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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0573

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Grſcheint wöthentlich 8 Mal; Jienſtag, Donnerſtag
und Samftag. ~ Preis : vierteljährlich 40 kr. ohne
Trägerlohn und Poftaufſchlag. Inſ.-Geb. 2 kr. d. B.



Tagesb er i d<h t.

" r. Aus R o m pol! 29. Nop. ſchreibt die „Geufer Correſpon-
denz“ : „Aus dem Schreiben des deutschen Kaiſers an den Herrn
Erzbiſchos von Köln ſcheint hervorzugehen, daß der Kaiſer der Mei-
nung iſt, Pius IK. habe in einem eigenhändigen Schreiben die
Wiederherſtellung des Deutſchen Reiches mit preußiſcher Spitze mit
Freuden begrüßt. Hier weiß man von einem derartigen Schreiben
des Papſtes nicht das Geringſte, errinnert ſich vielmehr nur, daß
Pius IX. noch vor dieſer Wiederherſtelung auf Grund der Berichte
vertrauenswürdiger Perſönlichkeiten zu verſchiedenen Malen äußerte:
„Ich bin mit der preußiſchen Regierung nicht unzufrieden, denn
obwohl ſie proteſtantiſch iſt, zeigt ſie ſich für die Kirche viel besſer
als andere, katholiſche Regierungen, und was mich persönlich betrifft,
ſo habe ich mich über meine Beziehungen zum König von Preußen
nur zu freuen.“ Wären diese Worte maßgebend, dann hätte Kai-
ser Napoleon nach Caſtelfidardo ſich ſeinerſeits auf die Aeußerungen

berufen können, welche der heilige Vater zu seinen Gunſten im Jahr |

1849 gethan.“ . | :
Der „Oſsſservatore Romano“ iſt wegen des Abdruckes der Rede,
welche Pius IK. bei der großen Demonſtration am Tage der Par-
lamentseröffnung gehalten hat, von der italieniſchen Regierung mit
Beschlag belegt worden. Man wird dieſelbe nun im Anslande
drucken laſſen. Nächſter Tage ſoll auch eine päpſtl. Encyklika er-
folgen gegen die Einsetzung des italieniſchen Parlamentes in Rom.
Die Parlamentsdeputirten ſchnattern in den nicht heizbaren Locali-
täten; ſchon bei der Parlamentserösfnung hatten sie vom Froſt zu
leiden. Der König-Ehrenmann hat ſich alsbald wieder auf die Jagd
begeben, und iſt nun auf seine Abreiſe bedacht. Es soll von ihm,
wie berichtel wird, beharrlich die Stelle in der Thronrede zurück-
gewieſen worden sein, welche nach Absicht der Minister zu lauten
gehabt hätte: „Es hat der göttlichen Vorſehung gefallen, uns zur
Erfüllung unseres Werkes zu führen.“ Der Correſpondent fügt bei:
Die Stimme des Königs, als er die Thronrede verlas, ſonſt ſo stark
und kräftig, klang leiſer als gewöhnlich und zitterte einige Mal so
ſtark, daß selbſt die regierungsfreundlichen Blätter es erwähnen.
_ — Die französische Nationalverſammlung hat ihren ſeitherigen
Präsidenten Grevy mit 511 von 521 Stimmen wiedergewählt.
Desgleichen erfolgte auch die Wiederwahl der früheren Vicepräſiden-
ten und Sekretäre. Die Prinzen von Orleans ~ Aumale und
Joinville ~ verlangen , da sie Mandate besitzen, in die National-
versammlung einzutreten. Deren Absicht stößt aber auf Widerstand
von Seiten des Hrn. Thiers, der sich dagegen ausgesprochen haben




für Stadt &

q Samstag den 9. December i



eraten -Inhalt der Annoncen-Expodi-

Z i | D tile von Rud. Mosse, Hansenstein&
und san o. Vogler & C. IL. Daube & Cis. in

nchen, Frankfurt u. Stuttgart 1c.





. ---

soll. Die Kriegsgerichte fahren fort, Todesurtheile auszuſprechen ;
das neueste trifft das Commune-Mitglied Lisbonne.

