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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 111 - Nr. 120 (17. Mai - 29. Mai)
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1890

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8«r<mtwortl. Rrvaireur: F. L. Knappe
m Heidelberg.

Gr^hetnt täglich mit Ausnahme der Soun- u. Feiertage.
N^oanementSpreiS mrt dem wöchentlichenUmerhalwngs-
biatl „DerSonntagSbvte" sürHeidelbergmvnaüichKV4z
«ü Drägerlohn, dnrch di e Post bezogen viertelj. 1.80 franco.

I Dnrcku.VerlagvonÄrbr.HuberinHcidclberg j
früher Verleger des Pfälzer Boten.

Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum 10 -2,
Reklame 25 L. Für hiesige Geschäfts- und Privat-
anzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende Rabatt-
bewilligung. Expedition: Zwingerstratze 7.



Des hohen Pfingstfestes wegen erscheint die
nächste Nummer de- „Aadischcn Volksboten" erst am
Dienstag Nachmittag.


Der heutigen Nummer liegt „Der Zountagsbote" Nr. 2V bei.


Pfingsten.
sZ Pfingsten, das Fest des heiligen Geistes, giebt
in unserer gegenwärtigen Zeitlage Anlaß zu sehr-
ernsten Erwägungen.
Es ist gewiß nicht zufällig, daß das Fest des hl.
Geistes iu einer Jahreszeit gefeiert wird, in welcher die
Natur zu neuem, frischem Leben erstanden ist. Die
eisige Winterszeit, welche alles Leben in Fesseln ge-
schlagen, ist überwunden, der Tod ist aus der Natur-
gewichen, und blühend und prangend in der Vollkraft
eines neuen Lebens steht die Natur vor dem entzück-
ten Auge des Menschen.
Es ist das ein sprechendes Sinnbild jener Ver-
Wandlung und Erneuerung, welche die Welt erfahren
hat durch den Geist Gottes: „Lmitts Lpiritum tuum
. . . 6t removudis k-reiem tarrae.« — Der Geist des
Herrn hat die antike, intellektuell und sittlich verkom-
mene Welt umgestaltet, hat aus den Trümmern der
altheidnischen eine neue christliche Kultur und Civili-
sation errichtet.
Unsere moderne Zeit ist nahe daran, in die be-
trübenden Zustände der zerfallenden, antiken Kultur-
welt zurückzusinken. Wie im alten, kaiserlichen Rom,
io zehret auch jetzt eine seichte, skeptische Aufklärung
an dem gesunden, religiösen Sinne des Volkes; wie
im alten Rom, so hat sich auch jetzt der Materialis-
mus zu einer weitgreifenden Herrschaft empvrgeschwun-
gen; wie im alten Rom, so zeigt sich auch jetzt die
Kunst, fast allen idealen Geistes beraubt, als feile
Lohndienerin einer zügellosen Sinnlichkeit; wie im
alten Rom, so macken sich auch jetzt im sozialen Leben
die feindseligen Klassengegensätze immer mehr geltend.
Wie damals Herren und Sklaven als zwei, durch eine
unüberbrückbare Kluft getrennte Volksklassen einander
gegenüberstanden, so steuert auch unsere gesellschaftliche
Entwicklung unverkennbar einem stets mehr sich ver-
schärfenden'Klassengegensätze zu, einem Zustande, in
welchem verhältnißmäßig wenige Millionäre einer ver-
armten, vom Großkapital gänzlich abhängigen Be-
dvlkerungsmasse gegenüberstehen. Der sog. goldene
Wittelstand, der sich in einigen Bruchstücken noch iu

