Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

DOI Kapitel:
Nr. 41 - Nr. 50 (19. Februar - 1. März)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42837#0181

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Erscheint tSglich mit Ausnahme der Sonn- u. Feiertage.
WbounemrntSpreitzmit Lem wöchentlich en Uutechaltungtz-
Llatt „DerSonntagSbote" fürHerdelberg monatlich SS
mit Trägerlohn, durch di e Post bezogen viertelst 1.80 franco.

Organ für Walirlins, Frelüeri L Krüll.

Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum 10
Reklame äo T,. Für hiesige Geschäfts- und Privat-
anzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende Rabatt-
bewilligung. Expedition: Zwingerstraste 7.


Berantwortl. Redakteur: F. L. Knappe
in Heidelberg.

Wcknss, ki N. Wmr.

Druck u. Verlag von Gebr. Huber in Heidelberg
früher Verleger des Pfälzer Bote«.


Der heutigen Nummer tirgt „Der Sonntagsbote' Nr. 8 bei.

r- Nc fUkkllWk ks ÄilkHs
ist eine vollzogene Sache, das Angstprodnkt der
Septennatswahlen ist gesprengt, inan kann ruhig
sagen, vernichtet. Die sichere Kartellmehrheit, mit
welcher es sich so schön regieren ließ, ist verschwunden
und in die Bresche siegreich die Sozialdemokratie ge-
drungen. Im Jahre 1887 bestand der Reichstag,
welcher, weil er das Septeunat nicht bewilligte, auf-
gelöst wurde, aus 51 Nationalliberalen, 77 Konser-
vativen, 28 Freikonservativen, 108 Centrumsabge-
ordneten, 67 Deutschsreisinnigen, 7 Volksparteilern,
25 Sozialdemokraten, 16 Polen, 15 Protestlern und
4 Wilden. Die Parteien, aus denen sich im Jahre
1887 das Kartell zusammensetzte, zählten somit vor
den Septennatswahlen nur insgesammt 156 Stimmen,
also 43 unter der absoluten Mehrheit.
Nach Abschluß des Kartells änderte sich die Stärke
der Parteien wesentlich. Die Nationalliberalen er-
hielten 101, die Konservativen 79 und die Freikon-
servativen 41 Sitze, so daß diese vereinigten Parteien
zusammen 221 Stimmen von 397 hatten, d. h. 22
über die absolute Mehrh eit. Außerdem waren
gewählt: 101 Centrum, 32 Deutschfreisiunige, 11
Sozialdemokraten, 13 Polen, 15 antideutsche Elsaß-
Lothringer, 4 partikularistische „Wilde". Durch Nach-
wahlen hatte sich diese Zusammensetzung des Reichs-
tags von 1887 bis zum Schluß der Legislaturperiode
so gestaltet, daß nunmehr unter Zurechnung der ge-
sinnungsverwaudten „Wilden" vorhanden waren: 96
Nationalliberale, 78 Konservative, 39 Freikonservative,
also Kartellparteien zusammen 213 oder 14 Stimmen
über die absolute Mehrheit; außerdem 104
Centrum, 36 Deutschfreisinnige, 11 Sozialdemokraten,
14 antideutsche Elsaß-Lothringer, 13 Polen, 1 Demo-
krat, 4 Wilde. Das Kartell hatte fast bei den meisten
nothwendig gewordenen Ersatzwahlen Niederlagen zu
verzeichnen, es zeigte sich bei jeder solchen Gelegen-
heit, daß im Volke immer größere Unzufriedenheit mit
der Kartellwirthschaft um sich greife; diese Unzufrieden-
heit wuchs unaufhörlich und kam am 20. d. M. zum
offenen Ausbruch, sie vernichtete die Partei der Ja-
knapper.
Die letzten Reichstagswahlen waren aber nicht
allein ein schwerer Schlag für den Nationalliberalis-
mus und die Kartellparteien, sondern auch ein ver-
nichtendes Urtheil über Bismarcks innere Politik und

