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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0449

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orſcheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag, Donnerstag
und Samſtag. ~ Preis : vierteljährlich 40 kr. ohne
Trägerlohn und Poſtaufschlag. Inſs.-Geb. 2 kr. d. HB.

für Stadt
FZ 113.

+ Zur Verſammlung der Döllingerianer.

Wir haben schon in der letzten Nummer unseres Blattes her-
vorgehoben, wie wenig die geſammte unabhängige Preſſe von dem
Congreß der Protesſtkatholiken in München hält; heute kann man
ſchon weiter gehen und sagen: sie hält ihn für vollständig
geſcheitert. Zwar war Seitens der Protestler nichts verſäumt
worden, um ihre Verſammlung zu etwas Impoſantem hinaufzuſchrau-
ben, – sie haben alle ihre Capacitäten zuſammengetrommelt und
der alte Döllinger selbſt hatte sich nach einigem Zögern entschlossen,
der Verſammlung beizuwohnen; aber das gewonnene Reſullat iſt
hinter den Erwartungen aller Parteien weit zurückgeblieben. Nicht
als ob die Versammlung ſchwach beſucht geweſen wäre, ~ das sind
Aeußerlichkeiten, die hier weniger in Betracht kommen, zumal es
kein Kunstſtück iſt, in einer großen Stadt eine namhafte Zahl neu-
gieriger Leute anzulocken, indem man mit den Eintrittskarten ſo
ſplendid war, daß man, wie uns von München berichtet wird, ſogar
dort sich aufhaltenden Fremden die Karten aufdrängte, ~ davon
reden wir nicht, sondern von dem Berg der gefaßten Beſchlüſſe , der
richtig eine Maus zur Welt befördert hat. Wäre es doch ein gro-
ßer Jrrthum zu glauben, daß die Massen der bisher kirchlich Jndif-
ferenten, die das Contingent Döllingers bilden sollen, für eine Kirche
in der Kirche gewonnen werden könnten, die ſich wesentlich auf die
Negirung des Unfehlbarkeitsdogmas beschränkt und ſelbſt den Pri-
mat des Papstes im Princip nicht verläugnet. Das mag für
die Regierungen völlig genügend sein, die die kath. Kirche gerne zur
dienenden Magd des Staates von ihrer Höhe heruntersſinken ſehen
möchten, ~ für die Elemente, die ſich um Döllinger ſchaaren, weil
ſie das Loſungswort: „Ecrasez l’inkame !“ erwarten, iſt das alles
zu wenig und sie werden mit bitterer Enttäuſchung auf eine Ver-
ſammlung blicken, die hinter ihren Erwartungen weit zurückgeblieben
iſt. Ju dieser Beziehung urtheilt die Frankfurter Zeitung, die alles
Kirchliche längſt über Bord geworfen hat , richtiger und ehrlicher
als jene unaufrichtigen Elemente, die eine kirchliche Fahne aufpflanzen,
mit der es ihnen nicht ernſt iſt, und die einen Döllinger vorſchieben,
von deſſen theologiſchen Schrullen sie im Grunde so viel und ſo
wenig halten, als wir, die sogenannten Ultramontanen. Das ge-
nannte Frankfurter Blatt sagt nämlich :

„Der Congreß iſt ein „altkatholiſcher“", die Theilnehmer
nennen sich „„Altkatholiken."" Fragt man nach den Gründen die-
ſer Bezeichnung, so kann man sich keine genügende Antwort geben.
Man könnte die Theilnehmer vielleicht mit eben so viel Recht ,„,„„Neu-
Katholiken““ nennen. Nach katholiſchem Glaubensgrundsatze, mit



Donnerstag den 28. September





Inseraten -Inhalt der Annoncen-Expedi--

tionen von Rud. Mosse, Haasenstein&
und Cand. Vogler & G. I:. Danube & Cios. in

München, Frankfurt u. Stuttgart te.

1871.



welchem der Katholicismus, alſo auch der Altkatholicismus ſteht
und fällt, hat über katholiſche Glaubenswahrheiten einzig und allein
die lehrende Kirche, der Episcopat mit dem Papſte an der Spihe,
auf Grund unmittelbarer Leitung durch den heiligen Geist zu entſchei-
den. Das unfehlbare Concil hat entschieden, daß der Papſt unfehl-
bar sei; wer daher ein katholiſcher Chriſt sein will, muß den un-
fehlbaren Ausspruch der vom heiligen Geiſte geleiteten Kirche an-
nehmen.

