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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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Erſcheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag, Donnerstag
und Samſtag. ~ Preis : vierteljährlich 40 kr. ohne
Trägerlohn und Poſtaufschlag. Jnſ.-Geb. 2 kr. d. H.

é. 79.

Dienstag







Deutſc<l and.

* Heidelberg, 8. Juli. „Enttäuſchung in Bayern“, das iſt
jezt das erbitterte Geschrei aller Derer, die einen Maſſenabfall der
Katholiken, die zugleich die Gründung der Döllinger-Kirche durch die
Regierung ſelbſt erwarteten, ~ „Enttäuschungen in Bayern“ über-
schreibt daher auch die Bad. Landeszeitung ihren neuesten Leitartikel,
der uns nicht geringe Erheiterung verursacht hat !

„Die Erwartung,, daß die bayeriſche Regierung ernstlich gegen
die Römlinge vorgehen werde“, ſchreibt die Bad. Landeszeitung, p„iſt

erheblich herabgeſtimmt. Einen Augenblick schien es, als würde von

München aus der Feldzug gegen den Jeſuitismus in aller Form

eröffnet, ein nicht minder nationaler Krieg, als der, zu welchem
Berlin die deutschen Lande aufrief. In der ſüddeutſchen Großstadt

ſchien ein Brennpunkt der religiöſen Frage zu liegen, wie in der
norddeutſchen der Schwerpunkt unserer Politik. Und wie günſtig
war die Stellung unseres Cultusminiſteriums, wenn es die Verfaſ:
ſung, die Rechte der Bürger zu schützen unternahm ! Es hatte Rück-
halt am Könige ſelbſt, an der erſten Universität des Landes, an
Döllinger und seinen Theologen, an Juriſten und Staats-
rechtslehrern, an der bayeriſchen Geſammtbevölkerung, in wel-
cer die Fluthen religiöſen Reformbedürfnisſſes hochgingen! Und
was hat man bei alle dem von Seite der Regierung gethan ?“
u. s. w., worauf der Regierung nachgewiesen wird, daß sie im Gau-
zen eigentlich nichts gethan , sondern sich lediglich auf ein beiden

Parteien mißliebiges Schaukelſyſtem beschränkt habe. Es kommt da-

her, gesteht die gute Landeszeitung jetzt mit denselben Worten, nur
in lateiniſcher Redewendung ein, nichts bei dem Kreiſen des Berges
heraus als eine lächerliche Maus, + ein Eingeſtändniß, das uns
doppelt freut, weil wir es der guten Landeszeitung mit ihren ſärmurt-
lichen Partiſanen längſt vorausgesagt, was die Baſe aber mit
ſämmtlichen nationalliberalen Vettern dem Boten nicht hatte glauben
wollen. Jett haben wir's: viel Geschrei, wenig Wolle, ~+ viel
Triumph, viel Blamage! ~ Amüjant iſt es dabei zu ſehen, welch’
hohe Rolle die Nationalliberalen der halbwegs mediatiſirten bayerischen
Großmacht zugedacht hatten. Da „der Schwerpunkt unserer Poli-
tik in Berlin“ liegt, gehen sie in ihrer Güte gegen die bayeriſche
Regierung so weit, daß sie dieser einen rein kirchlichen Wirkungs-
kreis zuweiſen, um sie für den Verluſt ihrer gesammten politiſchen
Bedeutung zu tröſten. Undankbares bayerisches Ministerium, daß du
es in unbegreiflicher Verblendung über deine noch übrig bleibende
Bedeutung in dieſer Welt verſchmähſt, dich in ein collegium theo-
logieum verwandeln zu wollen, damit die Reichsregierung sich ein-
zig und allein mit der großen Politik befaſſen und dir die sämmt-

Der dem Schaffot Entflohene.

(Novelle von Pr. J. F.)

(Fortsetzung.)

Karl war ſprachlos, sich von seinem Vater einer solchen Schandthat be-
ſchuldigt zu hören, preßte sein Herz ſo krampfhaft zuſammen, daß er wie stumm
vor demſelben stand. Dieß Schweigen hielt Dupre für das Bewußtsein seiner
Schuld und mit ſchmerzlichem Tone nur mühsam ſeine Thränen zurückhaltend,
fuhr er fort: „Und weißt Du auch, wen Deine Rache trat ? Deinen Wohl-
thäter, der wenige Augenblicke zuvor Dir die Hand seiner Nichte schenkte.“

Nun brach Karl in lautes Klagen aus.

