Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

DOI chapter:
Nr. 31 - Nr. 40 (7. Februar - 18. Februar)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42837#0125

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Erscheint t««lich mit AuSnahm«der Sonn-».Feiertage.
tzkMLWKNW Organ M Wanrneü, Fraknl« MM.
^st Triigerlohn, durch die Post bezogen Viertels 1.80 franco.

Inserate die 1-spallige Petitzeile oder deren Raum IO
Reklame 25 ^L>. Für hiesige Viescbäfts- und Privat«
anzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende Rabat!«
bewilligung. Expedition: Zwingerstraße 7.

^I. ZI.

! Verantwort!. Redakteur: F. Z. Knappe
i» Heidelberg.

WckkT zrktfU dm 7. Wnm.

Druck». Verlag vonGrbr. Huber in Heidelberg
früher Verleger des Pfälzer Boten.

1890.

Jas Kartkll seit M.*)
st Das politische Gesammtziel des Kartells.
Das deutsche Volk steht vor der wichtigsten Reichs
iagswahl seit Gründung des deutschen Reichs, denn
der 20. Februar 1890 soll darüber entscheiden, ob
unsere ganze innere Entwickelung euer Reichstags-
Mehrheit dauernd preisgegeben werden soll, die das
Staatswesen nach ,ihren selbstsüchtigen Parteizwecken
dirigiren und es einer Politik dienstbar machen will, die
die Erschlaffung unseres öffentlichen Lebens, die Erschüt-
lerung unserer verfassungsmäßigen Zustände und den all-
gemeinen Unfrieden im Innern zur Folge haben müßte.
In den schönfärberischen Darstellungen der Kartell-
Parteien steht es freilich anders zn lesen. Da dient
die ganze Einrichtung des Kartells nur dem äußeren
und inneren Frieden. Insbesondere ist es die Haupt-
interessentin des Kartells, die nationalliberale Partei,
welche in dieser Weise das Volk zu täuschen versucht.
In ihrem Wahlaufruf von 1887 sowohl wie in dem
jüngst erschienenen wird Friede, Friede Allen verkün-
digt; fern von allen persönlichen Gegensätzen, unbe-
fangen und unabhängig sollen die Vorlagen der Re-
gierung geprüft und lediglich nach sachlichen Rücksich-
ten beurtheilt werden, so erklärt der am 27. Januar
d. Js. veröffentlichte nat.-lib. Wahlaufruf. Da war
der freikonservative Abgeordnete v. Kardorff, dem
der Verstand allerdings leichter auf die Zunge springt
als es seinen Parteifreunden lieb sein mag, doch weit
offener. Er erklärte kurz und bündig am 7. März
1887 im Reichstag als Grundsatz des Kartells: „Wir
werden uns auf's Eifrigste bemühen, alle Fragen
wirtschaftlicher, sozialer und konstitutioneller Art
Unter dem höheren Gesichtspunkte zu betrachten: wie
weit können und dürfen diese Fragen geeignet sein,
die Majorität zu gefährden. Unter diesen großen
Gesichtspunkt müssen wir alle Fragen unterzuordnen
ülchen." In diesen Worten spricht sich die Selbst-
sucht des Kartells in der unverhohlensten Weise ans.
Es wird ein in den Berathnngsgegenständen liegender
fachlicher Zwang nicht anerkannt, sondern lediglich
Varteitaktische Erwägungen, die Rücksichten auf den
Zusammenhalt des Kartells sollen maßgebend sein bei
den Berathungen der Volksvertretung. Wir wollen
den Personen nicht zu nahe treten, aber was Herr
v. Kardoff unbewußt, aber aus innerem Drange ans-
Jesprochen, steht, auch wenn er es bestreitet, im Gegen-
satz zu den christlichen Lehren und ist Verrath an den
Interessen des Vaterlands. Das christliche Sitten-
*) Nachdruck nur mit deutlicher Quellenanaabe gestattet
sir'setz fragt nichr nach der Parteiraisvn, und hoch über
den Parteien steht das Wvhl des Vaterlandes nnd
des Volkes. Ihnen allein haben wir zu dienen. Das
Kartell aber stellt das Gewissen und das Volkswohl
bei einer Politik, die alle Fragen unter dem Gesichts-
winkel der Gefährdung seiner Majorität betrachtet, in
die zweite Linie.
Wir müssen Herrn v. Kardorff zugestehen, daß