Laſſen wir indeſſen die formellen Bedenken und gehen wir zu
den einzelnen Vertretern des Congresſes und ihren Richtungen über.
Es gibt von der Kirchengläubigkeit eines Döllinger bis zum vollen-
detſten Rationalismus eines Keller von Aarau keine einzige kirchliche
Schattirung, die nicht auf dem Congresse vorhanden wäre. Nehmen
wir Döllinger, an deſſen Namen wie an den Kern eines Kometen
der ganze Schweif der altkatholiſchen Bewegung sich gehängt hat.
Ein Mann von zweiundsiebenzig Jahren wird den Grundsätzen, die
er sein ganzes Leben lang energiſch verfochten, nicht untreu; der
Mann, der ,,„Kirche und Kirchen“ “ geschrieben, wird kein Reforma-
tor, der Mann, der ,,die Entwicklung des lutheriſchen Schismas“"“
und die „„Skizze Luther's"“ geſchrieben, wird kein Protestant ; davon
kann Jeder überzeugt sein, der jemals einen Satz der Döllinger’ſchen
Schriften geleſen hat. Döllinger iſt rin formeller Gegner der Un-
fehlbarkeit; er möchte innerhalb der Kirche eine Art ,,„liberalen
Sauerteigs“ “ spielen, aber eine Trennung von der Kirche liegt nicht
in ſeiner Absicht, was er nicht nur oft wiederholt erklärt, ſondern
auch dadurch bewiesen hat, daß er sofort nach seiner Excommunica-
tion seine priesterlichen Functionen einſstellte und damit den biſchöf-
lichen Richterspruch als zu Recht beſtehend anerkannte. Neben Döllinger
ſteht Michelis, der in einem Athem mit unendlichem Hochgefühl ſein
Prieſterthum hervorhebt und Papſt und Biſchöfe, von denen er Jſein
Prieſterthum hat, sammt und sonders des Jrrthums und der Keterei
beſchuldigt; nach ihm kommt Juriſt Schulte, der die Gewissensfrage
zu einer Geldbeutelfrage macht und für den noch nicht einmal gebornen
Altkatholicismus schon die Hülfe des Polizeiſtocks in Anspruch nimmt,
dann der hochkirchliche Dr. Overbeck aus Cambridge, der die englische
Kirche mit der noch nicht gegründeten deutſchen Nationalkirche verei-
nigen will, der janſeniſtische Biſchof von Utrecht, der für ſeinen
Jansenismus eine Stelle im altkatholiſchen Programm verlangt, der
griechische Archimandrit Dimitrokopulos aus Leipzig, der mit Hilfe
des Staates etwas Leben in seinen Körper bringen möchte, und der
proteſtantiſche Pfarrer Krauſſold, der die einzelnen Bekenntnisse in
den weiten Rahmen des Altkatholicismus zu bringen verſucht ; dazu
kommen die Abgesandten der ,altkatholiſchen“" Regierungen von



Das Blumenmädchen.
Eine amerikaniſche Geschichte.
(Fortſetzung.)

„Erdbeeren ! Erdbeeren l'’

Jetzt kamen die Worte von lächelnden Lippen ~ ja, ein bis zwei Male
folgte dem Rufe ein fröhliches Lachen, lag doch ei glänzender Schilling im
Korbe. Sie eilte vorwärts, freilich unbekannt mit den Straßen, doch ganz zu-
frieden; denn obgleich ſie ſich in den engen, nur mit Waarenlagern besetzten
Straßen der unteren Stadt befand, so wandte sie ſich doch ab und kam ein
Herr zu ihr, „um einige Veilchen zu kaufen, und sie ſchritt, wohl etwas ver-
wirrt, doch fröhlich wie ein Vogel, immer vorwärts.

Jett trat Frances plötlich in eine Staße, die weit breiter als die anderen
_ und auf einer Seite von Waſſer begrenzt war; sie befand sich in South Street,

