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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0277

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) D 4:91 pr UT CCE, H
un : Van 4 Vogler & G. L. Vgzhs

Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag, Donnerstag y roncen cruso
und Samſtag. ~ Preiz: vierteljährlich 40 kr. ohne für §tadt e & Cie. in
Trägerlohn und Poſtaufschlag. Jns.-Geb. 2 kr. d. Z. München, Frankfurt u. Stuttgart tc.



¿. 70.

r Staat und die kath. Kirche im Großherzog-
thum Baden seit dem Jahre 1860®).

Aus Baden, 25. Mai. Unter obigem Titel (Verlag von
Duncker und Humblot, Leipzig 1871) hat Profeſſor Friedberg in
Leipzig ein durch die beigefügten amtlichen Aktenstücke sehr volumi-
nöſes Buch herausgegeben, in welchem er mit dem Motto ,vincit
veritas“ der Welt darthun möchte, welch’ ſchreckliches Unrecht die
badiſche Regierung ſeit elf Jahren durch die ſtreitſüchtige erzbiſchöf-
liche Curie in Freiburg erlitten habe. Nach dieser Darſtelung wäre
in der That die badiſche Regierung das Lamm, das dem Freiburger
Wolfe das Wasser getrübt haben soll, und das jeden Augenblick be-
droht sei, in seiner unendlichen Langmuth und Wehrlosigkeit zerrissen
zu werden, — alle Klagen der Katholiken über Bedrückung der Mini-
ſterien Lamey und Jolly seien grund - und gegenstandlos , und die
ganze kathol. Bewegung des Landes, die durch ihre Nachhaltigkeit
letzteres nicht zur Ruhe kommen lasse, beruhe lediglich auf Mißver-
ſtändniſſen und Verkennung der wahren Absichten der badiſchen Regie-
rung! Vie bei den alten Aegyptern die böſe Schlange Apep das
Licht der Sonne versſchlingt, so hat die Freiburger Curie es bisher
verſtanden, die wohlwollenden Absichten der großh. Regierung in das
gehäsſigſte Gegentheil umzukehren, – aber vincit veritas : der Hr.
Professor, deſſen reinste orientaliſche Abſtammung unzweifelhaft sein
wird, zeigt uns die eigentliche Sachlage im wahren Lichte, wie ja
jeder deutsche Profeſſor den Sag der atheniſchen Sophiſten: „aus
einem ſchlechtern Grunde einen bessern zu machen“ praktiſch zu exer-
ciren verſtehen muß. Möchte eine Vocation nach Heidelberg seine
badiſchen Studien lohnen!

