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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 111 - Nr. 120 (17. Mai - 29. Mai)
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k «I.
——

VerautwvrÜ. Redakteur: F. I. Knappe
m Heidelberg.

^ritdeinl tLgltch mit LuSuahm« der Somr- u. Feiertage,
-kbouuemevlsprris mit dem «öcheuüicheu Unterhaltung?-
"latt „Der SruutagSbvte" für Heidelberg monatlich KV ^S,
Lrügerlohn, durch di e Post bezogen viertelj. ^st l.80 franco.

Drucku. Verlag vonGedr.Mbrr inHeidelberg
früher Verleger des Pfälzer Bote«.

Inserate die 1-spaltige Pctitzerle oder beim Raum 10 H
Reklame 25 Für hiesige Geschäfts- und Privat-
anzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende Rabatt»
bewilligung. Expedition: Jwiregerstratze 7.
1890.


Ak sM Wze in WM.

Im österreichischen Abgeordnetenhause sind dieser
Tage vow' Ministertische aus hoch bedeutsame Er-
kürungen abgegeben worden. Der Ackerbauminister
Nraf Falkenhayn führte nämlich während der
Budgetdebatte aus, er wisse, daß man die soziale Frage
durch große und schöne Reden oder durch Gesetze und
Maßnahmen unmöglich von heute auf morgen lösen
könne: dazu gehöre die Arbeit und die Erfahrung
bon Generationen und wohl auch die Noth der Gene-
rationen. Ter Einzelne müsse heute zufrieden sein,
wenn er in dieser Frage das Ziel klar erkannt habe
und wenn er die Wege ungefähr wisse, welche zu
diesem Ziele führen können. Dieses Ziel sei das
Menschenwürdige Dasein aller Arbeiter, d. h. aller
derjenigen, welche in der Gesellschaft ihre Pflicht erfüllen,
'n der Gesellschaft, wo jeder einzelne Platz ein
Ehrenplatz sein könne und sein müsse, gleich-
stiltig, ob er ausgefüllt werde durch einen Herrn, der
Mittel und Wissen habe, um Tausenden von Arbeitern
täglich das Brod zu geben, oder von einem jungen
Arbeiter, der in einem Bergwerke die Wetterthüre be-
Wache. Solle dieses Ziel erreicht werden, so müsse
Nr denjenigen, die man Arbeitgeber, und in jenen, die
Man Arbeitnehmer nennt, die Ueberzeugung festen
Fuß fassen, daß Beiden nur dann eine wirklich gute
Gegenwart und Zukunft beschieden sei, wenn es Beiden
Mt geht. Es sei nicht genügend, wenn es dem Einen,
mnd ebensowenig genügend, wenn es nur dem Andern
Mt geht; es müsse Beiden gut gehen, wenn die Zu-
stände aus die Dauer besser werden sollen.
Das einzige Heil für die Zukunft liege schließlich
'n der Bildung korporativer Berufsstände,
Vicht aber in der politischen Organisation eines soge-
nannten Arbeiterstandes. Die Arbeiter seien kein Be-
ruisstand, sondern in jedem Berufsstande finde sich
k'ne Klasse der Arbeiter und wenn diese Klasse der
Gesellschaft organisirt werde und den Namen als vier-
er Stand behalte, so könne man überzeugt sein, daß
w ganz kurzer Zeit der fünfte Stand auf der Bild-
bäche erscheinen werde, der noch viel zahlreicher sei
der vierte Stand, der jetzt organisirt werden soll.
Er warne daher ganz entschieden vor der politischen
Organisation der Arbeiter als vierten Stand. Diese
Organisation müßte auf dem Prinzipe der Jndividua-
iuäl sich aufbauen, während die berufständische Orga-
^'ation sich auf jenes der Solidarität stelle. Das
Euie bedeute den Frieden, weil die Solidarität des
Endens bedürfe, das Andere bedeute den Krieg und
Sreuer Liebe Lohn.
72) Roman von ll. Rose«

reib.»

