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Heidelberger Lokalanzeiger: Neuer Heidelberger Anzeiger (27) — 1901

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Gricheinr täglich mit Ausnahme der Sonn« und Feiertage,

AS Beilagen das „Heidelberger Bolfshlatt“ und das Sfeitige |.

„Gluftrierte Sonntagsblatt“. Preis 30 Pfg., nit den Beis

Blättern 40 Bfg- monatlich. Durch die Poft vierteljährlich
1 Mk. ohne Beſtellgeld









Nr. 201. Sernſprechanſchluß Nr. 621.
Legendenbildung.

Vor allen anderen Völkern der Erde zeichnet ſich das

deutſche Volk durch ein ſcharfes Rechtsgefühl aus. Die




heftiger bewegt und erſchüttert werden, als dadurch, daß
in ihm das Gefühl erwacht, es ſei Jemandem ein großes
Unrecht geſchehen. Unter dem Eindruck dieſes Gefühls


ten, da das von dem Gumbinner Oberkriegsgericht ge—
— fällte Todesurteil im Gegenfaß zu feinem Rechtsbewußtſein
iteht. . Dabei liegt ihm jede böswillige ‚Zweifelfucht fern;
es ijt im jeiner großen Waffe vielmehr vollifommen Über»


beſten Wiſſen und Gewiſſen gehandelt haben, e8 macht
feinen einzigen von ihnen, weder den beiden gelehrtien
Richtern noch den fünf Offizieren, aus denen fich das
Oberkriegsgericht zuſammenſetzte, den Vorwurf wiſſentlicher
Ungerechtigkeit, aber es beharrt bei ſeiner Meinung, daß
in Gumbinnen ein Falſchſpruch gefällt worden iſt. Justitia
est fundamentum regnorum, die Gerechtigkeit ift das
— Fundament der Staaten. Wir alle fönnen zufrieden fein,
daß in dem deutſchen Volke ein ſo ſtarkes Rechtsgefühl
lebt, es iſt uns eine Garantie für feine Sebensfraft, ein
untrügliches Zeichen, daß ihm noch eine große Zukunft
hevorſteht
In dem vorliegenden, wie in jedem ähnlichen Falle,
ſchaffen ſich die Skrupel und Gewiſſensbiſſe, die die Volks—
beſchweren, durch eine merkwürdige Legendenbildung
Luft.
Goethe, der Glaube ſchafft ſich ſeine Wunder; ſo iſt es
mit dem Rechtsgefühl des Volkes auch beſchaffen es baut
ſich ſelbſt ſeine Gerechtigkeit auf, indem es neue Verdachts—
gründe ſchafft, Schuldgeſtändniſſe herbeibringt, kurz indem
es die Fama in Bewegung ſetzt, die des wirklichen Mör—
ders Spuren verfolgt und täglich, ja ſtündlich angebliche
Beweiſe der Unſchuld des Verurteilten und der Todesſchuld
eines anderen beibringt. Dabei iſt es ſchön zu beobachten,
wie das Rechtsbewußtſein des Volkes gleichermaßen be—
ſtrebt iſt, den Unſchuldigen zu retten und den wirklich
Schuldigen der Strafe zu überliefern
Leider achtet nur die eifrig ſchaffende Phantaſie gar
3 wenig auf die Wahrjcheinkichkeit und Folgerichtigkeit
hrer Darſtellungen; drei, vier und mehr Geſchichten wer—
den in einem Athemzug erzählt, von denen jede einzelne
die Richtigkeit aller übrigen ausfAließt. Aber weit davon
entfernt, aus diejer Erjheinung den Schluß zu ziehen, daß
das alles doch nur leeres Gerede fein könne, wird jede
neue Verſion vielmehr begierig aufgenommen und findet
Ihre Gläubigen. N
So ſonnenklar der Quell iſt, aus dem alle dieje Bäche
fließen, ſo achtungswert die Geſinnung, aus der Bemüh-
Angen hervorgehen, dahin mitwirken zu Helfen, daß im
Deutſchen Reiche Recht Recht bleibe, fo gefährlich iſt













