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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0569

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F. 143.

cel E







Q Tauberbiſchofsheim , 4. Dec. Bei der heutigen Nachwahl
für unseren Bezirk wurde Hr. Oberamtsrichter Junghanns in Offen-
burg als Abgeordneter gewählt.

“ Nach einer der Karlsr. Ztg. zugegangeneu Meldung haben von
127 Wahlmännern 126 abgeſtimmt ; davon 76 für Hrn. Junghanns
und 50 für Hrn. Seminardirektor Neumeier.

Tagesbericht.

~ Die französische Nationalverſammlung iſt am Montag den
4. d. nach Ablauf ihrer Vertagung wieder zuſammengetreten. Hr.
Thiers richtet an dieſelbe eine Präsidentenbotſchaft, die heute oder
morgen zur Verlesung kommen wird. Man berichtet aus Berlin,
daß in dem ganzen Umtreiſe des franzöſiſchen Gebietes, das von
den deutschen Truppen noch besetzt iſt, der Belagerungszuſtand ver-
kündigt worden iſt. Verbrechen gegen deutsche Soldaten werden
durch deutſche Militärgerichte abgeurtheilt. i

~ Graf Beuſst hat auf seiner Reiſe nach London Paris und
Versailles berührt. Derſelbe war mit Thiers zuſammen, und wohnte
auch einem diplomatiſchen Dinern Versailles bei. Thiers soll mit
Bezug auf die Haltung Desterreichs während des französiſch-deutſchen
Krieges ſich etwas froſtig gezeigt haben.

Aus Wien wird der Karlsr. Ztg. geſchrieben, Graf Beuſt habe
urſprünglich uicht über Frankreich nach London reiſen wollen. Eine
von der kaiſerl. Regierung vorgeschriebene Reiseroute habe er nicht,
wie auch keine Aufträge des Wiener Cabinets für Versailles.

~ Der bayeriſche Landtag iſt auf den 12. d. M. einberufen.
Die würitembergiſchen Stände sind seit dem 1. d. wieder versammelt,
ebenſo der Landtag des Königreiches Sachsen.

~ Der Biſchof von Straßburg iſt in Berlin am Montag
Nachmittag vom Kaiser in Audienz empfangen worden.

~ Öfficiöſsen Versicherungen zufolge beabsichtigt die preußiſche
Regierung nur die Einführung der Noth-Civilehe.

~ General von Werder, Commandeur des 14. Armeecorps,
hat sich in den letzten Tagen in Berlin befunden und wurde vom
Kaiſer empfangen.

D Diie Berliner „Tribüne“ bringt folgende auffallende Nach-
richt: „Jn Abgeordnetenkreiſen will man wissen, daß die Staats-
regierung unmittelbar nach dem Schluſſe des Reichstages gegen ein
hervorragendes Mitglied der klericalen Fraction eine Maßregel
zu ergreifen beabsichtige, welche zwar verbindlich in der Form, von
jute Folgen aber für den davon Betroffenen begleitet sein
möchte.

Ein Wiener Jude.
Aus dem Weckſtimmenkalender.
Von K onr a d von B olan den.

Ich trat in den Saal des Bahnhofes, den Abgang des Zuges zu erwar-

ten. Flüchtig gleitete mein Blick über die Gegenwärtigen: – mehrere Damen,
einige Herren, und dort auf dem Sopha in der Ecke zwei barmherzige Schwe-
ſtern. Vielleicht kehrten ſie heim aus Frankreich , wo vieſe Engel der Spitäler
ihres erhabenen Berufes gewartet.

_ HJür barmherzige Schwestern empfinde ich eine große Hochachtung ; denn
ich begreife die lange Reihe ihrer Entſagungen und den Adel ihres Opferlebens.
Dieſer Empfindung folgend, grüßte ich die Kloſterfrauen achtungsvoll und ließ
mich auf einen Stuhl nieder.

