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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0251

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für Stadt

Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienfſtag, Donnerstag
und Samſtag. ~ Preis : vierteljährlich 40 kr. ohne
Trägerlohn und Poſtaufſchlag. Ins.-Geb. 2 kr. d. H.

„ts. 63.



Deutſchlaud.
* Heidelberg, 1. Juni. Der Aufstand in Paris ist niederge-
worfen und die großen Verbrecher ſehen, so weit sie nicht ſchon der
Arm der Gerechtigkeit erreicht hat, ihrer Aburtheilung entgegen.
Wahre Scheuſale in menschlicher Gestalt haben die Führer der Ca-
naille Schandthaten verrichtet, die der furchtbarſte Hohn sind auf
die hochgeprieſene Gesittung unserer Zeit und wenn nun die äußerſte
Strenge gegen dieſe Leute zur Anwendung kommt, ſo können wir
dies. aus übertriebenem Humanitätsduſel à la Frankfurter Zeitung
u. s. w. keineswegs mißbilligen. Tiger, Wölfe und Hyänen, die
aus Menagerien durchbrennen, schont man nicht, sondern die Kugel
des. nachſezenden Jägers macht ihnen den Garaus, wo sie die Be-
ſtien erreichen kann; daß aber Tiger, Wölfe und Hyänen noch
reſpectable und mitleidige Geschöpfe sind im Vergleich mit den Scheu-
ſalen, die ihre Vorbilder Robespierre , Marat und Conſ. noch weit
übertreffen, dies unterliegt keinem Zweifel Angesichts aller Mord-
brennereien. der lezten Tage der Commune. Hier darf kein unzei-



tiges Mitleid walten, der Menſch, der seiner Menſchennatur sich so
völlig entkleidet und zum wilden Thier, zum Vieh herabſinkt, darf
nicht mehr unter Menſchen beſſerer Art wohnen, und so können wir
es nur billigen, wenn, wie es heißt, 30,000 gefangene Mordbren-
ner in überseeische Colonien transportirt werden sollen. Eine Reihe
von Rädelssührern sind auf den Barrikaden gestorben oder ſtand-
rechtlich erſchosſen worden, einige haben sich ſelbſt getödtet, wenige
nur sind entronnen, unter ihnen der berüchtigte Felir Pyat auf dem
nicht mehr ungewöhnlichen Wege per Luftballon. Jn allerlei Ver-
ſtecken halten sich noch eine Anzahl Schurken auf, deren man all-
mählig habhaft wird. Der wüthende Rochefort iſt gefangen in Ver-
ſailles und hat sich vor seiner Arretirung noch feig benommen ; der
verrückte Victor Hugo iar kaum in Brüssel angekommen, als ihm
die Bevölkerung eine großartige Katzeenmusik brachte und jetzt hat
die belgische Regierung ihn zum Land hinausgewieſen. Algemeines
Bedauern herrſcht mit dem Schicksale des Erzbiſchofs Darboy von
Paris, der noch aus dem Gefängniſſe heraus seine Kerkermeiſter
und Henker gegen die verſailler Regierung entſchuldigte und um
Schonung für sie bat und der troßdem ohne weiteres erſchoſſen
wurde. Ja, Frankreich iſt tief unglücklich geworden, und es wird
nicht eher beſſer werden, als bis eine ebenso kräftige wie gerechte
und tugendhafte Regierung die Geſchicke des Landes übernommen
hat und dieſe glauben wir am ehesten in der Perſon des Grafen
Chambord suchen und finden zu dürfen.

* Heidelberg, 2. Juni. Bismarck zürnt über die Rationaltbe-
ralen, ~ ,„ſinge mir, Muse, den Zorn des fürstlichen Kanzlers



Samstag den 3. Juni

| Bismarck“



2 In seraten- Inhalt der Annoncen-Expedi-
und Candi s ste
: E : § Vgglge Frankfurt u. Stuttgart rc.

Ä Ä SEE E



1871..



