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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0477

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erſcheint wöchentlich 8 Mal: Dienftag, Donnerstag
und Samſtag. ~ Preis : vierteljährlich 40 kr. ohne
trägerlohn und Poſtaufſchlag. Inſ.-Geb. 2 kr. d. Z.

für Stadt





Inseraten- Inhalt der Annoncen-Expedi--

tionen von Rud. Mosse, Haasenstein&
und Cand. Vogler & G. I: Danube & Cis. in

H sets Frankfurt u. Stuttgart rec.





Wahlnachrichten.

X Bruchsal, 12. Oct. Bei der heutigen Abgeordnetenwahl
wurden gewählt: im 40 Wahlbezirk, Bezirksamt Bruchſal, Dr.
S <ulz aus Heidelberg; im 41. Wahlbezirk, Stadt Bruchsal,, der
ſeitherige Abgeordnete Bankdirektor J a k o b Weber von hier.

_. Decan Lender doppelt gewählt; in Achern-Bühl und Ett-
lingen. Kaufmann Reichert von Baden gewählt für Steinbach-
Baden. Anwalt Marbe in Freiburg im Landbezirk Freiburg.

Y: Frater im Amt Offenburg. Walldürn: Bürgermeister
ieſ er.

Soweit die bis jetzt bekannten Reſultate unserer Partei. Auf

miniſterieller Seite liest man in der Karlsruher Ztg. als gewählt
die alten Führer, Kiefer, Lamey, Eckhard, Kirsner und Gefolge.
th s uus wurden gewählt: Dr. Eller, v. Fed er , und



T a g e s b e r i c t.

— Aus Berlin wurde gemeldet, daß alsbald nach der Rück-
kehr des Kaiſers eine große Amnestie sowohl für politiſche, wie für
militäriſche Vergehen zu erwarten ſei. :

~ Am 10. d. eröffnete zu Berlin die „freie Verſammlung
evangeliſcher Männer“ ihre seiner Zeit angekündigte Tagung. Zum
Vorsitzenden wurde Staatsminister a. D. v. Bethmann-Hollweg
gewählt. Die Verſammlung berieth über das Thema: Was haben
ivir zu thun, damit unserem Volke ein geistiges Erbe aus den gro-
ßen Jahren 1870 und 1871 verbleibe? Während der Rede Ahlefeld’s
aus Leipzig hierüber erschien der K ai s er in der Verſammlung und
blieb bis zum Schluße. Dem Einladeaufruf zu Folge hat sich diese
Versammlung poſitiver Proteſtanten die Aufgabe gesett : „Angesichts
der weltgeſchichtlichen Ereigniſſe, durch welche die gnädige Hand Got-
tes das Deutſche Reich unter seinem protest antiſchen Kaiser
neu begründet hat, überall, ,„ſo weit unſer Volk die Güter und Ga-
ben der Reformation wahrt und pflegt“ , das Bewußtsein der
Verpflichtung lebendig zu erhalten, „welche der evangelischen Kirche
des Vaterlandes in allen ihren confesſionellen und landeskirchlichen
Gliederungen von der neu angebrochenen Zeit auf's Gewissen gelegt
werden.“ Dieselbe tagt in einer Kirche. Dem Protestantenverein
war, als man endlich deſſen Jahresverſammlung in Berlin zuließ,
keine Kirche gestattet worden; er mußte in die Turnhalle.

7zz.Die Generalrathswahlen in Frankreich sind der großen
Mehrheit nach im Sinne der gemäßigten Republikaner ausgefallen.
Der Herzog von Aumale siegte in Clermont.

Eine amerikaniſche Criminalgeſchichte.



(Fortſewung.)

Sechs Wochen später ſaß ich mit Andern im Poſiwagen von M. nach G.
Gegen Sonnenuntergang ſah ich zum ersten Mal den Ort meiner Beftimmung.
„In der That ein niedliches Städtchen,“ dachte ich und meine Hoffnungen fingen
an ſich zu beleben und ſchienen hier in Erfüllung gehen zu ſollen.

