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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 21 - Nr. 30 (26. Januar - 6. Februar)
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Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn-u. Feiertage.
Ed»»»e«e»1spreiS mit dem wöchentlichen UMerhaltungs-
-lütt „DerSonntagSbele" für Heidelberg monatlich SV H
Dit Trägerlohn, durch di e Post bezogen viertelj. 1.80 franco.

Organ für Allürlreil, Freißeii L KcM.

Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum 10 H
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anzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende Rabatt-
bewilligung. Expedition: Zwingerstratze 7.


Verantwort!. Redakteur: F. Z. Knappe
in Heidelberg.

WckkU LmlW, dkl Z. Wmr.

Druck u. Verlag von Kebr. Huber in Heidelberg
früher Verleger des Pfälzer Boten.


Der heutigen Nummer liegt „Der Sonntagsbote" Nr 5 bei.


Ak „Mtzk Wsilm."
Dem Centrum wurde in letzter Zeit wiederholt
der Vorwurf gemacht, es b e stünsti ge ebenso Ivie
der Freisinn die Sozialdemokratie. Wir und
andereBlätter haben das ganz entschieden zurückgewiesen,
weil es den Thatsachen nicht entspricht, somit eine
wissentliche Täuschung des Volkes, eine Irreführung
der öffentlichen Meinung ist. Schon im Jahre 1884
führte, die „Freis. Ztg." erinnert uns daran, der
Abgeordnete Richter bei der Sozialistendebatte nach
einer Rede des Reichskanzlers Folgendes ans: „Die
Sozialisten sind in Deutschland nicht älter, als das
Ministerium des Fürsten Bismarck; die Sozialisten-
partei ist gewachsen und die Macht des Fürsten Bis-
marck ist gewachsen, die Sozialistenpartei wie ein
Schatten des Herrn Reichskanzlers. Ob und wie
weit ein Zusammenhang mit der Regierungsmethode
besteht, darüber wird erst die Zukunft unparteiisch
urtheilen können. Aber der Herr Reichskanzler-
hat in der That bei dem ersten Entstehen der
sozialistischen Bewegung wahrlich nichts
gethan, um ihre Anhänger abzuschrecken. Hätte
der Herr Reichskanzler damals eine auch nur den
zehnten Theil ähnliche Sprache geführt, wie er und
feine Minister sie heute gegen die Sozialisten führen,
wer weiß, ob die sozialistische Bewegung irgend wie
einen solchen Umfang jemals hätte gewinnen können.
Aber da war Ferdinand Lassalle für den Herrn
Reichskanzler „ein Mann, mit dem man sich unter-
halten kann, wie mit einem interessanten Gutsnach-
bar." Da berief er sich in seinen Reden vor Gericht
und in den Versammlungen von Solingen ans den
Kanzler und dessen Zustimmung zu seinen Projekten.
Tas trieb manche Zweifelhafte in das Lager Lassalle's.
Mancher wußte nicht recht, wie die Regierung dazu
stand, und war unschlüssig in der Stellung, die man
bei der Bewegung einnehmen sollte. Und als Lassalle
gestorben war, da war es wieder Fürst Bismarck, der
zuerst eine Assoziation der Weber mit
Staatsunterstützung praktisch in's Leben
führte, die von den Sozialisten ausgebeutet wurde
zur Unterstützung ihrer Agitation. Und nach 1866?
Nun, Herr Bebel, der heute hier ist, hat es im Reichs-
tage schon einmal behauptet, daß die Ausbreitung der
Sozialistenpartei in Berlin durch v. Schweitzer eine
künstliche Zucht der Behörden gewesen ist,
KöHenkuft.

Bon «ory «roß

(Kschdr. verb.)

