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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 51 - Nr. 60 (2. März - 13. März)
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drs<k eint täglich mit ArrSrwhme der Sonn- u. Feiertage.
*td»nne»«»tSpr<iSmit dem wöchentlichen UMerhalwngs-
öl»tt „DerSonntagSbote" sürHeidelberg monatlich SV H
"Ä Trägerlobn, durch di e Post bezogen vicrtelj. 1.M franco.

Verantwort!. Redakteur: F. Z. Knappe
iu Heidelberg.

8i. M.

v 1s» i', Inserate die 1-spaltize Petitzeile oder derm Raum 10^
Organ fnr Wanrnm, Fretneü L «em. LiNk-L L SW^SLr
bewilligung. Expedition: Zwingerstratze 7.

Dnicku.VerlagvonGebr.HubrrinHeidelberg!
früher Verleger des Pfälzer Boten. ! LOe/v.

Wik» »ü NGim.
Dieser Tage gab die italienische Regierung das
Grünbuch über Afrika heraus. Dasselbe enthält
eine Sammlung höchst merkwürdiger Dokumente, deren
Veröffentlichung durch den Herrn Crispi in diesem
Augenblick nur schwer erklärlich ist. Es giebt wahr-
scheinlich kein amtliches Aktenstück, das mehr gegen
den Leiter der auswärtigen Angelegenheiten Italiens
zeugt, als dieses Grünbuch, welches die Wirkung des-
jenigen über Candia erheblich abzuschwächen geneigt
'ft. Acht Monate hindurch bietet Herr Crispi alle
Beredtsamkeit und allen Einfluß auf, um von dem
Kriegsminister Bertolee Biale die Zustimmung zur
Besetzung Asmara's zu erlangen; es werden zwischen
den beiden Ministern ganz formelle Noten gewechselt,
in denen Herr Crispi immer dringender wird, aber
nichts vermag die kühle und ruhige Ueberlegung des
Kriegsministers auch nur einen Moment zu erschüttern,
selbst Crispis „heiße Bitten" nicht und nicht die Er-
innerung an die „ruhmreiche Garibaldinische Epopöe",
mit welcher er die Begeisterung seines Kollegen für
eine zweifelhafte Sache zu entzünden versuchte. Es
berührt seltsam, daß Crispi den amtlichen Berichten
des Generals Baldissera, den er doch als besten
Kenner der Verhältnisse betrachten mußte, keine Be-
achtung schenkt und sich allein von dem Asrikareiseuden
Grafen Antonelli beeinflussen läßt.
Die Sachlichkeit und Unbeugsamkeit des Kriegs-
ministers macht den günstigsten Eindruck; er wider-
setzt sich dem Unternehmen, weil er zu Menelik kein
Vertrauen hat und zur Besetzung des Hochlandes
2.6 000 Mann, 100 Millionen Kosten nud eine Vor-
bereitung von mindestens drei Monaten für erforder-
lich hält, während Crispi die Besetzung sofort ausgeführt
wissen will. Gegen einen einfachen Rekvgnitionswarsch
»ach Asmara erklärt sich der Kriegsminister ganz ent-
schieden, fragt aber unter dem Einfluß des Drängens
Crispis bei Baldissera an, wie dieser darüber dächte.
Valdissera hält die Absicht für ausführbar, wünscht
aber, daß der Zeitpunkt der Ausführung ihm über-
lassen werde. Auf diese Mittheilung ordnet Crispi
Anfang Januar 1889 die sofortige Ausführung an,
die aber mit Rücksicht auf das Gerücht, Menelik ver-
handle mit dem Negus wegen des Friedens, unter-
bleibt. Am nächsten Tage mochte Crispi die bezüg-
liche Kontreordre wieder zurücknehmeu, Bertolee aber
widersetzt sich und will die Ordre zum Vorrücken erst
dann geben, wenn er über den Wiederbeginn der
Feindseligkeiten zwischen Menelik und dem Negus in
Positiver Weise unterrichtet ist.