er nicht der Erfinder dieser bösartigen politischen
Taktik ist. Vor ihm haben dieselbe schon Andere
formulirt, darunter die „Konservative Korrespondenz"
das offizielle Organ der deutsch-konservativen Fraktio-
nen. Auch ans dieser Seitr wurde erklärt, daß man
politische Aufgaben, welche dem Zusammenschluß der
Nationalliberalen, Freikonservativen und Deutschkon-
servativen entgegenstehen, zurückhalten müsse, was,
wie die „Kreuzzeitung" richtig bemerkte, dazu nöthigen
würde, die brennendste» Fragen brach liegen zu lassen
und eine „Politik der Filzpantoffeln" zu führen.
Es ist ja auch ganz klar, daß die Kartellparteien
eine solche Politik führen müssen, denn sie sind eine
zusammengewürfelte Gesellschaft, in der die wider-
sprechendsten Grundsätze und Interessen vertreten sind.
Die Deutschkonservativen rekrutiren sich hauptsächlich
aus dein protestantischen Adel nnd dem Grundbesitz,
sie sind nach Familientradition, Interessen und Grund-
sätzen znr Vertretung der bäuerlichen Verhältnisse
und des Handwerkerstandes geneigt, wie sie anderer-
seits nach der geschichtlichen Entwicklung von jeher
nur inAnlehnung an die Krone politisch sich geltend
gemacht. Mehr oder minder vertreten sie auch
die strenggläubige Richtung im Protestantismus.
Die Natinnalliberalen sind auf Seiten des Prote-
stantenvereins, je weniger kirchlich gesinnt man
sich giebt, desto lieber ist es ihnen. Die National-
liberalen sind im Kampfe gegen das Königthum und
für den Parlamentarismus groß geworden, wäre nicht
das Jahr 1865 und die Lösung der deutschen Frage
in preußischem Sinne dazwischen gekommen, so wäre
es dem nationalliberalen Elemente in Preußen niemals
gelungen, in günstige Beziehungen znr Krone zu tre-
ten. Endlich aber wurzeln die Nativnalliberalen aus-
schließlich in der Großindustrie und dem Großhandel,
sie sind die Hauptvertreter des Großkapitalismus im
Gegensatz zur Landwirthschaft nnd zum Handwerk.
Und daraus folgt dann noch der naturgemäße Gegen-
satz in sozialen Fragen überhaupt, bei welchen die
Nationalliberalen um so befangener sind, je mehr sie
die Industrie zu beherrschen streben. Und trotzdem
wollen Nationalliberale und Konservative zusammen im
Kartell Politik treiben. Das kann doch nur geschehen,
wenn beide Theile den Dingen nicht auf den Grund
gehen nnd in allen politischen Fragen nicht deren
sachliche Bedeutung in den Vordergrund stellen, son-
dern fragen: Was verträgt sich mit dem Kartell?
Daß dein Kartell dabei selber nicht Wohl zu Muthe,
ist bekannt. Aber es bleibt äußerlich doch beisammen,
weil es das Mißtrauen der im Kartell geeinigten Par-
teien so erfordert. Die Nationalliberalen fürchten,
daß die Konservativen nach Bismarck's Tode ans
Ruder kommen könnten, während umgekehrt die Kon-
servative« die Besorgniß hegen, die Nationalliberaleu
könnten dereinst zur Herrschaft gelangen. Und so ver-
einigen sich beide, um sich als Ganzes zu präsentiren
und die gesonderte Beförderung der Theilparteicn zu
verhindern. Die Nationalliberaleu glauben dadurch
die Konservativen von konservativer Politik abzuhalten,
wie die Konservativen hoffen, auf solche Weise die
Erstarkung des Liberalismus zu verhindern. Was
daraus entsteht, haben wir in den letzten 3 Jahren
vor uns gesehen. Bald lagen sich die Kartellparteien
vor Freude in den Armen, wenn sie mal bei irgend
einer Frage einig waren, bald zogen ihre Blätter in
der heftigsten Weise gegen einander zn Felde und
führten das widerlichste nnd ödeste Parteigezänk auf.
Und gerade jetzt sehen wir wieder, wie bei den Wahl-
abmachungen in den einzelnen Kreisen die Kartellpar-
teien einander in der nngenirtesten Weise zn hinter-
gehen suchen.
Wie unehrlich und widernatürlich das Kartell ist,
