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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 121 - Nr. 130 (30. Mai - 11. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42837#0485

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täglich mit «nsuahmr oer Sean- u. Feiernrge.
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»>t TrLgerlokm, durch di r Poii bezogen ri-rtels. >L1.M franco.

Inserat« die 1-fpaltige Petitzeile oder deren Roum 10 -ä
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anzeigen, sowie für Jabres-Lnzeiacii bedeutende Rabatt-
bewilligung. Expedition: Zwingerstraße 7.
1890?

; BeranrworU. Redakteur: F. 2. Änappr
m Heidelberg.

! Drucku.BerlagvonGcbr.HuberinHcidelberg!
! früher Verleger des Pfälzer Boten, i


'' Tltmdolß's ktLaükk M die Akslßeü.
Die Regierung hat sich bei der Begründung der
neuen Militärvorlage und ihrer weitcrgehenden Pläne
mehrfach auf die alten Scharnhorst'schen Gedanken
berufen, die adel: denn doch bei genauerer Prüfung
etwas anders ausseheu, als der Reichskanzler und der
Kriegsminister sie entwickelt haben. Scharnhorst
wollte allerdings, daß alle Waffenfähigen für den
Kriegsdienst ausgebildet würden, aber er dachte nicht
im entferntesten daran, jeden brauchbaren jungen Mann
auf zwei oder drei Jahre in das stehende Heer stecken
zn wollen. Seine Absicht ging vielmehr auf die Er-
richtung einer Nationalmiliz neben dem stehenden Heere.
Genaue Auskunft über die Scharnhorst'schen Reform-
pläne und ausführliche Kunde giebt die Lchmann'sche
Biographie des berühmten Freiheitskämpfers, welcher
der "Sobn eines bürgerlichen Pächters in Hannover
war, und schon im Juni 1813 im Alter von 56 Jahren
an den Nachwirkungen einer Verwundung starb, die er
als Generalstabschef des Blücher'schen Heeres in der
Schlacht bei Großgörschen erhalten hatte. Scharnhorst
wurde nach den verlorenen Schlachten von 1806 und
1807 in eine Militärorganisativnskoiumission berufen,
welcher er seine kühnen Entwürfe vorlegte. Leh-
mann theilt über dieselben Folgendes mit: Von der
Waffensübrung sollte nur Körpergebrecklichkeit, Blöd-
finn oder das Verbrechen ausschließen können. Die
Einstellung der ganzen waffenfähigen Mannschaft
aber sollte nicht in die Kadres des stehenden Heeres
geschehen, um sie nach Ablauf der festgesetzten Dienst-
zeit zu entlassen und im Kriegsfälle als Miliz wieder
einzuberufcn. Vielmehr sollten stehendes Heer
und Miliz von vornherein getrennt werden.
In der Kommune sollten diejenigen, welche das