„ «Sehr gern, Frau Latten, und heute verfüge ich schon
«der einen recht guten Appetit, an dem Sie Ihre Lust
^ben werden."
. Lord Grosvenor ging im Speisezimmer unruhig auf
M nieder, als die Thür sich hinter ihm öffnete und leise
schritte sich ihm nahten. Jetzt sah er Giralda vor sich
Men. „O. das ist ein unerwartetes Vergnügen," ries er
^bhgft. »Wie gut und liebenswürdig von Dir, so früh
Mruftehen, um mir noch ein Lebewohl zu sagen, und mich
Uv der Besorgniß um Dich zu befreien. Jetzt kann ich
?^'ch mit leichtem Herzen verlassen. Fühlst Du Dich aber
°«ch ganz wohl?"
. „So Wohl als möglich," lautete die Antwort. „Erzähle
Eltern nichts von meinem Abenteuer, Paul. Doch ja,
ist nöthig, um ihnen mein Vertrauen zu Dir zu cr-
"oren, das die Tbeuren ohnehin begreiflich finden werden,
sie Dich sehen und Dir in die treuen lieben Augen
v Frau Latten erschien mit dem Frühstück und meldete,
Wagen des Marquis von Trcwor fahre eben den
^rgweg empor- Noch hatten Giralda und Lord Gros-
ihre Kaffeetassen nicht geleert, als die Stimme des
Korquis gehört wurde, der laut und gebieterisch nach seiner
^chte fragte.

32. Kapitel.
Hoffnung und Furcht.
Lord Grosvenor sprang auf und öffnete dem Gast
Thür.
. »Ich habe gestern von hier aus die Botschaft erhalten,
Mine Nichte befinde sich unter dem Schutze Ihres Daches,"
Mte der alte Herr, seinen Standesgenossen artig begrü-
^vd. „Dars ich Sie bitten, mich sogleich zu ihr zu führen,
Ni, mnger Freund?"
te». 'Fräulein Arcvalo ist hier, Herr Marquis," antwor-
Lord Grosvenor, die Thür noch weiter öffnend.

den Kampf, weil sich das eine Individuum gegen das
andere wehren müsse.
Vielfach werde das Kapital als die Ursache
alles Elendes in diesem Leben hingestellt. Man sage
da „das Kapital", meine aber meistens wohl die Ka-
pitalisten. An sich sei das Kapital gewiß nicht die
Ursache des Elendes in der Welt, man müsse nur vor-
beugen, daß das Kapital nicht zum goldenen
Kalbe werde, daß es nicht angebetet werde, und
daß die Menschheit nicht nm dasselbe Herumtanze.
Dazu sei Eines nothwendig, und das sei: Man dürfe
nicht dulden, daß alles, was die Religion betrifft, in
den Koth herunter gezogen werde, so daß ein Jenseits
als ein lächerlicher und überwundener Standpunkt be-
trachtet und daß der Glaube an Gott überhaupt lä-
cherlich gemacht werde. Wenn man an der Ehrfurcht
vor alle»» zehn Geboten Gottes fest halte, dann werde
es auch leicht fein, die ersten vier aufrecht zn erhal-
ten, welche die Autorität überhaupt begründen, die im
Staate, in der Familie oder irgendwo sonst herrscht.
Wenn aber einmal der Autoritätsglaube vollständig
aus dem Herzen geschwunden sei, was mit dem Ver-
schwinden des Glaubens an Gott nothwendiger Weise
der Fall sein müsse, dann werde der Staat bei dem
besten Willen sehr schwer in der Lage sein, bei einem
Nothschrei, wenn das siebente Gebot verletzt werde,
Hilfe zu leisten, was gewiß seine Pflicht sei.
Die gesammie Mehrheit begleitete diese echt christ-
lichen und männlichen Ausführungen des Ministers
mit unverhohlen freudigen Kundgebungen. Auf der
Linken zeigte sich dagegen Verdruß, insbesondere als
vom „goldenen Kalb" die Rede war. Sofort erhob
sich nach dem Minister der Abg. Plener (lib.), um
die Rede als „Liebhaberei eines christlichen sozialen
Ressortministers" spöttisch anzugreifen und insbeson-
ders angebliche Angriffe aus das Kapital zurückzuwei-
sen. Plener selbst sagte, er habe die Rede nur ober-
flächlich angehört, er mußte sich aber unter dem be-
schämenden Schweigen der Linken klar machen lassen,
daß er den Minister überhaupt nicht verstanden habe
und suchte sich schließlich in der Form zurückzuziehen,
daß er tadelte, daß Graf Falkenhayn überhaupt „vom
goldenen Kalbe" gesprochen habe. Diese angebliche
Zartsinnigkeit ist wirklich kostbar, wahrscheinlich ist sie
indeß mehr dein bösen Gewissen der lib. Partei zu-
zuschreiben, die mit keinem Worte daran erinnert sein
will, daß sie in den Tagen ihrer Herrschaft den Tanz
ums goldene Kalb als ihre Lebensaufgabe betrach-
tet hat.
Die liberale Presse wendet sich und dreht sich, um