können wir ja am deutlichsten in Bauern sehen. Hier
gehen nicht nur bei den Landtagswahlen und in der
bayerischen Abgeordnetenkammer die Nationalliberalen
mit den Deutsch-Freisinnigen zusammen, sondern sie
stehen auch bei den Reichstagswahlen in engster Wahl-
verbrüderung, ob wohl doch bei uns in Baden wie
auch iu Preußen die Nationalliberalen als die heftigsten
Gegner der Deutschfreisinuigen sich geberden.
Die Wähler werden sich zu fragen haben, ob sie
noch länger einem solchen Treiben zusehen wollen. Sie
werden am 20. Februar ihr Votum darüber abzu-
geben haben, ob sie ihre eigenen Interessen und das
Staatswohl einer Parteicligue unterordnen wollen, die
lediglich die Sucht, sich zur Herrschaft im Staate auf-
zuschwiugen, zusammengeführt hat, nnd welche, uneinig
im Wollen und Thun, sich nur bei einer allgemeinen
Versumpfung unserer inneren Verhältnisse behaupten
kann. Schon am 21. Februar 1887 hat diese Clique
nicht die Mehrheit der Wahlstimmen auf sich vereinigt,
werden die Wähler ihr trotzdem zum Siege verhelfen?
PM, m,,WsBlMkl"MMmi.
Nach dem koUstrnv Salesinnv erzählt von einem
5) Salcsianischcn Mitarbeiter.
„Allein Wir baben Briefe, wir haben Beweise." *)
„Aber wenn Briese und Beweise gegen michlvorliegen,
Warum halten mir Eure Excellenz keinen vor.
w In diesem Punkte, Herr Minister, verlange ich keine
Gnade, sondern Gerechtigkeit. Bon Ihnen und von der
*) Zur Erklärung riefe« Beharrens Farini's, daß kompro-
wittirende Briete existircri, bient folgende früher nicht bekannte
fl.balsache. Mons. Luigi Fransvni halte damals im Sinne aus
^üiem Exil in Lyon an die Pfarrer ein Rundschreiben zu senden,
"»L in der Befürchtung es konnte bei der Post unterschlagen
Werten, gedachte er ts durch Vertrauen-Personen zuslellen zu
^sscn. Deshalb schrieb er an Den Bosco, und bat ihn er möge
!^>>i hierin Hilfe leisten und günstige Antwort geben: aber der
§r-ef des Erzbischsfes an Don Bosco wurde geöffnet und aus
AHehl des Ministeriums kvnfiscirt. Davon wußte Don BoSco
wchts, bis er, nachdem die berichteten Untersuchungen und die Bc-
E^eltung mit Farini vorüber waren, einen anderen Bries von
Fransom erhielt, in welchem dieser ihm mittheilte, er habe,
er keine Antwort erhielt, sich für die »erlangte Dienstleistung
ssd andere Personen gewendet Da erst entdeckte Don Bosco einen
sst Gründe, weshalb die Regierung ihn solange im Verdachte einer
^«t hielt, womit er gar nichts zu thun lxrtte.
2. Farini, im Besitze des kvnfiscirleu Briefes, hätte denselben
Bosco zeigen könnncn; aber vielleicht hielt ihn die Scham
^r eine solche'Besetzung des Briefgeheimnisses zurück. Uebrigcns
, ar dieser Bries keinerlei Beweis, da er nicht von Don Bosco,
Addern vom Erzbischof geschrieben war
. . Briese aus der Poft anzubalten, war damals sehr im Schwung
t es manche Thatsachen beweisen; in jeder Postabtheilung war
Beamte r aufgestellt mit dem Titel eines Verifikators, von dessen
^'beiten die wichtigste war, zu verifiziren, d. h zu kontrolircn, ob
?'üfe ankamen oder abgegeben wurden an Personen, die man,
/P es birst für Feinde der Neuordnung der Dinge hielt, llttd
geschah, trotz des Gesttzes, zur Ehre und zum Ruhm der
Regierung verlange ich Gerechtigkeit, nicht meinetwegen,
denn ich fürchte nichts; sondern wegen so vieler armer
Kinder, welche ganz niedergcbeugt sind von den wiederholten
Untersuchungen und von dem Anblick der Polizeibeamten
in ihrem friedlichen Asyle, und bei deren Eintreten weinen
und zittern. Mein Herz kann es nicht länger ertragen, sie
in einem solchen Zustande zu sehen, von der Presse sogar
dem öffentlichen Urtheile überliefert. Für sie also fordere
ich Gerechtigkeit und Wiederherstellung der Ehre, damit
