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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0533

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Erscheint wöchentlich 8 Mal: Dienstag, Donnerſtag
und Samftag. ~ Preis : vierteljährlich 40 kr. ohne
Trägerlohn und Poſtaufschlag. Inſ.-Geb. 2 kr. d. H.

Jié. 134.





T a g e s b e r i < t.

~ Wenn die Zeitungsberichte nicht trügen, sſo geht in der po-
litischen Windstille und dem tiefbegründeten wohlbewaffneten Frieden
die ruſſiſche Eifersucht an der Hand der großen Machifragen um.

~ Man ſ\pricht von Unterredungen, welche jüngſt in Berlin
zwiſchen dem Fürſten Bismarck und den ruſſiſchen Staatsmännern
Orloff und Gortſchakoff ſtattgehabt haben ſolleu; Fürſt Orloff soll
die Gasteiner Zuſammenkunft zum Thema genommen und Fürst Gort-
ſchakosf die Frage wegen Nordschleswigs zum Vorwurfe ſeiner Un-
terhallung gewählt haben. Ueber lettere gibt eine diplomatiſche
Correſpondenz aus St. Petersburg folgende Andeutungen: „Rußland
habe vor, angesichts der Bildung einer imponirenden deutschen Flotte
in der Oſtſee energiſche Schritte zu thun, um die Ausführung des
Art. V. des Prager Friedens zu veranlassen, d. h. die Rückerstattung
des dänischen Theils von Nord-Schleswig an Dänemark. Rußland
iſt der Ansicht, daß es ſeine Stellung als Seemacht im Norden nur
dadurch wahren kann, daß es Dänemark kräftigt und deſſen Neutra-
lität sicherſtelt. Mit andern Worten, Fürst Gortſchakoff wird sich
„Freiheit des Handelns“ in der Ostſee ſowohl, wie im ſchwarzen
Meere erwirken. Fürſt Bismarck jedoch ſcheint zu glauben, daß dies
zuviel von der Dankbarkeit Preußens verlangt sei; so daß die Un-
terhandlungen wahrscheinlich ſchwieriger Natur sind, und möglicher
Weise zu ernstlichen Verwicklungen führen werden."

~ Der Schluß des Reichstages ſoll am 25. Nov. erfolgen.
In der Sitzung vom Montag wurde die Berathung des Reichsmünz-
gesetzes weitergeführt. Graf Münster, Braun tec., welche per Schnell-
zug in den Einheitsſtaat kutſchiren möchten, ſtellten den Antrag auf
Beseitigung der Beſtimmung, wonach die projectirte Reichsgoldmünze
auf der einen Seite je das Bildniß der Landesherren der Einzelſtaa-
ten tragen solle. Die Bundesbevollmächtigten von Sachſen und
Bayern haben sich dem Antrag widerſezt. Im Weiteren beschäftigte
has der Reichstag in dieser Situag mit dem Etat in zweiter Be-
rathung.

Der Oberpräsident von Elſaß-Lothringen, v. Möller, iſt auf
. einige Tage aus Straßburg in Berlin eingetroffen. Derselbe hatte
am 12. d. eine Berathuung mit dem Reichskanzler sowie mit dem
Minister des Jnnern, und wurde am 13. vom Kaiſer empfangen.
Was mag der Herr für Geschäfte haben? Nach der Frfr. Ztg. sind
ihm aus jenen Reichsländern Schmerzensſchreie des Volkes voraus-
gegangen, welches es kaum mehr ertragen könne, wie da regiert werde,
und neuerdings nehme die Auswanderung wieder stärker zu.

~ In Genf war am Montag eine Feuversbrunſt ausgebrochen,
welche bei Abgang des Berichtes noch fortdauerte.

Bierzigtauſend Thaler.