Treuer Siebe Sohn.
23) Roman von U. Rosen.
(Kachdr. rerb.)
„Ja, Euer Gnaden. Der Herr Graf entschuldigte sich
«ei Lord Ormond und erklärte Ihre Abwesenheit in harm-
loser Weise, sodatz der neugierige Gast nichts Verfängliches
ahnen konnte, aber heute Morgen ließ der gnädige Herr
Mich rufen und bot mir zwanzig Goldstücke an, wenn ich
chm Ihr Gebeimnitz verrathen wollte — denn, daß Sie
ein Geheimmtz hätten, wisse er- Ich behauptete vollständige
Unkenntnitz und wurde in höchstem Mißfallen fortgeschickt.
Der Herr Graf weiß, daß Sie diese Nacht nicht hier
Waren, da er in aller Frühe selbst erschien, das gestern
Abend zerbrochene Schloß an Ihrer Thür durch ein neues
zu ersetzen. Die Dienerschaft ahnt nichts von Ihrer Ab-
wesenheit, wohl aber der Graf und Lord Ormond."
„Unseliges Verhäugniß," ries Beatrice erregt. „Meines
Katers Stolz wird ihn dazu bewegen, seine Entdeckung
zu verbergen. Aber Lord Ormond ist unzuverlässig und
^rrätherisch, und trotz seiner Liebesbetheuerungen mein
Feind. Daß gerade er von allen Menschen meinem Ge-
miinniß auf die Spur kommen mußte! Mir ist, als ob
wir und denen, die mir theurer sind, als mein eigenes
Leben, schwere Gefahren drohten."
„Ja, nach dem Feuerlärm von gestern Abend, ahnte
Ä. daß uns große Wirrmfie bevorständen," bemerkte
Magda düster. „Ich war in meinem eigenen Zimmer, als
der Herr Graf dieses Schloß befestigte, kam aber, nachdem
gegangen war, wieder hierher, um Ihre Sachen in
Ordnung zu bringen und Ihre Tiolette für den Abend
«orzubereiten. An's Neuster tretend fiel mir jenseits der
Straße ein Mann aus, der auf Jemand zu warten schien,
Mir abxr wie ein Spion vorkam Ich versteckte mich nun
Anter dem Vorhang und beobachtete den verdächtigen
Menschen, bis er sich ennlich entfernte, ohne etwas ausge-
Uchtet zu haben."
„Beschreibe mir den M nschen, Magda!"
„Er sah ans wie ein Geck, der von einer Gesellschaft
w der Nachbarschaft heimkchrt."
„Es ist derselbe," murmelte Beatrice- „Er steht

Dieser Notenwechsel währt bis zum 2. April, wo
die Bestätigung von dem Tode des Negus eintraf
und Crispi jeden Aufschub für eine Gefährdung der
Interessen Italiens bezeichnet. Aber der Kriegsminister
ist in seiner Meinung durch den Tod des Negus ui cht
erschüttert, zumal Baldissera telegraphirt, daß durch
Warten nichts verloren werde, der Zustand des Bür-
gerkrieges». der Noth Jahre lang währen könne u. nach
der Besetzung Asmaras Schwierigkeiten entstehen dürf-
ten. Selbst in Berlin ist Crispi mit den afrikanischen
Angelegenheiten beschäftigt; als er von den Jntriguen
des Barambaras Kassel und dem dadurch bei Bal-
dissera erzeugten Wunsch nach der Besetzung Kerens
erfährt, ordnet er von Berlin die ungesäumte Ausfüh-
rung dieses Planes an. Baldissera kündigt bald darauf
die Besetzung Klerens an, unterläßt aber nicht, auch
bei diesem Anlaß auf die Unzweckmäßigkeit der Be-
setzung Asmaras hinzuweisen. Es würde dazu zwar
nach dem Tode des Negus die in Massana befindliche
Besatzung ansreichen, aber „wenn Menelik im Herbst
nicht vorrückte oder zurückgetrieben würde, könnte die
Besetzung Asmaras, wenn nicht gefährlich, so doch auf
lange Zeit hinaus sehr kostspielig werden." Auf dieses
Telegramm schreibt Crispi am nächsten Tag den Brief,
der schließlich für die Besetzung Asmaras ausschlag-
gebend ist. Crispi's Wunsch wurde erfüllt, aber daß
er damit im Recht war, kann man heute weniger als
sonst behaupten. Während unter der ländlichen Be-
völkerung und den Arbeitern in den Städten die größte
Nothlage herrschte, wurden in Afrika viele Millionen
ohne Erfolg geopfert, denn Menelik ist wieder einmal
wie verschollen, so daß man sich nicht wundern kann,
wenn trotz amtlichen Widerrufs die Nachricht, daß er
sich mit fremder Hilfe von dem Einfluß Italiens be-
freien wolle, noch immer Glauben findet.

