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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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Trägerlohn und Poſtaufschlag. Inſ.-Geb. 2 kr. d, Z.

fis. 93.










Deutschland.
* Heidelberg, 9. Aug. Der von uns in der legten Nummer
erwähnte Artikel der Karlsruher Zeitung, der faſt gleichzeitig mit
den von uns entwickelten Ansichten über die Lage der Dinge im

Caß erſchienen iſt, ſtimmt in vielen Punkten mit unserer Auffaſſung

überein und dient uns zur Stütze, wenn nationalliberale Blätter
ihre verdächtigende Schnüffelhyänennatur gegen uns wenden wollten.
Da wird zuerſt zugeſtanden, daß die etſaß- lothringiſche Induſtrie
durch die Annexion an Deutſchland „schwere Einbuße“ erleiden wird,
freilich nur „zunäch sl“, wie der Verfaſſer ſagt, ~ ein ſchlechter
Hoftroſt, der die Betheiligten nicht beruhigen kann. Dagegen be-
hauptet der Verfaſſer, die Weinproducenten in den neuen Provinzen
würden um so beſſere Geschäfte machen, da sie mit den französiſchen
Weinen nicht hätten concurriren können, während das ein anderer
Fall sei in Betreff der deutſchen Weine. Wir gestehen, daß wir
früher der gleichen Ansicht waren und eine gefährliche Concurrenz
der elſäſſer Weine für unſer Absatzgebiet befürchteten. Seitdem aber
beſſer belehrt durch Sachkenner, glauben wir nicht, daß die Weinpro-
ducenten in Elaß - Lothringen durch den Anschluß an Deutſchland
etwas gewinnen werden. Sind doch ihre Weine keineswegs nach
unserem Geschmack ; stark, hart, mit Bodengeſchmack, häufig brandig,
werden sie gegenüber dem lieblichen Martgräfler, den trefflichen Wei-
nen des badiſchen Mittellandes und dem viel feineren Gewächse der
bayeriſchen Pfalz einen schweren Stand haben, mit Ausnahme jedoch
der Rothweine, die vielfache Nachfrage veranlassen dürften, deren
Concurrenz unseren Weinen aber weniger ſchadet, weil die weißen
Weine bei uns unverhältnißmäßig mehr begehrt und deßhalb auch
in überwiegender Menge gepflanzt werden.

Was die Stellung der linksrheiniſchen Neu-Deutschen zur staat-
lichen Ordnung betrifft, so geſteht der Verfasser ein, daß die Dinge
drüben möglichſt ſchlecht ſtehen. Das ſehe man ſchon an der Sprache,
indem das Französiſche allenthalben geſprochen werde, das Deutſche
ganz in den Hintergrund drängend. Die poliliſche Gesinnung drü-
ben kann aber nicht richtiger und offener geſchildert werden als es
der Correſpondent des badiſchen amtlichen Blattes thut, wenn er sagt:

„Es hilft nicht, sich mit roſigen Anschaungen und tröſtlichen
Hoffnungen über die Sache hinweghelfken zu wollen, es muß
herausgeſagt werden, herausgeſagt im Intereſſe der Wahrheit, in
Rückſicht auf Freund und Feind, im Hinblick auf die Gegenwart
und Zukunft: die ungeheure Mehrheit der elſaß-lothringiſchen Be-
völkerung, insonderheit die wohlhabenden und „gebildeten“ Stände,
die politiſch thätigen und lebendigen Elemente sind durch und durch
franzöſiſch und antideutſch gesinnt. Temperament, Furcht, Berechnung,

Edle Rache.
(Ae und Neue Welt.)

Schr : . ein. Das Dampfroß , deſſen glühende
Augen die Finſterniß durchbohrten, welche auf den Schienen lag, ſauſte mit
wuchtiger Kraft in den Bahnhof und wand ſich ſchlangenähnlich durch das
Schienengewirr. Plölich stand es — ein Druck des Maſchiniſten hatte das
entfesselte Kind der Elemente, Wasser und Feuer, gebändigt; und es raſsſelte
und ſtöhnte und ſchnaubte das wilde eiſerne Roß mit ſeinem dampfenden
Rachen und ſeinen rothglühenden Augen, einem gefesselten Ungethüm gleich.
Der Yeiger der hellerleuchteten Bahnhofsuhr zeigte auf Neun ; die Schaffner
riſſen die Thüren der Coupes auf und riefen laut den Namen der Station.