(Fortsetzung.)
Die Räthin fuhr fort: „Das Mädchen iſt ganz verwaist, ich halte es für
Pflicht, mich seiner anzunehmen."
Als Ihr Seclſorger, Frau Räthin, ziemt mir Offenheit Ihnen gegenüber,
Sie haben nicht klug und, vergeben Sie mir, auch nicht recht gehandelt.‘
„Wie, Herr Superintendent ? Sollte ich eine ſo nahe Verwandte –~
Erlauben Sie, Frau Räthin, das Mädchen iſt nicht Ihre nahe Verwandte,
es iſt die Tochter einer Frau, welche nur Jhre Halbſchweſter war. Dieſe Halb-
ſchweſter hat Ihnen in früheren Jahren vielen Verdruß bereite. Das Mäd-
chen hat wahrſcheinlich den Leichtſinn seiner Mutter, das Naturell seines Vaters,
des Komödianten, geerbt, und Sie werden nicht die Kraft besitzen, die böſen
Guth decise in dem Mädchen früh oder ſpäter zum Vorſchein kommen werden,
ändigen."

nSehen Sie sich das Mädchen an, es hat ein hübſches, offenes Geſicht

„Als fÂÂ nicht 1uo!tt ut Schafskleidern gäbe." :

s U 4:1 rhutsr reſtaticet u! au 11:4 tt guter rk .
dadurch vom Gebet abgezogen werden. Nein, meine teuere Frau Räthin,“ und
die milde Sprache des geiſtlichken Herrn wurde heftig, „folgen Sie meinem
Rathe, geben Sie das Mädchen in eine Erziehungsanſlalt ; wohin werde ich
bestimmen, ſo bald ich die Kleine examinirt haben werde und ſpäter ſorgt man,
daß sie ſich ehrlich und redlich ernährt, in einem Hauſe, wohin sie paßt."

; „Aber weßhalb soll ich meine Nichte nicht bei mir behalten, Herr Super-
intendent ?’ fragte die Gräfin etwas empfindlich.

„Weil das arme Mädchen in Ihrem Hauſe an Wohlleben gewöhnt wird,
ſich vielleicht einbildet, ſpäter ihre Erbin zu werden. Sie haben über Ihr Ver-
mögen nicht freie Verfügung, und weil sie endlich zu ſanft und ſchwach sind,

' um ein Geſchöpf erziehen zu können, daz, als Tochter eines Komödianten, na-

lG zi voll Intiriguen und loser Streiche hat,“ eiſserte der Su-

Die Räthin wollte, aufgeregt durch dieſe Worte, etwas erwiedern, aber sie
beſann ſich ; erſt nach einer langen Pauſe ſagte sie : „Ich will es mir beden-
ken, was ich in Bezug auf Klärchen beſchließe.“

Donnerstag den 16. November

“Lin Belchluß





Inseraten-Inhalt der Annoncen-Expedi-
tionen von Rud. Mosse, Haasenstein&
MKE ts

1871.





fr

es Gemeinderathes der Stadt Heidelberg.

© Heivelberg, 12. Nov. Seit einiger Zeit läßt unser Ge-
meinderath alle Beſchlüſſe, welche ein allgemeines Intereſſe haben,
durch die Heidelberger Zeitung veröffentlichen. Auf dieſem Wege
kam mir ein Beſchluß aus der Sitzung vom s. d. Mis. zur Kennt-
niß, der geeignet ſein dürfte, weit über die Grenzmarken unserer
Stadt Aufsehen zu erregen, da er nichts Geringeres zum Gegenstande
hat, als bei maßgebender Stelle den Wunſch auszujprechen, ben Re-
ligionsunterricht aus dem Lehrplan unserer höhern Bürgerſchule zu
entfernen und diesen Unterricht allein der Kirche zu überlaſſen. Es
wäre mir lieb geweſen, wenn der Gemeinderath zugleich geſagt hätte,
wie er ſich dieſe Ueberlaſſung des Religionsunierrichtes an die Kirche
denkt. Bis jetzt iſt es mir nicht gelungen, hierüber Klarheit zu ge-
winnen. Ich bin eben der Aniicht, daß dieſer Unterricht, wenn er
aus dem Lehrplan geſtrichen wird, überhaupt in Wegfall kömmt,
und daß wir alsdann die reine Communalſchule nach amerikaniſchem
Muſter vor uns haben.

Ob wohl der hiesige Gemeinderath die Tragweite dieses Be-
ſchluſſes reiflich in Erwägung gezogen hat?

Das Gebäude der geſellſchaftlichen Ordnung ruht auf drei Säu-
len: aufs Gott, Auctorität und Eigenthum ; und das Fundament die-
ſer Säulen iſt die Religion. Wer das Fundament nicht will, kann
auch diese Ordnung nicht wollen. Eine Jugend ohne Religion er-
ziehen, heißt nichts Anderes, als am Umsturz und Ruin ungerer be-
ſtehenden geſellſchaftlich geordneten Zuſtände arbeiten.