— Die Präsidentenbotſchaft von Thiers ſollte gestern in der
Kammer verleſen werden. Darüber iſt noch keine Nachricht da.
. LL Man meldet aus Paris vom 6. d.: Die Untersuchungs-
kommission über die Kapitulationen hat so gravirende Dokumente
gegen Ba zai ne in Händen, daß es unvermeidlich iſt, denselben
vor ein Kriegsgericht zu ſtellen.

— Die Neubildung des (katholischen) Ministeriums in Belgien
aus Mitgliedern der Kammermehrheit ist laut Telegramm vom 6.
d. vollzogen. De Theux steht an der Spitze als Ministerpräsident.

. E Man meldet aus Berlin vom 4. d. Gestern Abend iſt der
Prinz Friedrich Karl in Begleitung des Grafen v. Moltke,
des Generals von Werder und mehrerer anderer Militärs zur
Theilnahme an dem Georgs-Ordens-Feste nach St. Petersburg ab-
gereist. Gleichzeitig hat auch der Prinz Auguſt von Württemberg,
kommandirender General des Gardecorps, eine Reiſe nach St. Pe-
tersburg angetreten. : |

D Im deutſchen Reichstage sind bei der Berathung über den
Militäretat von Seite der Regierung Worte gefallen bezüglich der
politischen Lage, namentlich mit Hinsicht auf die Rachegelüſte Frank-
reichs, die eine beunruhigende Wirkung hinterließen. Die meisten
Pariſer Journale sprechen die Meinung aus, daß Preußen andere
Feinde im Ange habe als Frankreich, und auf weitere Eroberungen
sinne. Auch Berliner Correspondenten deutſcher Blätter wiſſen
von Aeußerungen uud Anzeichen zu berichten, denen na.ch etwas
Verdächtiges in der Luft liegt. Dahin gehört in erster Reihe das
eifrige Werben der Franzoſen um ein Bündniß mit Rußland, das
Erfolg zu finden scheint.

— Das nach Unabhängigkeit und Vergrößerung strebende, und
deßfalls längst verdächtige S er bien, deſſen junger Fürſt verfloſ-
ſenen Herbſt von dem ruſssiſchen Kaiſer in der Krim ,wie sein eige-
nes Kind“ auf den Händen getragen wurde, will seiner auswärtigen
Politik eine veränderte Richtung geben, d. h. die ſeitherige Maske
der Vertragstreue abwerfen, zu welchem Ende, wie eine Telegramm

aus Belgrad vom 5. d. M. meldet, das ganze Ministerium zurück-

treten ſoll. Vielleicht ebenfalls nicht unbeachtenswerth dürfte die
Nachricht sein, daß die türkiſche Regierung auf Andringen des deut-
schen Gesandten am 3. d. M. an den Fürſten Karl von Rumänien
telegraphiſch das dringende Ersuchen richtete, den Abschluß der Eisen-
bahn-Angelegenheiten möglichst zu beſchleunigen.

- Der Oberpräsident der Rheinprovinz von Pommer- Esche
wurde geſtern, Donnerstag, Vormittag vom Schlagfluſse getödtet.



Ein Wiener Iude.
Aus dem Weckſtimmenkalender.
Von K onr ad von Bolan den.

hi... z (Schluß.)
uSo ~ erklärlich? Warum erklärlich ? ;

Weil Sie zu einer Sorte von Menſchen gehören, denen jedes Verſständniß
für das. Erhabene, Edle und Göttliche fehlt. Wollen Sie Näheres über Werth
und Qualität der Wiener Zeitungsjuden hören, ſo stehe ich unter vier Augen
zu Diensten. ~ Indessen kann ich Ihnen hier öffentlich ſagen, daß Ihre nie-
derträchtige, bubenhafte Handlungsweiſe gegen die Schwestern vollständig eines
echten Wiener Juden würdig iſt."

