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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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* Wen wählen wir?

Vor kurzem haben wir in einem Leitartikel, wie nach dem
neuen Wahlgesetze für die zweite Kammer gewählt wird, gesprochen
und die Veränderung in der Zuſammenſetzung der Wahlbezirke dar-
gethan; heute müſſen wir, da die Wahien vor der Thüre stehen,
uns nach den Männern umsehen, die das Vertrauen der Urwähler
der katholiſchen Volkspartei verdienen. Dabei wollen wir aber nicht
zwei Schritte auf einmal thun d. h. wir wollen nicht von den künf-
tigen Wahlmännern und Abgeordneten zugleich reden, ſondern vor-
erſt nur die Wahlmänner in's Auge faſſen, + die rechten Ab-
geordneten werden ſich ſchon finden, wenn nur erſt die Wahlcollegien
im guten Sinne gebildet worden sind.

Freunde und Gesinnungsgenoſſen! Ein großer Wechſel hat sich
in den Beziehungen unſeres Landes zu dem übrigen Deutſchland
vollzogen, – eine deuiſche Centraigewalt iſt wieder aufgerichtet,
mächtiger und stärker nach Außen wie nach Innen als sie jemals
vorhanden war. Diese Umgestaltung hat sich nicht nach unserem
Programm, dem der ehemaligen Großdeutſchen, vollzogen, welches
nach dem Muſter der Schweiz und Amerikas auf die Selbstständig-
keit der einzelnen Stammestheile in einem centralen Mittelpunkte
abzielte, welches insbesondere auch das durch die Geſchichte, die
Stammesgleichheit und die Dynastie mit uns verwachſene Deſterreich
nicht vermiſſen zu sollen glaubte. Es iſt anders gekommen. Die
jeßige Geſtallung Deuiſchlands drängt unaufhaltſam gegenüber den
an ihrer Bedeutung täglich mehr verlierenden Einzelstaaten zur völ-
ligen ſlaatlichen Einheit, und wir können weder den Willen, noch
die Macht haben, dieſem geschichtlichen Prozeſſe Einhalt gebieten zu
wollen. Die Vertreter unſerer Richtung in der zweiten Kammer
haben daher in bedeutungsſchwerer Stunde auf unser früheres Pro-
gramm verzichtet und offen und loyal die neue Gestaltung der Dinge
anerkannt, die für uns Alle jetzt bindende Kraft erhalten hat. Mit
Recht erklärt daher Biſchof Ketteler von Mainz, er verabſcheue alle
Beſtrebungen, die es wagen ſollten, an der geſchaſfenen Grundlage
des Reiches zu rütteln, ~ die Katholiken können dies niemals thun,
weil ſie wiſſen und gelehrt werden zu geben was dem Kaiſer
i ſt. Aber als wahre Freunde des Reiches und des Kaisers dürfen
wir uns nicht zu blinden Anbetern der Gewalt erniedrigen, ein tie-
ser Unterſchied muß zwischen uns und den „Sonnenanbetern“ darin
beſtehen, daß wir ebenſo ſehr der Schmeichelei nach Oben entſagen,
wie wir es verſchmähen, bie Leidenschaften der erbitterten Feinde
der menſchlichen Geſellſchaft und ihrer staatlichen Ordnung in den
Kampf der Parteien zu verflechten. Mit Festigkeit und Mäßigung
zugleich laßt uns daher die Rechte unserer Kirche, laßt uns die Ver-

Samstag den 19. August



Inseraten - Inhalt der Annoncen-Expedi-

" tionen von Rud. Mosse, Eaasenstein&
und Cand. Vogler & G. I. Daube & Cio. in

München, Frankfurt u. Stuttgart ec.

1871.





minderung der Volkslaſten, laßt uns die hohen Güter der bürger-
lichen Freiheit erſtreben, die dem Glanze militäriſchen Ruhmes nicht
geopfert werden dürfen! Nicht ein einſeitiges demokratiſches, natio-
naliiberales oder conſervatives Programm ſoll unſer Leitſtern ſein,
ſondern nehmen wir das Gute wo es uns geboten wird und ſchnei-
den wir die Auswüchſe ab, die jedem einseitigen politiſchen Partei-
treiben ankleben!