Giralda trat dem alten Herrn zitternd und schuldbewußt
entgegen. Sie fürchtete, er würde ihr den beabsichtigten
Fluchtversuch nicht vergeben, und ihr die Wiederaufnahme
in sein Haus verweigern.
Der Marquis sah ihr mit einem wehmüthigen Blick
in die Augen, der ihr tief in die Seele schnitt. „Was be-
deutet das, Giralda?" fragte er, nicht zornig, aber sehr
ernst nach dem kleinen festlich geschmückten Frühstückstisch
hinüber schauend. „Ich ging gestern Abend, ehe mein
Neffe fortreiste, in Dein Zimmer, wo ich Deinen Brief
vorfand. In wahnfinniger Angst um Dich, befahl ich
anzuspannen, um in eigener Person nach Dir zu suchen.
Ich spähte längs des Weges nach Dir aus, ich suchte Dich
auf dem Bahnhof, in den Straßen, im Dorfe, überall.
Dann kehrte ich um, Weg und Steg stundenlang unter-
suchend, in jeden Abgrund schauend, bei jedem Geröll ver-
weilend. Meine ganze Dienerschaft war die Nacht über
auf den Beinen, und ich selbst bin erst vor zwei Stunden
in wilder Verzweiflung im Schlotz angekommen, wo ich
durch die Botschaft Lord Grosvenor's Deinen Aufenthalt
erfuhr. Mir keine Ruhe, keine Erholung gönnend, eilte
ich hierher, um Dich, wie es scheint, heiter und in fast
übermüthigcr Laune zu finden," schloß er bitter.
„Onkel, theurer Onkel!" bat Giralda sanft. „Muß ich
mich gegen Dich Vertheidigen? Bist Du wirklich im Stande,
mich so zu verkennen'?"
Die Strenge verlor sich aus den bleichen übernächtigen
Zügen des alten Mannes. Er vermochte den zärtlichen
Bitten des unschuldigen Kindergcsichts nicht zu widerstehen,
öffnete seine Arme und empfing die Weinende an seinem
Herzen. Lord Grosvenor bemerkte mit Erstaunen, daß
der Marquis gleichfalls Thränen vergoß.
.Komm, und setze Dich zu mir, mein Kind, und erzähle
mir Alles," sagte der Marquis, sobald er seine Stimme
zu beherrschen vermochte. „Komm," wiederholte er, sie
neben sich auf das Sopha ziehend. „Weshalb bist Du
fortgelaufen, und wenn Deine Gegenwart im Elternhaufe
unbedingt crforderlichwar, weshalb bist Du hier auf Schloß
Adlerhorst
„Erlauben Sie mir. Ihnen darüber Aufklärung zu

