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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 91 - Nr. 100 (23. April - 3. Mai)
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E

1890

Druck m Verlag von Gebr. Huber inHeidclberg!
früher Verleger des Pfälzer Boten.

scheint täglich mit Ausnahme d« Soun- u. Feiertage.
^»vuemeutSpreiKmit dem wöchentlichen Unterhaltungs-
„Der S onntagSb vt e" für Heidelberg monatlich SV
^rägerlvhn, durch di e Post bezogen viertüj. 1.80 franco.


KsrautNsrtl. Redaltsur: F. Z. Knappe
io Heidelberg.

Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum 10
Reklame 25 M Für hiesige Geschäfts» und Privat-
anzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende Rabatt-
bewilligung. Expedition: Zwingcrstratze «.



* MMW MWr GchMk«.
Tie vom Abgeordneten Bassermann am letzten
^mftag in der Kammer angeregte Debatte, welche
Mchiedene Zeitungsartikel über die unwürdige Be-
sudlung der politischen Gefangenen in Baden zum
^genstande hatte, veranlaßte Herrn Ministerialrath
?- Jagemann zu einer langen Rede, die den Zweck
Mte, die in den erwähnten Zeitungsnachrichten ange-
M'ten Thatsachen als unrichtig darzustellen und Re-
gung sowohl wie Beamte zu rechtfertigen. Herr
bemann hat herzlich wenig Glück mit diesem Ver-
gehabt, er berichtigte zwar einige Angaben, aber
Thatsache, daß politische Gefangene in Offenburg,
Minendingen, Freiburg, Mannheim und Bruchsal wie
Meine Verbrecher behandelt wurden, hat er nicht be-
^lligen können. Insbesondere sind die auch im „Bad.
Mksh." gemachten Mittheilnngen über die einer Frau,
in einen Geheimbundsprozeß verwickelt war, wiber-
Ärene Behandlung größtentheils unwidersprochen ge-
den. Herr Jagemann sagte, die Regierung mache
Erdings einen Unterschied zwischen gemeinen und po-
^stchen Verbrechern. Wie sieht es aber in Wirklich-
M damit aus'? Selbstbeköstigung, eigene Beschäfti-
Mg und Tragen eigener Kleider, das pflegen die
^uptwünsche der politischen Verbrecher zu sein.
dfElbstverköstigung kann im Interesse einer „geordneten
Verwaltung" nicht gewährt werden, wie Herr Mini-
Malrath meinte; beim Verlangen nach eigener Be-
lästigung hat man eine Menge Einwände; das
Mgen eigener Kleider ist das Einzige, was mau
"er gestattet. ,
Herr Jagemann hat sich in seiner Rede auf das
Mguiß zweier Mannheimer Redakteure, Becker und
My, berufen, über deren Behandlung im Mannheimer
Mangnisse auch Klage geführt worden war. Beide
hMn sich, so führte der Herr Ministerialrath aus,
-ö' ihrer Entlassung bedankt, Herr Frey sogar mit
Aränen der Rührung in den Augen. Die beiden
Mdakteure haben sofort in der „N. Bad. Ldsztg."
M einem ausführlichen Bericht über ihre Erlebnisse
Bkannbeimer Gefängnisse geantwortet und Herrn
gewann widerlegt.
>, Herr Becker, der zwei Monate wegen eines Preß-
Mgehens abzubüßen hatte, erhielt nicht die Erlaub-
„ eigene Kleider zu tragen; nur das Benutzen ei
-Mr Unterkleider wurde ihm gestattet; im Uebrigen
Me Sträflingsmontur anzuziehen. Während der
Mn 14 Tage hatte Herr Becker Düteu zu kleben,
rs^chdenr ich dem Herrn Direktor" — schreibt er —