„Gerechter Gott !" rief er im höchſten Schmerze, „verlasse mich nicht."

„Er ſelbſt, der von Dir Ermordete, umarmte mich, gab mir das Portefeuille
mit dem Gelde und ſprach : Nehmen Sie das Geld, es iſt das Heirathsgut mei-
ner Nichte, das ihr ihr Vater bestimmt, ich werde für das Uebrige sorgen, ich
gebe ſie Ihrem Sohne zur Frau. Ich ſelbft gab ihm zur Sicherheit die beiden
Piſtolen. Hätte ich je denken könen, daß ich ihm ſelbe als Waffe gegen meinen
eigenen Sohn geben würde. :
sags gts. sst ut g SH sähe ! tut s N Us
tragen je von der Art, daß man von mir auch nur so etwas vermuthen kann ?“
urg tuts tufe Vä f î ste rr§ ſ§ rü z
Dein Leben. Der Himmel mag Dich ſchüten und Dir Deine Uebereilung ver-
geben. Verlaſſe Europa für immer; denn hier könnte über kurz oder lang die
Wahrheit ans Licht kommen und Dein Leben gefährden.“

„Vater ! ich bin unschuldig, ich rufe den Himmel als Zeugen an.

Bei diesen Worten trat Murville mit dem Secretär vor.

„Edler Mann, ſagte er zu Dupre, Sie gaben ein ſeltenes Beispiel, welch
großer Opfer ein Vater fähig ist."

s tees: sol ich Sie verſtehen ? fragte Dupre erblaſsend. „Mein Sohn iſt
nſchuldig.'
j „ZU ſpät, lieber Freund !“ erwiderte Murville, ich habe hier mit meinem
Secretär die ganze Unterredung mit Ihrem Sohne gehört. Deutlichere Be-



Inseraten - Inhalt der Annoncen-Expedi-

; tionen von Rud. ATlosse, Haasenstein&
und Land. Vogler & G. L. Daube & Cie. in

München, Frankfurt u. Stuttgart 2c.

den 11. Juli 1871.





E S CK:



lichen lästigen , gefährlichen und tauſenden von Mißhelligkeiten her-
vorrufende kirchliche Agitation übertragen kann ! Und dann gar noch
der beluſtigende „Rückhalt am König“, jenes offene Eingeſtändniß,
daß man's zu nichts bringen kann aus eigener Kraft, wenn die
Inhaber der Throne nicht mit der gesammten Gewalt ihres Ansehens
und ihrer Büreaukratie den neuen Cultus unter die ſchütenden Fit-
tige nehmen, ~ wahrlich, ein armſeligeres Zeugniß hätte doch die
Landeszeitung ihrer früheren hochanſchwellenden „Bewegung“ nicht
ausstellen können, die freilich jezt nur als eine „geborene Maus“,
wie sie die Visitenkarte ausweist, der Welt ihre Aufwartung macht.
Daß „Döllinger und seine Theologen, die Juriſten und Staatsrechts-
lehrer“ nichts zuwege brachten, hat uns niemals überraſcht und daß
deren „Rückhalt“ nichts bedeutet, war uns längst unzweifelhaft gewe-
ſen, aber die „bayeriſche Gesammtbevölkerung“, ja , das iſt etwas An-
deres, und wir würden die Sache für sehr bedenklich halten, wenn jene
Geſammtbevölkerung mit Döllinger gemeinsam in's Zeug gienge.
Aber da liegt gerade der Haas im Pfefser: weil die „bayeriſche Ge-
ſammtbevölkerung“ nicht auf der Seite Döllingers ſteht, wie die
Landesbasſe fälschlich annimmt, weil sie im Gegentheil nichts wisſen
will von einzelnen ehrgeizigen und ränkesüchtigen Theologen und
weil ihr die hochmüthigen geblähten Juristen mitſammt der unaus-
ſtehlichen Profeſſorenzunft der Slaatsweisheit ein Gräuel ist, – eben
darum hat jetzt die Landesbaſe alle Ursache, das quid sum miser
nune dieturus sich öfter zu wiederholen und an der Wiege des
armen Säuglings zu weinen, der kein anderer iſt als eine – ,ge-
borene Maus“.