Während alle Reiſenden auf Sitten an den Wänden Plat genommen,
luſtwandelte mitten durch den Saal ein elegant gekleideter Herr, dessen orien-
taliſches Geſicht ſofort den Juden verrieth. Die barmherzigen Schwestern ſchie-
nen ihm ein Gegenstand des Mißfallens zu sein. So oft er in ihre Nähe kam
) G Ut s Gt. Zz rttzut. rer Laren laser

. . ;
ſcheidenheit und des Anſtandes geſchehen kann, zu beobachten, ſo sft es sich
äußert. Ich ſah, wie die Merkmale des Hohnes immer stärker in die Züge
des Juden traten, wie religionsfeindliche Gesſinnungen und fanatiſcher Haß,
welche in der Seele des Menſchen ſchlummerten, immer lebhafter erwachten.
Zuletzt blieb er vor den Schweſtern ſtehen, rückte den Zwicker näher an die
Augen, verſchränkte die Arme , spreitte die Beine auseinander, und sah mit
einem wüſten Lachen auf die beiden Opfer seiner Spottſucht. Die Barmher-
INN«ſ ittltStS.B

'" wagten ſie nicht, das Auge zu erheben, oder den Plat zu verlaſſen, Vielleicht

ertrugen sie auch willig die Verhöhnung in jenem erhabenen Geiſte chriſtlicher
Vollkommenheit , der
Kreuze niederlegt.

ſich der Leiden freut und jede Beleidigung vor dem
î Der Jude gewahrte den raschen Farbenwechſel im Angesichte der Jung-

frauen, freute ſich der peinlichen Lage seiner Opfer und lachte sataniſch.



Donnerstag den 7. December







Zzote

Inseraten - Inhalt der Annoncen-Cxpedi-

tionen von Rud. Mosse, Haasenstein&
und Land. Vogler & G. L. Daube & Cis. in

VÜrchen, Frankfurt n. Stuttgart tc.

E



Badischer Landtag.

] In der 7. öffentlichen Sitzung der 2. Kammer, Dienstag
5. Dez., zeigte der Präsident zu Anfang an, daß S. K. H. der
Großherzog der Adreßdeputation die Antwort ertheilt habe, wie er
mit Freude vernommen, daß die Bestrebungen seiner Regierung von
der Volksvertretung getheilt würden, so daß er sich der Hoffnung
hingebe, daß die Gesinnungen des Friedens, die sich allerwärts kund
gäben, schöne Früchte tragen möchten.

Der Geſeßentwurf betr. die Holzmaße wird darauf in zweiter
Lesung einstimmig angenommen.

Der Präsident des Handelsminiſteriums Hr. v. Duſch machte
sodann Vorlagen von den mit Bayern jüngst abgeſchloſſenen Ver-
trägen wegen des Baues verschiedener neuer Eiſenbahnstrecken. Die
vergleichende Darstellung der Rechnungsnachweiſungen des Gr. Han-
delsminiſteriums von 1868 und 1869 , Berichterstatter Paravicini,
wird nach verſchiedenen Bemerkungen einiger Abgeordneten über ein-
zelne Gegenstände nach dem Antrage der Commission genehmigt.
Desgl. die vergleichende Darstellung des Juſtizminiſteriums von
1868 und 1869. j

Kimmig berichtet über die Rechnungsnachweisungen des großh.
Staatsminiſteriums, des großh. Hauses und der auswärtigen Ange-
legenheiten.

q hr Feder ſpricht gegen die Ueberſchreitung der Position „Or-
den“. Minister v. Frey dorf weiß über die Mehrausgabe keine
Ausknnft zu geben. Sachs (gegen v. Feder): dann müſſe man
auch die größeren Verdienste streichen! Präſi dent: Die Discuſ-
ſion hierüber iſt geſchloſſen! ' f

L ender wünſcht, daß die Commiſsionssſizungen immer ange-
zeigt werden, damit die ſämmtlichen Abgeordneten anwohnen könnten.
Kiefer iſt damit einverstanden.