Treuer Liebe Kohn.
86) Roman von U. Rosen
(k!«Ldr. verb.)
. Giralda wiederholte diese Worte, als ob sie den Sinn
sucht zu fassen vermöchte. „Armer, theurer Egon," seufzte
Ke. „Aber was will Ormond mit dem Kinde ?"
, „Er erkannte nit Schaudern, daß alle seine seinange-
wgten verbrecherischen Unternehmungen ihn dennoch nicht
das heißerstrebte Ziel gebracht, und die Erbschaft, um
"erenwillen er so schweren Frevel beging, ihm ein füralle-
wol entrückt ist. Seine einzige Hoffnung ist jetzt eine
Uche Frau, die er in Dir gefunden zu haben glaubt.
Durch Deine Liebe zu Egon denkt er Dich zu zwingen,
Wn zu heirathen."
„Und kann er dem Kinde Böses zufügen?"
, „Er wird den Kleinen nicht lange in seiner Macht be-
malten. Wir werden den Knaben bald wieder haben."
Pauls Zuversicht beruhigte auch Giralda. „Aber
Mama, meine arme Mama wird sich bitterlich über das
verschwinden des Kindes grämen. Sollte ich nicht zu ihr
"'en, um sie zu trösten?" fragte das Mädchen dringend.
«.. „Dein Platz ist hier, an Deines Onkels Seite,
rAralda," erklärte ihr Bräutigam. „Die Vorsehung selbst
lehrte Dich zu ihm. Seit ich Deinen Vater kenne, ist es
unbegreiflich, wie er trotz der scheinbar überzeugend-
Uu Beweise den Anschuldigungen Ormond s Glauben
'Muhe. Wie sehr aber muß der alte Mann seinen Neffen
""lebt haben, um ihn so unversöhnlich hassen zu können "
„„.»Mir ist es zuweilen, als ob sich unter diesem Haß
die zärtlichste Liebe verberge. Wenn Du meinst, mein
sei hier, so will ich nicht weichen und den alten
^unn, den ich verehre und liebe, nicht verlassen. Er ist
>u edler, guter Mensch. O, vermöchte ich ihn nur mit
"»em armen Papa zu versöhnen "
k>»>. -Hoffen wir das Beste. Dein Papa und Rupert be-
"«den sich für den Augenblick in Sicherheit und können,
°fnn cs nothwendig wird, in kürzester Frist außer Landes
Deine Mama kommt schon im Laufe dieser Woche
Bcrrilheim, und Du darkst täglich zu ihr hinüberreiten.