Der Schnellzug lief in H . .

Es war ein wirres, vielbewegtes Leben, wie es ſich in ſolchen Augenblicken.

zu entwickeln pflegt. Die Thüre eines Coupes erſter Claſſe in unmittelbarer
Nähe der Locomotive öfſsnete der Zugführer ſelbſt, und die Hand an die Dieſt-
mügte legend, ſagte er: „Wir ſind in H . . . Herr Oberbetriebsinspector."

Der JInſasse antwortete nicht. Der Zugführer hielt dienſtbefliſſen die
Thürklinge in der Hand und wartete. Dann auf die Uhr ſehend, ſagte er zu
dem vorrübergehenden Bahnhofsinſpector: „Der Herr Oberbetriebsinspector
ttt zu schlafen, und wir haben keine Minute zu verlieren ; darf ich ihn

en ?

„Natürlich ~ wecken Sie ihn !“

Der Beamte nannte nochmals mit lauter Stimme den Namen der Stadt,
und als abermals keine Antwort erfolgte, leuchtete er mit ſeiner kleinen Blend-
laterne in das Innere des Wagens hinein, welches von einer Decklampe matt
erhellt war. Der Zugführer ſchrack plötzlich zuſammen, denn ſein Vorgesetzter,
welcher eine Iſpectionsreise nach H . . . zu machen beabsichtigt hatte , lehnte
halb liegend, halb sitend in einer Ecke, anscheinend ohne Bewußtſein, denn
der Kopf war tief auf die Bruſt herabgeſunken, und die Arme hingen ſchlaff
zur Erde nieder. Der Beamte, ein kräftiger, stark gebauter Mann, rüttelte
den Ohnmächtigen , brachte ihn in eine ſißende Stellung und versuchte, ihn
aus dem Coupe zu heben. Da ihm dieß nicht gelang, rief er das Zugpersonal
zu Hilfe, und man trug den anſcheinend lebloſen Mann in das Büteau des
_ Stlationsvorſtehers und legte ihn auf das Sopha nieder. Das bleiche Antlitz



Samstag den 12. August





Inseraten -Inhalt der Annoncen-Expedi-

t tionen von Rud. Mosse, Haasenstein&
und Cand. Vogler & G. L. Daube & Cie. in

München, Frankfurt u. Stuttgart ec.

1871.








örtliche Verhältniſſe legen der Gesinnung bei einzelnen Individuen
wie bei verſchiedenen Ständen, Städten, Gauen eine größere oder
geringere Mäßigung auf und veranlassen sie wohl auch zur förm-
lichen Resignation; eine Zuneigung zum Deutschthum aber, ein kla-
res Erkennen des Werthes des deutſchen Wesens gegenüber dem fran-
zöſiſchen oder gar eine bewußte und freudige Hingebung an das er-
ſtere sind seltene Ausnahmen, die meiſt nur im Verborgenen blühen.
Wohl fehlt es auch nicht an besſſeren Stimmungen, aber man würde
sich und Andere täuſchen, wenn maa sagen würde, daß sie weitaus
hinter die gegentheiligen zurücktreten.“

Und was die deutſchen Beamten betrifft, so läßl sich auch Man-
ches zwischen den Zeilen durchleſen, was wir in offenerer und un-
zweideutigerer Weiſe über dieſes Kapitel geſagt haben, als es der
Verfaſſer des erwähnten Artikels in der Karlsruher Zeitung thut,
der offenbar selbſt dem Beamtensſtande angehört; er urtheilt in fol-
gender Weise:

„Daß die Männer der deutſchen Verwaltung unter solchen
Umständen nicht auf Roſen gebettet sein werden, läßt sich denten
und man wird es fürwahr nicht unbegreiflich finden, wenn dem einen
oder andern mitunter die Geduld nahezu auszugehen ſcheint. Es
gibt unter ihnen eine ganze Reihe der trefflichſten und friſcheſten
administrativen Kräfte, hervorragend an Talent, Wisſen, Erfahrung,
Fleiß, Gewisſenhaftigkeit und Tüchtigkeit jeder Art. Sie sind in
das Land eingezogen, getragen von der Begeiſterung für die großen
Ideen, die durch Schwert und Feder unsere Nation verjüngt und
auf das hohe Poſtament erhoben haben, auf dem sie inmitten

