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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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Fl2. 129.

Süddeutſchland unter Preußen.
I Heidelberg am Alerſeelentage.

Wenn der Starke mit dem Schwachen, wenn gar der Sieger
mit dem Besiegten eine Geſellſchaft abschließt, so kann in einem sol-
chen Löwenbund es nicht fraglich ſein, wessen Wille gelte, noch wer
den Entſcheid gebe. Die Signatur des Jahres 1866, wo Süddeutſch-
land zu Füßen von Preußen lag, wo man ſeine mühevoll erſparten
Millionen nach Berlin abführte, hat auch die Verſailler Verträge be-
herrſcht. Es stand in den Sternen geſchrieben : Deutschland muß
in Preußen aufgehen. Ganze Stämme unseres Volkes und viele ſei-
ner beſten Männer erkannten hierin einen schweren Schickſalsſchlag,
eine beklagenswerthe Verkümmerung der in der Geschichte begründe-
ten natürlichen Entwicklung, ſowie des eigenſten Geiſtes der germa-
niſchen Nation. Vor Allem ſoll der Mann frei und Herr sein im
eigenen Hauſe ; dies war immer der Stolz und das unbesiegbare
Sireben des Deutſchen. Wenn wir auch jetzt noch in Süddeutſch-
land mit ganzer Seele daran feſthalten, oder doch beharrlich darnach
ringen, wer dars es uns verargen? Wer darf unsere Trauer ſchel-
ten, weun wir Zeuge sein müſſeu, wie unter den ſtraffen Maßregeln
nivellirender Staatsweisheit das ſchönſte Sonderleben erdrückt und
erſtickt wird ?

Tauſend von dem kopfloſen Liberalismns beklatſchte Erscheinun-
gen führen uns täglich zu dieſen Betrachtungen. Vier Jahre lang
hatten wir das Herannahen der eiſernen Tritte immer deutlicher ver-
nommen, und wenn es sich auch wunderbar fügte, daß wir, als
Deutſchlands Erbfeind unsere Grenzen bedrohte, gemeinsam mit denen,
die jüngſt erſt uns so wehe gethan hatten, den großen herrlichen
Krieg unternahmen und ſiegreich zu Ende führten, so können wir
doch des Siegesgewinnes nicht froh werden.

Unsere ehemalige Selbständigkeit iſt dahin; unser Wille muß
ſich unterordnen, unsere Intereſſen erliegen fremdem Belieben, und
die Vortheile, die wir dagegen einwechſeln, vermögen den tiefen Miß-
muth nicht zu heben. Indem wir unſere Militärmacht, und damit
die Blüthe der männlichen Jugend an den König von Preußen ab-
traten, verzichteten wir auf jede Möglichkeit ſelbſtbeſtimmender Kraft
und entäußerten uns aller freien Willensthätigkeit, die sich sonst der
muthige Mann nur mit dem Leben entreißen läßt. Unsere Regimen-
ter ſind königl. preußiſche geworden, nicht kaiſerliche, wodurch uns
wenigſlens der Troſt geboten worden väre, unmittelbar Theil zu
haben an der Herrlichkeit des deutſchen Reiches. Vorerst sind unsere

für Stadt





Söhne ein ſchätßbares Material für den preußiſchen Landtag, oder

vielmehr sie gehören zu dem eiſernen Bestand, der auch für die con-
ſtitutionellen Ziluſionen der preußiſchen Kammern unantastbar iſt.

Der Yrand von Chicago.



In der „Newyorker Handelszeitung“ vom 14. v. M. findet sich eine zu-
sammenhüngende Beſchreibung der Feuersbrunſt, welche 10,000 Gebäude Chi-
cago's in Aſche legte. Wir entnehmen ihr das Folgende:

„In der Nacht des 6. Oct., gleichſam als Prolog der Höllen - Tragödie,
deren Schauplatz die Stadt werden ſollte, fand eine größere Feuersbrunſt statt,
die die Feuerwehr stark in Anſpruch nahm und die Mannſchaft ermüdete. In
der Nacht von Sonnabend auf Sonntag = ſo wird die Sache allgemein er-
zählt – begab sich ein Junge mit einer Keroſin-Lampe in einen Stall in De-
koven Str., in der Nähe der Westſeite des Chicago-Jluſſes, um eine Kuh zu
melken. Die Kuh schlug aus und warf die Keroſin-Lampe um, so daß das
Fluidum über das Stroh geſchleudert wurde. Dies war der Anbeginn des
großen Brandes. Es fing der Wind aus Südwesten zu blaſen an, wurde

immer heſtiger und steigerte sich zum Sturm. Die Flammen ſchoſſen mit Blites-
j <hnelle von Haus zu Haus; sie überſchritten den Fluß und zerſtörten Backſtein-
und massive Gebäude, die Gesſschäſtsquartiere, Ciſenbahnhöfe, Frachtmagazine
und Fabriken. Um ein Uhr stand der Bahnhof der „Michigan Southern" in
Brand. Hehn Häuſergevierte (Blocks) lagen ſchon in Aſche. Gegen zehntauſend
Menſchen arbeiteten aus allen Kräften, aber alle Anstrengungen erwiesen ſich
als vergeblich. Ganze Feuerſäulen flogen wie riesige Drachen über die Stadt
hin bis zum See. Auf eine dreiviertel Meilen lange Strecke verſchwanden
die Backsteingebäude auf einmal, wie auf den Schlag einer Zauberruthe. Alles,
was die Menschen noch thun konnten, war, die Gebäude in die Luft zu ſprengen ;
aber auch dies half nur wenig. Der Stadttheil glich dem Innern eines un-
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krümmten sich einen Augenblick, als ob sie mitten im Feuer lägen. Der Fluß
lag voll Fahrzeuge, die ale in Flammen aufgingen. Es ſchien, als ob die
Flammen, , ſobald sie nur eine Mauer trafen, durch und durch drangen. Die
Mauern ſchmolzen und die Backſteine wurden vom Feuer verzehrt. Es ent-
stand ein ununterbrochenes, zwei Meilen langes, eine Meile breites Feuermeer.
Man ſah 75,000 Männer, Weiber, und Kinder durch alle noch gangbaren
Straßen und Gäßchen ſüdwärts und westwärts entfliehen und sich bemühen,



Samstag den 4. November





J tet hut mute;
und Candi s
1871;
Einstweilen iſt es Thatſache, daß wir ausschließlich nach preu-
ßiſchem Takte marsſchiren und schießen, daß das oberste Commando
und eine große Zahl der Jöchſten Chargen preußischen Kriegsmän-
nern anvertraut, daß das beseeligende preußiſche Element schon bis
in das Corps der Unterofficiere eingedrungen iſt. Dieser Tage erſt
mußten wir erfahren, daß nach vielen andern Oberofficieren wieder
zwei tüchtige und beliebte Führer Großh. Brigaden, die Generale
v. Deg enfeld und Keller, es vorgezogen haben , sich zurückzu-
ziehen, und noch iſt nicht abzuſehen, wie weit dieſes Ausſcheiden sich
ru demüthigender mußten wir es empfinden, daß wir,
deren höchster Stolz es immer gewesen war, an der Spite der In-
telligenz ganz Deutſchland voranzuſchreiten, jett auch bei preußiſchen
Pädagogen in die Schule gehen müssen. Einer nach dem Andern







wird im Stillen den Lehrern unserer höheren Bildungsanstalteu bein.

gesellt; hierher nach Heidelberg so), wie die Zeitungen ohne Wider-
ſpruch berichten, in nächster Zeit ein junger 38 Jahre alter Mann
von Magdeburg berufen sein, um als Direktor die Leitung des
Lyzeums zu übernehmen, an welchem mehrere verdiente Profesſſoren
thätig sind, die seine Väter sein könnten!