unsere moderne Zeit herein erhalten hat, ist unbarm-
herzig ans Messer geliefert. Er kann die Konkurrenz
mit dem Großkapital nicht bestehen; darum siecht er
dahin und stirbt, zwar langsam, aber sicher und mit
eiserner Nvthwendigkeit. Einige Wenige, welche vom
Glück begünstigt sind, schwingen sich aus dem Mittelstände
in die kleine Zahl des Besitzenden empvr, die weitaus
überwiegende Mehrzahl aber sinkt herab zur Klasse
der unselbständigen Lohnarbeiter, welche, im Frohn-
dienste des Großkapitals stehend, jede gesicherte Existenz
verloren haben. Ganz zutreffend ist es, was Bischof
Ketleler schon im Jahre 1864 über die Lage des
Arbeiterstaudes geschrieben hat: „Es ist keine Täu-
schung darüber mehr möglich, daß die ganze materielle
Existenz des Arbeiterstandes, also des weitaus größten
Theiles der Menschen in den modernen Staaten, die
Existenz ihrer Familien, die tägliche Frage um das
nothwendige Brod für Mann, Frau und Kinder allen
Schwankungen des Marktes und des Waarenpreifes
ausgesetzt ist. Ich kenne nichts Beklagenswertheres
als diese Thatsache." (Ketteler, Die Arbeiterfrage und
das Christenthum.)
Die großartigen, technischen Fortschritte der Pro-
duktionsweise, rücksichtslos zum Vvrtheile Weniger aus-
gebentet, und dazu die Emanzipation der Gesellschaft
von dem Geiste und den Grundsätzen des Christeu-
thums haben solche Mißstände herbeigeführt. Nach
diesen beiden Seiten hin muß die Resormirnng der
Gesellschaft allen Ernstes in Angriff genommen werden,
wenn nicht die eivilisirte Menschheit furchtbaren Kata-
strophen überantwortet werden soll.
Der hl. Geist, wirkend in den Aposteln und in
der ganzen Kirche Jesu Christi, hat die schweren
eiternden Wunden, an denen die antike Weit krankte,
nicht etwa blos durch äußere Palliativmittel gelindert,
sondern er hat diese Wunden von innen heraus ge-
theilt, indein er dem ganzen Organismus neues Leben
einhanchte. Ein anderer Weg zur Rettung ist auch
in der gegenwärtigen, schwierigen Lage nicht mög-
lich, und derselbe Geist, dell, vom Saale in Jerusalem
ausgehend, die Welt erneuert hat, derselbe Geist, der
ja nie altert, muß auch die gegenwärtige, in ihrem
Denken und Thun heidnisch gewordene Weit von Grund
aus reformiren.
Man hat in maßgebenden Kreisen die Nothwendig-
keit einer Abhilfe erkannt. Beweis dessen sind die
Arbeiten der jüngsten internationalen Sozialkonferenz
in Berlin, sowie die Vorlagen, welche in Betreff des
Arbeiterschutzes re. dem deutschen Reichstag zugegangen
sind. Ob man aber auch die unausweichliche Noth-
Noch 'in Wort, Geliebte, ich glaube Lord Ormond auf
dem Bahnhof in einer Vermummung bemerkt zu haben.
Als er sich beobachtet sah, verschwand er mir plötzlich.
Sei auf Deiner Hut, Geliebte. Er hat sicher wieder Böses
im Sinn."
Giralda versprach vorsichtig zu sein- Unter Küssen und
Thränen verabschiedete sie sich von Ihrem Bräutigam.
Als das Klirren der Huse seines Pferdes verklungen war,
Wendete sie sich in den Garten zurück, über den die Däm-
merung ihre Schatten zu breiten begann. Auf einer Holz-
bank setzte sie sich nieder, um von ihren fernen Lieben zu
träumen und darüber nachzudenken, was die nächsten
Stunden ihnen bringen würden.
Ein schwerer Schritt scheuchte sie auf. Lord Ormond's
drohende Gestalt stand vor ihr. Mit einem halberstickten
Schrei sprang sie empor.
„Setzen Sie sich," gebot er ihr finster. „Ich habe mit
Ihnen zu sprechen."
Giralda gehorchte zitternd.
„Seit wir uns zuletzt sahen, Fräulein Giralda, habe
ich Ihre Eltern in Birkenhain besucht und weiß nun, daß
Sie in Wirklichkeit die Großnichte des Marquis find, den
Sie so geschickt zu umgarnen verstanden."
Giralda antwortete nicht, sondern bebte in steigendem
Entsetzen vor ihrem Bedränger zurück.
„Sie sind von meinem Besuche bei Ihren Eltern be-
reits unterrichtet, wie ich merke," rief Ormond mit bösem
Blick. ..Sagte Lord Grosvenor Ihnen auch, daß ich micy
Ihres Bruders Egon bemächtigte ?"
Giraldas bleiches Gesicht und ihre thränenüberströmten
Augen antworteten ihm besser, als Worte vermocht hätten.
„Daß Sie die Lage, in der mich befinde, begreifen, ist
natürlich, Fräulein Trewor. Der Marquis mag sterben,
und Sie erben sein Geld, während Ihrem Vater der Titel
und die Güter zufallen. Sehr gut ausgedacht! Aber so
lange der kleine Egon dem Mutterherzen fehlen wird, ist
für die Freude kein Raum darin."
.O, Mylord," unterbrach ihn Giralda, „wollen Sie
Geld?"
„Ja, und eine Gattin. An dem Tage, an welchem Sie

