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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0281

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;;:



EE EA

Der Staat und die ka h. Ki che jur: Großherzog
thum Baden seit dem Jahre 1860).

i (Schluß.) y

Einen ungleich widerwärtigeren Eindruck noch machte die Aus-
treibung der Frauen auf dem Lindenberg, die den beſonderen Bei-
fall des Leipziger Profeſſors findet. Ergab ſich doch das ſchreck-
liche Verbrechen, wie uns Herr Friedberg auseinandersegt, daß die
Frauen nach der dritten Regel der Brüder und Schwestern von
der Buße, oder des dritten Ordens des hl. Franciscus lebten;
daß die jetzige klösterliche Verfaſſung vom Jahre 1860 datire, daß
die Frauen öffentliche feierliche Gelübde ablegten, wie denn auch
noch keine aus dem Kloster ausgetreten war ; daß die ewige Anbe-
tung gehalten werde, das Haus nur bei nothwendigen Geſchäften
verlaſſen und Beſuche nur hinter dem Gitter empfangen werden
durften. Hier hatte alſo die Polizei eine wichtige Entdeckung
tt. ch Ie Stetter Its gelt:
Fang : eine religiüſe Corporation ohne Genehmigung der Regie-
rung! Aber obgleich es nicht ein Mal, wie die Curie auf's klarſte
nachwies, ein religiöſer Orden war, so ſollte gleichwohl den armen
Jungfrauen klar gemacht werden, daß das Land Baden nicht immer der
Ort sei, wo Jeder nach ſeiner Fagon ſelig werden könne. Alle
Welt weiß, wie die braven Mädchen, die ihr Vermögen zuſammen-
gelegt, Haus und Grundstück angekauft, den rauhen, wenig frucht-
baren Lindenberg durch ausgezeichnete Landwirthſchaft cultivirt
hatten und den Armen der Gegend als tröſtende und helfende Engel
erſchienen waren, durch Gendarmen mit Gewalt fortgejagt, von Haus
und Hof vertrieben wurden! Wir meinen daher, der Verfasser
hätte wenigstens den Hohn sparen dürfen, der in seiner Darſtel-
lung dieses Vorganges zu Tage tritt. Die Austreibung war an
ſich „draſtiſch' genug; es war daher nicht erſt nöthig, wie der
Verfasser meint, daß ,„dieſe von den kirchlichen Parteien ſehr dra-
ſtiſch in Scene geſetzt wurde.“
Der Civil-Ehe widmet der Verfasser einen weiteren Abſchuitt.
Es genügt, ihm zu bemerken, daß die Noth- Civil - Ehe im Lande
ohne weſentliche Einſprache bereits eingeführt war, daß die obli-
gatoriſche Civil - Ehe aber den größten Widerstand des katholiſchen
Volkes hervorrief, das in Adreſſen, die mit über über 90,000
Unterſchriften bedeckt waren, seine Abneigung dagegen ausſprach;
daß ſelbſt liberale Staatsmänner, wie Minister Stabel, nichts
davon hatten wissen wollen, und daß keine einzige Stimme aùs
dem Volke von der Kammer oder Regierung dieſe Ehe gewünſcht hatte.

Donnerstag den 22. Juni

Der



Inseraten - Inhalt der Annoncen-Expedi-
tionen von Rud. Mosse, Haasenstein&
+ Vültßer Frantfure U. Enutigar ze.

187 ].

und Can







eines politiſchen Blattes gestattet uns nicht, auf

Raum
die ausführliche Darlegung der Gesichtspunkte uns einzulassen, von
welchen die badiſche Regierung bei der Volksſchulgeſekgebung aus-
ging, und die den ungetheilteſten Beifall des Verfaſſers finden, ſo
wenig als wir die Kämpfe recapituliren können, die anläßlich der-
ſelben das Land ſo tief erregten. Es genügt zu bemerken, daß die
badiſche Regierung hier wie in ſo vielen anderen Dingen als Mauer-
brecher für die liberalen und freimaureriſchen Ideen in Deutſchland
gelten wollte und mit Recht gilt. Auch anderwärts hat dieſe Ge-
ſeßgebung mancherlei Nachahmung gefunden ; aber nirgends ſind

die liberalen Tendenzen schärfer in den Vordergrund getreten

als in Baden. Räumt doch ſelbſt Oesterreich in seinem Unterrichts-
weſen den einzelnen Landtagen einen weiten Spielraum für die ſo
verſchiedenartig sich geſtaltenden Anschauungen und Wünſche ein,
~ eine allgemeine nach badiſchem Muſter hergerichtete Geſetge-
bung kennt es nicht.

Wenn der BVerfaſſer in seiner Vorrede auf den Ro ttenbur-
ger Streit sich beruft, um zu beweiſen, daß auch Württemberg
beinahe seinen Schulstreit durch Einmiſchung der Staatsgewalt er-
halten hätte, so spricht gerade dieſes Beiſpiel gegen ihn. Denn

| die württembergiſchen Staatsmänner waren vernünftig genug, nicht

sofort die staatliche Intervention eintreten zu laſſen, ſondern Würt-
temberg die büsartigſten und ersſchütterndſten Kämpfe zu erſparen,
indem fie bereitwillig auf die Doctrinen der Herren vom Katheder
uud die Redensarten der alles nivellirenden liberalen Chorführer
Verzicht leiſten.