die Freunde von Ausnahmegesetzen. Was von ver-
schiedenen Seiten gelegentlich der letzten Debatten über
das Sozialistengesetz und bei der Besprechung des
Elberfelder Sozialistenprvzesses wiederholt geäußert
wurde, hat sich bewahrheitet; das Sozialisten-
gesetz und seine vielfach willkürliche Handhabung
durch brutale Polizeigewalt hat die Sozialdemokratie
nur gekräftigt, uur gestärkt, und so Manchem werden
die Äugen aufgehen, wenn die Endresultate der Wahlen
festgestellt und die sozialistischen Stimmen gezählt
worden sind. Sie reprüsentiren, lvie wir gestern
schon bemerkten, wahrscheinlich eine Summe, welche
selbst die kühnsten Erwartungen der Führer über-
trifft.
Das sind die Früchte einer gewaltthätigen Politik,
wie sie Bismarck stets liebte. Was erreichte er durch
den Kulturkampf? Nichts anderes, als daß die
deutschen Katholiken im Kampfe um geistige Güter,
im Kampfe für Religion und Glauben erstarkten, sich
fester aneinanderschloffen und eine mächtige Partei
wurden, die den eisernen Kanzler zum Rückzüge zwang.
Und was hat Bismarck mit dem Sozialistengesetz er-
reicht ? Die Sozialdemokratie ist stärker als je zuvor
und nachgerade gefahrdrohend geworden. Auf diesen
Pfaden noch ein Jahrzehnt weilergewandelt und die
gesellschaftliche Ordnung geht in Trümmer, der be-
fürchtete Umsturz erfolgt und ist lediglich eine Folge
verkehrter Regieruugsweise. Als die Loge die Ober-
hand in Deutschland bekam und ein vergiftender
Liberalismus von oben herab ins Volk getragen,
diesem die religiöse Erziehung durch Kirche u. Schule
verkümmert wurde, da führte man den ersten Axthieb
gegen den Stamm der deutschen Eiche, der Same ward
ausgestrcut, der die verderblichsten Früchte zu zeitigen
droht. Möge man deshalb andere Bahnen einschlagen,
ehe es zu spät wird, und zur Volkserzieh'ung nicht die
Polizeiknute, sondern christliche Nächstenliebe, Schule
und Kirche verwenden.
Deutsches Reich.
-t-> Berlin, 21. Febr. Die Stichwahlen, die
bei den gestrigen Reichstagswahlen nöthig wurden,
sollen, wie mit Bestimmtheit versichert wird, bereits
am nächsten Freitag, den 28. ds. AO, stattfinden. —
Die Kaiserin Friedrich empfing gestern Nach-
mittag den Reichskanzler Fürsten Bismarck und dessen
Gemahlin. — Der Reichskanzler untersagte auf Grund
des Sozialistengesetzes die fernere Verbreitung der
Wochenschrift „Vo l ksanwalt" (Cincinnati) im
Reichsgebiet. — Wie die nationalliberalen

Großindustriellen in Wahrheit zu den kais.
Erlassen stehen, erzielst ein Artikel der „Eisenzei-
tung," Organ des Vereins Deutscher Eisengießereien.
Derselbe spricht die Ueberzeugung aus, daß bei den
Erlassen „so gut wie gar nichts herauskommen werde."
„Es wird sich Herausstellen, daß das, was überhaupt
zu Gunsten der Arbeiter geschehen kann, nicht nur
längst in sehr großem Maßstabe vorhanden ist, son-
dern daß die Industrie ohne gesetzlichen Zwang viel
mehr gethan hat, als das, wozu sie gesetzlich jemals
angehalten werden kann. Es ist dadurch zwar nicht
die Zufriedenheit, wohl aber die Begehrlichkeit der
Arbeiter gewachsen. Die Sozialdemokraten halten sich
bereits für eine Art Regierungspartei, oder dock für
eine solche, der in nächster Zeit der Staat auf Gnade
und Ungnade ausgeliefert werden muß. Die Indu-
striellen sehen mit Besorgniß, wie dieser Großmächte
kitzel der Sozialdemokraten seine Nahrung anscheinend
von einer Seite findet, welcher in erster Linie die
Erhaltung der Gesellschaftsordnung obliegt. Wahr-
scheinlich folgt auf diese Strömung sehr bald eine
scharfe Reaktion, sobald die Unmöglichkeit erkannt wird,
auf dem betretenen Wege zu einem praktischen greif-
baren Ziele zu gelangen."
Sensbttrg, 21. Febr. Hier hat ein naiver
Wahlvorstaud gestern fein Wesen getrieben; derselbe
beschäftigte sich von halb 4 Uhr Nachmittags an mit
Kartenspielen und ließ, um ungestört zu sein, die
Thüren des Wahllokals schließen.
Ausland.
Lesterrcich. Bisher haben 70,000 Gehilfen ver-
schiedener Branchen beschlossen, am 1. Mai Feiertag
zu hallen. — Ein Maurer- und Bäckerstreik stellt
hier bevor.
Rom. Am Donnerstag als am Tage der Wahl
Papst Leos XIII. fand um halb 12 Uhr Vormittag
Empfang der Kardiuäle, des päpstlichen Hofes u. s. w
durch den hl. Vater behufs Entgegennahme der Be-
glückwünschungen statt.
Frankreich. Dem „Paris" zufolge enthält Rou-
vier's Budgetentwnrf eine Anleihe von 400 Millionen;
falls aber die Kammer einer solchen abgeneigt sei,
würde Nonvier seinen Entwurf ändern. — In Ton-
kin wurde der französische Ansiedler d'Arhence mit
Frau und Sohn ermordet.
Bulgarien. Der „Polit. Korresp." wird aus
Sofia gemeldet, daß bei dem zuletzt verhafteten Muse-
witsch, dem langjährigen Agenten des Petersburger
slawophilen Komitees, ein Rechnungsbuch vvrgefunden