Und wie wir, müſſen die Heſſen, denen ſchon lange der
halbe Leib lahm gelegt worden iſt, die von Norden kommenden
Segnungen hinnehmen. Auch Württemberg und ſeine ruſſiſche
Kaiſerstochter haben sich fügſam gezeigt, nur Bayern, das dumme
Bier trinkende Bayern, wollte bis jetzt nicht erkennen, daß der am
glücklichsten iſt, der nichts mehr zu verlieren hat. Bayern hat bis
jetzt ſein Gesetz gebungsrecht, seine Armee, seinen König zu retten
geſucht, und dem schreienden Troß der Knechte Bismarcks männ-
lich widerſtanden. Der junge König ſelbſt ſoll ſeiner Wittelsbacher
Ahnen und der heiligen Pflichten eingedenk ſein, die ihn mit ſei-
nem treuen, tapferen Volke verbinden. Auch brachten die jüngsten
Tage uns mehrfache Anzeichen, daß das vermesſene Beginnen des
Ministeriums Lutz in immer höherem Maße den Widerwillen des
jungen Königs erregt, und es seinem nahen Ende entgegengeht.
Wir wollen deßhalb vertrauen, daß der alte deutſche Geiſt sich in
Bayern erhalten und stärken, und nie dulden wird, daß die frevel-
hafte Hand ſich gegen König und Altar erhebe.



* Heidelberg, 3. Nov. Der Anklang, den die vom Prote-
ſtantenvereine eingeleitete Agitation zur Vertreibung der Jeſuiten
aus dem deutſchen Reiche findet, ſcheint außerhalb der mit dem
Proteſtantentag zuſammenhängenden Kreise so gut wie Null zu fein.
Doch hat die Bewegung es ſchon zu einer Petition an den Reichs-

ihr Leben und ihre Kleider zu retten. Jedes nur verfügbare Fuhrwerk wurde
in Anspruch genommen, und es wurden dafür ungeheuere Preiſe bezahlt. Pferde,
Fuhrwerke, und Tauſende von Menſchen waren in wildem Gewirr auf den
Trottoirs unter einander gemengt. Die armen Leute aller Farben und aller
Nationalitäten von Europa , China und Atrika waren wie raſend vor Aufre-
regung und kämpften mit einander, um sich einen Durchweg zu bahnen und
hinweg zu kommmen. Hunderte wurden niedergeworfen und mit Füßen ge-
treten, Männer und Frauen waren mit Kleidern und ihrem Hausgeräthe be-
laden, an die Eltern klammerten ſich zarte, halbbekleidete Kinder, alle ſuchten
einen Zufluchtsort. Mehrere Stunden nachher konnte man ſie auf leeren Bau-
stellen oder auf den Straßen oder weit draußen in den Vorſtädten ſinden, wo
ſie in den Staub der Straßen ſich hinlegten. Hunderte waren von dem grauen-
vollen ſchrecklichen Anblick verrückt geworden und Viele hatten sich vom Durst
gepeinigt in Bier oder Brandwein betrunken, da sie kein Wasser haben konnten.
Diese Betrunkenen breiteten sich nach allen Richtungen hin aus, zum Schrecken
aller derjenigen, mit denen sie in Berührung kamen. Der Gedanke an den
Verluſt von Menſchenleben, den dieſer Brand verursacht hat, ist ſchrecklich.
Man berechnet, daß beinahe 500 Menſchen verbrannt sein müssen. (Am 11.
hatte man schon 90 Leichname aus den Schutthaufen hervorgezogen.) An
der Ecke eines Gebäudes hatte sich eine Menſchenmenge versammelt, um das
darin beſindliche Gigenthum zu retten, da stürzte das Gemäuer ein und einige
Menſchen wurden unter dem Schutthaufen begraben. Etwa fünfzehn Männer,
arauen und Kinder rannten in das Gebäude der hiſtoriſchen Geſellſchaft, da es
nls feuerfeſtes Gebäude einen ſicheren Zufluchtsort verhieß. Wenige Minuten
Jachher brachen die Flammen aus dem Gebäude hervor und alle darin beſind-
lichen Menſchen verbrannten. Nach allen Richtungen hin wurde um Hülfe tele-
graphirt und Milwaukee, St. Louis, Cincinnati und andere Städte antworteten
schnellstens durch Abſendung von Löſthmannſchaften. Die Antunft derſelben
erweckte wieder den Muth und das Vertrauen der Bewohner. Alein alle
Mühen und Anstrengungen der Tauſende von Feuerwehrmännern waren völlig
vergeblich, „hoffnungslos weicht der Mensch der Götterſtärke", doch „ein Gott
hat Erbarmen“, denn was den Menſchenhänden nicht gelang, ein ſtrömender
Regen j'tuagt es in wenigen Stunden, und Dienstag Morgen war man
Herr des Feuers.
 
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