z! Baden aber hätte man ſich die traurigſten und aufregendsten
Kämpfe erſpart, die auch jetzt noch nicht beendet sind, ſondern stets
von neuem wieder aufleben werden, wenn man den Gegenvorschlag
der katholiſchen Volkspartei auf Gewährung der Unterrichtsfrei-
heit angenommen hätte, als den einzigen Weg, der zugleich auch
consequent gewesen wäre. Laßt den Staat seine Schulen errichten,
und die Kirche und Privaten die ihrigen; laßt letztern beiden aber
nur ſo lange ihre Exiſtenz und Berechtigung, als sie vor ſtaatlichen
Prüfungs - Commissaren sich eben so tüchtig erwieſen haben wie die
Bildungs - Anstalten des Staates ſelbſt. Welch’ ſchöne Concurrenz,
welch rühmlicher Wetteifer wäre da nicht zu erhoffen! Statt deſſen
aber setzt der Staat Baden der Kirche den Stuhl vor die Schul-
ſtube hinaus und erklärt ihr rundweg, daß sie überhaupt g ar
keine Schulen errichten dürf e, es sei denn, daß sie für den
einzelnen Fall ein Specialgeſez erlangt habe. Daß ein solches in
Baden nicht leicht gewährt wird, brauchen wir nicht zu versichern.

Der vorübergehende Streit über den Religionsunterricht zwischen



Der dem Schaffot Entflohene.

(Novelle von Pr. J. F.)

(Fortsetzung.)

Marianne sah durch das Fenster des Pavillons und erblassend rief sie]

aus : „Der Herr Gerichtshalter !“
„Iſt er allein ?“ fragte Sidney erſchrocken.
„Nein, er hat Wachen bei sich", antwortete Simon.
„Gott! was ſoll das bedeuten! Geht Simon und erkundigt Euch.“
Simon wandte sich nach der Thür, da trat ihm der Gerichtshalter mit
einem Aktuar und zwei Wachen entgegen.

Sidney, der ſchon bei der Nachricht, daß der Gerichtshalter komme, sich
fest vorgenommen hatte, sich ſo zu benehmen, wie sich ein vollkommen Unſchul-
diger benehmen würde, stand auf und ging dem Gerichtshalter mit aller Un-

befangenheit entgegen. Dieſer, seiner Seits, war erstaunt, Herrn Sidney hier |

zu finden; denn man hatte ihm gesagt, er ſei ſchon geſtern Abends fortge-
ritten. Er ersuchte Simon den Aktuar in das Schreibzimmer des Herrn Dupre
zu führen, um daſselbſt die Papiere zu unterſuchen ; ein Gleiches wolle er ſelbſt
hier in Sidney's Zimmer thun, mit dem er auch noch beſonders zu ſpre-
un hst. that, wie der Gerichtshalter wünſchte, und Marianne, dem gegebenen
Winke folgend, entfernte sich.

„Mein Herr !“ sagte der Gerichtshalter zu Sidney, „Sie waren der ein-
js In tes rl z zett P upre der sich, troß meines Befehles, in dieser

„Ich fühlte mich unwohl ‘und ging zeitig zu Bette.“

„So ? Könnten Sie mir über einige Dinge Aufschluß geben ? Als gestern

der ‘: vr Walberg hier ankam, an wen wandte er sich zuerst ?!

„An Simon.

„Haben Sie von dem Briefe sprechen gehört, den er kurz nach seiner An-
kunft an Herrn Dupre ſchrieb ? Kennen Sie ſeinen Inhalt ?“

„Ja ! er forderte die Zurückgabe von zweimalhunderttauſend Franken, die
dieſer als Deposit in seinen Händen hatte." ;

„Diese Forderung sette Herrn Dupre wahrscheinlich in einige Berlegenheit?-



„Nicht in die geringste ; denn die Summe wurde nie angetastet und lag
zu jeder Stunde zur Uebergabe bereit. Ich ſelbſt schloß die Rechnung und
übergab das Geld in zehn Bankbilleten, jedes zu zwanzigtauſend Fres. in einer
Brieftaſche verwahrt.“ '
Der Gerichtshalter zeigte ihm ein Portefeuille.

„War es dieſe ?!
ſehc fer. Herr Dupre übergab sie dem Herrn Baron, was ich ſelbſt
geſehen.“ :

Bei diesen Worten konnte der Gerichtshalter seine innere Bewegung nicht
verbergen; Sidney ſchien aber neu aufzuleben ; denn er ſah daraus, daß irgend
Jemand des Mordes verdächtigt wurde und zwar eines Raubmordes ; nur
konnte er nicht ahnen , bei wem sich die Brieftaſche vorgefunden haben könne.

„Herr Sidney! was glauben Sie wohl, bei wem ſich die Brieftaſche
tc tee. h;t dem Herrn Baron von Walberg verübten Morde vorge-
unden habe ?" ;

„Wahrscheinlich bei dem Ermordeten ?“

„Noch Eines. War es nicht das Project, Herrn Karl Dupre mit Fräulein
Clementine zu verheirathen, und ſollte nicht dieſe Summe des Fräuleins
Heirathsgut ſein ?“

„Ich hörte davon sprechen.“

Der Gerichtshalter war Dupre's Freund ; obwohl es alle Umſtänden
wahrscheinlich machten , so konnte er doch nicht glauben, daß Geldgier einen
anerkannt rechtſchaffenen, hochgeachten und dabei wohlhabenden Mann zu einem
ſo ſchauderhasften Verbrechen verleitet haben konnten. Er ſuchte in ſeinem
Herzen Alles hervor, was seinen Freund hätte rechtfertigen, entſchuldigen kön-
nen; allein es fand sich nichts, und tiefer Kummer erſüllte die Bruſt des

Freundes.
(Fortsetzung folgt)





* Mannheim, 19. Juni. (Schwurgerichtsverhandlung). In dem ersten
Falle der Tagesordnung wurde K. Dehn von Tauberbiſchofsheim, angeklagt
des Meineides, wegen mangelnder Zurechnungsfähigkeit freigeſprochen.
 
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