„mittheilte, daß mir die fragliche Arbeit, weil zu mo-
noton, nicht zusage, erhielt ich, durch Verwendung von
anderer Seite, die Vergünstigung, mich mit dem Schrei-
ben von - Adressen beschäftigen zu dürfen. Im Ue-
brigen wurde ich behandelt wie jeder andere Straf-
gefangene, indem ich allen Vorschriften der Hausord-
nung — sogar das Kopfhaar wurde mir nach einiger
Zeit geschnitten — unterworfen war, nur mit dem
Unterschiede, daß mir der Herr Direktor beim ersten
Rapport bei ihm als „Vergünstigung" einräumte, nicht
„die Schule" besuchen zu müssen. Dies ist die ein-
zige Vergünstigung, die mir geworden." Als weitere
Beweise für die ihm gegenüber angewandte zarte Rück-
sichtnahme theilt Herr Becker mit, daß er, weil er sich
über das Ungeziefer in seiner Zelle beschwerte, geuö-
thigt wurde, diese selbst zu reinigen; daß ihm ferner
im April trotz der herrschenden Kälte das Feuer ent-
zogen wurde, so daß er sich einen Kehlkopfkatarrh
znzog. Innerhalb seiner Haftzeit verlor Herr Becker
etwa 20'Pfund an Gewicht und war noch längere
Zeit nach derselben nicht im Stande, seinem Berufe
sich zu widmen.
Herr Frey theilt in seinem Berichte mit, daß er
mit Gicht und Gelenkrheumatismus behaftet ius Ge-
fängniß eintrat, um eine iimonatige Strafe abzubüßen.
Auch ihm wurde die Benutzung eigener Leibwäsche
zugestanden, die sonstigen Wünsche wurden ihm „mit
Rücksicht auf die Hausordnung" abgeschlagen. Bei
der „Einkleidung" erkältete sich Herr Frey derart, daß
er heftige rheumatische Schmerzen bekam nnd bettlä-
gerig wurde; eine Aenderung in der Beköstigung trat
gleichwohl nicht ein. Zunächst wurde auch er mit Düten-
machen beschäftigt, alsdann durfte er schriftliche Arbeiten
machen. Spürer hatte der Gefangene einen zweiten
heftigen Anfall von Gelenkrheumatismus, während
dessen ihm eine ähnliche „Pflege" zu Theil wurde.
Am 29. Juni wurde er begnadigt, am 1. Juli ent-
lassen; er war so leidend, daß er von zwei Aufsehern
in eine Droschke getragen werden mußte Zum Schlüsse
schreibt Herr Frey: „Obgleich ich uuu keine Veran-
lassung hatte, mich gegen die Direktion des Landes-
gefängnisses selbst zu beklagen, diese handelte nach
den Vorschriften — so hatte ich aber auch nicht ent-
fernt eine solche, mich wegen der Behandlung zu be-
danken. Gedankt habe ich lediglich den beiden Auf-
sehern, die mir einen Liebesdienst erwiesen, indem sie
mich in die Droschke trugen, und die Thränen in den
Augen rührten, einestheils von den Schmerzen her,
die mir meine kränken Glieder verursachten, anderer-
seits waren es Freudenthränen, weil ich meine Frau

, Treuer Kiede Kohn.
Roman von ll. Rosen.
(Nkchdr Verb.)
sehr Jedermann ihm zugethan ist," seufzte Giralda.
du- "er hex Diener glaubt ihn des Verbrechens schuldig,
Hstw Man ihn anklagt, der Marquis aber ist von dem
rd^rsuch überzeugt."
-Ter gnädige Herr mtheilt nach dem Schein, wir
lhtzMr liebten Herrn Gottfried zu sehr, um ihm etwas
Hin. zuzutrauen. Lord Ormond, der hetzte den Herrn
„ HPs ge.en ihn auf!"
Ü? -Mese Worte klangen noch in Giralda's Ohren, als
der Q^n Ritt fortsetzte. Sie näherte sich mehr und mehr
Auf einer Anhöhe, welche die Umgegend beherrschte
»„sM sie Halt, und ihre Augen ruhten zum ersten Male
blauen schaumgekrönten Wellen des Ozeans. Zu
h>kw.Rechten war ein hoher Leuchtthurm sichtbar, und
Äe« Segel schimmerten am Horizont. Unter dem Schutz
?^ie iienriffes dehnte sich ein hübsches, kleines Dors aus
'eg Matte des Berges krönte ein vielthürmigcs Schloß, des-
^LsÜer im Sonnenschein wie riesige Juwelen glitzerten.
><h rD^as ist eine jener alterthümlichen Burgen von denen
so viel gelesen habe," murmelte Giralda. „Es
^Zvstlich sein, dort oben zu leben, und das ewige
ih Oshkn der Wellen, die sich am Fuße des Felsens brechen,
^»ren. Ist Has Schloß sehr alt. Thomas?"
I ^.Hunderte von Jahren, gnädiges Fräulein. Das
T Adlerhorst, eine der Besitzungen Lord Grosvenor's.
gehört zu den reichsten Adelsgeschlcchtern des
Md k dem Tode seines Vaters hat der junge
'einsiMs Schloß kaum mehr verlassen, in dem er wie ein
'"vier haust."
»und wo sind seine Angehörigen?"
'vH i"^H lmd tobt- Er steht ganz allein in der Welt. Ich
"dr UMkvr neulich durch das Dorf reiten. Er ist ein
junger Mann."
^hMM.Fuße des Hügels, den Giralda jetzt hinunterrilt,
^Uud "n von einem wilden Bergfluß durchbrauster Ab-
über den eine leichtgefügte Brücke gespannt war.
-Vw Brücke sieht mir nicht sehr sicher aus," dachte