! Die unangenehme Debatte wegen der gemaßregelten
Poſtſecretäre, der Bunſen’ſchen Antrag zu Gunsten der Landwehr-
mäuner, vor allem aber die Stellung, welche die Nationalliberalen
in der Elſaß-Lothringer Frage eingenommen, hat die leicht erregbare
Galle des Fürsten in Aufregung verſetzt und die zitternden Natio-
nalliberalen, die immer noch, um nicht um allen Credit zu kummen,
ein klein wenig „Oppositiönchen“ ſpielen wollten, womit es aber
nicht so bös gemeint ist, müſſen sich jeßt von dem Leibjournaliſten
Braß den Text in der Norddeuiſchen Algemeinen Zeitung leſen laſ-
sen, und zwar wird ihnen da. so gründlich der Kopf gewaschen, daß
ſie gewiß bald dem Haſsenpanier von Freund Lamey kopfüber nach-
laufen werden , herzlich erfreut, wenn ihnen der ergrimmte Kanzler
nicht auch noch die letzte zu paſſirende Hinterthire vor der Naſe
verſperrt. Einstweilen aber heißt es in der Nordd. Alg. Ztg.: der
Liberalismus ſcheine in ſein altes Fahrwaſser zurückkehren zu wollen
d. h. er drohe neue Conflicte wie vor dem Jahre 1866 hervorzu-
rufen; „der Parlamentarismus“, heißt es weiter, „bewegt sich auf
einer abſchüſſigen Bahn und ſteuert auf Conflicte zu.“ Die ſehr
kategoriſche Schlußdrohung lautet aber: „Fürſt Bismarck hat es
nicht an Anstrengungen fehlen laſſen, um Mißverständniſſen und
Unklarheiten vorzubeugen. Wenn ſeine mahnende Stimme kein Ge-
hör findet, ſo wird. die Reichsregierung ihrerſeits zu beweiſen haben,
daß sie den Eruſt der Lage erkenn! und ſich ihrer Pflichten vollkom-
meu bewußt iſt.e“. Mit Recht bemerkt hiezu die Frankf. Ztg. : „Also
die einfache Umkehr, das. Strecken des Gewehrs iſt's, was Fürst Bis-
marck vou. der nationalliberalen Mehrheit verlangt. Conflict, Kampf
auf's Meſſer -– oder Ergebung auf Gnade und Ungnade –~ das
iſt die Alternative. Man wird nichl zweifeln dürfen, welche Alter-
native die Reichstagsmehrheit wählt." Sehr bezeichnend aber für
die Stimmung, die in den höchſten Kreiſen Berlins herrscht, iſt das
Wort der Nordd. Allg. Ztg.: „Der Liberalismus hat Frankreich
angesteckt und dabei vervrannten die Tuilerien.“ (Die Proviucial-
Correſpondenz äußert sich ſoeben auch in demſelben Sinn und in
noch malitiöſerer Form als die Norddeutſche Algemeine.)

* Heidelberg, 31. Mai. Unserer Freundin Landesbaſe iſt es
höchſt unangenehm , daß ein Theil der Preſſe, zu welcher wir auch
gehören, die wahren und tiefer liegenden Ursachen der entſetlichen
Verwilderung in Paris dem Mangel an religiöſlem Glauben der
Pariſer zuſchreibt. Die Landesbaſe fürchtet, wie es ſcheint, nach-
theilige Beurtheilungen der Fürsten und Minister für die antikirch-
lichen, bisher von ihnen gehätſchelten Beſtrebungen des vulgären
Liberalismus ; sie sucht daher darzuthun, daß der Materialismus



und der Unglaube mit dem Schreckensregiment in Paris gar nichts



Der dem Schaffot Entflohene.

(Novelle von Pr. J. F.)

(Fortsetzung.)

„Wo wohnt er ?"

„Im nächsten Flecken, nur ein paar Schritte von hier ; allein Sie würden
sich vergebens zu ihm bemühen; denn er iſt in die Stadt gefahren, und kömmt
erſt Abends zurück.“

„Das thut mir sehr leid. Nun, so muß ich warten bis er kömmt. Saget
auch Eurem Herrn, daß ich wieder kommen würde.“

„Wollen Sie nicht lieber auf ihn warten, er muß gleich hier ſein ?“

„Nein, nein! Er muß erst meinen Brief leſen, ehe ich mit ihm ſpreche.“

„Wie Sie wünſchen."

„Ich will mit Euch gehen , Ihr könnt mir den Flecken zeigen ; vielleicht
daß ich Jemanden auf dem Amte finde."

Die Beiden gingen hierauf fort, lange ohne ein Wort zu sprechen ; denn
tauſend Gedanken beſchäftigten den Kopf des Fremden.