Deutsches Reich.
4-» Berlin, 5. März. General v. Bredow,
der Führers des bekannten „Tod e s r i tt es" bei
Ma r s-l a-Tou r, ist, 76 Jahre alt, gestorben. -
Ter „Vvlksztg." wird zuverlässig mitgetheilt, der
Kaiser habe im Staatsrath die schärfsten Forderungen
betreffs des Arbeiterscbutzes gestellt, sei aber vielfach
an dem Widerspruch der Bourgeois, damit sollen
wohl die Vertreter der Großindustrie gemeint sein,
gescheitert. Er habe sich auch durchaus gegen das
Sozialistengesetz in jeder Form erklärt und glaube
mit der Sozialdemokratie allein fertig werden zu können
und zwar nicht mit Gewaltmitteln, sondern durch
Entgegenkommen, was aber Bismarck jetzt hindern
wieder dort drüben. Der Bursche überwacht mich offen-
bar. Geh' an's Fenster, Magda, und sieh' ob er noch
da ist."
Magda gehorchte. „Ja," sagte sie, „er geht langsam
auf und ab, Euer Gnaden. Trotz seiner gleichgiltigen
Miene bin ich jetzt überzeugt, daß er ein Spion in Lord
Ormond's Diensten ist."
„Er bemerkte mich, als ich an ihm vorüberhumpelte,
hielt mich aber zweifellos für nichts Anderes, als ich zu
sein schien. Jetzt will er abwarten, ob die alte Frau zu-
rückkehrt ; sollte sie sich nicht wieder zeigen, so würde er
meine Verkleidung argwöhnen, Du mußt mir also helfen,
ihn zu überlisten, Magda. Ziehe schnell diese alten Kleider
über die Deinigen."
In fieberhafter Hast fuhr Beatrice fort, ihre dürftigen
Obergewänder abzustreifen, Magda legte sie an, und schickte
sich an, sortzupehen.
„N'mm Deinen Hut nnd Deinen Mantel unter den
Arm," rieth Beatrice, „wenn Du die Schwelle der Hinter-
thür überschritten hast, raste ein wenig, und wanke dann
sorglos weiter. Kehrst Tu nach einer halben Stunde in
Deiner eigenen Gestalt wieder, w wird Niemand unsere
List ahnen, und wir dürfen uns rühmen, den schlauen
Detektive hinter's Licht geführt zu haben."
In einen weiße Kaschmirschlafrock gehüllt, blickte Bea-
trice lauschend auf die Straße hinab. Der Detektive
schlenderte noch immer, wie es schien, pfeifend und singend
auf und nieder. Jetzt öffnete sich das Seitenpförtcheu des
Berril'schen Palastes, und dieselbe alte Frau, die vor ei-
ner Weile dort eingetreten war, hinkte die düstere menschen-
leere Straße entlang.
Born sah ihr prüf end nach, als sie im Schimmer des
Gaslichts an ihm vorü der kam. „Das ist die Grafentochler
nicht," lachte er.
„Ja," flüsterte Beatrice, jede Bewegung des Mannes
beobachtend, „der Mensch ist ein Detektive iin Solde Oc-
mond's, der mein Geheimnißcrfahren will, um endlich Ge-
walt über mich zu gewinnen. Nock kann er keinen be-
stimmten Argwohn haben, noch liegt ihm der Gedanke an
die Möglichkeit fern, Gottfried Trewor lebe und halte sich

