Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Lokalanzeiger: Neuer Heidelberger Anzeiger (27) — 1901

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43807#0787

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext










Er ſcheint 4015 mit Ausnahme der Soun- und Feiertage.
Us Beilagen das „Heidelberger Bolfsblatt“ und das 8feitige
Yauftrierte Sonntagsblatt“. Preis 36 Bfig., mit den Bei-
Blättern 40 Pfo. monatlich. Durch die Bolt vierteljährlich
1 IE, ohne Beftelgeld. :














Anzeigen; die 1paltige Petitzeile oder deren Raum

20 Pfg Lokale Geſchäfts— und Privat-Anzeigen bedentend

ermäßigt. Reklamen 10 Pfg. Für Aufnahme von Anzeigen

an beftimmten Tagen wird nicht garantiert. Gratisverbreitung
durch Säulenanſchlag.














Nr. 196.




Freitag, den 23. Auguſt





Zu teuere Miniſter.
Um Miniſtern und ſonſtigen Leſern unſeres Blattes
keinen Schrecken einzujagen, wollen wir von vornherein
feierlich verſichern, daß uns nichts ferner liegt, als Miniſter—
ſtürzerei treiben oder gar die Autorität untergraben zu
wollen. Auch das liegt uns nicht im Sinne, auf eine
Herabſetzung der Minſſtergehälter zu dringen und den
ſchlechten Grundſatz anzuwenden, Waaren und Leiſtungen
und ſo auch Miniſter aus der billigſten Quelle zu be—
Ziehen. Dagegen möge es geſtattet ſein, den Finger auf
eine wunde Stelle unſeres ſozialen Lebens zu legen,
zumal dieſe Wunde wieder mehr als je zu brennen
beginnt. N
€ it noch nicht lange über ein Jahr her, da wurde
man nicht müde zu verfichern, daß wir in Millionen
ſchwimmen und im Fett erſticken Der Sat war auch
ganz richtig — bis auf das Meine Wörtchen „wir“. Wer
waren die „wir“, deren Segel vom Winde des Glücks
gebläht und deren Schiffen vom Strome mirtfchaftlihen
Aufſchwungs dahin getragen wurde? Keineswegs alle
Deutſchen, ſondern nur ein großer Teil, ſoweit er mit
Induſtrie, Handel und Grundbeſitzz auch landwirt
ſchaftlichem natürlich, zuſammenhinge Im großen Beamten—
heere dagegen, unter Aerzten, Lehrern und überhaupt unter
den {tudierten Beruf-flajjen, [Olich ein glänzendes Elend
umber, das fich um fo jcheuer vor dem Lichte des Tages
barg, als in der Deffentlichkfeit ja immer von dem Golde,
in dem wir erfticten, des Nühmens Fein Ende war. Dabei
wußte jedermann, der fich im Leben ein wenig umſah,
daß alles überfeßt war, zehn, zwanzig und nod) mehr An—
märter auf das Sterben eines Vordermanues warteten,
daß ein mahrer „run‘ entftand, wenn es galt, ein frei-
gewordenes Hungerleiderämtchen zu ergattern, daß viele
und gut vorgebildete Deutjche froh fein mußten, ihr käg⸗
liches Brod mit Verrichtungen zu verdienen, die weit unter




























ihren Kenntniſſen und Fähigkeiten lagen
Wo es anging hatte die Regierung der anprallenden
Flut von Bewerbern einen Damm in Geſtalt neuer
Examensbedingungen entgegengebaut. Fortab gelang es
hun den von vornherein Bemittelteren, diefen Damm fieg-
Teich zu nehmen. Früher genügten drei Jahre Studiums,
um höhere Lehrer zu werden, bald wurden es ſechs bis
acht Jahre! Früher ernährte die ärztliche Kunft ihren
Mann, heute ijt das Aerzteelend in den Großſtädten ſo
tuchbar geworden, daß man fchon von „Lohnbewegungen“
der Merzte reden kann und die Regierung zur Abhilfe
ebenfalls das Arzt-Werden etwas mehr von dem Borte-
Monnaie der Eltern abhängig gemacht hat. Früher konnte
in Eiſenbahnbetriebe ein Streckenarbeiter oder Laufjunge
um Stations-⸗ oder Gütererpeditionsvorſteher aufrücken,
wenn er fleißig und anſtellig war, heute ſehen Taufende
junger Leute, die das Examen zu jenen Vorſteherſtellen
abgelegt haben, die Zeit in immer weitere Ferne rücken,

Aug' um Auge, Zahn um Zahn.
= 7 Roman von Karl Eden.
2 ; (adhorud berhoten .