„Die Kirche soll keinen Staat im Staate bilden, sondern unter
der Hoheit des Staates stehen“, + dies ist der allgemeine Satz, von
welchem der Verfasser in seiner Vorrede ausgeht, und welcher es
ihm ungemein leicht und bequem macht, alles, was seit Jahren ge-
gen die kath. Kirche in Baden geſchehev. iſt, vom miniſteriellen Stand-
punkte aus zu rechtfertigen, ~ so wenig auch die Kirche je daran
gedacht hat oder daran denken konnte, in dem „beſtregierten Muſter-
ſtaate diesseits des Oceans“ einen eigenen Staat für sich bilden zu
wollen. Der Verfasser lobt daher auch die badiſche Regierung bei
Beurtheilung der Geſeßgebung des Jahres 1860, daß sie „nicht die
landläufigen Wege des Liberalismus gewandelt iſt“, d. h. daß sie
die Kirche nicht freigeſtelt habe, wie es in Belgien und Preußen
geschehen, wo der betr. Verfaſſungsbeſtimmung zu Gunsten der Kirche
reichlicher „Unsegen“ für den Staat entſtrömt sei. Der Verfasser
hütet sich dabei wohlweislich, einen Vergleich zwischen jenen Ländern,
insbeſondere Preußen einerseits und Baden anderseits näher durch-
zuführen. Es würde auch ein vergeblicher Verſuch sein, Jemandem
die Ueberzeugung geben zu wollen, daß die bureautratisſch beherrſch-
ten kirchlich-politiſchen Zuſtände des badischen Ländchens geſundere
seien als die ungleich ruhigern, freiern und verderblichen Experimen-
ten weit mehr entzogenen Verhältniſſe des Großſtaates Preußen.
„Die badiſche Regierung wollte in ihrem Gesetze von 1860 keine
Trennung von Staat und Kirche“, versichert uns der Verfasser, was
ſehr unnöthig war, da er schon früher erklärt hat, daß die Kirche unbe-
dingt unter der Hoheit des Staates nach badischen Regierungsgesetzen
zu belassen ſei. Der §. 17 der Frankfurter Grundrechte von 1848,
wonach q,jede Religionsgesellſchaft ihre Angelegenheiten ſelbſtſtändig
ordnet und verwaltet“, ist in den Augen des Verfassers natürlich
ein „liberaler Doctrinarismus““, der lediglich dazu führe, „einen
Staat im Staate zu bilden.“ So sah auch die badiſche Regierung
die Sache an, und da sie der Theorie zu lieb wenigstens
durch ihre Geseßgebung die freie Bewegung der Kirche von
den hemmenden bureaukratiſchen Fesſeln unabhängig machen wollte,
ohne aber in der That nur einen einzigen Schritt in dieser Rich-
tung vorwärts zu kommen, so verwickelte sie sich in ihrer eige-
nen Geseßgebung in zahlloſe Widerſprüche. Wie zahllos diese
und die Verlegenheiten waren, in welche die badische Geſetzge-

*)_Da die Allgemeine Zeitung und andere Blätter das officiöse Buch des

Prof. Friedberg als muſtergültig anführen, so erlauben wir uns vorstehenden
Aufsatz der Köln. Volkszeitung mit wenigen Auslassungen dem officiöſen Opus

De



und dessen Lobrednern entgegenzuſeßzen. Das Buch des Prof. Friedberg iſt in

zwei Cxemplaren der hiesigen Universitätsbibliothek von d er Reg ier ung zum
Geschenk gemacht worden, hat alſo, wie wir sagten, officiöſen Charakter. Die
Redaktion des Pfälzer Boten. t ts

Dienstag den 20. Juni



1871.











bung durch ihr Schaukelſyſtem zwischen Freiheit der Kirche in
der Theorie und Bevogtung derſelben durch die Bureaukratie in der
Praxis gerieth, beweist uns der Herr Profeſſor ſelbſt am besten
durch seinen lehrreichen zweiten Abschnitt, der von der Besetzung der
Pfründen handelt. Jeder Modus, der hier zur Erzielung eines wahr-
haften Einverständniſſes zwiſchen Staat und Kirche im Laufe der
Jahre feſtgeſeßtt, abgeändert und durch einen neuen ersſeßt wurde,
zeigte sich als durchaus unzulänglich und weder den Interessen der
Kirche noch denen des Staates förderlich. Er machte selbst die ge-
heimen Wünſche vieler Bureaukraten zu Schanden, durch das ſtaat-
liche Patronatsrecht eine tief gehende Corruption des Clerus herbei-
uführen.

