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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0211

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Deutſclan d.

* Heidelberg, 3. Mai. Von dem hiesigen katholischen Caſino
iſt folgende Adreſſe an die Abgeordneten der Centrumsfraction im
deutſchen Reichstage nach Berlin gesendet worden :

Hochverehrteſte Herren !

In einer Plenarsitzung des kath. Vereines in Heidelberg sind
wir unterzeichnete Vorstände beauftragt worden, Jhnen, hochverehrteſte
Herren, den tief gefühlten Dauk und die wärmſte Anerkennung un-
serer Vereinsgenoſſen für Ihr kräftiges und muthiges Eintreten für
die Prinzipien auszuſprechen, ſür welche wir seit Jahren unablässig
im badiſchen Lande ringen. Es iſt leider so weit gekommen, daß
die Kämpfe, welche wir unter schwierigen Verhältniſſen in Baden
in einer Reihe von Jahren zu bestehen hatten, nunmehr auf das
große deutſche Reich übertragen sind, ſtatt daß eine rückwirkende
Besſſerung von dorther auf die kleinen und oft kleinlichen Zuſtände
unſerer engeren Heimath sich vollzogen hätte. Gebe der Himmel,
daß aus Jhren edlen Bestrebungen reiche Früchte für Staat und
Kirche heranreifen und daß die Mächtigen begreifen, daß die Staa-
len, wie jett Frankreich und das unglückliche Paris beweisen, dem
Verderben entgegeneilen, wenn sie nicht auf einer geſunderen und
dauerhafteren Baſis ruhen, als auf den ſchaukelnden Wogen der
wandelbaren Tagesmeinungen und auf den wechſelnden Paragraphen
papierner Verfaſſungen! Möchten Staat und Kirche ihre Autorität
ſich wechſelweiſe gewähren, wohl wissend, daß durch die Untergra-
bung der einen durch die andere beide ihren innerſten Bestand er-
ſchüttern und den Feinden der menſchlichen Geſellſchaft und ihrer
geheiligten Ordnungen den Weg bahnen zur Vollendung ihrer un-
heilvolen Bestrebungen! Sie dagegen, m. H., haben das Richtige
mit hellem Blicke erkannt, –~ Sie wollen dem Kaiſer geben, was
des Kaiſers, Sie wollen anch Gott geben, was Gottes iſt d. h. Sie
ſtehen auf dem unerſchütterlichen Recht s b od en, der bei allen
wahrhaſt freien Völkern der Weltgeschichte das staatliche und das
religiöie Gebiet gl eichmä ßi g umſchloſsen hat.

Wenn wir daher Ihnen nochmals ein herzliches Glückauf zu
Jhrem ferneren Wirken zurufen , so geſchieht es in der sicheren Er-
wartung, daß Sie durch widrige Verhältnisse sich ebenſo wenig wer-
den entmuthigen lassen, als wir in den jahrelangen, von vielfachen
Rückſchlägen begleiteten Kämpfen zu beugen waren, sowie in der
zuverſichtlichen Hoffnung, daß von diesem Reichstage an unter Ihrer
Jnitative und Leitung alle Gleichgesinnten in ganz Deutschland sich
zu einer großen, feſt gegliederten Partei zuſammenschaaren, deren
Schwerpunkt in den preußiſchen Rheinlanden ruhen möge.

Genehmigen Sie, hochverehrteſte Herren, die Versicherung unſerer
unwandelbaren Verehrung, mit welcher wir zeichnen

Heidelberg, 2. Mai 1871.

Die Vorstände des katholiſchen Casinos in Heidelberg:
Dr. Leop. Fiſcher, prakt. Arzt.

Dr. Ferd. Bisſſing, Abgeordneter der II.

bad. Ständekammer.