der europäischen Staaten und Völker ſteht; ſie sind gekommen mil

dem höchſten Wohlwollen für die dem neuerſtandenen Reich wieder
gewonnenen Provinzen ; sie haben die Größe der ihnen zugetheillen
Aufgabe vollkommen gekannt und sind mit treueſter Hingabe an die.
selbe an's Werk gegangen: und nun nirgendwo ein rechtes Entge-
genkommen, nirgendwo eigentlich guter Wille, nirgendwo ein hinläng-
liches Verſtändniß für ihr Wollen und Thun; dafür überall ein
größerer oder geringerer paſſiver Widerstand, Mißtrauen, Angewiesen-
sein auf den rein dienſtlichen Verkehr mit den Verwalteten!
Fürwahr eine wenig beneidenswerthe Stellunmt Mag auch
manche ihrer Maßregeln nicht der glücklichſte Griff gewesen sein, so
macht das nicht allzu viel aus. Je ſchwieriger aber die Lage ist, un-

ter der diese Männer wirken, um so größer iſt ihr Verdienſt unn

ein um so höheres Anrecht haben sie auf Anerkennung und Dank
von Seiten der deutschen Nation. Dabei braucht gar nicht verſchwie-
gen zu werden, daß — nach Aeußerungen von ſehr competenter Seite
— auch gar manche Persönlichkeiten in den Reichsdiensſt, zumal in

zeigte bei dem Scheine der Gasflammen eine geſpenſtiſche Bläsſe ; die Augen
waren wie in wildem Entsetzen aus den Höhlen getreten und ſtierten im Starr-
krampfe glanzlos ins Leere. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde von dem
ſeltſamen Ereigniß verbreitet; Bahnbeamte und Reisende füllten neugierig das
Zimmer. Man öffnete Rock und Weste und entdeckte nun Blut, welches einer
breiten Wunde nahe am Herzen entquoll. Entsetzen faßte Alle — hier lag ein
ſchweres Verbrechen vor. Die Verwirrung war allgemein. Man ſchüttelte die

Köpfe, lief rathlos hin und her, das Unerhörte zu enträthſeln ; die entſeslizje.

Kunde hatte auf alle lähmend gewirkt.

Der Bahnhofinſpector befahl, den Perron abzuſperren und requirirte Poli-
zeidiener; allein die Vorsichtsmaßregel kam zu spät, denn die meiſten Passagiere
hatten den Bahnhof bereits verlaſſen und ſich in die Stadt begeben. Ein
Arzt, der zufällig zur Stelle war, verband die Wunde und erklärte, daß die-
ſelbe zwar sehr bedenklich, aber doch nicht absolut tödtlich sei. Eine Reviſion
des Coupe ergab, daß bei den Effecten nichts fehlte; der Hut lag zuſammen-
gedrückt in einer Ecke; Uhr und Börse waren vorhanden. Alſo auf Raub
war es nicht abgeſehen gewesen, andere Motive mußten die Hand des Mörders
geleitet haben. Auf Aller Zungen lag eine Frage: Wer hat es gethan ?
Aber so schnell und so oft dieſe Frage gestellt wurde, ſo ſchwer war sie zu
beantworten. Die ſorgfältigſte Unterſuchung des Coupe's führte zu keinem
Reſultate. Nichts ward entdeckt, das auf die Spur des Verbrechens hingedeutet
hätte. Der Zugführer erklärte, daß der Oberinsſpector noch auf der letzten
Station vor H . . . mit ihm gesprochen und das Coupe wie gewöhnlich
allein benützt habe, der Mordverſuch müsse demnach zwiſchen jenem Orte und
H . .. während der Fahrt stattgefunden haben. Es unterlag daher keinem
Zweifel, daß entweder einer der Passagiere, oder Jemand vom Dienſtpersonal
des Zuges der Verbrecher ſei. Letzteres ſchien wahrſcheinlicher, weil es unglaub-
lich klang, daß ein Reiſender während der ſchnellen Fahrt seinen Sit verlaſſen
und auf den Wagenbrettern bis zu dem Coupe vorgedrungen ſein konnte ;
und in diesem Falle konnte es nur ein Passagier gewesen ſein, der ebenfalls
ein Coupe allein benutzt hatte, weil er sonst ſofort den Verdacht der Mitrei-
senden auf sich gelenkt haben würde.

lFortſezung folgt).1


 
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