte en bloe angenommen worden
ist. Und trotzdem die ehemalige Reichstagsmehrheit
von solchen Gesinnungen beseelt war, wurde der Reichs-
tag wegen der Septennatsfrage aufgelöst. Es war
„jeder Mann und jeder Groschen" auf drei Jahre
hewilligt worden, die Regierung verlangte Genehmigung
auf sieben Jahre, um die Volksvertretung auf längere
Zeit für die Rüstnngsfrage zu binden und ihr die
Gelegenheit zur Prüfung auf 7 Jahre zu entziehen.
Aber gerade bei der das Volk so schwer belastenden
Rüstungsfrage ist die Verantwortung eine nm so
schwerere. Was in drei Jahren geschieht, läßt sich
leicht voraussehen, was in sieben Jahren vorkommt,
nicht. Tatsächlich ist ja auch das Septennatsgesetz
durch die fortgesetzten neuen Rüstungen, eigentlich an
allen Ecken und Enden durchbrochen. Das Septennats-
geschrei des Kartells galt eben nicht der Rüstungs-
frage, sondern der Verminderung der Volksrechte,
man wollte wiederum einmal mit einem wuchtigen
Stoß sich des Prüfungsrechts der Volksvertretung auf
gegen ihn weder etwas sagen noch thnn, weil ein Ent-
gegcntreten unnütz oder soaar gefährlich wäre, oder
weil es ihn nichls angeht? Wie nun immer meine persön-
liche Meinung über das Verhalten der Regierung bei ge-
wissen Zeitereignissen sein mag, ich wiederhole, daß ich
weder äußer meinem Hause, noch in demselben je etwas
gesagt oder gethan habe, was einen Anhalt geben könnte,
mich als Vaterlandsfeind zu behandeln, und das soll den
Behörden genügen. Aber, Excellenz, ich thue noch mehr.
Da ich in meinem Hause Hunderte von armen verlassenen
Kindern aufnehme und sie zu einem ehrbaren Leben an-
leite, arbeite ich mit der Regierung an dem Wohle vieler
Familien und der ganzen Gesellschaft, indem ich die Zahl
der Vagabunden und Tagediebe verringere und die der
arbeitsamen, wohl unterrichteten und gesitteten Bürger ver-
mehre. Das ist meine Politik, eine andere habe ich nicht."
Die beiden Ministe konnten nicht umhin die Antwort
Don Bosco's treffend zu finden, um so mehr, als sie mit
Thatsachen bekräftigt war; aber Kavour, auf die Religion
und das Evangelium pochend, machte als gewandter
Sophist einen zweiten Schluß:
„Ohne Zweifel glauben Sie, Don Bosco, an das Evan-
gelium : aber das Evangelium sagt: Wer mit Christus ist,
kann nicht mit der Welt sein: also, wenn Sie mit dem
Papste und deshalb mit Christus sind, können Sie nicht
mit der Regierung sein. Euere Reden sind ja, ja, nein,
nein Die Sache ist uns klar; entweder mit Gott oder
mit dem Teufel."
„Mit dieser Schlußfolgerung, erwiderte Don Bosco,
scheinen Herr Graf beweisen zu wollen, daß die Regierung
nicht bloß gegen den Papst, sondern gegen das Evangelium,
»egen Christus selbst sei. Was mich betrifft, so kann ich
kaum mich überzeugen, daß der Graf Kavour und der
Minister Farini so weit in der Gottlosigkeit gekommen
wären, jene Religion zu verleugnen, in welcher sie geboren
und erzogen sind, und gegen die sie in Wort und Schrift
sich oftmals voll Ehrfurcht und Bewunderung zeigten."
Doch wie dem auch sei ; das Evangelium, das En>.
Excellenz mir zitirten, antwortet genau auf die Schwierig-
keit, da wo Christus sagt: „Gebet dem Kaiser, was des

eine längere Zeit entledigen. Das Kartell führte den
Stoß, denn das Septennat fügte sich als ein Eckstein
in das Kartellsystem ein. Je weniger das Vvlksleben
in Berührung mit den wichtigen politischen Fragen
kommt, desto bester gedeiht der Weizen des Kartells.