* Heidelberg, 4. Mai. Aus Warſch a u wird der „Germania“
geſchrieben: Der Kriegslärm der ruſſiſchen Journale wird täglich
lauter und ebenso steigert sich jetzt wieder der Groll der nordiſchen
Panſlaviſten gegen O esterrei ch. Die neue Broſchüre des uni-
formirten Agitators F a d e j eff , des incarnirten Feindes Deutſchlands
und Deſterreichs, hat ihren Zweck vollständig erreicht, und den anti-
öſterreichiſchen Journalſtimmen das Kriegsgeſchrei zur Parole gegeben.
Bei alldem sind die militäriſchen Vorbereitungen, welche man in
leßter Zeit im Czarthum Polen in Angriff nahm, sowie die zahl-
reichen Beförderungen , welche die neu veröffentlichte Armeerangliſte
nachweist, die ſchlagendſten Beweise für eine auch in höheren mili-
täriſchen Kreiſen herrſchende kriegerische Stimmung. Stellt man nun,
und was wohl bei der herrſchenden Situation sachgemäß erſcheint,
nähere Betrachtungen über die ganze Lage und Fähigkeit der ruſſiſchen
Streitkräfte an, ſo kommt man zu dem Schluß, daß Deſterreich vor
einem Kriege mit Rußland auch ohne fremde Hilfe nicht zurückbeben
' dürfe. Die ruſſiſche Armee zählt gegenwärtig 173 Infanterieregi-
menter, deren Kriegsſtärke nach officiellen Angaben ſummariſch 719,680
Mann betragen ſol. Die Zahl der Schützenbataillone beträgt 29,
was unter den lettern eine Gesammtstärke von höchſtens 35,000
Mann ergibt. Weiter besitzt Rußland 53 Cavalerieregimenter, deren
Geſammtſtärke auf 60,000 Mann angegeben wird. Die ruſſiſche Artil-





Inseraten - Inhalt der Annoncen-Expedi-

tionen von Rud. Mosse, Haasenstein&
€ Vogler & G. L. Daube & Cie. in
München, Frankfurt u. Stuttgart rc.

1871.

den 6. Mai



lerie, welche aus 56 Brigaden besteht, begreiſtt 20,000 Mann mit
800 Geschüten. Nach obiger Aufstellung betrüge ao die Stärke
der ruſſiſchen Armee 834,680 Mann. Rechnet man hierzu die Koſacken-
heere und Lokaltruppen , so ließe sich wohl das ruſſiſche Heer auf
eine Million Köpfe veranſchlagen. Bringt man nun die in Asien
operirenden Truppenkörper, sowie die in den größeren Städten und
Festungen zur Besatzung nothwendigen Truppen in Abrechnung, ſo
dürſte die zur Operation disponible Truppenmacht höchstens 800,000
Mann betragen. Zur Aufstelung dieſer Operationsarmee an den
ſüdwestlichen Grenzen würde im günſtigen Falle eine Zeit von 100
Tagen reſp. mehr denn drei Monate erforderlich sein, wärend Desſter-
reich bei der Vollkommenheit seines Bahunetzes und nach Vollendung
der Linien Mancäcs - Lemberg und Biſtrit - Czjernowig nunmehr im
Stande ist, binnen 20 Tagen eine Armee von 4000500,000 Mann
an seine Nordostgrenze zu schicken. Weiter iſt Galizien und Dber-
Ungarn mit ausgezeichneten Kunstſtraßen nach allen Richtungen
durchkreuzt, was in der ſchnelleren Beförderung der Truppen von
wesentlichem Vortheil iſt – während man in Rußland Kunstſtraßen
vergeblich ſucht. Im Falle eines Rückzuges beſtände für Defsterreich
immer noch der helfende Uuiſtand, ſeine Armee unter die Mauern
der die Carl-Ludwigsbahn beherrschenden Feſtungen Krakau, Przemysk
uud Lemberg zu retten, wogegen das ruſſiſche Heer nach ciner ein-
zigen verlorenen Schlacht die yanze Bevölkerung Galiziens und Polens
als bewaffnete Gegner in ſeinem Rücken haben würde.