wehrpflichtige Alter (das 19. Lebensjahr) erreicht
hatten, in zwei Klassen getheilt werden: die eine zur
Ergänzung des stehenden Heeres, die andere zum Ein-
tritt in die Miliz bestimmt. Erstere sollte sich zusam-
menfetzen aus Freiwilligen und aus solchen, welche
nicht wohlhabend genug waren, um sich selbst be-
waffnen, kleiden und während der Ezerzierzeit unter-
halten zu können; letztere aus deueu, weiche hierzu im
Stande waren.
Für die kriegerische Ausbildung der Miliz, welche
übrigens auf Kavallerie- und Jnfanteriedienst beschränkt
werden sollte, waren jährlich vier, in der ersten
Zeit acht Wochen in Aussicht genommen. Sie
sollte, jedoch nur Anfangs, erfolgen unter Anleitung
von Offizieren des stehendes Heeres. Die Miliz war
Lreuer Siebe Sohn.
89 Roman von ll. Rosen
(KeHdr. verb.)
38 Kapitel.
Eine Zuflucht suchend.
Lord Trewor's Worte erreichten das Ohr nicht mehr,
für das sie bestimmt waren. Halb wahnsinnig vor Aufre-
gung. balle Gualda sich in aas Gebüsch gesiürzl, ohne zu
wissen, wohin sie gehen sollte. Vor allen Dingen wollte
sie tum ELloß urd dem teuflischen Spott ihres Feindes
entfliehen, und eilte achtlos weiter, als eine Frau ihr aus
dem Dunkel entaegentrat.
„Ich muß fort/' ries die Geängstigte, sich der Haus-
hälterin entwindend, die ihre Hand ergriffen hatte. „Er
Wies mich aus dem Haufe, Frau Pump."
„Ich war Ihnen gefolgt, gnädiges Fräulein, und habe
Alles vernommen. Ach, der junge Herr lebt! Gott Hal
mein Gebe» erkört, liebes Kind "
Die gute Frau schluchzte iw Uebermaß ihrer Freude.
„Und Cie sird seine Tochter! Wie blind ich geweien bin!
Ihre Augen hätten es mir sagen müssen. Zittern Sie nicht
so, mein armes Lamm. Sie haben eine treue Freundin
in wir "
Die sanfte Stimme der Frau beruhigte Giralda's Nerven.
Sie wart sich der Frau in die Arme und weinte krampf-
haft. „O, cs ist schrecklich," wihklagte sie. ,Papa ist in
Sicherheit, und sie köni en ihm kein Leid zufügen, aber
der Maiquis wird jetzt nie mehr von der Unschuld seines
Neffen zu überzeugen sein."
„Verlieren Sie den Muth nicht, Kind, es wird sicher
ncch Alics gut werden. Sie müssen mir zunächst in das
Haus folgen, und sich in meinem kleinen Zimmer ausruhen.
Nein, keine Einwendung, gnädiges Fräulein. Sie werden
Niemand sehen, Nümardem begegnen. Mitten in der
Nacht dürfen Sie sich doch nicht hinaus auf die Straße
wogen." .
Giralda ließ sich überreden. Unbemerkt gelangten sre in
das im Hintergebäude befindlicheZimmer der Haushälterin.
„Ach, jetzt we,ß ich doch, weshalb mein Herz Ihnen