Ich weiß es wohl, daß man mir entgegenhalten wird: das sind
die Ergüſſe eines Ultramontanen, wie wir ſie gewöhnlich im Pfälzer
Boten zu leſen bekommen. Ich ſehe mich deßhalb veranlaßt, mich
zur Bekräftigung meiner Auſicht nach einem Bundesgenoſſen umzu-
ſehen, der in liberalen Augen und auch bei unſerm Gemeinderathe
ohne Fehl und Mackel daſteht. Dieser Buudesgenoſse iſt Professor
Döllinger in München, dem die ganze liberale Welt ein gründ-
liches und umfassendes hiſtoriſches Wiſſen nicht abſprechen wird.
Mehrere Mitglieder unseres Gemeinderathes sind in dieſer Beziehung
in einer Adreſſe offen für ihn aufgetreten. Döllinger ſagt auf Seite
317 seiner Schrift: „Kirche und Kirchen“ : „Jn Amerika iſt jeder
Religionsunterricht von der Schule ausgeſchloſſen. Wenn das Sek-
tenweſen keinen andern Fluch über Amerika gebracht hätte, als ein
solches Schulſyſtem, welches die Jugend des Landes gewöhnt, Wissen
und Leben einerseits und Religion andrerseits als zwei völlig geschie-
dene und von einander unabhäugige Gebiete anzuſehen, so müßte
dies ſcbon genügen, in ihm eine der größten Calamitäten der neuen
Welt zu erkennen. Man macht gegenwärtig in Amerika die bittere

Der Superintendent war ein Menſchenkenner, er glaubte, es ſei klüger,
jettt nicht weiter in die Räthin zu dringen, und sprach in verbindlichem Tone :
„Thun Sie das, Ihr klarer Verſtand wird Sie leiten ; ich habe Sie gewarnt,
da ich weiß, daß Sie nur den Fehler haben, welcher den besten Menſchen eigen,
nämlich den: zu gut von der Menſchheit zu denken." Hierauf wandte er ſich
zu den Blumen, bewunderte sie, erzählte einige interesante Geschichten und
ging, ohne die Ginladung zum Thee anzunehmen, was er doch sonst in der
Regel that.

' ht! der geistliche Herr das Haus verließ, ſagte er zu dem Kutſcher: Danke,
lieber Lorenz, für das ſchöne Bouquet, das Sie mir geſchnitten haben, und
wenn Sie etwa eine Entdeckung machen, ſo bin ich ſtets bereit, mich Ihrer
anzunehmen. Herr Gott, zu wem sollen treue Dienstboten denn anders ihre
Zuflucht nehmen?

Die Räthin hatte dem geistlichen Herrn so verbindlich wie immer gute
Nacht gewünſcht, aber als ſich die Thür hinter 1hm geſchloſsen hatte, ſagte sie
zu ſich selbſt: „Der Superintendent ſieht Geſpenſter, in Klärchen ſteckt nichts
Böſes: böſe waren auch ihre Eltern nicht, nur etwas leichtsinnig. Was aber
mein Vermögen betrifft, ſo bin ich ja noch nicht todt, nicht viel älter als der
Superintendent ſelbſt, und ich bin gesetzlich berechtigt, mein Vemögen zu hinter-
laſſen, wem ich will."

Der Superintendent wußte wohl, daß vie Räthin fromm und ſehr lenkſanr
war, wenn sie sanft geleitet wurde, er wußte aber nicht, daß ſie, obgleich
einſilbig und ernst, ſcheinbar ſogar theilnahmlos, doch ein warmes, gutes Herz
besaß, und dieses ſprach für die Waiſe.

(Foriſezung folgt.)



Freiburg, 11. Nov. Dem „Oberrh. Kur." zufolge wurden dem Wirth
R ot h in Emmendingen 600 fl. geſtohlen. Der Dieb, ein Mann aus Sexau,
hat sich kurz nach seiner Verhaſtung in dem Thurme zu Waldkich erhängt.

An der Universität zu Ber lin ſind dermalen ſechszehn Japaneſen imma-
triculirt. Vornehmlich huldigen sie der mediciniſchen Wissenſchaft, aber auch
der Naturwissenſchaft und der Jurisprudenz. Sie tragen gewöhnliche Civil-
kleider nach franzöſiſchem Schnitt und erregen durch ihren besonderen Typus
das allgemeine Interesse.
 
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