2 Gortſetzung)
Donnington hatte den Fremden aufmerkſam beobachtet.
Wie oft fuchen wir vergebens in unferem Gedächtnis, um
ein Geficht wiederzuerfennen, das uns bekannt erſcheint;
®eorg mar überzeugt, daß er den Fremden ſchon früher



ſeinem Namen zu fragen.
Mein Name? S, ich habe ganz vergeffen, Ihnen
denſelben zu fagen, Arthur Middleton.“ .
Im nächiten Augenblig Hatte Georg den Fremden an
beiden Schultern erfaßt, während die ganze Szene am
AWafferfall des Yore wieder vor feinem inneren Auge er⸗
Ichien, Cr erinnerte fig der wilden Sturmflut, der wir-
enden Strömung, des fhreclichen Gefühls des Schwin-
dens der Kraft und feiner volljtändigen Hilflofigkeit.

„Crinnern Sie fich meiner nicht?“ rief er aufgeregt,
„Daben Sie vergeffen, wen Sie damals ans dem Yore
gerettet haben? Ich war's, Georg Donrington! Welch
glücliches Zujammentreffen! Ach, ich ehe, Sie fangen
An, mich auch miederzuerfennen! Gott {ei Dank für diefen
glücklichen Hufall, der Sie Hierher führte.“

„ Middleton dachte anfangs, der Gejchäftsführer des
Hauſes Bonham ſei in plötzlichen Wahnfinn verfallen, doch
Bald erinnerte auch er jih des Abenteners und beibe be






















erlangen. In Bibleotheken giebt c8 Bojten, die früher
völlig zufriedenjtellend von einem Wanne geringerer Bil-
dung verfehen wurden. Heute befommt man mit Leichtig-
keit ſtudierte Lente dazun Früher fing einer als Seger-
junge an und Konnte e8 zum Korrektor, und wenn er
anſtellig war auch zum MNedakteur bringen. Heute fängt
einer, ausgeftattet. mit dem völligen Rüſtzeug an Wiſſen,
das ein Redakteur beſitzen muß, nicht ſelten als Korrektor
an. Taufende gelernter Kaufleute find froh, wenn. fie
‚irgend ein Schreiberpöftchen bekommen. Allgemein kann
man {agen, daß in Deutjchland ein riefiges Kapital an
Kenutnijfen, Fähigkeiten und Erfahrungen einfady brach
liegt und daß die jeweiligen Befiger diefer Kenntniffe,
Fähigkeiten und Erfahrungen mit ihrem Loofe unzufrieden
zu jetm reichlich ©rund haben; Die Minijter wiffen dies
fehr wohl, denn fonit würden fe nicht den Petitionen der
vielen unteren und mittleren Beamten um Verbefferung
der Gehalts= und - Anftellungsverhältniffe den bekannten
Widerſtand entgegenießen, beziehungsweife bei der Er—
hörung der Beamtenbitten mit der einen Hand nehmen,
mas ſie mit der anderen eben erſt gegeben haben. Die
Min ſter wiſſen, daß bei geringer Berbeſſerung der Beamten⸗
ſtellungen das Ueberangebot von Bewerbern zu einem
Ueber⸗Ueberangebot wird und ſtellen ſich allgemach auf den
Standpunkt, die Kräfte für den Dienft ihrer Verwaltungen
möglichit billig zu beziehen, derart, daß fie Frauen, die
nicht verheiratet ind, feine Familie Haben und billiger
arbeiten, allmählich in die Stellen. der anfpruchsvolleren
Müönner mit ihren Familien einrücen lajffen. Wenn die
Minifjter dieles Prinzip nicht ſchon jetzt befolgten, ſo
müßten ſie es in Bälde wohl thun, denn angeſichts der
Folgen des wirtſchaftlichen Krachs, der über uns herein—
gebrochen iſt, angeſichts des vermehrten Angebots von auf
die Straßen geworfenen Arbeitsfräften, entlaffenen Bank-
beamten u. ſ. w. fönnen c$ die Minijter gar nicht wagen,
den noch jo berechtigten Klagen mittlerer und unterer
Beamten über Dienſtüberbürdung und Knapphaltung in
der Beſoldung Folge zur leiſten Es giebt ja draußen
biele Hunderte, die für weniger Geld gern noch mehr
leiſteten! A ;

Das ft die Lage. Würde man aber das Prinzip
billigſten Bezugs der Arbeitskräfte auch auf die Minifter
ſelbſt ausdehnen, ſo wird kein Kenner unſerer Verhältniſſe
leugnen können, daß in Deutſchland reichlich genug ehr—
geizige und befähigte Leute vorhanden ſind, um zehnmal
alle Miniſter zu erſetzen, wenn dieſe plöglich alle ihres
Amtes verluſtig gingen. Nur unſere in vieler Beziehung
rückſtändigen Verhältniſſe verſchulden eS, daß viele politiz
ſchen Talente erften Ranges, weil nicht in Konnexion mit
der höchiten Schicht befindlich, nicht an die rechte ihnen
geblihrende Stellung gelangen. Ginge e8 allein nach
S©aben und. Fähigkeiten und nicht auch nach Herkunft und
ererbtem Beſitz fo ift kein Zweifel, daß fich fogar für die