v’ Vom Neckar, s. Juli. Man höre, wie ein badiſches
Amitsverkündigungsblatt, das der Anzeigen wegen von den Ange-
hörigen aller Confesſionen gehalten werden muß, sich über das Ober-
haupt der katholiſchen Kirche äußert: „An Geſchenken für den
Pap ſ sind bei Gelegenheit Allerheiligſt Seiner unfehlbaren Jubi-
läumsfeier folgende Liebesgaben eingegangen : Säugling O. von M:
Eine palyſander Folterbank mit Musikwerk, 3 Stücke spielend (1.
Vie wunderschön iſt Gottes Erde; 2. Der Papſt lebt herrlich in
der Welt; 3. Sind wir nicht zur Herrlichkeit geboren.) – Stifts:
fräulein Hermaphroſyne v. Bieberſtelz : Eine vom allerſeligſten Herrn
v. Torquemada eigenhändig gegerbte Judenhaut, zur Schlummerrolle
verarbeite. ~ Ungenannt: 5 heilige Crinolinreifen und zwei ditto
Corsettbänder, im Refectorium des Franziskaner- Mönchkloſters zu
Loretto aufgefunden. ~ Cine kleine Gläubige: Gehäkeltes Bann-
ſtrahl-Etui. ~ Ergebniß einer Sammlung im katholischen Jünglings-
Verein: 437 Stück Embalema Ketzerados avec mit Anto-da-fen.



P. Greil : Einen Centrumsbohrer für 4zöllige Laden. – Frau Pri-

weise ſür seine Schuld ſind wohl nicht leicht mehr möglich“. Murville gab
den Wachen einen Wink, und dieſe führten Karl fort.

nGott, sollte ich der Henker meines eigenen Kindes sein ?, rief Dupre und
ſank in einen Stuhl. j

Als Karl abgeführt wurde, traf er im Vorzimmer auf seine Mutter, Cle-
mentine und Mariannen. Die glaubten Anfangs , er gehe nur zufällig mit
den Soldaten ; da er ihnen aber sagte, er sei ein Gefangener , ſo waren sie
alle ſo ergriffen, daß er, ehe sie ihn nur um die Ursache fragen konnten, ihren
Augen entſchwand. Sie stürzten in Dupres Zimmer und dort erfuhren sie
von Murville die neue von ihm gemachte Entdeckung.

Madame Dupre sah ihren Gatten von dem fürchterlichſten Verdachte be-
freit, ihren Sohn aber angeklagt, und gleichſam überwiesen durch den Vater
selbft. Bei all der Wahrscheinlichkeit und den deutlichen Indizien, die ſämmt-
lich gegen ihren Gatten zeugten, bei seinem hartnäckigen Schweigen, das als
Geständniß gelten konnte, ja bei ſeinem Geständnisse ſelbſt, war sie ſtets ruhig
geblieben, denn eine innere Stimme ſagte ihr : Dupre, der anerkannt recht-
ſchaffene, ruhige, besonnene Mann, der allgemein verehrte tugendhafte Dupre
ſei keiner solchen Handlung fähig. Ihr Inneres sagte ihr, der eigentliche
htecher müßte an den Tag kommen und ihres Gatten Unschuld im hellsten

ichte erſcheinen.

Nicht so war es mit Karl. Dieser war jung, heftig, wohl auch leiden-
ſchaftlich. Die Liebe zu Clementinen, die Jurcht, sie ihm durch den Onkel ent-
riſſen zu sehen, ohne die er nicht leben konnte, war vielleicht vermögend, ihn
zu dem verzweifelten Entschluſſe zu verleiten, den aus dem Wege zu räumen,
welchen er als das einzige Hinderniß zu seinem Glücke anſah. Man dente sich
daher den Schmerz, den Kummer, die Verzweiflung der Mutter, ihren einzigen
Sohn als Mörder zu wissen und denſelben nicht einmal in ihrem eigenen Herzen
als ganz unschuldig glauben zu können.

Diese aufeinander folgenden Schläge waren zu heftige Angriffe auf das
Herz der Gattin und Mutter, ais daß dadurch nicht auch ihre physiſche Kraft
hätte gebrochen werden ſollen. Dupre ſuchte ſie zu tröſten, indem er Karls
Flucht bewerkstelligen zu können glaubte, und fest entſchlosſsen war, sich für den
Sohn zu opfern, indem er vor dem Tribunal sich als den Thäter behaup-



ten wolle.
(Fortseyung folgt.)
 
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