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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0183

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Erſcheint wöchentlich 8 Mal: Dienstag, Donnerstag
und Samstag. – Preis : vierteljährlich 40 kr. ohne
Trägerlohn und Poſtaufsſchlag. Inſ.-Geb. 2 kr. d. B.

J2. 46.

. Zur Reichstagsverhandlung über die Grundrechte.

Sie haben ſich tapfer gewehrt unsere Redner von der Centrums-
fraction, + dieſes Zeugniß wird ihnen Niemand verſagen können,
und die katholikenfeindliche Frankfurter Zeitung vom 14. d. sagt es
ganz offen heraus : „Den Klerikalen sind unsere heuligen Liberalen
nicht gewachſen. Abgeſehen von den Talenten, die ihnen in einem
Windthorſt, Reichenſperger und andern entgegentreten, fehlt den Libe-
ralen der Sinn für wahre Freiheit.“ Daran iſt kein Zweifel, ~
man braucht die Reden Kettelers, der beiden Reichenſperger, Probſt’s,
Windthorsts u. ſ. w. nur zu lesen, um sofort die ruhige, klare gei-
ſtige Ueberlegenheit zu erkennen gegenüber den tobſüchtigen Tiraden
ihrer zum Theil leidenschaftlich erregten Gegner. In der Abstim-
mung unterlegen, waren unsere Freunde bei der Discussion unbe-
ſtrittene Sieger, und da nun einmal das Eis gebrochen iſt und die
Brücken nach rückwärts verbrannt sind, so wird die kathol. Fraction
mit äußerſter Hartnäckigkeit ihr Ziel verfolgen und bei jeder Seſſion,
wenn man ihr nicht freiwillig Rechnung tragen will, ihre Anträge
in den Reichstag bringen. Schon jett haben die Discuſsionen im
Reichstage die Katholiken am Rhein, in Schlesien und Posen im
höchſten Grade erregt und auch in Süddeutſchland werden die im
Kampie etwas müde und lahm Gewordenen durch die Lectüre der
maßloſen Angriffe im Reichstage gegen die kathol. Richtung wieder
mächtig aufgerüttelt und zum neuen Kampfe gestählt werden. Das
iſt es was auch die Reichsregierung ſehr bedenklich findet, insbeson-
dere glauben wir von dem Fürsten Bismarck mit Bestimmtheit ver-
ſichern zu können, daß er den angeſchlagenen Ton der tobſüchtigen
Rätionalliberalen durchaus mißbilligte; auch liegt die Thatſache vor
uns, daß Bismark mit keiner Sylbe die oberſte Reichsgewalt in die
Debatte zog und sich demgemäß über den Parteien hielt, ſehr un-
ähnlich seinem kleineren Collegen Jolly, der auf der badiſchen Regie-
rungsbank sofort in's Zeug gehen zu müssen glaubt, wenn es sich
um die „Ultramontanen“ handelt. So wie die Dinge demnach lie-
gen, haben sich wohl die Katholiken nuit den anderen Fractionen
überworfen, nicht aber, worauf es vor allem ankommt, mit der
Reichsgewalt, indem nach der oberſten Spitze hin das durchaus gute
Einvernehmen auch noch nicht auf einen Augenblick getrübt worden
iſt. Es iſt deßhalb lediglich ein frommer Wunſch, wenn die Bad.
Correſpondenz meint, nach der Abweisung der Anträge der kathol.
Fraction werde unsere Preſſe den Say : „Wir gehen zum Kaiser“
fallen laſſen und den Standpunkt vor dem Kriege wieder einnehmen.

Nein, das thun wir nicht, sondern wir ſuchen uns jetzt erſt recht

einen Weg „zum Kaiser“ zu bahnen, da sich die Nationalliberalen

) Bote

Inseraten - Inhalt der Annoncen-Expedi-

tionen von Rud. Mosse, Haasenstein&
und Land. V Igler & G. L. Daube & Cie. in

München, Frankfurt u. Stuttgart 2c.