In der Stadt ſchien eine außergewöhliche Aufregung zu herrschen, denn
man beachtete unsern dahinrollenden Wagen gar nicht oder wenigstens nicht ſo,
wie ich es in unſeren Städten Neu - Englands gewohnt war. Alle, Mänrer
Weiber und Kinder ſchienen dem Marktplaye zuzueilen. |
hrauch ne u y “zun “gucee “ bt peu eus.
meinen Worten Nachdruck, und in knrzer Zeit hielten die Pferde vor einem
vornehm aussehenden, mit Bäumen, Sträuchern und Blumen in Ueberfluß
umgebenen Wohnhauſe.

„Da sind wir,“ sagte mein Kutſcher, und ich. stieg aus.

Auf der Veranda waren mehrere Damen, unter denen ich ſogleich die wohl-
bekannten Züge meiner Tante wieder erkannte; man kam mir auf südlich ehrbare
Weiſe entgegen. Doch jene blasſe junge Dame, sollte es Ela Raymond ſein?
Wie verändert sah sie aus. Weiß wie Marmor und die großen ſchönen Augen
melancholisch niedergeschlagen.

Die Tante empfing mich freundlich und ſagte, daß ſie sich freue, mich
zu so gelegener Zeit eintreffen zu sehen. Doch ihre Bemerkungen wurden von
Ella unterbrochen, welche haſtig meine Hand erfaßte.

_ nynDu wirſt ihn nicht für ſchuldig halten ! Dn wirst verſuchen, ihn zu retten !
Nicht wahr Carl? Gewiß Du wirst es.“ :

Ich schloß sie in meine Arme, denn ich bemerkte, daß ſie ohnmächtig wurde,

und ohne lange zu fragen trug ich sie mit Hilfe ihrer Mutter ins Haus. Die

übrigen Damen machten Plaz und näherten ſich erſt, nachdem ich die ſcheinbar
Lebloſe auf ein Sopha gelegt und mit Hilfe einiger Eſſenzen wieder zur Beſin-

nung gebracht hatte.
_ Indessen zogen
und meiner Nichte allein zu laſſen. Auf meine Frage, was vorgefallen ſei und

Samſtag den 14. Oktober



ſich die Besuche bald zurück, um mich mit meiner Tante.

1871.



ES EE ES

Die französische Regierung hat die Wahl des Prinzen Na-
poleon auf Corsika für ungiltig erklärt. ;

— Der während des Pariser Aufstandes oft genannte Artil-
lerie-Oberſt Ro ſſ el, deſſen Todesurtheil wegen Formfehler für un-
gültig erklärt wurde, iſt vom Kriegsgericht wegen Deſertation vor
dem Feinde abermals zum Tode verurtheilt worden.

2 Aus einer Anordnung des Hrn. Thiers, die der „Monde“
mittheilt, scheint hervorzugehen, daß die Rückgabe der Güter des
Hauſes Orleans, welche 1852 für den Staat eingezogen wurden,
beſchloſſene Sache ſei. ;

— Bei dem Brand in Chicago, das etwa 300,000 Einwohner
zählt, ſollen 12,000 Häuſer zu Grunde gegangen sein, und der Scha-
den sich auf 200 Millionen Dollars belaufen. Ein anhaltender Re-
gen that der Feuersbrunst Einhalt. Man hat zahlreiche Gebäude
geſprengt, um die Ausbreitung des Feuers abzugrenzen. Bisher
hat man über 100 Leichen ausgegraben. 40 Personen, welche Plün-
derungsverſuche machten, wurden theils gehängt, theils erſchoſſen.