ſeitigen Erflärungen fragte Georg Donninator, wo fein

„m Hötel des embassadeurs; aber ih fürchte, fie

kommen jet.“ 020202 2
„Wir wollen zufjammen hingehen und die Sache in
Ihre Sachen nach unjerenı Haufe bringen; Sie müffen
mein Gaſt fein — ein höchft willkommener Saft — bis
wir überlegt haben, was gejchehen fol.“
So zog Middleton bei Georg ein und beide wurden

„Haben Sie die Neuigkeit gehört”, fragte ©eorg eines

gekommen war, es wird ein neuer Gouverneur kommen,
General Naryſchkin. Er ſoll den Auftrag haben, den
Nihilismus zu unterdrücken. Der alte Fahlenberg, der

Sälfigleit in Ungnade gefallen. Seitdem dieſe Bertha

Nikitzki den Oberſten Below erfehoffen Hat, werden im

ganzen HKeich wieder neue {Harfe Maßregeln ergriffen.“
Nun das iſt für uns gleichgültig; aber nach allem,

art; ein feines

A Mädchen, Bonnington, ich bewundere ihren
Mut!“








„Sie ſprechen wie ein ächter Nihilift", jagte Georg,

1901.

Minijterpojten ein Ueberangebot von vollauf befähigten
Kräften finden würde, d. h. mit anderen Worten, daß wir
unſere Minifjter verhältnismäßig zu teuer bezahlen. Man
bedenke nur, wie felten mwirklidhh einmal ein Genie darunter -
ijt, während politijche, aus der breiten Schicht des Volkes

Feruſprechanſchluß Nr. 621.




tägiger Widerſtände verbrauchen. Was könnte das deutſche
Volk ſein, wenn es um dieſen Punkt beſſer beſtellt wäre,
und was iſt es jebt? ;

Deutſches Reich.

Wilhelmshöhe, 22. Auguſt. Geſtern Nachmittag unter
nahm das Kaiſerpaar mit Gefolge einen längeren Spa—
ziergang durch den Habichtswald und heute Morgen in ge⸗
wohnter Weiſe einen Spazierritt. Später hörte der
Naiſer Vorträge. —

Homburg, v.d. H., 22. ONE — CVuatO
empfing mittags den-Befurch veS Großherzogs und der ©roß-


Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz und des


Uniform eines Rittmeifters der Leibgarde= Hırfaren trug.
Sämtliche Bejucher nahmen am Lunch in den Privatzimmern
des Königs teil. Wbends findet ein größeres Diner auf,
Ritters Terraſſe ſtatt.


gejamte NebungsSflotte am 3. September Kiel und trifft

am 7. September vor Danzig ein. Die Rückkehr nach,

Kiel ijt für den 20. September feftgefebt.
England,

Ein engliſches Blaubuch.

London, 21 Aug Heute iſt ein Blaubuch über

die engliſch-ruſſiſchen Verhandlungen bezüglich der Hinefi-


licht worden. Dasielbe zählt die wiederholten nach Peters-
burg gerichteten Protejte gegen die militärifche Thätigkeit
der Ruſſen auf Mehrere Depeſchen des englijhen Bot-


zu einer VBerftändigung.
1. November 1900 an den englifchen Gefchäftsträger zu


hätten, ohne zuvor die ruſſiſche Regierung zu Rate zu
Ziehen, ſo müſſen Sie die Thatſache betonen, daß die

Handlungsweiſe und Pläne der ruſſiſchen Offiziere im
fernen Oſten bezüglich der Eiſenbahn bon Niutſchwang
nach Peking und die Art und Weiſe, wie die Militärs
behörden mit dem Beſitztum engliſcher Unterthanen auf
dieſem Eiſenbahngelände umgingen, bet der englijHen Re-

gierung große Ueberraſchung hervorgerufen haben. Die


ringe Beachtung, welche die ruſſiſchen Offiziere an Drt



die Gensdarmen morgen früh vor Tage bei Yonen.

ausgerottet werden, oder nicht. Aber die Ankunft eines
Neuen Gouverneurs ijt eine andere Sache; bald wird die


gegen den Bertreter des Kaiſers an den Tag legen wollen
Wer bei dieſer Gelegenheit ausbleibt, würde Verdacht auf



Wahrſcheinlich“ ermwiderte Donnington im Tone
äußerſter Gleichgiltigkeit, der ſtark im Widerſpruch ſtand
zu der auffteigenden Nöte in feinem Geficht. „Haben Sie
nichts von England gehört?“ fragte er pIöglidh, um das
Geſpräch abzulenken.

„Ja; aber ich wollte Sie damit nicht beläſtigen Ich


gen beftätigen. Die Waſſerwerksgeſellſchaft war ein groß—


überlaſſen es ihren Opfern, darunter auch mir, ſich aus
dem Sumpf zu retten, ſo gut Sie können; nicht einen
Pfennig haben Sie mir geſandted—
„Das freut mid), eigentlich“, ſagte Donnington heiter,
„jet. Tönnen Sie bei uns bleiben. Sie müfjfen einen
Plaß in meinem Komptoir einnehmen, bis ſich etwas







 
Annotationen