wolle. — Die „Nationalste;." erfährt von den Sitz-
ungen des Staatsraths: In den Pansen unterhielt
sich der Kaiser angelegentlich mit allen Mitgliedern,
zumal mit den Vertretern der Arbeiterkreise. Einer
derselben hätte, so wird erzählt, dem Kaiser kein
Hehl daraus gemacht, daß er der sozialdemokratische»
Richtung angehöre; es hätte zwischen dein Kaiser und
dem Arbeiter eine Unterhaltung stattgefuuden, bei
welcher der Kaiser mit herzgewinnender Offenheit sich
ausgesprochen haben soll. In einer Pause, in welcher
der Kaiser sich sehr hart über die Sozialdemokratie
ausließ, erklärte der Putzer Buchholz, beiläufig der
einzige Arbeiter, welcher an den Berathungcn des
Staatsraths theilnahm, er sei Sozialdemokrat, des-
halb aber nicht weniger ein guter Staatsbürger. Der
Kaiser fragte ihn, wo Buchholz das eiserne Kreuz,
das er im Knopfloch trage, verdient habe. Buchholz
uannte die Gelegenheit und bemerkte weiterhin, er
sei 1870 auch schon Sozialdemokrat gewesen, worauf
der Kaiser noch die Aeußerung that, da werde er
auch wohl gelernt haben, daß der Mensch Ordre pa-
riren müsse. Abgesehen von diesem Zwischenfalle hat
der Kaiser aber in den Verhandlungen wie in den
Pausen, durch seine Aeußerungen über die Sozial-
demokratie durchwegs bekundet, daß ihm dieselbe von
seinen Berathern nicht als das geschichtliche Erzeugnis;
geschichtlicher Ursachen, sondern als ein Auswurf schlech-
ter und verruchter Gesinnung dargestellt worden ist,
gewissermaßen als ein Geschwür am Leibe von Gesell-
schaft und Staat, das rücksichtslos ausgebrannt wer-
den muß. — Frhr. v. Schor keiner, der iu der
Stichwahl doppelt u. z. in Bochum und Hamm-Soest
gewählt wurde, wird die Wahl in letzterem Wahlkreis
annehmen, weil derselbe bei einer Neuwahl dem Cen-
trum leicht verloren gehen könnte, da nur eine augen-
blickliche glückliche Konstellation den Sieg des Centrums
möglich gemacht hat. In Bochum dagegen sind die
Verhältnisse für's Centrum nicht so kritisch, als in
Hamm-Soest, dort dürfte bei einer Neuwahl der Sieg
des Centruins weniger in Frage stehen, zumal wenn
ein den Handwerkern und Bergleuten sympathischer
Kandidat aufgestellt wird. Ein solcher dürste Pro-
fessor Freiherr von Hertliug iu München sein
Aus Süddeutschland. Die daher. Centrums
Partei hat sich gut gehalten und sämmtliche 63 Man-
date, die sie im letzten Reichstage inne hatte, wieder
errungen. — Oberbürgermeister von Fischer in Augs-
burg wandte, um zum Siege zu gelangen, zuletzt
noch das verzweifelte Mittel an, die Nachricht zu ver-
breiten, der Kaiser werde zu dem uu Juli stattfinden-
in England auf. Sie sind überlistet, mein Herr Detektive,
Sie sind überlistet, Lord Ormond!"
Mit einem leichten spöttischen Lachen kehrte sie an
ihren Ankleidetisch zurück. „Was aiebt es heute?" über-
legte sie. „Ach, den Ball bei Lady Derwent. Ich will
mich zu dem Feste ankleiden und dann meinen Vater auf-
suchen und mit ihm sprechen. Er wird mir vorausichtlich
etwas über seine »estrige Entdeckung zu sagen haben.
Armer Papa!"
Magda hatte alles zu dem Gesellschaftsanzuge für ihre
Gebieterin Nothwendge bequem zurechtgelegt- Der Schmuck-
kasten mit seinem glitzernden, funkelnden und schimmernden
Inhalt stand geöffnet da. Kleider und Unterröcke waren
auf dem Sopha ausgebreitet.
Beatrice trat vor den hohen, von geschnitztem Elfen-
bein umrahmten Spigel, und begann ihr langes dunkles
Haar auszubürsten, das sie in einem einfachen Knoten im
Nacken befestigtigte. Das bernsteinfarbene Atlaskleid mit
dem Ueberwurf von echten Brüsseler Spitzen mar schnell
übergeworfen. Kopf, Hals und Arm wurden mit den un
schätzbaren Berril'schen Familien-Diamanten geschmückt.
So ausgestattet und den juwelenstrahlenden Fächer in der
Hand, zog sie sich nach einem letzten Blick auf ihr Spiegel-
bild in das Nebengemach zurück, ganz wieder die kalte,
unnahbare Dame.
Mit ihren Gesellschaftsgewändern hatte sie auch wieder
ihren Gesellschaftscharakter angenommen, und die zarte
Anmuth und das liebliche Lächeln, das die Gräfin Arevalo
auszeichnete, abgelegt-
Sich umwendend bemerkte sie Magda, die mit einem
befriedigenden Lächeln durch die geheime Thür eingetreten
war.
„Es ist Alles in Ordnung, Euer Gnaden," sagte sie
„Ick wanderte bis zu einer sicheren Entfernung, legte meine
Verkleidung in einem finsteren Thorweg ab, und der
Spion da drüben, der mich ruhig wiederkommen sah, läßt
sich nicht träumen, daß ich die alte gebrechliche Frau von
vorhin bin."
„Ich danke Dir, meine treue Magda, und werde be-
müht sein. Deine Ergebenheit zu belohnen."
 
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