Die Pesther „Reform“ meldet: die Untersuchung gegen die
verhafteten Arbeiter iſt beendet. Sämmtliche standen in Verbindung
mit der Pariſer Commune und handelten nach Instruktionen der Jn-
ternationale. Drei Abgeordnete der äußerſten Linken sind com-
M t Hh tt s hes! > .us
ein Königreich Ungarn, ein Königreich Böhmen und einen namen-
loſen Reſt, die „übrigen Länder." Da muß man wohl fragen,
wo denn Öeſterreich hingekommen ist, wenn es nicht mehr exiſtirt.
Hat es der „Todtengräber“ B eu st etwa dem deutſchen Reichskanz-
ler in die Taſche geſchoben ~ doch nein, Beuſt gilt ja als der Ret-
ter Deſterreichs, und der wirkliche Todtengräber wäre Hohenwart,
mit dem „feudal-klerikal-ultramontanen“ Anhange. Deßwegen haben
auch die Studenten in der Wiener Aula den Reichskanzler Grafen
Beuſt hochleben laſſen währenddem sie dem Unterrichtsminiſter
Jireczek Pereat riefen. Auf der ganzen Linie des Liberalismus iſt
einmüthiges Wehekiagen über dieses nicht mehr exiſtirende Deſterreich.
Man ſchickt sich wirklich an zu deſſen Begräbniß ; ſelbſt die „Demo-
kratische Correſpondenz““, wäre sie noch am Leben, würde sich in die
Reihe des Leichengefolges ſtellene. Jn der That, das Oeſterreich
der centralistischen Dezemberverfaſſung hört auf zu exiſtiren, und der
gemeine Liberalismus hat Grund zu klagen und zu zürnen, denn
es bricht ihm da eine wichtige Position zuſammen. Es war so ge-
müthlich und wohlbehagend für die Gothaer in Desterreich, unter
dem sogenannten Bürgerminisſterium parlamentarisch im Sinne des



die Ohnmacht Elas verursacht habe, erfuhr ich, daß ein Mord begangen und
der Heclohts Ella’'s, Stewart Mill, festgenommen und befchuldigt sei, ihn voll-
ührt zu haben.

Gz tt. !: Tante fügte hinzu, Ela sei ſo bethört, ſo blind in ihrer Liebe
daß sie keinen Augenblick den Gedanken faſſen könne, ihren Verlobten für
ſchuldig zu halten. Ich merkte, daß die Tante wenig Sympathie für das
arme Mädchen zeigte und eben wollte ich mich des Nähern erkundigen, als
mein Onkel eintrat und die Converſation unterbrach. Ella war wieder zu sich
gekommen und mein Onkel mußte daher die erſten Augenblicke unſeres Wieder-
ſehens darin theilen, mich zu bewillkommnen und seine Tochter zu liebkosſen.
Meine Tante verließ das Zimmer. „Ich muß gehen, sagte ſie, und meinen
Beſuch um Verzeihung bitten, daß ich ſie nicht vorſtellen kann, doch hoffe;ich, daß
der unangenehme Vorfall vie scheinbare Nachlässigkeit hinreichend entſchuldigt.'

Ich antwortete nicht, doch meine Tante fuhr fort: „Wenn der Anfall
bei Ella vorübergeht, wird es gut ſein, wenn Du Deine Toilette etwas ord-
nest und mit mir ins Nebenzimmer gehſt, denn man iſt ohne Zweifel begierig,
den Fremden zu begrüßen und näher kennen zu lernen."

Ich weiß nicht, mir war als hätte ich etwas auf den Lippen, was nicht
in die Regeln der Etiquette hineinpaßte. Doch mäßigte ich mich und ſagte,
wenn auch etwas verſtimmt :

„Nein, Tante, der Zuſtand Ellas erfordert noch genaue Aufmerksamkeit
t j ſten bin ich auch zu ermüdet, um sogleich eine ſolche Feuerprobe zu
eſtehen. :

Die Tante ging. Nach einigen Augenblicken kehrte sie indeß mit der Nach-

richt zurück, ihr Beſuch habe ſich entfernt und lasſe Glück dazu wünſchen, daß

man mit der ſchönen Patientin ſo beſchäftigt ſei.

Mein Onkel ließ mir mein Himmer anweisen, wo ich einige Augenblicke
Muße fand, über das soeben Erlebte nachzudenken und mit mir zu berathen,
was in der Sache zu thun sei. So viel hatte ich aus den meiſt abgebrochenen
und zuſammenhangsloſen Worten Ellas erfahren, daß irgend ein geheimniß-
voller Umstand mit dem Morde in Verbindung stand. Ellas fefte Ueberzeu-
gung, daß ihr Geliebter unſchuldig jei, war freilich kein Beweis, doch glaubte

ich, dieſe unerſchütterliche Ueberzeugung nicht übergehen zu dürfen. Ebenso

beſchoß ich bei mir ſelbst, tiefer in das Geheimniß einzudringen ~ als eine Magd
zum Abendbrod rief. ' y (Fortſezung folgt).
 
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