— Donnerstag, den 29, Auguft

andererſeits doch die kritikloſe Verbreitung unkontrollier-
barer Gerlichte und Legendenbildung. Die Behörden vers
lieren den Mut, die Angelegenheit weiter zu verfolgen,
wenn fie Tag für Tag auf Pfade gewieſen werden, die
zu dem erftrebten Ziele garnicht führen können. Wahl—
und planlofes Handeln kann hier nur ſchaden Darum
warnen wir jeden, der da glaubt, daß in der traurigen
Sumbinner Angelegenheit das legte Wort noch nicht ge-
ſprochen ift, der eingetretenen Legendenbildung durch allzu
große Glaubensſeligkeit Vorſchub zu leiſten. Die Hoffz
nung, daß doch noch Licht in das Dunkel kommen werde,
iſt ja keineswegs ausgeſchloſſen, da entweder das Reichs—
militärgericht die Sache noch einmal gründlich erörtern
wird, oder doch ganz ſicherlich die kaiſerliche Beſtätigung
des Urteils, ſofern nicht die Begnadigung zur einer Freiheits-
jtrafe erfolgt, ſo lange ausgeſetzt wird, bis weitere Nach—
forſchungen ſtattgefunden und Klärung geſchaffen haben
Alſo Vorſicht in leichtgläubiger Aufnahme barer Legenden
Andererſeits iſt es natürlich ein Gebot der Menſchlichkeit
für Jedermann, der zur Aufhellung der Gumbinner Kata—
ſtrophe beitragen kann, ohne Scheu vor den Unannehmlich—
keiten perſönlicher Vernehmungen durch Polizei⸗ und
Gerichtsbehörden mit ſeinen Kenntniſſen und Erkundigungen
vor die rechte Schmiede zu gehen. Die Dinge liegen ſo:
der verurteilte Marten hat ſeine Unſchuld nicht beweiſen
können, andererſeits iſt ihm ſeine Schuͤld aber auch nicht
bewieſen worden. Der Zweifel iſt alſo berechtigt und er
wird nicht ruhen, bis er ſich zur Gewißheit hindurch—
gerungen hat.



Deutſches Reich.
BN. Rarlöruhe, 28. Aug. Am 27. 1. M. hat im
Minifterium des Yunern unter dem VBorfike Seiner Cr-
cellenz des Minijterialpräfidenten Dr. Schenkel eine Bes
fprechung mit einem Ausſchuß des badiſchen Landwirtſchafts-
rats über den Entwurf des Zolltarifgeſetzes und des neuen
Zolltarifs, ſoweit die landwirtſchaftlichen Verhältniſſe dabei
in Betracht kommen, ſtattgefunden. Es nahmen daran
teil ſeitens des Miniſteriums des Innern: Geh. Ober—
regierungsrat Braun, Minijterialrat Dr. Krems, Reg.-R.
Märklin, jeitens des Finanzminiſteriums Miniſter ialrat
Ballweg, ſeitens des badiſchen Landwirtſchaftsrats: Präſi⸗
dent Klein von Wertheim, der ſtellvertretende Präſident
Frhr. E. M. v. Göler von Sulzfeld, Sandtagsabhgeordneter
Dekonomierat ©. Frank Pforzheim, Gutsbeſitzer Dreher—
Wittlingen, Reichstagsabgeordneter Bürgermeiſter Schüler⸗
Ebringen, Reichstagsabgeordneter Faller-Bonndorf und
Landtagsabgeordneter Altbürgermeiſter Müller-Welſchingen.