*03) (Fortsetzung.)
Wäre Gräfin Irene zugegen gewesen, als ihr Sohn
unter den Segenswünschen der Graubündeaer Armen Kur-
Walden verließ, sie würde deren Worte als glückverheißen-
°cs Omen angesehen haben, das Gutes für seine Gesund-
heit bedeute. Schwerlich würde sie aber damals zu hoffen
iwwogt haben, ihren Sohn je wieder so frisch und kräftig
in sehen, wie sie drei Jahre später ibn erblickte und in
"Mm jener milden Herbste, wie sie Südtirol beglücken,
Uvn seinem eigenen Heim aus, beobachtete.
Das Haus, das Alfred zu seiner schönen Heimath ge-
wacht hatte, lag auf einer Höhe, weit über der Stadt
Meran. Es war ein gut erhaltenes Schlößchen, mit mit-
telalterlichen Thürmen, schlicht, lnhaglich, aber ohne Glanz
und Luxus. Seine Hauptschönheit bestand in der wunder-
vollen Aussicht, die der Blick von jedem seiner Fenster aus
^msatzte. Die ganze Herrlichkeit des oberen Etsch-Thales
Wit feinem Kranze von burggekrönten Rebhügeln, üppigen
Diesen, reichen Feldern, hinter denen die Porphyrberge
wre zerrißenen Klippen zu eimm ost tiefblauen Himmel
"heben, breitete sich vor den Bewohnern von Neusak
rws und regte sie zum Entzücken und zur Bewunderung an.
. Bewunderung und Freude strahlt auch aus dem Auge
Ar Gräfin Irene, die in einem geräumigen Erker der
.-üdfionte sitzt, durch das geöffnete Fenster hinausblickt
w, dos ichöne Land, wo die Herbsttage nicht den wkhmü-
jmgen Charakter tragen, der ihnen in nördlicheren Ge-
«rnden eigen ist. Sie haben keinem grimmen Winter zu
Wachen. Ohne Wehmuih blickt man auf die bunten Beete
M Herbstblumen und freut sich der purpurnen Färbung
Weinlaubes und der klaren Schönheit der Lust. Doch
^reuens Blick haftete nickt auf dem Landschaftsbilde, er
vielmehr an dem Sohne, der begleitet von zwei Ar-
7"tern ewen steil ansteigenden Weg zwischen dem Wein-
Alse heraufkommt. Sein Schritt ist elastisch, das Berg-
äsen ermüdet ihn nicht; sein kräftiges Aussehen läßt keine