nicht weit entfernt von der Battery. Hier breitete sich vor ihren Augen eine
neue Scene aus, deren Großartigkeit sie faſt erſchrectte. Durch eine Lücke in
der Häuſerreihe ſah sie die grünen Bäume der Battery ſich im Winde ſchaukelnd,
î während sich dicht vor ihren Augen ein Wald von Maſten ausbreitete, welche
den verſchiedenartigſten Schiffen angehörten, die von hier ausgehend alle Ge-
genden der Welt beſuchen. Die Hügel von Brooklyn, Jerſey City und die
belaubte Hobokens breiteten sich im goldenen Lichte des ſonnigen Junimorgens
vor ihren Blicken aus, gleich den zauberiſchen Gegenden des Feenlandes, von
denen sie mil ſo lebhaftem Interesse geleſen. Nie vorher hatte ihr Fuß diesen
î Dheil der Stadt betreten, und sie vergaß, daß sie ſich unter so vielen fremden
| Menſchen bewege, deren Anblick sie sonst eingeſchüchtert haben würde, ſo ganz
_ war ſie in die Schönheil dieſer Scene verloren, auf die nur Wenige zum ersten
î HMaAale ohne lebhaftes Intereſſe zu blicken vermögen. Sie ſchritt nur langſam

vorwärts und vergaß ganz ihres kleinen Handels. An der South Ferry be-

trat sie den Batterypark. Ach, mit welcher Wonne ſog sie die duftige Friſche
ein, welche ihr von den grünen Zweigen zugeführt wurde! An der Balluſtrade,
„ von wo aus ihr ein freier Blick hinaus auf die Bay gestattet war, stand ſie
bewundernd ſtill. Vor ihrem Blicke breitete sich im Halbkreiſe ein weites Pano-
rama aus: links Governor's Island, Brooklyn Hights, dann vor ihr die Vay
î mit ihren hundert ab- und zujegelnden Schiffchen, der Leuchtthurm, Staten
IJsland, dann weiter rechts die Feſtungsinseln, die Küste von Jerſey, die Stadt



gleichen Namens und das liebliche Hoboken, Alles getrennt von ihr durch den
breiten Strom der golden im Sonnenlichte schimmernden Fluth. Ganz rechts
schloß der ſseltſam gebaute Caſtle Garden die Scene. An einer Seite umgeben
von grünen Bäumen, an der andern von Waſſer begrenzt, erſchien der Kleinen
dieß runde, thurmähnliche Gebäude fast wie ein Feenſchloß.

In nur sehr geringer Entfernung von dem geschäftigen Verkehre des un-
tern Hafens , von den Lagerpläten des Reichthums und Handels, werden die
gewaltigen Häuſermassen von ſchmalen dumpfigen, zu jeder Jahreszeit ſchmuti-
gen Gassen durchzogen. Sie bilden einen graſſen Gegenſat zu ihrer reichen,
sonnigen Nachbarschaft. Dieß ist ver Aufenthalt der tiefsten Armuth und der
größten Verworfenheit. Matroſenkneipen, Spiel- und andere Höllen sind mit
den Wohnungen der Armuth vermiſcht. Schon das Aeußere dieſer alten ver-

nachlässigten Häuſer macht auf den Beſchauer einen widerlichen, unheimlizen.

Eindruck, ſelbſt wenn ihm das Treiben und Elend hinter den ſchwarzen Mauern
unbekannt iſt. Dennoch bilden die Häuſerreihen eine glänzende Facade im Ver-
hältniß zu den Wohnungen noch größerer Verkommenheit. Gnge dunkle Gänge
führen zu Hintergebäuden von noch elenderer Beſchaffenheit. Hier wohnt das
Elend hinter allen Mauern. Hier sind Schuld und Unglück verbrüdert in ge-
meinſamer Noth, und unter dem verworfensten Gesindel findet hier der durch
fezulsit. Alter und Unglück herabgekommene verſchämte Arme ein trauriges
vach.

és §t die Kellerwohnung eines solchen Hinterhauſes müssen wir den Leser
jetzt führen. j

Es ist der Abend des Tages, an welchem wir unſere Geſchichte begannen.
Das Zimmer, welches faſt ſechs Fuß unter dem Erdboden liegt, wird von dem
kleinen Fenster an der Decke so schwach beleuchtet, daß der Eintretende die in
demſelben befindlichen Gegenstände nicht sogleich unterſcheiden kann; hat das
Auge ſich jedoch an das Dunkel gewöhnt, so erblickt er ein Bild, welches sein
Herz mit Wehmuth und Mitleiden erfüllen muß. Das Zimmer iſt klein, feucht
und niedrig. Ein Paar Holzſchemel, ein roher Tiſch und eine lange Kiſte bil-
den das ganze Ameublement. Ueber dem Herde iſt ein Geſims angebracht,
auf welchem sich ein halbes Dutzend ungleicher Taſſen, ein Paar zerbrochene
Teller und ein Theetopf mit abgebrochenem Henkel befinden, Alles ſehr ſauber
gewaschen und mit einem gewissen Geſchmacke geordnet. (Fortis. folgt.)
 
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