1871.









u. Cons. zwiſchen uns und die Stufen des Thrones gestellt haben
und Miene machen uns die Annäherung zu verwehren. Sie trium-
phiren jetzt, dieſe politischen Zwittergeſchöpfe, wegen der Verwerfung
des Reichensperger'ſchen Antrags, aber es iſt ihnen ſelbſt nicht ganz
wohl dabei zu Muthe, weil sie fühlen, daß auch an sie bald die
Prüfungszeit herantritt, wo ihnen nur die Alternative bleibt, ent-
weder ihre bisherigen liberalen Redereien offen zu verläugnen und
sich dann durch nichts mehr von den von ihnen oft verhöhnten pom-
merſchen Junkern der äußerſten Rechten zu unterſcheiden oder aber
den gewaltigen Fürsten Bismarck auf ihren Wegen zu finden und
den hingeworfenen Handſchuh kampfesmuthig aufzunehmen. Der
nationalliberale Scheideweg scheint uns sehr nahe zu liegen, wenn
auch kein Herkules , sondern nur eine „Spottgeſtalt von Dreck und
Feuer“, um mit Göthe zu reden, vor demſelben angelangt iſt.
Und geschieden muß ſein, natürlich, sonst wär's ja kein Scheide-
weg: geschieden entweder von den in's Blut übergegangenen
Phraſen oder von dem Heros Bismarck, der nicht ihre
Arbeit ſchaffen mag, sondern seine Arbeit von i h nen gethan
haben will, und mit desſen Freundschaft sie eben deßhalb gerade so
unverſchämt und unberechtigt prahlen, wie wenn der Stiefelwichſer
ſich mit der Freundſchaft des Herrn rühmen wollte, der wohl mit
ihm zufrieden sein mag, wenn er coulant sein edles Handwerk be-
sorgl hat, sich aber wohl hütet, mit diesem Bürger Glas und Tiſch-
tuch zu theilen. ~ .

Aber troß der Abstimmung, in der alle Parteien gegen die
Katholiken standen, haben letztere durchaus keine ſchlechte Stellung
im Reichstage. Mit der oberſten Reichsgewalt nicht verfeindet, aber
ihr auch nicht ſclaviſch als „Sonnenanbeter“ zu Füßen liegend, sind.

sie an keine Allianz gebunden, ſondern haben freie Wahl, die im
Reichstage aufgeworfenen Fragen einzig und allein nach ihrer Zweck-

Vortheilen und Nachtheilen für das allgemeine
Volkswohl zu prüfen, so daß sie heute mit der Regierung, morgen
gegen dieſelbe, heute mit den Nationalliberalen oder den Fortſchritt-
lern gegen die Hoch-Junker, morgen mit diesen gegen erſtere ſtimmen
mögen. Man bedenke alſo wohl, wie vielfach Ausschlag gebend
eine Fraction von ſolcher Stärke werden kann und wie verkehrt an-
dere Fractionen handeln, wenn ſie durch maßloſe Angriffe die von
ihnen unterſchätten Gegner zu Represſalien bei günstigen Gelegen-
heiten herausfordern. Dies haben denn auch die klügeren Conſer-
vativen bereits eingeſehen, indem sie in der Kreuzzeitung die Ver-
sicherung gaben, daß sie nicht daran dächten, eine feindselige Stellung
gegen die Centrumsfraction einzunehmen, sondern gerade das Gegen-
Es scheint daher auch, daß die ziem-

mäßigkeit und ihren

theil zu thun beabsichtigten.



Wer hat das gethan ?
(Eine Yeſchichte aus dem Leben.)
11: (Fortſeßzung) . . w eu
„Ich muß noch Eins hinzuſegen, fuhr Leonhard. fort, was vielleicht für
Diejenigen, die Fräulein Hartwig nicht näher kennen, von Bedeutung ſein
kann. Es ſcheint, als wenn angenommen würde, daß die Aussichten meiner

Braut auf eine Verbindung mit mir durch die Verlobung meines Vaters sich |

ungünstig verändert hätten ; das iſt aber nicht der Fall. Wenn wir auch na-

türlich nicht wünſchten und nicht erwarteten, daß es Liſette gelingen würde,

meinen Vater über ihre Unwürdigkeit bis zu einem solchem Grade zu täuſchen,
wie es geſchehen iſt, ſo konnten wir doch nicht anders voraussegen, als daß
mein Vater wieder heirathen und daß er nicht geneigt ſein werde, ſchon in
seinen Jahren die Herrſchaft im Hauſe und auf dem Gute an mich abzutreten.
Fräulein Hartwig wußte ſchon, als sie einwilligte mein Loos zu theilen, daß
ich keine andere Hilfsmittel, als meine Kenntnisse und meine Arbeit hatte, um
einen beſcheidenen eigenen Herd für sie zu gründen. Meines Vaters Verlo-
bung änderte nichts in. der Sache und konnte alſo auch kein Motiv ſein, für
meine Braut einen Mord zu begehen. Einen Mord und aus Eigennutz ! Wenn
meine Mutter dies erlebt hätte, ſie, die mich ſterbend beſchwor, den Engel, der
ihre lezten Tage zu den glücklichsten ihres Lebens gemacht hatte, auf den Hän-
den zu tragen, es nie zu vergessen, daß der Segen einer Sterbenden auf ihr ruhe
und daß der Sohn die Schuld der Dankbarkeit für seine Mutter abtragen
müsse, der dieß ſelbſt nicht vergönnt sei!“ w |