daß damals v. Schweitzer im Dienste und im Zu-
sammenhänge mit den Behörden gestanden hat und
daß die sozialistische Bewegung zu jener Zeit künstlich
in Berlin groß gezogen worden ist, bis sie dann
später allerdings verstanden hat, selbstständig Wnrzel
zu fassen. Der Minister Graf zu Eulenburg hat
es uns ja im Jahre 1876 im Abgeordnetenhause zu-
gegeben, man habe damals die sozialistische Be-
wegung gehen lassen, die Frucht sei noch nicht
reif gewesen, man habe sie erst reif werden lassen, nm
zu sehen, was daran sei, und um sie dann zu pflücken."
Bei den Reichtagswahlen im Herbst 1884 hatten
die Sozialdemokraten in einer Reihe von Wahlkreisen
bei den Stichwahlen ihre Erfolge nur der Unter-
stützung der Konservativen und National-
liberalen gegen Centrum und Freisinn zu verdan-
ken. So fiel, um nur einige Beispiele auzuführen,
damals der Wahlkreis Magdeburg in die Hände des
Sozialisten Heine, weil bei der Stichwahl auf Geheiß
des Polizeipräsidenten in Magdeburg die Kon-
servativen und Nationalliberalen nicht den bisherigen
freisinnigen Abgeordneten Büchtemann unterstützen,
sondern den sozialistischen Abgeordneten. Ebenso
wurde in Hannover bei der Stichwahl zwischen Sozia
listen und Deutsch-Hannoveranern der Sozialist Meister
mit Unterstützung des jetzigen Kartells gewählt. Bis
dahin hatte der Deutsch-Hannoveraner Dr. Brühl den
Wahlkreis vertreten. In gleicher Weise fiel im Jahre
1881 Frankfurt a. M., welches bis dahin von
dem Volksparteiler Sonnemann vertreten wurde, zum
ersten Mal in die Hand der Sozialdemokraten, indem
bei der Stichwahl die Konservativen und Nativnalli-
beralen für den Sozialisten Sabor stimmten. In
Gotha verhalfen die jetzigen Kartellbrüder bei der
Stichwahl den Sozialdemokraten zum Siege gegen den
bisherigen freisinnigen Abg. Dr. Barth.
Diese Beispiele genügen, um darznthun, wie es
gekommen ist, daß die sozialdemokratische Partei, welche
1884 nur 12 Mitglieder zählte, die Zahl 25 erreichte.
Als dieses Wachsen der Sozialdemokratie am 26. Nvv.
1884 im Reichstage zur Sprache kam, äußerte Fürst
Bismarck: „Ich bin über diese Vergrößerung
gar nicht unglücklich. Je größer die Zahl der
sozialistischen Abgeordneten wird, desto mehr wird ihnen
die Ehrenpflicht obliegen, doch bald mit positiven
Plänen hervorzutreten und zu sagen, wie sich in ihren
Köpfen die Zukunft der Welt und die Verfassung ge-
staltet . . . Sie sind jetzt 25, das zweite Dutzend
haben sie also; ich will ihnen noch das dritte geben;
wenn sie aber 36 sind, erwarte ich mit Sicherheit,
der einstigen Befürchtungen aufkommen; seine gebräunte
Wange zeigt von viel Aufenthalt im Freien und giebt besser
noch als der kleidsame, schlichte Lodenanzug Zeugniß davon,
daß er selbst sich um die Bewirthsckaftuna seines kleinen
Gutes kümmert. Vor der niederen Umfassungsmauer des
Gartens bleiben die Männer stehen und hören respektvoll
des jungen Gutsbesitzers Aufträge an, während so die
Mutter unbemerkt den Sohn nach Herzenslust betrachten
kann.
Sie hört längst nicht was die Zofe ihr vorliest, be-
merkte nicht einmal, als diese, die Unachtsamkeit gewahrend,
verstummt. Was sollte ihr auch die Schilderung erdich-
teten Glückes, wenn sie ihr Auge an der Wirklichkeit
weiden konnte. Sie dankt aus innigem Herzen Gott, der
ihrem Sohne die Gesundheit wieder geschenkt hatte, und
ihm gestattete, das stille Glück zu genießen, das er so be-
harrlich erstrebt batte. Sie selbst genoß es mit, und so
war ihr in dem Hause, das Raimondas Anmuth und edler
S un belebte, daß sie ihr Heim fast ganz in das einfache
Neusatz verlegte und auch dieses Jahr schon die ersten
Herbsttage nach Meran gekommen war, obgleich Erwin,
der sich mit Martha von Döllhosen verlobt hatte, sie gar
nicht wollte ziehen lassen. Sie überließ es ihm, das Elb-
witzer-Sckloß neu und glänzend herzurichten, versprach
auch im Sommer sich einzufinden, aber im traulichen Elsch-
thale hier, war es ihr doch lieber, und sie sagt sich täg-
lich vor, daß nicht nur ihre Vorliebe für Alfred und die
alte Gewöhnung und Anhänglichkeit an Raimonda ihre
Wahl bestimmten. Es war ihr wohl in dieser edlen Häus-
lichkeit, wo ein jedes ernste Arbeit und Pflichterfüllung in
den Mittelpunkt des Lebens stellte, und seltene Begabung
und Bildung zum Schmuck« und zur Veredlung des Fami-
lienlebens dienten; wo über der innigen Liebe der Gatten
doch noch ein höheres Ziel und eine höhere Befriedigung
schwebte, und des Hauses Freud und Leid gehoben wurde
von demselben Glauben und derselben Hoffnung.
So gut auch Erwins Vorsätze waren, die meiste Zeit
auf seinen Gütern zu leben und Tüchtiges zu wirken, so-
viel Aussicht da war, daß Martha von Döllhosen ihm eine
gute Gattin werde, würdig ihrer Stellung, Elbwitz bot

