Erſcheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag, Donnerstag
und Samſtag. ~ Preis : vierteljährlich 40 kr. ohne
Trägerlohn und Poſtaufschlag. Inſ.-Geb. 2 kr. d. Z.
für Stadt
„¿. 44.
An meine Wähler im VUI. Wahlkreiſe.
(Bezirksämter Rastatt, Baden, Bühl, Achern).
Ich sehe mich zu meinem großen Bedauern genöthigt, das
mir vor wenigen Wochen durch eine ſo große Mehrheit übertragene
Mandat eines Abgeordneten iu den deutſchen Reichstag niederlegen
zu müſſen, da sich meine Geſundheit leider nicht ſo gekräftigt hat,
als ich hoffen konnte und als es nothwendig iſt, um die mit reger
Theilnahme am parlamentariſchen Kampfe nothwendig verbundenen
geiſtigen Aufregungen ertragen zu können.
Es iſt gewiß mir ſelbſt ein ungemein ſchweres Opfer nicht
Theil nehmen zu können an dem großen geistigen Kampfe für po-
ſitives Recht und wahre Freiheit, dem wir mit raſchen Schritten
entgegen gehen, allein mit Demuth füge ich mich dem höheren Wil-
len, der mir die Kraft verſagt, an hervorragender Stelle für das,
was ich sür wahr und recht erkenne, einzutreten. Auch fällt mir
dieser Schritt um so ſchwerer, als ich damit dem 8. Wahltreis die
Nothwendigkeit einer Neuwahl auferlegen muß.
Ich bitte meine Wähler dieſer Nothwendigkeit mit Würde sich
zu fügen und ihr Augenmerk auf einen Mann zu richten, der un-
ler Bekennung derſelben Grundſätze, welche durch mein e Wahl
ihren Ausdruck gefunden haben, in der glücklicheren Lage ſich be-
jvc. mit Energie und Ausdauer für die gute Sache eintreten zu
önnen.
Mir aber bitte ich eine freundliche Geſinnung zu bewahren
und meinen guten Willen der That gleich zu achten.
Heidelberg, 12. April 1871.
Jakob Liudau.
* Vo m R eich st ag.
11. Sizung am 4. April.
In der Fortſezung der Debatte über die Grundrechte erhielt
zuerſt der Abg. Pro bst das Wort: Schon auf dem Frankfurter
Parlament, führte er aus, habe man neben der Freiheit des Indi-
viduums zu gleicher Zeit die Freiheit der Genoſsenſchaften anerkannt.
Das ſei nicht blos von katholiſcher, sondern auch von proteſtantiſcher
Seite erfolgt, wie die Rede des Parlamentsabgeordneten Zittel da-
mals bewieſen habe. Dieſen Standpunkt habe er (Redner) ſtets ein-
genommen; dagegen habe er bei seinen freiſinnigen Freunden keine
Anerkennung damit gefunden, weil diese die Freiheit nur bis zu
der Gränze vertheidigten, wo es sich von der Freiheit der kirchlichen
Genoſsenſchaften handelte. Er sei der Centrumspartei beigetreten,
bei der seine Ideen Anklang fänden, einer Fraction, die merkwür-
digerweiſe bei ihrem Antrag auf Grundrechte von allen Seiten des
Samstag den 15. April
Inseraten - Inhalt der Annoncen-Expedi-
tionen von Rud. Mosse, Haasenstein&
und Cand. Vogler & G. L. Daube & Cie. in
München, Frankfurt u. Stuttgart ec.
Hauſes bekämpft werde. Im deutſchen Volke, besonders im Süden,
sei die Erinnerung an die Frankfurter Grundrechte noch nicht erloſchen,
und wenn daher heute die Fraction des Centrums weſentliche Be-
ſtandtheile derſelben verlange, während die anderen Parteien des
Reichstages sich dagegen ſtemmten, so werde das tief im deutſchen
Volke empfunden werden. Was die ſpeciellen Gründe betreffe, die
gegen die Fraction in's Treffen geführt worden, so bedauere er, daß
der Abg. Miquel abermals das bayeriſche „Vaterland“ hereingezogen
habe, obschon bereits im Zollparlamente jeder Zuſammenhang der
ſüddeutſchen Fraction mit diesem Blatte ausdrücklich in Abrede ge-
ſtelt worden sei, was auch für die Centrumsfraction gelte. „Meine
Herren, wenn man von ſolchen Mitteln Gebrauch machen will, was
würde uns hindern, Journalartikel aus der Taſche zu ziehen, mit
denen man uns bei unseren Wahlen im Süden entgegengetreten iſt ?