Innern ähnliche Beſprechungen mit Vertretern der Induſtrie
und des Handels ſtattfinden. Die geſtrige Beratung ſoll
im ganzem einen erfreulichen Berlauf genommen, indem
weitaus die Mehrzahl der Anweſenden für eine Erhöhung



Ang' um Auge, Zahn um Zahn.

eoman von Karl Eden ——
222 * Dagdung verboten.)
Gortſetzung) 2
Gecorgs Blick mußte auf dieſe verdächtige Geſtalt ge⸗
fallen fein, aber er hatte ſie nie zuvor geſehen und nichts
an ihr erregte ſein Intereſſe Hütte cr aber gewußt,
welch großen Einfluß der Bericht dieſes Menſchen auf

feine Zukunft Haben ſollte, ſo würde er ſich für berechtigt
gehalten haben, ihn zu Boden zu ſchlagen. Es war
Michael Berolat, der Spion, der jedes Wort zwiſchen ihm
und Janina behorcht Hatte und jebt auf dem Wege ZU
Bodtetow war. 022 7
Dieſer wachſame Offizier Hatte ſich noch nicht zur
Ruhe begeben, als ſein Agent ankam, und die Nachrichten,

39


N hatte ſeine Karten vortrefflich gefpielt, den Fürſten Su⸗
datow beim Gouverneur in den [hwärzejten Farben ge-


— Petersburg erbeten, den verdächtigen Fürften zu verhaften.
General Nariſchkin war ſchon gegen den Fürſten einge
nommen und hielt ihn für einen gefährlichen Menſchen,
deſſen Beſeitigung vor allem nötig war, um dem NMihilis-
mus zu unterdrücen. Deshalb glaubte er Bodiskows
dreiſte Darſtellung, wonach der Fürft an der Spike aller


der mißverſtandene Philantrop plötzlich verhaftet und nach
der Hauptſtadt geſandt.








Bis jegt Hatten alle Anfchläge des Grafen einen gün-
Jtigen Verlauf genommen, jest aber jah er mehr als eine
Schwierigkeit vor fidh; da er Sudakom’s Brief an den


erfahren hatte, daß diefer feinen Wechfel bejaß, den er dem
Fürften Baranow gegeben Hatte, und jebt fand ſich, daß
er Georg auch als bevorzugten Rivalen bei Janina Bro—
mirsfa zu fürchten hatte. Das war fchlimm genug, doch
da er Kurilowitſch zur Seite Hatte, der bereit war, jeden
Augenblick gegen Donnington auszuſagen, ſo hatte er keine
ernſtliche Geſahr zu fürchten. Er nahm ſich vor, die
Fürſtin zu fruͤher Stunde am nächſten Morgen zu be—
ſuchen, um zu ſehen, wie die Sachen ſtünden
Als Bodiskow bei der Fürſtin vorfuhr, fand er ſie in
einem Zuſtand heftiger Erregung und Betrübnis, die ſich
beim Eintritt des Grafen nicht verminderte. Sie rief
laut, ein boshafter Verleumder müſſe dieſen Schlag ge⸗
führt haben, und äußerte die Abficht, fogleich um eine Au-
dienz beim ©ouverneur nachzujuchen. Mit vorzüglich ge—
fpielter Teilnahme und vielen gut gewählten Redensarten
verſuchte Bodiskow, ſie zu beſänftigen; er erbot ſich, den
General zu der Audienz vorzubereiten Die arme Dame
war bei ihrer ſchwachen Natur gewöhnt, immer bei an—
deren Stütze zu ſuchen, und nahm das Anerbieten
Grafen mit großem Dank an. Dieſer DONE DEE IM
fogleich und verließ fie viel ruhiger mit dem Berfprechen,



zurüczufehren, und fie zum Oouverneur zu führen zu je-









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Pt

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1901,

SEHEN EN
der Zolljäge auf Getreide gegenüber dem bekannt gegebenen
Entwurf fich ausiprach und namentlich eine Gleichſtellung
der Sommerfrüchte mit den Winterfräüchten verlangte.

Berlin, 28. Aırg. Das „Berl. Tageblatt” erklärt das
nad) dem Tode der Kaiferin Friedrich im mehreren Blät⸗
tern erwähnte Gerücht von einer Vermählung der Kai:
jerin Friedrich mit-ihrem langjährigen Hofmarfchall
Grafen v. Seckendor ff nach Mitteilungen von zuſtän⸗
digſter Seite als jeder Begründung entbehrend.