wepdigkeit einer durchgreifenden Reform erkannt hat?
Ob man den Muth besitzt, an die Inangriffnahme
einer solchen ernstlich auch uur zu denken?
Die bereits bestehenden Arbeiterversicherungsgesetze,
sowze die iu Aussicht bestehenden Arbeiterschutzgesetze,
so sehr sie auch dazu geeignet sein mögen, einige
Linderung zu bringen, greifen doch keineswegs das
Nebel selbst an der Wurzel an.
Es sind Palliativmittel, wodurch die schlimmen
Folgen des herrschenden wirthschaftlichen Systems
weniger fühlbar gemacht, keineswegs aber beseitigt
werden können. Es sind äußerlich angelegte Pfläster-
chen auf die Geschwüre eines Leibes, in dessen Adern
verdorbenes Blut kreist. Es sind Morphiumeinspritz-
ungen, welche das Gefühl des Schmerzes lindern, dessen
Ursache aber nicht beseitigen.
Wenn man aber die Sache tiefer angreifen und von
einer Neuorganisation des wirthschaftlichen Systems
reden will, von Mitteln und Wegen, um dem Arbeiter-
stande eine gesicherte Existenz zu verschaffen, dann er-
hebt sich die geldherrlichc Plutvkratie, um solcke „re-
volutionäre llmsturzpläne" als etwas Schreckliches
zu brandmarken und mit aller Mackt zu verhindern.
Freilich sind wir bei Erforschung dieser Mittel und
Wege' über die ersten Anfangsgründe uock nickt hin-
ansgekommen. Aber nach diesen Mitteln und Wegen
muß gesucht und muß mit eiserner Ausdauer ge-
forscht werden, wenn die Geschicke der Mensckheit sich
gedeihlich entwickeln sollen. Es ist zweifellos richtig,
wenn man die menschliche Gesellschaft mit einem Or-
ganismus vergleicht. Es ist ebenso zweifellos richtig,
wenn man das Geld das Blut in diesem Organismus
nennt; denn das Geld oder das Kapital ist ja doch
der metallisirte Nahruugsstosf der Menschheit. Wenn
aber iu einem Leibe die einen Glieder mit Blut über-
füllt, die anderen hingegen blutleer sind oder wenig-
stens sehr blutarm, dann kann eine richtige Heilmethode
nur jene sein, welcke eine richtige Blutzi'rkulatiou her-
zustellen vermag. Und diese Heilmethode für den
kranken Organismus der heutigen Menschheit maß ge-
funden werden, und wenn sie gefunden ist, muß sie
durchgeführt werden, mag auch das Großkapital seinen
ungesunden Besitzstand noch so krampfhaft vertheidigen.
Das aber steht fest: Diese Heilmethode wird nur
dann glücklich gefunden werden, wenn jener Geist als
Fü ner und Wegweiser vorangeht, der auch die antike
Hewenwelt geistig um- und neugeschaffen hat: und
diese Heilmotye kann in gedeihlicher Weise nur dann
durchgeführt werden, wenn derselbe hl. Geist, der Geist
der Gerechtigkeit und der allgemeinen, thätigen Räch
mein Weib werden, wird Egon zu seiner Mutter zurück-
kehren."
„Aber ich kann nicht, mein Gott, ich kann nicht," rief
Giralda die Hände ringend
„Sic müssen," grollte Ormond mit zornig blitzenden
Augen. „Ich werde mich von einem Mädchen nicht .zu
Grunde richten lassen! Ach, ich bin müde gehetzt, bin ein
verzweifelter Mensch! In meinen Erwartungen auf die
Erbschaft betrogen, ein pfennigloser Abenteurer, will ick
meine Pläne nicht wiederum durch Sie kreuzen lassen.
Durch Sie will ich zu Reichthum und Anseben gelangen."
Giralda dachte an Flucht, aber ihre Glieder waren
wie gelähmt, ihre Gedanken wie verwirrt.
„Ich habe dieses Mal meine Vorsichtsmaßregeln besser
getroffen," fuhr Ormond, wie eine Schlange zischend, fort.
„Sie entkamen aus der Felsenhütte, Sie werden mir ein
zweites Mal nicht entrinnen! Geben Sie mir Ihr feier-
liches Versprechen, nicht zu entfliehen, und ich werde Ihnen
gestatten, in das Haus zurückzukehren, weigern Sie fick,
und ich nehme Sie sogleich mit mir. Ein Wagen wartet
in der Nähe auf mich!"
„Selbst nicht um die, welche mir die Theuersten find,
zu retten, vermag ich in die Heirath mit Ihnen zu
willigen," rief Giralda, ihre Stimme endlich wiederfindend.
„Gott habe Erbarmen mit meiner armen, verfolgten Familie,
da Sie mitleidlos sind."
„Sie weigern sich also?" fragte Ormond rasend vor
Wuth. „Ich warnte Sie, Mädchen! Ihr Schicksal komme
über Ihr eigenes Haupt!"
Mit dem Ungestüm eines gereizten Tigers sprang er
auf das Mädchen. Giralda stieß einen wilden Schrei aus.
In demselben Augenblick theilten sich die Zweige des Ge-
büsches, hinter welchem sie saß, und der Marquis von
Trewor trat zwischen sie und ihren Verfolger, erstaunt und
voll Zorn auf Ormond blickend.
Fortsetzung folgt.
 
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