Sidney hatte zitternd die ganze Unterredung vernommen; ſein Blut er-
starte zu Cis , als er hörte, wie ſich der Fremde nach einem Gerichtshof
erkundigte. Gewiß hatte er ihn erkannt und bei dieſem Gedanken gingen alle
erlebten Schrecken vor seiner Seele vorüber. Er ſah sich im dunkeln, feuchten
Kerker, ſeine Hände in ſchweren Ketten; er erinnerte sich, wie er aus demſelben
zum Verhör geführt wurde, wie er auf der Bank der Angeklagten saß. Neuer-
dings ſah er das Volk und die Richter vor sich. Ja, er erkannte das Gesicht
des. Fremden , seine Züge waren ſeiner Seele zu tief eingeprägt. Er ſaß. in
der Mitte der andern Richter; sein Blick durchbohrte das Herz. Er war es,
welcher das noch mit Blut befleckte Meſſer erhob, ihm vor die Augen hielt
und mit furchtbarer Stimme rief : Sieh hier das Blut Deines Bruders !
Mörder , kannſt Du noch leugnen? Er fühlte das Echo des damal!s ausge-
sprochenen Bekenntnisses in ſeimem Herzen widerhallen. Fieberfroſt rüttelte
ihn, wenn er daran dachte, in welcher dumpfen Verzweiflung er den Ausspruch
der Richter erwartete, wie er bei dem Worte „Schuldig“ zuſammenstürzte und
das Bewußtsein verlor. Der Menſch vermag sich keine Lage zu denken, in
welcher er noch. nie ſelbſt gewesen, ſo wie er von einem Schmerze keine Vor-

stellung zu machen weiß, den er selbſt noch. nicht gefühlt. Sidney erinnerte
sich, wie er wieder zum Bewußtsein gekommen, neuerdings vor ſeine Richter
geführt, und ihm die Sentenz vorgelesen wurde, daß er als Brudermörder durch
die Henkerhand auf dem Schaffot sterben sollte. Alle Gräuel jenes Tages
schwebten nun vor seiner Seele. Er hatte sie ſchon empfunden und empfand
sie jetzt doppelt, da er ihre ganze Furchtbarkeit aus Erfahrung kannte. Daz-
ſelbe. Loos stand ihm jetzt wieder bevor, wenn er erkannt würde; nur hatte
er nicht die geringste Hoffnung, ein zweites Mal zu entkommen, da er in einem
Lande lebte, wo die Polizei Millionen Augen hat, und Arme, die die Grenze
umfassen. Wurde er alſo entdeckt, ſo hatte er kein anderes Ende zu erwarten
als einen ſchmachvollen Tod. An eine Flucht war nicht zu denken, da. der
Fremde den Namen Sidney, auf welchen ſein Paß ausgefertigt war, kannte.
Sein wahrer Name war Mac-Duval, ward in allen Zeitungen als der eines
Mörders genannt und ohne Paß konnte er nicht zwei Meilen weit kommen.

Sidney brütete über tauſend Ideen ; er ſah ſich rettungslos verloren. Da
kam ihm piötlich der Gedanke , daß ihn Niemand kenne, daß sein Leben von
der Willkühr eines Menschen . . . . Wie, wenn er dessen Mitleid anflehe . . .
vielleicht? . . . . Doch nein, von dieſem Manne der Gerechtigkeit glaubte er
keine Gnade kein Erbarmen erwarten zu dürfen. Sollte er sein Leben auf's
Spiel setzen ? Gs war keine Zeit zu verlieren. Er beschloß, daher, den Fremden
aufzuſuchen und das Reußerste zu wagen. Eben trat er ins Haus, um ſich
mit dem Nöthigen zu verſehen, da hörte er Stimmen, Herr Dupre, desen
Frau, Karl, Clementine, Marianne und Simon kamen zurück.

Da näherte sich Simon und gab Herrn Dupre den von dem Fremden
erhaltenen Brief. Dupre erbrach ihn eilig und kaum hatte er einige Zeilen
geleſen, so rief er ſchmerzlich aus : „Himmel! was leſe ich! D mein Herz sagte
es mir vorher !‘

Alle t ihre Blicke auf Dupre und schienen in seinen Augen den In -
ihn durch Fragen zu

halt des Briefes leſen zu wollen; wagten es aber nicht, . §
ogleich

unterbrechen. Als Dupre gelesen hatte, ſagte er: „Simon, hol’ mir
Herrn Sidney“.
(Fortſezung folgt.)


 
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