Präſident: So weit möglich wird dieser Wunſch erfüllt
werden. Nächste Sitzung übermorgen um 10 Uhr.

~ Nach den bis jetzt vorliegenden Zeitungsberichten über die
Adreßberathung in unserer badiſchen 2. Kammer am Sanmſtag den
2. d. M. hat es sich ergeben, daß der gehäſſige Geiſt des Natio-
nalliberalismus gegen Andersgesinnte sich von der alten Kammer
auf die neue vererbt hat. Wir erſehen aus der „Landeszeitung“,
wie sogar perſönliche Angriffe nicht gescheut wurden, und der
„Beobachter“ stellt an die Spitze seines Berichtes die Bemerkung,
die Adreßdebatte sei reich an Grobheiten geweſen, welche dem mil-
den und >tſstulichet Auftreten der kathol. Fraktion entgegengeſchleu-
dert wurden.

Mir begann die Galle zu steigen. Ich hätte den Menſchen greifen und
zur Thür hinauswerfen mögen. Aber es kam noch ärger. Der Jude räu-
ſperte sich und spuckte, mit dem Ausdrucke der Verachtung, den Schwestern vor
die Füße. Die Angeſpuckten verharrten duldend und ſchweigend. Allein die
bewunderungswürdige Sanftmuth der Kloſsterfrauen stachelte nur die Bosheit
des Nichtswürdigen. Er fiel ſie an mit ſchneidiger Rede;

„So — Sie sind alſo barmherzige Schwestern !“ begann er hämiſch. „Hm
~ muß gestehen – nichts Besonderes! Ha —~ Ha = freilich, solehe Gesichter
machen keine Partie. Man geht alſo in's Kloſter, und im Kloſter wird nicht
allein gebetet, gegesſen und getrunken, sondern auch andere Kurzweil getrie-
ben – Aber dieses Kleid paßt nicht in unſere liberale Zeit ~ es ſtinkt nach
dem Mittelalter. Ueberhaupt sinde ich, daß Klöster, Mönche, Pfaffen und
Nonnen den gesunden Geſchmack der Gegenwart nicht ärgern ſollten. Der
ganze Schwarm von Nachtvögeln und Fledermäuſen sollten aufhören zu exi-
stiren. Man muß einmal tüchtiges Treibjagen halten."

Weiter kam der Jude nicht. Ein Zorn brannte in mir auf, wie niemals
in meinem Leben. Ich sprang empor und legte etwas derb meine Rechte auf
die Schulter des Schmähenden. ;: itt:

„Mein Herr,“ sagte ich, „Sie finden Vergnügen daran, Jene zu inſultiren,
deren mühevolles Berufsleben und deren barmherzige Thätigkeit die Bewun-
ttt. aller menſchlich Fühlenden erweckt. Pfui – mein Herr , ſchämen

ie sich !‘ :

„Mich ſchämen? Warum ſchämen? Finde ich Genuß darin, diesen pfäffi-
ſchen Sendboten Roms meine Ansicht auszusprechen, was geht das Sie an!“

„Allerdings geht mich dies an; wollen Sie als Anſständiger unter Ge-
bildeten leben, dann sind Sie auch gehalten, Anstand und Bildung in Jhrem
Betragen zu zeigen. Sie aber betragen ſich dieſen wehrloſen Frauen gegen.
über flegelhaft und gemein! Ja, = gemein unter aller Kritik.“. . s

„Was, dies ſagen Sie mir ?“ ſchrie wüthend der Jude. „Mir, der ich bin
ein Publiciſt von der Wiener Presſe.
Macht, die herrſcht in Deſterreich ?“

„Wenn Sie ein Wiener Zeitungsjude sind,“ warf ich kalt entgegen, „dann

ift ihr Benehmen erklärlich.'

Mir = der ich bin ein Theil von jener

(Schluß folgt.)
 
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