. 15 Der Menſch ſah mich starr an und wurde bleich vor Wuth , während sich
SES ESS SGB e uss
demſelben Augenblicke wurde die Saalthüre mit Geräuſch geöffnet, und herein
î trat ein zweiter gepußter Jude. Wie der Zweite den Ersten Fsieht, bleibt er
ſteif stehen und aus seinen Augen sprühen Flammen des Hasses auf den
Publiciſten. In wachſender Leidenſchaftlichkeit naht er dem Wiener Juden,
grüßt flüchtig und lächelt ingrimmig. ;
MMI ztKto;! ein Glück, Sie hier zu lreffen, Herr Levi,“ sagte er im Tone
. uGlück und Ehre ganz auf meiner Seite, Herr Cohner !“
höhniſch der Publicisſt. ft j
tg »„I< ; hebe “91ivorzues mit Ihnen zu sprechen,“ sagte Cohner, indem er
. Beide ſchreiten durch den Saal nach dem entgegengesetten Ende. Dort
stehen sie eine Weile in lebhafter Unterhaltung. Es entſpinnt sich ein hefti-
ger Wortwechsel, größtentheils gesührt in der Gaunerſprache der Börse oder
des Wiener Preßjudenthums. Plöglich greift Cohner den Publiciſten beim
Halſe, würgt ihn und schlägt mit einem ſpaniſchen Rohre auf desſen Kopf.
Das Blut ſpringt hervor. Levi ſchreit mörderiſch. Die Anwesenden springen
Ul geis: § GFLEGE hervor. Noch zwei Streiche, und Levi stürzt be-

entgegnete ebenſo



Der Lärm im Saale hat einen Gensdarmen herbeigelockt, der ſofort, nach
Klarstellung des Sachverhaltes, den immer noch wüthenden Cohner verhaftete.

Levi lag am Boden ausgestreckt. Aus einigen Kopfwunden quoll das
Blut hervor. Sein Gesicht hatte Leichenblässe überzogen. Die Damen und
Herren verscheuchte der Anblick des Gräßlichen aus dem Saale. Nur die Barm-
herzigen blieben zurück und ich, der ſo hart war, zu denken, den Juden habe
raſch die verdiente Strafe erreicht für ſeine große Beschimpfung der Klo-
terfrauen. ô ;
ſert „Schwester Afra, ſchnell Waſſer !“ sprach die Aeltere, indem sie ihre Reiſe-
taſche öffnete und nach Verbandzeug ſuchte. Sie trat zu dem Ohnmächtigen,
der neugierig von zwei Bahnhofsbedienſteten betrachtet wurde.

„Er iſt todt !“ sagle der Eine.

„Und wie der Boden zugerichtet iſt! Da kann ich wieder ſcheuern laſsen,''
versetzte ärgerlich der Andere. „Hätte fich der Kerl nicht anderswo können
todtſchlagen lasen ?!.

„Meine Herren," bat eine ſanfte Stimme, „wollen Sie nicht die Güte ha-
ben, und den armen Menſchen aufheben ~ ihm ein Zimmer vorläufig gestatten,
bis er in das Spital gehracht werden kann ?“

Die Eisenbahnbediensteten blieben theilnahmslos. ;

„Wir ſind für solche Fälle nicht eingerichtet,“ ſagten fie und gingen fort.

Die barmherzige Schwester zog einen Schemel heran, ließ ſich nieder, legte
das Haupt d:s Bewußtloſen auf ihren Schoß und verſuchte das Blut zu ſtil-
len. Afra erſchien mit einem Waſserbecken und bald öffnete Levi unter der
kundigen Hand der Barmherzigen die Augen.

„Einsteigen !" rief der Schaffner in den Saal herein.

Die Schwestern achteten nicht des Rufes.

„Ehrwürdige Frauen“, sagte ich, „der Zug geht ih.

„Wir fahren ſpäter,“ antwortete Afra. „Es ist nicht möglich , dieſen
armen Herrn so hilflos ſeinem Schicksale zu überlaſsen.“

Ich schritt hinaus und warf mich in das nächſte Coupe.

_ j Welche Gegensätze !“ dachte ich. „Wie strahlend das Licht, wie tief die

Schatten! ~ Trägt der Wiener Jude noch ein Funken Ehrgefühl in der Bruft,
so werden ihn die Hiebe ſeines Stammgenoſſen weniger ſchmerzen, als das Be-
HU tem. et us liebevoll gepflegt zu werden , die er in der gemeinsten
 
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