In dieses System gehören noch, wie man weiß,
zweijä hrig e Bu dgetperioden — ein Lieblings-
wunsch der Konservativen. Gegenwärtig muß das
Reichsbudget jedes Jahr bewilligt werden. Das ist
den Gouvernemeutalen ein Pfahl im Fleische, denn
bei der Berathung des Budgets hat die Volksvertre-
tung die beste Gelegenheit, ihre Beschwerden vorzu-
bringen; außerdem ist die Genehmigung oder Kürzung
des Budgets das einzige wirksame Mittel gegenüber
der Regierung. Bekanntlich sind im Reichstage schon
zweijährige Budgetperioden vom Bundesrath beantragt
worden. Im Jahre 1885 nahmen die Konservativen
den abgelehnten Antrag wieder auf und halten an
demselben auch heute noch fest. Auf die Nationallibe-
ralen genügt ein Druck der Regierung, und sie treten
für den Antrag ebenfalls ein. Der Antrag wird
sicher wiederkehren, wenn nochmals ein Kartellreichs-
tag zn Stande kommt, denn unsere gouvernemeutalen
Parteien sind gerade in der jetzigen Zeit der tiefge-
henden Arbeiterbewegung auf alle Mittel versessen,
durch welche man den Einfluß des Volkes und seiner
Vertretung so gestalten kann, daß er das öffentliche
Leben nicht beherrscht.
Die größte Gefahr aber droht dem all-
gemeinen und gleichen Reichstagswahl-
recht. Minister v. Pnttkamer regiert zwar nicht
mehr, wohl aber das System, dem er gedient. Dieser
Minister hat am ö. Dezember 1883 im Namen dieses
Systems im preußischen Abgeordnetenhause erklärt,
daß die preußische Regierung erwägen müsse, ob sie
im Bundesrath nicht dahin wirken solle, daß er die
geheime Abstimmung abschaffen werde. Am 24. Nov.
1884 that pann Fürst Bismarck die bedenkliche Aeuße-
rung, die Diätenlosigkeit der Reichstagsmitglieder sei
eine Art Korrektur des allgemeinen Stimmrechts: die
Regierung könne nur dann Diäten bewilligen, wenn
gleichzeitig eine organische Revision des Wahlgesetzes
damit verbunden werde. Das zielt offenbar, wie ja
auch durch andere Vorgänge erklärt, auf eine Korrek-
tur des Reichstagswahlstimmrechts hinaus. Daß die
gouvernementalen Parteien ebenfalls derartige Gesin-
nungen hegen, ist bekannt. Es liegen darüber einige
recht drastische Aeußerungen von Parteiführern wie
Frhrn. v. Zedlitz, Frhrn. v. Minnigerode und v. Hell-
dorf vor. Die Aeußerung des Letzteren ist überaus
Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Daher kann nach
dem Evangelium ein Uitterthan irgend eines Staates ein
guter Katholik sein, auf der Seite Jesu Christi stehen, mit
dem Papste fühlen, dem Nächsten Gutes thun, und zu
gleicher Zeit auf Seite des Kaisers sein, d. h. die Staats-
gesetze beobachten, ausgenommen ven Fall, daß inan es mit
Verfolgern der Religion oder Unterdrückern der Gewissens-
freiheit zn thun hat.
„Aber das ja, ja, nein, nein, verpflichtet es etwa einen
Katholiken nicht, deutlich zu erklären, mit welchem Theile
er es halte, ob für Christus oder gegen ihn?
„Die Worte „ja, ja, nein, nein" sind ein Ausspruch
des Evangeliums, den ich als Pciester Ew. Excellenz er-
klären kann. Diese Worte haben nichts mit der Politik
zu ichasfen, sondern sie bedeuten, daß, obwohl der Eid zur
Bekräftigung der Wahrheit erlaubt ist, man denselben nicht
allwegs gebrauchen dürfe, außer wo die Nothwendigkeit
es erheischt; sie bedeuten, daß es für eine rechtschaffene
Persönlichkeit, um Glauben zu finden genügt, zn versickern,
so ist es oder so ist es nicht, ohne den Eid gebrauchen zu
müssen; sie bedeuten endlich, daß die rechtschaffenen und
gebildeten Leute einem Iden bei solcher Versicherung
glauben sollen, ohne einen Eid zu fordern. Anders zn
handeln ist ein Zeichen von Mißtrauen, einerseits, und
von geringer Redlichkeit anderseits, und bei allen ein
Zeichen von wenig oder keiner Achtung vor Gottes heiligem
Namen, der nie vergeblich angerufen wird. In unserem
Falle nun glauben Sie, Herr Graf, vielleicht ungeachtet
meiner Versicherungen, daß Don Bosco ein Verschwörer,
ein Reichsfeind, ein Lügner fei ?"
„Niemals, niemals! Ich habe auch immer in Ihnen
den Typus eines edlen Mannes erkannt; und deshalb soll von
jetzt an alles Lärmen enden und Sie Ihren Frieden haben."
„Ja, wiederholte Farini, alles ist ausgeglichen, Don
Bosco kann heimkehren und sich ruhig mit feinen Kindern
beschäftigen. Denn dann wird er nicht nur keine Belästi-
gung erfahren, sondern die Erkenntlichkeit und den Sckntz
der Regierung und des Königs finden. Aber Vorsicht,
lieber Abb«, Vorsicht; denn wir haben schwierige fteilen,
und eine Mücke kann wie ein Kameel erscheinen"
 
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