Giralda, „aber da sie täglich von einer Menge von Leuten
überschritten wird, will auck ich mich hinüber wagen.
Warten Sie, Thomas, bis ich drüben bin," rief sie dem
Diener zu, „und dann erst folgen Sie mir."
Sie trreb ihr Pferd an, und das gut geschulte Thier
gehorchte.
Das Klirren der Hufe aus den lockern Brettern wurde
gehört, ein entsetzlicher Krach folgte, ein Zischen, Spritzen
und Tosen, und die Brücke stürzte zusammenbrechend in
die Tiefe und würdevoll den Äasserfluthen hinweggewirbelt
Giralda hatte im Instinkt der Selbsterhaltung nach den
überhängenden Zweigen eines Baumes gegriffen, und sich
fest an dieselben angcklammert, während ihr Pferd von
dem Strome mit sorkgerissen wurde. Im nächsten Augen-
blick hatte sie einen mächtigen Ast erklettert, und saß bleich
und zitternd über den schäumenden brausenden Wogen.
Mit Entsetzen fühlte sie, daß die Wurzeln des Baumes
langsam nachgaben.
Am jenseitigen Ufer lief der alte Diener verzweifelt
umber. ..Was soll ich Ihun, gnädiges Fräulein?" rief er
in Todesangst. „Der Baum kann eine zweite Last nicht
mehr ertragen, und ich din zum Unglück kein Schwimmer."
„Beruhigen Sie sich, Thomas," sagte Giralda, die
ihre Fassung wiederpewonnen hatte. „Ueberzeugen Sie
sich zunächst, ob die Wurzeln sich schon ganz zu lösen
drohen ?"
„Sie werden kaum noch fünf Minuten halto."
„So müssen Sie eilen, Hilfe herbeizuholen."
„Hilfe? Ehe ich das Schloß erreicht habe, würden
Sie längst ertrunken sein."
„Ist denn kein bewohntes Haus in der Nähe, Thomas?"
„In der Nähe? Nein. Aber, o, Gott, dort oben sehe
ich ein Pferd und einen Reiter "
Auch Giralda bemerkte die heransprengende Gestalt.
„O, gnädiges Fräulein, jetzt sind Sie sicher!" rief
Thomas. „Das ist Lord Grosvenor. Wenn einer Sie zu
retten vermag, ist er es."
„Ich verstehe nicht, wie er das anfangen sollte. Wenn
er nicht bald zur Stelle ist, bin ich verloren. Ach, mein
tapferes Thier, meine schöne Suleika hat sich dis an das