dazu bestimmt, im Falle eines feindlichen Angriffs das
stehende Heer zu unterstützen. Für den Fall der
äußersten Noth sollte ein allgemeines Aufgebot die
Miliz ergänzen. Waren der Miliz und dem stehenden
Heere nur die Altersklassen vom 19. bis zum 31.
Lebensjahr verpflichtet, so sollte das allgemeine Aufge-
bot an eine solche Schranke nicht gebunden sein.
Da auf diese Weise bas gejammte waffenfähige
Volk ohne irgend eine Ausnahme die Waffen auch
wirklich tragen sollte, mußte man mit der militärischen
Weisung auch frühzeitig beginnen, weshalb der Unter-
richtsplan der bestehenden Stadtschulen so erweitert
werden sollte, daß sie als Vorschulen für die Thätig-
keit der Unteroffiziere und Offiziere, namentlich bei der
Miliz, gelten konnten. Man schlug zn diesem Zweck
vor, mehr Nachdruck auf die Mathematik zn legen.
In jeder Schule sollte ferner eine ganz militärische
Disziplin eingeführt werden; Aufgabe des Unterrichts
in den höheren Klaffen würde es dann sein, den Geist
der militärischen Gesetze zn erläutern. Jede Schule
sollte ihren Exerziermeister haben, der die Knaben
während der Erholungsstunden im Gebrauch der Waf-
fen übte. Jede Schule sollte sich in Kompagnien
formiren, von denen jede ihren Offizier selber wählte,
um unter feiner Leitung das zu üben, was später der
Ernst des Kriegers forderte:. Leibesübungen (Fechten,
Schwimmen, Voltigirenl sollten die jungen Körper zur
dereinstigen Ertragung von Strapazen geschickt machen.
Die bestehenden Kadetteninstitute sollten beseitigt und
durch Pensionate bei den hohen Schulen dec drei
Hauptstädte ersetzt werden.
Diese hier entwickelten Grundsätze, welche, aller-
dings sehr abgeschwücht und abgeändert, am 17. Msi
1814 zum Gesetze mholon wurden, und bis 1877
galten, sollen nun jetzt, angeblich in Scharnhorst'schem
Geiste, zur Durchführung gelangen. Was aber die
Regierung und General Vogel von Falckenstein bis
jetzt von diesem Scharnhorst'schen Geiste in sich auf-
genommen haben, ist lediglich der Gedanke, daß alle
wehrfähigen Mannschaften im Waffendienst ausgebildet
werden sollen, sie vergessen aber, daß bei Scharnhorst
dieser Gedanke untrennbar mit einer kurzen Dienstzeit
für die Miliz von 8 bezw. 4 Wochen verbunden war.
Die heute bestehende Ersatzreserve ist ein Bruchstück
der Scharnhorst'schen Pläne, aber gerade diese Ersatz-
reserve mir ihren wvchenweisen Jahresübungen soll
nach dem neuesten Plan wieder beseitigt und
statt dessen allgemein eine mehrjährige Dienstzeit
eingeführt werden. Scharnhorst tvollte den Dienst
in der vom stehenden Heere getrennten und selbstän-
schon bei unserem eisten Begegnen gekörte, gnädiges Fräu-
lein," plauderte die Alte, nachdem sie Giralda zu dem
Sopha geleitet hatte. „Ihr Vater ist der edelste, beste
Mensch von der Welt."
„Wohin könnte ich mich nur von hier aus wenden,
Frau Pump?" fragte Giralda beklommen. „Unsere ulte
Wohnung ist, wie ich glaube, von den Meinigen aufgegcben,
und zu Mama zu gehen ist mir für den Augenblick auch
nicht möglich."
„Haben Sie keine Verwandten, keine Freunde?"
„Äußer meinem Verlobten, Lorv Grosvenor, Niemand,
dcssen Hilke ich beanspruchen könnte."
„So müssen Sie sich so lange an einem stillen Ort
Verbergen, bis Sie Ihren Eltern Nachricht von sich ge-
geben und ihre Antwort empfangen haben. Ich weiß eine
solche Zufluchsstätte für Sie, gnädiges Fräulein. Bor
vielen Jahren lebte eine Pächterstochter hier im Schloß,
ein braves ordentliches Mädchen, das alle Leute gern
hatten. Die gute Person erbte ein kleines Gütchen in den
Bergen, das sie ganz allein bewirthschaftet. Lord Ormond
wird es nimmer cinfallen. Sie bei Grethe Wilms zujuchen."
„Wird sie mich aber bei sich aufnehmen wollen?"
„O, gewiß, denn trotz der bitteren Enttäuschung, die
sie in rhrer Jugend erfahren, hat sie sich ihr gutes Herz
bewahrt. Sie war mit Georg Negun, dem Kammerdiener
Lord Ormond's und Ihres Papa, gerade in jener unseli-
gen Zeit verlobt, die den unschuldigen Neffen des gnädigen
Herrn in's Unglück stürzte."
„Negun? Georg Negun?" wiederholte Giralda er-
staunt. „Ich hörte von ihm. O, wenn ich ibn nur finden
könnte."
„Wenn irgend Jemand Ihnen Auskunft über den
Menschen zu geben vermag, ist es Grethe Wilms."
„O, Frau Pump, dann brechen wir sofort aus," rief
Giralda in fieberhafter Erregung. „Dieser Negun ist es,
der Paps's Unschuld beweisen kann. Mama hat ihm durch
die Zeitungen eine große Belohnung angeboten, wenn er
sich bei ihr melden wolle, aber sie hörte nie etwas von ihm.
O, Frau Pump! Die Vorsehung leitet mich sicher durch
alle diese dunklen Pfade."