h Dasselbe gilt in vollſtem Maße auch von der ſtaatlichen Prü-
fung der Geistlichen, wonach dieſe vor der Zulassung zu einem Kirchen-
Amte den Nachweis einer allgemeinen wiſsenſchaftlichen Vorbildung
liefern sollen. Auch dieſe Bestimmung findet in einem besondern
Abschnitte unbedingte Gnade in den Augen des Verfassers, obgleich
von allen Parteien in Baden die Billigkeit und Zweckmäßigkeit der-
ſelben mi nd e ſten s angezweifelt wird. Hätten die Eeiſtlichen kein
Abiturienten - Examen nach vollendeter Lycealbildung zu beſtehen, so
würde sich nichts Wesentliches gegen eine solche Prüfung einwenden
laſſen. Aber sie haben ja eben ſo wohl wie die Studirenden welt-
licher Wissenschaften durch jene Prüfung den Nachweis ihrer allge-
meinen wiſssenſchaftlichen Bildung und humanistiſchen Studien zu
liefern. Es iſt alſo absolut nicht einzuſehen, warum sie, unter allen
Studirenden allein, nach mehrjährigen Universitäts- Studien und
praktiſchen Arbeiten in der Seelſorge das Abiturienten - Eramen der
Mittelſchulen zum zweiten Male abzulegen gezwungen ſein solüen.
Niemand wird verkennen, daß dieſe Zumuthung fast eine Be-
leidigung des geiſtlichen Standes enthält, von dem man voraus-
ſezt, daß er seine humaniſtiſchen Studien, den eigentlichen Schul-
sack, früher verloren habe als die Leute, die als Aerzte sich auf den
Straßen bewegen oder als angehende Beamte für die Reinhaltung
des Straßenpflaſters Sorge zu tragen haben. Diese Verordnung
erwies sich aber auch als praktiſch gar nicht durchführbar. Oder
glaubt vielleicht der Verfaſſer, daß die Kirchenbehörde die Hand dazu
bieten werde, von den Herren Bluniſchli, Schenkel u. s. w. ihre
künftigen Seelſorger nach Ersterer Sinn und Geiſt in der Geschichte
des Reformations - Zeitalters prüfen zu laſſen? So hat denn auch
kein einziger Kleriker sich dieſer ſeltſamen Verordnung gefügt; die
armen Pfarrverweser werden eher 100 Jahre alt werden, als daß
ſie die Jolly’ ſchen Fleiſchtöpfe der kirchlichen Armuth und dem kirch-
lichen Gehorsam vorziehen sollten.

Höchſt unglücklich iſt auch das Bestreben des Verfassers, in dem
zwiſchen der großh. Regierung und der erzbiſchöflichen Curie aus-
gebrochenen Streite über das Lehr-Jnſtitut Adelhauſen das Vorgehen
der großh. Regierung zu rechtfertigen. Die eine Thatsache allein
genügt, um den Vorwurf härtnäckiger Feindſeligkeit von der Curie
abzulenken : daß, obgleich die gewählte Vorsteherin des Inſtituts die
Mehrheit der Stimmen auf ſich vereinigte, gleichwohl dieſe Wahl
von der Regierung verworfen und die Candidatin der Minorität von
ihr in Amt und Würde eingeseßzt wurde. Ein ersichtlicher Grund
zu diesem einseitigen Vorgehen der Regierung lag nicht vor, und
obgleich die Curie, wie aus den vom Verfasser selbſt mitgetheilten
Actenstücken für jeden Unbefangenen bis zur Evidenz hervorgeht,
bis an die äußerste Grenze der Nachgiebigkeit und Versöhnlichkeit
gegangen war, ſchritt gleichwohl der nach Freiburg entſendete Mi-
niſterial-Commiſſar Jolly ohne weitere Umſtände vor. Ihm ist
es zu verdanken, daß die Regierung dem Streite durch Zerhauen
des gordiſchen Knoten, d. h. durch Auflöſung des klöſterlichen Inſti-
tutes, ein gewaltſames Ende machte. Die Regierung hatte in die-
ſer leidigen Angelegenheit Partei ergriffen für denjenigen Theil
der Kloſterfranen, der sich renitent gegen die kirchliche Obrigkeit
und die klösterlichen Satzungen erwiesen. Sie hatte alſo hier
keineswegs den Organismus der Kirche berücksichtigt und ihren aus-
übenden Beamten den Staatsſchutß gewährt; im Gegentheil war sie
begierig, dieſe geistliche Corporation aufzulöſen und mit Beibehaltung
der unkirchlichen Lehrfrauen aus derselben eine weltliche Schule zu
schaffen, die dem Gemeinderathe unterſteht und damit den katho-

liſchen Zwecken entzogen iſt. Die Curie hatte das ganz ver-

weltlichte Kloſter und Lehr-Jnſtitut reformiren wollen; aber die Re-
gierung duldete dieſes nicht: – wo war da die Toleranz, wo
 
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