ihnen nicht das Brod zum Leben fehle.
Bei diesen letzten Wor'en schien Farini verwirrt und
ergriffen Er erhob sich und schritt schweigend durch den
Saal. Nach einigen Minuten öffnete sich eine Thüre und
es trat ein — Graf Kamille Kavour, damals Minister des
Auswärtigen und Präsident.
Mit lächelnder Miene und sich die Hände reibend,
fragte er, als ob er nichts von Allem wüßte.
„Was gibts ? — Ach! man nehme ein wenig Rücksicht
aus diesen armen Don Bosco - fuhr er dann mit aller
Gutherzigkeit fort — und wir ordnen die Dinge in Güte
(freundschaftlich) Ich war Don Bosco immer wohlge-
neigt und bin es noch. Was ist also, wiederholte er, in-
dem er »hn bei der Hand nahm und zum Sitzen einlud."
Beim Anblicke Kavour's und bei diesen Aeußerungen
seines Wohlwollens sah Don Bosco voraus, daß die An-
gelegenheit einen guten Ausgang nehmen werde, nicht etwa
weil Kavour in politischer Beziehung besser war als Farini,
denn darin waren sic gleich, sondern weil er mit Don
Bosco auf freundschaftlichem Fuße stand, Einrichtung und
Zweck des Oratoriums kannte, öfter es besucht hatte und
sogar an den kirchlichen Feierlichkeiten theilnahm- Daher
crwiedcrte Don Bosco mit Herzhaftigkeit-
„Herr Gras I Jenes Haus in Baldocco, das Sie oft
besucht, belobt uud beschenkt haben, will man zerstören;
jene armen von den Straßen und Plätzen aujgelesenen
Kinder, die dort zu Arbeitsamkeit und gutem Lebenswandel
angeleitet werden, und welche Ihnen ein Gegenstand des
Wohlgefallens waren, will man mir entreißen und der
Hiflosiakeit und der Gefahr böse zu werden überlassen;
dieser Priester, den Ew. Excellenz oft bis zum Himmel
erhoben mit Lobesbezeugungen, die so wenig verdient
waren, wird jetzt dargesiellt als Reaktionär, ja als das
Haupt einer Ve scbwöcnng. Was mich mehr als alles
andere schmerzl, ist dies, daß ich, ohne daß mir ein Grund
gesagt wurde, in Untersuchung gezogen, belästigt, öffent-
lich geschmäht wurde zum großen Schaden meines Insti-
tutes, das bisher unterhalten wurde von der Liebe zu
seinem guten Rufe. Noch mehr: Die Sittlichkeit der Reli-
gion, die Sakramente wurden von den Regierungsagenten
verhöhnt in meinem Hause und in Gegenwart der Kinder,
die Dadurch geärgert wurden. Ich schweige von anderen
Dingen, die äußerst lästig waren, da ich es nicht für mög-
lich halte, daß sie im Einvernehmen mit Ew. Excellenz
angeordnct wurden. Ich weiß nicht, was mit mir ge-
schehen wird, aber diese Thatsachen können nicht auf die
Dauer den Lmtcn vervorgen bleiben und früher oder später
wird doch Gott sie rächen."
„Seien Sie beruhigt, lieber Don Bosco, seien Sie
beruhigt, versetzte Kavour; und seien Sie überzeugt, daß
Niemand mit Ihnen übel will. Wir beide waren immer
Freunde und wollen es auch in Zukunft bleiben. Uebrigens
haben Sie eincu Fehler gemacht, lieber Don Bosco, nnd
Einige haben, Ihr gutes Herz mißbrauchend. Sie verleitet,
eine Politik zu verfolgen, welche zu traurigen Folgen
führt-"
„Welche Politik und welche Folgen.' Der katholische
Priester hat keine andere Politik als die deshl. Evange-
liums und fürchtet keinerlei Folgen. Die Minister aber
halten mich für strafbar und bezeichnen mich so vor aller
Welt, ohne auch nur einen Beweis für die Anklagen vor-
zubringen, die man gegen mich und meine Anstalt aus-
streut." _
„Da Sie mich zwingen wollen, zu reden, versetzte
Kavour, so sage ich Ihnen gerade heraus, daß der Geist,
der seit einiger Zeit bei Ihnen und in Ihrer Anstalt
herrscht, unverträglich ist mit der Politik, welche die Re-
gierung verfolgt; daher schließe ich so: — Sie stehen zum
Papste; aber die Regierung ist gegen den Papst : also sind
Sie gegen die Regierung. Da können Sie nicht entschlüpfen."
(Fortsetzung folgt.)
 
Annotationen