Berlin, 28. Aug. Das Kriegsminiſterium teilt über
die Bewegungen der Truppentransportſchiffe mit:
„Bahan am 21. Auguſt in Tongku angekommen. Das
Schiff verlor infolge Taifuns ſechs Boote. Alles iſt wohl.

Berlin, 28. Aug. Im Lichthofe des Zeughauſes fand
heute Vormittag die Nagelung und Weihe von 48 neuen
Feld zeichen hauptſächlich oſtpreußiſcher und weſtpreußiſcher
Regimenter ſtatt. Zugegen waren der Kaiſer, die Kaiſerin,
die Prinzen und die Generalität.

Berlin, 28 Aug. Bei der heutigen Fahnenweihe
trugen die 48 Fahnenunteroffiziere mit den neuen um—
florten Feldzeichen jämtlid die neuen Fahnen band o-
liere ohne Meberzug. Die etwa 10 Centimeter breiten
ledernen Tragbänder zeigen in der Mitte einen roten Zuch-
ftreifen, der zu beiden Seiten von einer breiten Goldtreſſe
umrahmt tft. Die Tragbänder, die von der linken Schnl-
ter zur rechten Hüfte getragen werden, enden in einer:
rotledernen Fahnentrage zur Aufnahme des Fahnenſchaftes
Nebrigens hat der Kaifer, mie das gejtrige „Miarines
verordnungsblatt“ meldet, bejftimmt, daß das Fahnenban—

Fernſprechanſchluß Kr. 621.


eingeführt wird. Die Farbe des Tuchſtreifens iſt weiß
die des Trejfenbejakes gelb. ; .

Berlin, 28. Aug. Wie wir aus zuverläſſiger Quelle
erfahren, hat der Kaiſer aus Anlaß des Ablebens der
Kaiſerin Friedrich dem Oberhofmeiſter Grafen Seden-
dorff den Stern der Komthure des Königlichen Haus-
ordens von Hohenzollern verliehen. 2
— Berlin, 28. Aug. Die Herbftpa radeam 2. Sept.
fällt aus. N

* *

Zur Wahlbewegung, 3

Durlach, 28. Aug. In Durlach-Land haben ſich

die Eentrumswähler entſchloſſen, von einer eigenen Kandi—

datur abzuſehen und den Demokraten Vorderer zu
unterſtützen. a

) Frankreich

Paris, 28. Aug. Das „Echo de Paris“ meldet, falls
der Sultan nicht innerhalb 24 Stunden nachgeben ſollte


und erfüllte fein. Berfprechen foweit, daß er General Na-


geſtrigen Zuſtand in ſolchen Farben fchilderte, daß der
Gouverneur ſich entſchieden weigerte, fie zu empfangen.

„Man kann doch nicht von mir verlangen, Bodiskow,
das Gejammer jeder verrückten alten Fran anzuhören!
Sagen Sie der Perfon, ſie ſoll nach Tiraspol abreiſen
und ihre Naſe nicht wieder in meiner Nähe zeigen Ich
jah fie geftern. Mbend, eine einfältige, eitle, alte Gans."

„Was foll ich thun?“ rief die unglüclihe Dame, als

der Graf ihr dieje Nachricht brachte. „Ih bin in volle
kommener Unwiffenheit darüber, wohin man meinen Mann
geführt hat.“ \ |

Laſſen Sie fi vom Gouverneur raten, teuerſte
Fürftin“, ermwiderte Bodiskow, „und nun kehren Sie [o-
gleich nach Tiraspol zurüc, wo Sie ruhig bleiben können,
bis ich erfahren habe, wo mein armer Freund gefangen
gehalten wird.
vergeffen, daß von der Regierung ein Kurator ernannt
werden muß, der die Güter Ihres GHerın Gemahls vers
waltet und die Einkünfte empfängt, bis dieje unangenehme
Gefchichte vorüber iſt. Sin {olcher Kurator kann fich jehr


höchſtes Glück es fein wird, Ihnen alle Sorgen abzu—


Halben Stunde geht ein Zug. Glauben Sie mir, ich rate

*










 
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