Ich könnte Ihnen nachweisen, daß man Vaterlandslosigkeit, Heimath-
losſigkeit, Zelotenthum, daß man alle möglichen Dinge und Perſön-
lichkeiten gegen uns gebraucht hat; ſollte ich etwa Sie dafür verant-
wortlich machen? Und in anderen Artikeln iſt, das wissen Sie
wohl, ausführlich hervorgehoben worden, daß dieſes neue deutſche
Kaiserreich der Hort des Protestantismus sein werde, das sei nun
einmal das Reich, das den Kathol:cismus in ſeine Schranken zurück-
führen würde, und der Katholicismus ſelbſt müſſe zu einer natio-
nalen Kirche werden, losgetrennt von seinem Oberhaupte, denn an-
ders würde Deutschland nie ein einiges Reich werden. Hat das
nicht in solchen Artikeln geſtanden? und wenn ich Ihnen das vor-
hielte und sagte, dafür sind Sie verantwortlich, würde das ein rich-
tiges Verfahren sein? Meine Herren, derſelbe Redner hat uns ge-
sagt, die Grundrechte an sich wären ſchon gut, aber daß man die
kath. Kirche als eine Weltkirche gleichſtellte der protestantischen und
ihr diese Rechte gebe, das sei nicht in der Ordnung, denn die kath.
Kirche werde einen ganz anderen Gebrauch vermöge ihrer festen Orga-
niſation davon machen, als es andere Kirchen vermöchten. Das ist
richtig, das iſt ganz gut denkbar. Ich möchte aber fragen, warum
Sie, wenn es ſich darum handelt, ein Recht zu geben, dies dem-
jenigen vorenthalten wollen, der nicht dafür kaun, daß ein Anderer
einen Gebrauch nicht davon machen kann. Sind wir denn dafür
verantwortlich, daß der Protestantismus davon den Gebrauch nicht
machen kann, wie der Katholicismus ? (Sehr gut ! rechts.)
Meine Herren, man hat von derſelben Seite von der weltlichen
Herrſchaſt des Papstes gesprochen; ich will Ihnen darüber meine
Ansicht gauz offen mittheilen und ich bitte Sie, uns auf dieſer Seite
des Hauſes zuzugestehen, daß wir mit vollſter Offenheit über alle
dieſe Fragen sprechen. Was die weltliche Herrſchaft des Papſtes
Wer hat das gethan?
(Eine YHeſchichte aus dem Leben.)
(Fortsetzung.)
Heinrich wechſelte die Farbe und ſchluckte einige Male, ehe er wieder zu
ſprechen begaun. „Ja, das habe ich. Ich habe gehört, ich stand hinter der
Thür, weil ich sagen wollte, daß das Abendessen fertig wäre; da hörte ich
mit eigenen Ohren, daß Leonhard sagte: Wenn sie kein Weib wäre, ich würde
ſie mit meinen Händen erwürgen! Jch gehe hin, ich stelle ſie zur Rede. So
lange ich die Zunge und die Hand rühren kann, soll dieß Weib nicht den Platz
meiner Mutter einnehmen. Liſette ſol aus dem Hauſe, oder es gibt ein Un-
glück !! Das habe ich mit meinen eigenen Ohren gehört.“
Der Präsident ſah fragend auf die zitternde Hermine.