13)

Treuer Kiebe Kohn.
Rbman von U. Rosen.
(Aachdr. derb.)
„Nach dem Birkenhain! O, das ist der Landsitz des
iranischen Grafen," rief der Kutscher, die Wagenthür schlie-
ßend und auf seinen Bock kletternd.
Im nächsten Augenblick knallte seine Peitsche, das
Pfird setzte sich in Bewegung und Beatrice wurde ihrem
Kiele entgegengetragen-
Die Fahrt, die über einen Landweg führte, dauerte
volle fünfzehn Minuten. Zu beiden Seiten der Straße
erhoben sich kleine, von zierlichen Gärten umgebene Land-
häuser, deren Besitzer vornehme Namen und hochtönende
Titel trugen. Hier und da schimmerte eine Lampe wie
ein Leuchtkäfer durch die regenschwere Luft.
„Beinahe dort!" hauchte Beatrice, die feuchten Scheiben
trocknend und in die düstere sternlose Nacht hinausschauend.
Die Landhäuser tauchten jetzt seltener auf. So viel sich
>n der Dunkelheit unterscheiden ließ, rollte das Gefährt
letzt zwischen Ackergefilden und Wiesenflächen hin. Vor
einem in tiefe Schatten gehüllten Gehöft blieb der Wagen
aehen.
„Hier sind Sie am Ziel," rief der Kutscher, von seinem
Sitz auf den Boden springend. „Das ist der Birkenhain.
Das Haus können Sie der vielen Bäume wegen noch
Vicht sehen. G-Hen Sie nur geradeaus und klingeln Sie
»n der Gartenthür."
Er half Beatrice aus dem Wage«, bot ihr aber nicht
°n, sie bis zur Gartenpforte zu begleiten und zu warten,
man ihr geöffnet hatte- Offenbar gehörte es nicht zu
'einen Gewohnheiten, ältlichen und dürftig gekleideten Per-
sonen besondere Aufmerksamkeit zu erweisen.
Beatrice bezahlte ihn und schritt ruhig in der bezeich-
"eten Richtung bis zu der Gartenthür fort, deren Lage sie
»enau kennen mußte, denn in der herrschenden tiefen Fin-
"ernjß war nichts zu sehen.
,, Der Kutscher schwang sich Wieder auf seinen Bock und
*vrte in das Dorf zurück.
Beatrice zog einen Schlüssel aus ihrer Manteltasche