Er hatte bis dahin verhältnißmäßig ruhig gesprochen, aber bei der Erinne-
rung an das Sterbebelt seiner Mutter überwältigte ihn sein Gefühl, er ver-
gaß Alles, um in eine begeisterte Lobrede des liebenswürdigen Mädchens aus-
zubrechen, das ihm. mit einem unbeſchreiblichen Gemisch von Kummer und ſeli-
ger Wonne zuhörte. Sie hatte faſt vergeſſen, daß es sich hier um Leben und
Tod handle, sie fühlte nur Liebe für den, der ſie ſo leidenschaftlich vertheidigte.

„Wenn ich mir sagte, fuhr er fort, daß ein Lamm sich plötlich in einen

Tige r verwandelt hätte, ſo würde es mir nicht unglaublicher sein, als. daz |

Hermine einen Mord – und an Liſette begangen hätte. Selbst an jenem un-
glücklichen Abende, wo sie auf's Tiefſste gekränkt und beleidigt war, wo mich

| Milde und Versöhnung, ſuchte sie nur



der Schmerz und die Entrüſtung ſo übermannten, daß ich den festen Vorſatz
faßte, Liſette zur Rede zu. ſetzen und sie und ihren Liebhaber meinem Vater
gegenüberzuſtellen, ſelbſt in dem Augenblicke hatte Hermine nur Worte der
mich zu besänftigen. Herr Heinrich,
dem Bedienten sich wendend, hinzu, hat ja Alles mit angehört,
er stand hinter der Thür und horchte, er wird mir bestätigen, daß meine
Braut mich mit Thränen beſchwor, nicht zu vergeſſen, daß Liſette die Braut
meines Vaters ſei, daß ich ihn beleidige, wenn ich . .

Der Präsident hatte Heinrich einen Wink gegeben, an die Schranken zu
treten. . Trotz der Todesangst, mit welcher Hermine auf das wartete, was der
nächste Augenblick an's Tageslicht - bringen würde, konnte ſie nicht umhin, den
Contrast zu bemerken, den die beiden jungen Männer in dieſem Augenblicke
boten. Leonhard stand hoch aufgerichtet, mit offenem, freien Blicke, das edle
Gesicht voll der Begeiſterung, mit der er das Mädchen vertheidigte ; und Hein-
rich darneben in gedrückter, ängstlicher Haltung, in welcher die gedrückte Gestalt
noch plumper erſchien, den Kopf vorn übergeſenkt und die uaſeäten ust!
elbſt stutzte

sette er, nach

bald links, bald rechts, aber nie gerade aus gerichtet. Leonhard
bei dem Anblick des Burschen in ſeine r Rede.

! Hr Hein rich K opp, ſagte der Präsident, Sie haben es gehört,
iſt dem so ?" ! ;

j uE das iſt wahr, entgegnete er haſtig ; sie hat ihn vom Himmel bis zun
Erde gebeten, er ſole wenigstens heute noch nicht mit ihr sprechen, er solle an
ſeine selige Mutter denken, der er veeſprochen habe, Geduld mit seinem Vater
zu haben. Sie hielt ihn noch am Arme fest, als er aus der Stube lief und
!: h #Wenn Du mich liebſt, Leonhard, ſo thue es nicht, thue es wenigstens
nicht: heute!“ .) &i i | z

„Um welche Tageszeit war das ?“ fragte der Präsident.
„Ich weiß nicht, gab Heinrich zur Antwort ; es war so gegen Abend."
„Es war ungefähr halb acht Uhr, sagte Leonhard. Als ich in G. auf
dem Bahnhofe ankam, ſchlug es gerade acht.6 '1
. „Auf dem Bahnhof in G.?“ wiederholte der Fragende.
; (Fortſeyung folgt.) .,
 
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