daß sie ihren vollen Operationsplan znr Verfassung,
wie sie sein soll, entwerfen, sonst glaube ich, sie können
nichts. Ich möchte zur Beruhigung aller derer —
zu denen ich nicht gehöre — die die Sozialdemokratie
als das größte Schreckbild der Zukunft betrachten —
ich möchte zur Beruhigung aller dieser sagen: Wenn
die Herren erst mit positiven Plänen herauskommen,
werden sie viel zahmer werden, als sie sind, auch in
ihrer Kritik, und die Zahl ihrer Anhänger wird sich
ganz außerordentlich lichten. Ich wollte, wir könnten
ihnen eine Provinz einränmen und ihnen in Entre-
prise geben ; ich möchte sehen, wie sie wirthschasten;
dann würde die Zahl ihrer Anhänger sich lichten,
vielleicht über den Bedarf hinaus ; denn die Sozial-
demokratie ist so, wie sie ist, doch immer ein erheb-
liches Zeichen, ein Menetekel für die besitzenden Klassen
dafür, daß nicht alles so ist, wie es sein sollte, daß
die Hand zum Bessern angelegt werden kann, und in-
sofern ist ja die Opposition, ivie der Herr Vorredner
sagte, ganz außerordentlich nützlich. 'Wenn es keine
Sozialdemokratie gäbe, und wenn nicht eine Menge
sich vor ihr fürchteten, würden die mäßigen Fortschritte,
die wir überhaupt in der Sozialreform bisher gemacht
haben, auch noch nicht existiren. (Sehr richtig! bei
den Sozialdemokraten) und insofern ist die Furcht
vor der Sozialdemokratie in Bezug auf denjenigen,
der sonst kein Herz für seine armen Mitbürger hat,
ein ganz nützliches Element. (Bravo! beiden Sozial-
demokraten.) Ja, sehen Sie in etwas sind wir doch
einverstanden."
Nun kann sich wohl jeder, der diese auf Thatsachen
beruhenden Ausführungen mit Berständniß gelesen hat,
ein Urtheil darüber bilden, wer der eigentliche För-
derer der Sozialdemokratie war und ist. Niemand
anders als die jetzigen Kartellparteien, die der Haß
gegen Centrnm und Freisinn verblendete.
Hr MWsWliK VisMs.
Heinrich von Porschinger hat nunmehr den ersten
Band der schon vor längerer Zeit angekündigten Ak-
tenstücke znr Wirthschaftspolitik des Fürsten Bismarck
erscheinen lassen, darunter eine Reibe bisher unver-
öffentlichter Dokumente über die Handels- und Steuer-
politik, das Eisenbahnwesen und die Wirthschaftspo-
litik. Die Aktenstücke reichen vom November 1862
bis zur Uebernahme des Handelsministeriums im Jahre
1880. Wie der Herausgeber im Vorwort sagt, sind
die Aktenstücke sämmtlich geistiges Eigenthum des
Reichskanzlers. Eine große Anzahl, insbesondere aus
der Zeit von 1878, sei von seiner Hand, andere seien
zuviel Glanz, die Welt hatte dort zuviel Macht auf die
Gemüther wie auf die Verhältnisse, als daß jemals ein
dem Ideal so nahe kommendes Leven sich dort gestalten
würde, wie bei Alfred und Raimonda. In dieser Atmos-
phäre erschlossen sich Irenens beste Eigenschaften und
täglich fühlte sie dankbarer die sie beglückende Liebe ihrer
Kinder.
Nun sah sie, wie Alfred sich von seinen Begleitern
trennte und in das Gärtchen trat, das ehemals ein Zwinger
gewesen war, nun mit seiner herbstlich reichen Blumen-
pracht wie ein Kranz sich um die dunklen Mauern des
Schlößchens legte. Auch der junge Schloßher gewahrte
die Mutter an ihrem Erkerfenster, und den Hut schwingend
winkle er ihr fröhlichen Gruß zu, den sie mit Tuck und
Hand erwiderte und ihm nachblickte, wie er sich nach der
anderen Seite des Gartens wandte, wo ein ähnlicher
Thurm wie der ihrige sich erhob. Dort waren Raimondas
Zimmer, zu welchen eine Steintreppe aus dem Blumen-
Paterre emporführte.
„Oeffne das Fenster," sagte Gräfin Irene zu ihrer
Dienerin. „Ich glaube meiner Schwiegertochter Stimme
zu vernehmen und diesen Genuß muß ich unverkümmert
haben." -
In der That erklangen die weichen, vollen Zone einer
herrlichen Frauenstimme durch die klare, dufterfüllke Luft.
Es war aber keine prachtvolle Arie, nur ein einfaches
Lied: Raimonda sang es ihrem Töchterchen, das sie auf
den Armen wiegte, indes sie ihres Gatten -veimkehr er-
wartete.
Alfred aber stand, ver lieblichen Weise lauschend, im
Garten. Die glockenreinen Töne, die w zart erklangen,
übten den alten Zauber auf ihn; mit Entzücken vernahm
er sie. Seine Seele strahlte aus dem glücklichen Blick, den
er auf die offene Balkonthüre richtete, woher die frischen
Klänge drangen. Das war freilich nicht der kunstvolle
Sang, der in Paris ihm aus den Lippen der lichtum-
slossenen Erscheinung seiner Raimonda zuströmmte, aber
dafür erregten die Töne auch nur Friede und Freude in
dem beruhigten Gemüth.
(Schluß folgt)
 
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