über die Geschichte Hinwegzukommen. Sie kann
Plener, der wie ein Schlachtroß vorging, .als er nur
das Wort „goldenes Kalb" fallen hörte, nicht recht
in Schutz nehmen und auch den Grafen Falkenhayn
nicht recht angreifen und sucht sich dadurch aus der
Schlinge zu ziehen, daß sie möglichst betont, daß
Graf Falkenhayn mit diesen seinen hyperkonservativen
Ansichten im Ministerrath allein stehe. Das ist die
reinste Vogelstraußpolitik.
Thatsache ist, daß in Oesterreich eine große weit-
verzweigte und mächtige Partei besteht, welche ganz
wie Graf Falkenhayn die Lösung der sozialen Frage
auf der Grundlage der berufsthndischen Organisation
der Arbeit erstrebt und dieses Ziel nie ans dem Auge
lassen wird.
Deutsches Reich.
-1» Berlin, 15). Mai. Die Generaldebatte über
die Militärvorlage wird noch den ganzen Freitag in
Anspruch nehmen. Eine gewisse Bedeutung hat die
in der gestrigen Debatte gemachte Erklärung des
Kriegsministers, daß über kurz oder lang für die
weitere Entwickelung desHeeres ein Or-
gan is a t io nsplan werde vorgelegt werden, dessen
Grundsätze und Grundzüge er bereits in der Kommis-
sion mittheilen werde. Graf Moltke, der in derselben
vornehm bescheidenen Haltung und trotz seiner 90
Jahre auch noch mit derselben Rüstigkeit wie früher
sprach, wurde von der lautlos lauschenden Versamm-
lung mit einer gewissen ehrfurchtsvollen Aufmerksam-
keit angehört, obwohl seine Rede doch nur eine Wieder-
holung der allgemein politisch-militärischen Sätze ist,
die er aus gleichem Anlaß in früheren Sessionen vor-
getragen hat. Obwohl alle Parteien auf die Komis-
sion und die angeblich dort noch zu liefernden Nach-
weise zur Begründung der Vorlage hinwiesen, gilt
die Annahme derselben, und zwar die unveränderte,
für durchaus sicher. Es wird auch ein erheblicher
Theil der Freisinnigen und das Gros des Centrums
dafür stimmen. — Ein hiesiges Blatt berichtet, daß
der rnsssche Militärattache Baron v. Krüger,
Berlin verlassen werde, weil er in die Affaire seines
Privatsekretärs Weller verwickelt gewesen sei, welcher
bekanntlich wegen Auskundschaftung von Geheimnissen
der deutschen Marine in Untersuchung war und kürz-
lich des Landes verwiesen wurde. Es hätten deshalb
diplomatische Erörterungen stattgesunden, und der
Kaiser habe sich mehrfach darüber Vortrag halten
lassen. — Die Centrumsfraktion des Abgeord-
netenhauses hat, wie von mehreren Seiten berichtet
zu geben," bat Lord Grosvenor mit einem beruhigenden
Blick auf Giralda
Der Marquis nickte zustimmend.
„Fräulein von Arevalo," begann der junge Edelmann,
„war gestern auf ihrem Spazierritt ein Unfall begegnet.
Bei ihrer Heimkehr erfuhr die junge Dame von der An-
wesenheit Lord Ormond's und um diesen zu vermeiden,
beschloß sie, sich unbemerkt durch den Garten nach ihrem
Zimmer zu begeben. An einer Laube vorüberkommend,
hörte sie die Stimmen Lorv Ormond's und seines Dieners.
„Ihr Neffe, durch ein zufälliges Geräusch angelock»,
trat Ihrer Nichte entgegen, bot ihr seine Hand an und
drohte ihre, als er zurückgewiesen wurde, sich in ihren
Eltern an der Hülflosen zu rächen. In ihrer Angst vor den
eingebildeten Gefahren, denen sie ihre Eltern ausgesetzt
wähnte, beschloß sie, heimlich zu entfliehen, und die Ihri-
gen zu warnen."
„Armes Kind!" rief der Marquis zärtlich, „warum
begehrtest Du nicht meinen Schutz, warum erzähltest Du
mir diese Schändlichkeit nicht?"
„Um Sie nicht zu beunruhigen, Ihnen eine unange-
nehme und stürmische Szene zu ersparen," unterbrach Lord
Grosvenor den alten Herrn, „zog Ihre 'Nichte es vor,
ihren Kummer allein zu tragen, und sich Abends unbeob-
achtet nach dem Bahnhof zu begeben. Noch hatte sie den
halben Weg dorthin nicht zurückgelegt, als Ormond und
sein Diener sie in einem Bauernwagen überholten, ergriffen,
und trotz alles Flehens in das Gefährt schleppten, sie auf
ihrem Sitz festbanden, und mit ihr umkehrten. Bor dem
Schloßpark stieg ihr Neffe wieder aus!"
„Das ist unglaublich! ungeheuerlich ! unerhört!" groll»
der Marquis aufspringend.
„Und ist dennoch wahr." Lord Grosvenor erzählte
Giralda's Abenteuer zu Ende, nicht ohne von dem Mar-
quis unzählige Male unterbrochen zu werden.
„Von dieser Stunde an werden meine Thüren für
Ormond geschlossen sein," gelobte er sich mit leiser feier-
licher Stimme.
(Fortsetzung folgt)
 
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