und tastete nach dem Schlosse der eisenbeschlagenen Thür,
die sie, nachdem sie geöffnet hatte, wieder hinter sich ver-
riegelte. Sie befand sich jetzt in einem Hain von Birken,
Eichen und norwegischen Tannen, durch welchen sich ein
vielfach gewundener Pfad bis zum Wohnhause schlängelte.
Beatrice spannte ihren Schirm auf, um sich vor dem
Regen zu schützen, der von den überlasteten Zweigen nie-
derrieselte. Eine weniger unerschrockene Frau würde diesen
einsamen Nachtspazicrgang zwischen den ächzenden und
stöhnenden Neuen der hohen, fturmgepeitschten Bäume auf
diesen labyrinthischen Wegen nicht gewagt haben, aber die
Tochter des Grasen Berril eilte mit leichtem, elastischem
Schritt weiter, als strebte sie der größten Glückseligkeit zu.
Nach langem ermüdenden Wandern stand sie einem
schönen Gebäude im Scbweizerstyl gegenüber. Es strahlte
in einem Meer von Licht. Große von Spitzen und Seiden-
vorhängen umkleidete Bogenfenster blickten wie Riefenla-
terne« hinaus in die Nacht. Musik rauschte süß und leise
wie das Echo eines Traumes bis auf den dunklen Vor-
platz. Fröhliche Stimmen und lautes Lachen drangen an
das Ohr der Lauschenden.
„Sie erwarteten mich heute Abend nicht," murmelte
sie wieder. „Ich werde die Theueren angenehm über-
raschen."
Zu einem Hinterpförtchen gleitend, zu dem sie gleich-
falls einen Schlüssel besaß, schlüpfte sie in einen engen,
selten benutzten Gang, in dem sie ihren nassen Regenschirm
zurückließ, stieg dann vorsichtig, beinahe unhörbar, eine
Treppe empor und begab sich in ein Zimmer, dessen Be-
leuchtung hell genug war- den bunten, mit einem weichen,
flockigen Teppich bedeckten Marmorfußboden und in der
Ecke eine Badewanne zu zeigen. Beatrice verriegelte die
Thür, durch welche sie eingetreten war, warf Schleier,
Hut und Mantel auf einen Sessel, streifte ihre Stiefeln
und ihre feuchten Kleider ab und schlich zitternd vor Kälte
in das anstoßende Zimmer, ein freundliches, behaglich
cusgestattetes Gemacv mit dunkelrothen Vorhängen, das
von einem lustig im Kamin prasselnden Kohlenfeuer ange-
nehm erwärmt und von dem milden Schein eener Hänge-
lampe taghell erleuchtet war. Nachdem Beatrice eine Weile

vor den wohlthuenden röthlich aufzuckenden Flammen aus
geruht hatte, holte sie aus Schränken und Kasten allerlei
Toilettengegenstände hervor. Sie war nicht mehr die
gletscherkalte ghochmüthige Grafentochter. Ein bezaubern-
des Lächeln verlieh ihrem schönen Munde einen ungeahnten
Reiz. Ihre strahlenden Augen leuchteten wie Sterne aus
dunklen Tiefen.
Sie legte ein bordeauxfarbenes Seidenkleid an, das
ihrer eigenartigen Schönheit besonders gut stand, ein ein-
facher Spitzenkragen umrahmte ihren Hals und Spitzen-
rüschen umschlossen ihre Handgelenke. Ihre schweren
Lederstiefel hatte sie mit zierlichen Atlasschuhen vertauscht.
Der Anzug, in dem sie sich jetzt vor dem hohen Pfeiler
spiegel betrachtete, war einfach, aber ihrer würdig.
Ihr wunderbar getroffenes, in Oel gemaltes Bild lud
sie zu Vergleichen ein. Sie näherte sich der Hauplwand,
von der es in weltentrückter Glückseligkeit niedergrüßte
und war erfreut, auf dem kleinen Tische unterhalb desselben
einen Strauß frischer Blumen zu bemerken. Eine Kamelie
von fleckenlosem Weiß aus dem Gebinde lösend und in
ihren dunklen Flechten befestigend, entfernte sie sich.
„Jetzt will ich hinuntergehen," sagte sie.
Mit einem so milden Lächeln, wie noch Niemand in
der großen Welt es von Beatrice Berril beobachtet hatte,
stieg sie die Treppe wieder hinab
5. Kapitel. .
Eine beglückte Häuslichkeit.
Beatrice schritt auf eine Thür zu, welche derjenigen,
durch Re sie das Ankleidezimmer betreten hatte, gegenüber-
lag, und begab sich durcv ein Schlafgemach zu einer dritten
Thür, die sie leise aufstieß, um ein hübsches, geräumiges
Zimmer mit einem Hohen Bogenfenster zu überblicken. Das
freundliche Gemach war offmbar ein Studirzimmer. In
den Wänden waren hohe Bücherschränke eingelassen. In
einer Ecke stand eine Staffelei mit einem halbvollendeien
Bilde. Vor dem Kamin, mit dem helllodernden Kohlen-
feuer, sah man ein mit Leopardenfell überzogenes Sopha.
Den Teppich vor dem kunstvoll geschnitzten, dunkel ge
beizten Schreibtisch, bildete ein mächtiges Löwenfell.
Fortsetzung folgt.
 
Annotationen