digen Miliz sowohl wie im stehenden Heere
selbst mit dem 3l. Lebensjahre abgeschlossen wissen,
während der Dienst in der Landlvehr fest 1888 be-
kanntlich erst mit dem 39. Jahre endigt. Scharnborst
wollte, wie oben dargelegt, die militärische Vorbil-
dung bereits in den Schulen beginnen lassen, um die
militärische Dienstzeit desto mehr abkürzen zn können,
während der General Vogel von Falckenstein es in
seinem bekannten Vortrage als „Illusion" bezeichnete,
wenn man glaube, daß durch eine gewisse militärische
Vorbildung ans den Sehnten eine Verkürzung der
Dienstzeit erzielt werden könne-kurz, die jetzt
in der Militärverwaltung maßgebenden Herren ent-
nehmen von Scharnhorst nur die Gedanken,
welche die Nation belasten, aber nicht
auch die Gedanken, welche sie entlasten.
In einem „die Tragweite der neuen Hee-
res Pläne" betitelten Leitartikel zieht die „Freis.
Ztg." die nothwendigen Folgen der vom Kriegsmini-
ster dargelegten Zukunstsorganisation. Sie bezeichnet als
erste Staffel der Erhöhung der Friedenspräsenzstärke
die jährliche Verstärkung der Aushebung nm 6000
Mann. Mehrkosten 18 Mill. M. außer Pensionskosten;
als zweite Staffel: Einstellung der Klasse ö der
Ersatzreserve, die eine Erhöhung der Fricdensprä-
senzstärke um 55,000 Mann bedeutet, und als dritte
Staffel: Einstellung der Ersatzreserveklassen (.' und
I) zwegen häuslicher Verhältnisse und als zeitlich un-
tauglich Zurückgestelltei, bereu Zahl 86,203 Mann
im Jahre 1888 betrug. Zuletzt würde die Einstellung
der sofort bei der Aushebung dem Landsturm ersten
Aufgebots überwiesenen Mannschaften erfolgen. Die
Zahl derselben betrug 1888 91,524 Mann. Wenn
hiernach künftig außer den bisher jährlich eingestellten
176,077 Rekruten noch die 86,203 bisher der Ermtz-
reserve und die 91,524 bisher dem Landsturm über-
wiesenen Mannschaften zur Einstellung in das ste-
hende Heer gelangen, so ergiebt dies ein I ahres-
kontingent für die Ausbildung im st e-
henden Heere von 333,806 Mann statt bis-
her 176,077 Mann, also eine gegen bisher mehr
als verdoppelte Zahl. Die Kosten werden
folgendermaßen berechnet: Fortdauernde Aus-
gaben des Militäretats 970 Millionen Mark,
einmalige Ausgaben mindestens zwei Mi lliarden.
De.u heißt es in dem Artikel weiter: „Wenn es
mv.stich lväre, diese zwei Milliarden noch gegen 4
Proz. Zinsen aufzubringen, so würden zn dem Mili-
täretat von 970 Millionen uock 80 Mill. Mark für
Zinsen binznkommen, was eine Steigerung aus 1050
„Ja, gnädiges Fräulein, ich widerspreche Ihnen nicht
länger, aber erst trinken Sie schnell noch eine Tasse Thee-
Jnzwischen schleiche ich rn Ihr Zimmer und packe Ihnen
Wäsche und einige Kleidungsstücke in Ihre Reisetasche, gebe
Anton einen Wink, den kleinen Wagen anzuspamien, deu
ich bei meinen Besorgungen im Dorfe zu benützten pflege,
und wenn Alles still ist, fahren wir davon."
Der Thee wurde bereitet und vor Giralda hin-gestellt,
während Frau Pump geräuschlos entschlüpfte.
„Hier sind Ihre Sachen, mein Engel," rief die Haus-
hälterin zurückkehrend.
„Haben Sie meinen Onkel, oder Lord Ormond ge-
sehen ?' fragte Giralda, Hut und Mantel nehmend.
„Nein, gnädiges Fräulein, sie durchsuchen deu Karten
und die Straße nach Ihnen, wie mir das Hausmädchen
sagte. Ich möchte wissen, was der Herr Marquis v.n
Ihnen will, nachdem er Sie in seiner Raserei und seinem
gottlosen Hasse schon so sehr gekränkt hat. Vielleicht w ./acht
er Sie zu der Heirath mit Ormond zn zwingen."
Die Beiden lauschten in athemtoser Spannung, bis
ihnen die wie Donner grollende, das ganze stille Haus
durchschallende S'imme des Marquis verkündigte, d.. z der
alte Herr sich müde und enttäuscht in seine Gemach.-, zu-
rückgezogen habe.
Die Schatten der Nacht lagerten trübe über dem
Schlosse und seiner Umgebung, kein Stern erhellte den
Himmel, als die Flüchtlinge sich zu dem Hause hinaus-
stahlen Vor dem Thore erwartete sie das Gefährt.
„Ich werde selbst kutschiren, Anton," sagte die Haus-
hälterin zu dem jungen Burschen, ihrem Enkel. „Geh'
wieder in den Stall zurück und lege Dich hin."
Im nächsten Dorf mußten die nächtlichen Reisenden
aussteigen, um zu Fuß die wilden Bergpfade zu erklimmen,
die an ihr einsames Ziel führten. Frau Pump vocbte an
eine alleinstehende Hütte. Ein bejahrter Mann öffnete ihr
und begrüßte sie erstaunt. „Was führt Dich m dieser
Stunde hierher, Agathe?" fragte er.
Fortsetzung folgt-
 
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