und einen damals 7jähr!gen Knaben, der mit in der
Droschke saß, wiedersah. Am 9. Juli, als ich wieder
annähernd auf den Füßen stehen konnte, trat ich eine
Kur in Wildbad an, „die ich seitdem alljährlich wie-
derhole."
Mau ersieht aus dem Vorstehenden, daß der Ver-
such des Herrn Ministerialraths Jagemanu, die laut
gewordenen Beschwerden zu widerlegen, gänzlich ver-
unglückt ist. Es wird thatsächlich kein Unterschied
zwischen politischen Gefangenen und gemeinen Ver-
brechern gemacht, mag die Regierung sich auch immer-
hin in der Theorie für einen solchen Unterschied aus-
sprechen. Statt zu beschönigen und in Abrede zu
stellen, sollte die Regierung lieber auf eine Besserung
denken.
Deutsches Reich.
* Berlin, 24. April. Die „Kreuzztg." theilt unter
Vorbehalt mit, daß zwischen dem Kaiser nnd dem
Fürsten Bismarck lebhafte Verhandlungen über die
Auslieferung von Schriftstücken stattge-
funden hätten, welche vermuthlich auf die Einsetzung
der Regentschaft sich beziehen. — Unter der Ueber-
schrift „Bismarck im T ns kn l um" schreibt der
parlamentarische Korrespondent der Brest. Ztg. u, a:
„Fürst Bismarck hat die Anschauung vertreten, daß
eine Opposition gegen das Ministerium auch eins
solche gegen den Kaiser und König sei, weil
in Deutschland und Preußen die jeweilige Regierung
die Politik des Kaisers zur Ausführung bringe. Er
hat auf das Heftigste die Ansicht bekämpft, daß der
König über den Parteien stehen könne und solle, daß
man seine Person bis über die Wolken erheben dürfe,
wo sie unsichtbar werde. Tritt jetzt Fürst Bismarck
in das parlamentarische Leben ein, so kann er kaum
umhin, mit dem Satze" zu beginnen, daß eine Opposition
gegen die jeweilige Regierung sehr wohl möglich sei,
ohne eine gegen den Monarchen gerichtete Spitze zu
haben. Thnt er das, so widerruft er damit eine
Reihe von Anschuldigungen, die er gegen die frei-
sinnige Partei (und andere Parteien) erhoben, nnd
das kann uns nur willkommen sein."
* Berlin, 24. April. Der Gesetzentwurf über
die Verwendung der Sperrgelder befriedigt
die preußischen Katholiken keineswegs. Das Centrum
hat mit voller Berechtigung erwartet, daß das Kapital
selbst und nicht blos eine Rente den einzelnen Diö-
zesen zurückgegeben würde und zwar zur freien Ver-
wendung und nicht zn Zwecken, die erst mit der Re-
gierung vereinbart werden und deren Zustimmung
finden müssen. Es ist zu erwarten, daß das Centrum
Ufer durchgekämpst. Helfen Sie ihr, Thomas. Wie das
arme Geschöpf zittert," ricf Giralda, während ihre Ge-
danken sich abscbiednehmend dem fernen Baterhause, den
Brüdern, der Aufgabe zuwendeten, die sie unvollendet zu-
rücklassen mußte.
„Suleika ist gelandet!" jubelte Tbomas. „Sie ist un-
verletzt, aber.o, Himmel, der Baum sinkt, u.Sie gehen unter."
Giralda öffnete ihre Lwpen, um den schreckgelähmten
alten Mann zu trösten, aber sie sprach nicht. Ihr ver-
zweifeltes Anae hatte ein Boot entdeckt, das pfeilschnell
heranruderte. Die Hoffnung zog wieder in ihre Seele ein.
„Halten Sie sich fest," rief ihr eine frische, jugend-
liche Stimme zu. „Lassen Sie den Baum um keinen Preis
los! Fürchten Sie nichts! In einer Minute bin ich bei
Ihnen."
Das Boot kam rasch näher. Giralda hatte Zeit, die
entschlossene Haltung des Mannes zu bemerken. Berstend
und krachend senkte sich der Baum in das hochaufwirbclnde
Wasser.
Thomas erhob ein Jammergeschrei.
Der Mann im Boote sagte kein Wort. Mit einer-
hastigen Bewegung ergrfff er einen der Baumzweige. Das
Boot schwamm neben Giralda.
„Wersen Sie sich hinein," ricf er kurz. „Ich werde
Sie auffangen."
Giralda gehorchte dem Gebot ihres Retters und fiel
in seine ausaebreiteten Arme. Während er wieder das
Ruder in Bewegung setzte, nahm das Mädchen ihm gegen-
über Platz und sah durch Thränen lächelnd dankbar zu
ihm auf.
Er war nicht älter als dreiunzw anzig Jahre, und
ichön wie ein jugendlicher Apollo. Seine vornehme Er-
scheinung und die Gewandheit seiner Manieren bekundeten,
daß er den bevorzugten Gesellschaftsklassen angehörte.
Seine Augen waren dunkelbraun, ernst und von fciuge-
zeichneten Brauen überwölbt, Haar und Schnurrbart
goldbraun. Der edle Ausdruck des Gesichtes deutete auf
scharfen Verstand und hohe moralische Kraft.
Giralda's jugendliche Phantasie erblickte bereits einen
Helden in ihm. (Forts, folgt-l
 
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