„Heinrich, rief sie außer sich, das sagen Sie nur, weil Leonhard Sie un-
freundlich behandelt hat!" ;
. Z M Gu grzue rtl rt; ~ht
gtug 'Frau und seinem Kinde ſo viek Gutes. q. e haben th. zl bas
Gericht Sie wieder freigelaſſen hätte. Ich weiß, daß Sie unſchuldig sind und
ich kann nicht mit ansehen, wenn Sie unglücklich werden. Herr Heider iſt ein
veicher Mann, der kann was für ſeinen Sohn thun, aber für Sie thut keiner
was, es kümmert sich ja keine Seele um Sie.“
Zu ht Ur UR recacerntce a l PR z e Urs
§ igen 21
zusa! habe ja nichts geſagt, als was wahr iſt, entgegnete Heinrich unsſi-
<er und das mußte ich sagen, da ich geſchworen habe.“
_ HSie haben sich ſelbſt als Zeuge angeboten, fiel sie in höchster Aufregung
ein. Wie können Sie glauben, daß es mix etwas helfen wird, wenn Sie
Herrn Leonhard unglücklich machen, wegen einiger heſtigen Worte, wie er ſie
ſo oft ſagt, ohne etwas dabei zu denken? Was ihn trifſſt, das trifft ja auch
mich. Sie haben uns Beide auf dem Gewissen !“
Der Burſche fuhr zuſammen und sah ſie erſchrocken an.
gut gemeint", ſtammelte er. ;
„Ich habe es
„Und denken Sie denn gar nicht an die arme, kleine Anna, an Herrn
Heider ?“ fuhr sie fort.
„Herr Heider?“ wiederholte er mit einem Ausdruck verbiſſener Wuth.
„Herr Heider iſt an Allem ſchuld, der hat die ganze Geschichte eingerührt.“
; „Haben Sie dem Gerichte noch mehr mitzutheilen?“ fiel jezt der Prä-
ident ein.
„Nein, das iſt Alles, was ich weiß."
Der Präsident winkte ihm, ſich zu ſeßen, und befahl, den letten Zeugen,
Leonhard Heider, vorzuführen.
Nach kurzer Beſprechung mit den neben ihn ſitenden Richtern fügte er
hinzu: „Der Zeuge Leonhard Heider ſoll wegen der bei der Verhandlung
gegen ihn vorgetretenen Verdachtsgründe unbeeidet vernommen werden.“
Ein Murmeln der höchſten Spannung und Erwartung wogte durch die
Menge; alle Augen richteten sich auf die Thüre, durch welche Leonhard ein-
treten mußte. Außer der armen Hermine und Herrn Heider, den der ſteigende
Verdacht gegen seinen Sohn mit Entsetzen erfüllte, ſah wohl Keiner dem Er-
ſcheinen des jungen Mannes so ängstlich entgegen, wie der Vertheidiger der
Angeklagten.
Hilensrg Interesse für das liebenswürdige Mädchen hatte ſich von Stunde
zu Stunde gesteigert. Er hätte gern einen Theil ſeines Lebens darum gege-
ben, um das ihre retten zu können ; aber die Hoffnung, die er Anfangs gehegt
hatte, ſchwand in immer weitere Ferne, je mehr ſich ihm ihre Liebe zu Leon-
hard enthüllte. Es schten ihm nur zu gewiß, daß, wenn Leonhard des Mor-
des überwieſen wurde, für Hermine Tod oder Wahnsinn die Folge ſein werde.
Das Einzige, was sie vielleicht noch retten konnte, war nach seiner Ansicht
eine Umänderung ihrer Gefühle für ihren Verlobten. Wenn der Mann, für
den sie bereit war, Schmach und Tod auf sich zu nehmen, sich als ſo feige
und ſelbstſüchtig zeigte, daß er sich zu retten ſuchte, indem er das liebende
Mädchen ins Verderben stieß, mußte das nicht ihr Herz von ihm wenden ?
Wenn ſie einſah, daß sie ihre Liebe an einen Elenden verſchwendet hatte, daß
er ihres Opfers unwürdig war, dann mußte ja dieſe Liebe auſhören, und es
blieb nur der Schmerz der Täuſchung in ihrer Seele zurück; ſie mußte ohne
Bedauern den Mörder der Rache des Geſczes anheim fallen ſehen.
(Fortsetzung folgt.)