* Heidelberg, 4. Mai. Die ehrlicheren Gegner der kathol.
Kirche vermögen ſich auch mit Döllingers Vorgehen nicht zu befreun-
den, weil er keine „ganze Arbeit“ macht. Ein Mann wie Karl Vogt
ſpottet über Döllinger in der bitterſten Weiſe, wie wir im Stutt-
garter Beobachter geleſen haben, in welchem Vogt dem ,hochwür-
digſten“ Herrn Stiftspropſt seine Rede im Frankfurter Parlamente
vorhält, wo Döllinger die Freiheit der Kirche im Staate verlangt,
während er jetzt die Regierungen zu ihrer Bedrückang auffordert
und den Denunciantendienst für die Höfe pralliſch exercirt. Aber
man braucht noch kein Vogt zu ſein, um Döllingers Vorgehen als
ein halbes zu bezeichnen, – schon vom proteſtantiſchen Standpurtte
aus muß ſein Verhalten für völlig ungenügend erklärt werden. Dies
ersehen wir jetzt auch aus einem Aufsatz der Bad. Landeszeitung in
Fortſezungen mit der Aufschrift: „Das neueſte Dogma und das
Auftreten Döllingers.“ So feindselig auch sonst der Artikel gegen
die kath. Kirche ſein mag, so finden wir doch ein bemerkenswerthes
Zugeständniß in denſſelben, das völlig correct iſt vom proteſtantiſchen
Gesichtspunkte aus, ein Standpunkt, den auch die katholiſchen Unter-
zeichner der Döüllinger-Adresse annehmen müßten, wenn sie überhaupt
nicht längst mit der Ehrlichkeit auf geſpanntem Fuße lebteu ; es
heißt nämlich dort:

„Döllinger erklärt, daß er „als Chriſt, als Theologe, als Ge-
ſchichtskundiger und als Staatsbürger“ die Lehre von der Unfehl-
barkeit nicht annehmen könne, und er führt diesen Beweis glänzend,
überzeugend. Aber er höütet sich, hinzuzuſagen : „als Katholik.“ Er
ſtelt sich in der That, soweit uns Ketzern überhaupt ein Urtheil
in solchen Dingen zusteht, außerhalb des Katholicismus, wenn er
sich dem fertigen Ausspruch eines allgemeinen Concils nicht unter-
wirft, deſſen Gesetlichkeit anzufechten doch nach katholiſchen Grund-
sätzen sicher nicht die Sache eines einzelnen Kirchenlehrers iſt. Man
wird gar nicht beſtreiten können, daß der Erzbiſchof von München
ganz in seinem Rechte iſt, wenn er in der Erklärung Döllnger's
einen völligen Aufruhr wider die kath. Kirche sieht. Der Stiftspropſt,
ſjo behauptet der Hirtenbrief, habe die hiſtoriſche Forſchung über die
Kirche gestellt, die Entscheidungen der Kirche dem Urtheil der Ge-
ſchichtsſchreiber preisgegeben und dadurch das göttliche Lehramt in
der Kirche beseitigt. Hiergegen läßt sich von den Principien des
Katholicismus aus ſchwerlich viel einwenden. Alle Instanzen, welche
Döllinger anruft: Nachweis aus der Schrift, geſchichtliche Zeugnisse,
Zuſammenhang der Tradition, Wohl des Staats, sind hinfällig vor
dem Machtſpruch der Kirche.“ ;

* Heidelberg, 6. Mai. Wir erfahren, daß vielfach unter den
Katholiken des Landes der Gedanke angeregt wird, Zustimmungs-
adreſſen an die Centrumsfraction des Reichstages nach Berlin ab-
gehen zu laſſen. Es wäre dies ein sehr erfreuliches Lebenszeichen
dec badiſchen Katholiken; auch könnte man einfach die Zuſtimmung



zu der Adreſſe der Herren Dr. Fiſcher und Dr. Biſsing Namens
des hiesigen Casinos nach Berlin aussprechen, wodurch manche Miihe
 
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