Freunde und Gesinnungsgenofsſen ! Man hat Euch bei allen
Wahlen von gegneriſcher Seite die Versicherung gegeben, es handle
sich nirgends um Religion, nirgends um angeblich gefährdete Inte-
reſſen Eurer Kirche; selöſt noch bei den letzten Reichstagswahlen

hat man Euch damit einzuſchläsern verſucht und vielfach iſt die Ver

führung gelungen. Heute, wo das Gegentheil offen am Tage
liegt, wird dieſe Vorſpiegelung nicht mehr verſucht werden können;
h eute werden alle die Leute, die noch vor kurzem die Unterſtellung
von Feindseligkeiten gegen die kathol. Kirche mit künstlich gemachter
Entrüstung zurückgewiesen hatten, ſelbſt zugeben müssen, daß die Ver-
folgung da ist, daß sie ſelbſt die Verfolger ſind. Jhr wißt, Katho-
liken, was Ihr von der Redensart zu halten habt, als ob die Leute,
die auch vor der Unfehlbarkeitserklärung im Widerstreit mit ihrer
Kirche gelebt, jeßt plötzlich berufen seien, die wahre kathol. Kirche
zu ſchüßen, während sie Cuch die Abgefallenen neanen! Nein,
Freunde und Gesinnungsgenoſſen, Jhr werdet den Wolf nicht zum
Schutze der Heerde beſtelen! Wisset Ihr doch nur zu wohl, daß
die Unfehlbarkeitslehre nicht das iſt, wofür unsere Feinde sie aus-
geben, wiſſet Jhr doch, daß sie gegeben iNIiôòèeo.e:iIIiÉnto >
Kirche zu retten, um das Sektenweſsen aus ihrem Jnneren ferne
zu halten, das unsere Feinde zu ihrer Auflöſung in dieſelbe hinein-
tragen möchten! Und so wie die politiſche Einheit das unab-
läſſige Streben der Parteien in Deutſczland bildet, gegen welches
wir keine Einwendungen erheben, ſo halten auch wir an der E in-
h e it der katholiſchen Kirche feſt, die in dem Papſte ihr oberſtes
Haupt sinden muß!

Freunde und Gesinnungsgenoſſen ! Die Lage iſt ernſt, ſchwierig,
gefahrvoller denn je. Gefahren drohen von den Staaten, Gefahren
von den anderen Parteien. Jeder gilt nur so viel im ſtaatlichen
Leben, als er aus sich ſeloſt zu machen weiß. Legen wir die Hände
ruhig in den Schooß, ſo haben wir es uns ſelbſt zuzuſchreiben,
wenn wir darnach behandelt werden. Bedenkt, daß je weniger po-
litiſche Rechte unſerem Lande Baden geblieden sind, um so größer
der Spielraum wird, der sich auf dem Gebiete der Kirche, der Schule
darbietet! Bedenkt, daß die Gestaltung der Dinge in politiſcher
und kirchlicher Beziehung auf dem nächſten Landtage auf Jahre,



Edle Rache.
(Aſte und Neue Welſlt.)

(Fortsetzung. ]

. Jrau Sturm glaubte die gſertfest ql. Mannes errathen zu können.
Sie war überzeugt, daß sie den Thäter in derſelben Perſon vermuthe, wie
ihr Mann, aber ihr Zartgefühl sträubte ſich, dem Verdachte Worte zu geben
und die Zunge einen Namen nennen zu lassen, den ein unerklärliches Gefühl
ihr immerſort zuslüſierte. Dieſer Mann aber war ein entsernter Verwandter
ihres Gatten. Sie kannte deſſen Charakter und Geſinnung ; ſein verſchloſſenes
Weſen hatte ſie oft genug Böſes ahnen laſſen. Sie wußte, daß dieſer Mann,
der ebenfalls den Namen Sturm ſührte, ihrem Gatten ewigen Haß und Rache
geſchworen hatte, weil er sich bei einer CGrbſchaft übervortheilt glaubte; sie hatte
gehört, daß derſelbe bittere und ſchwere Drohungen gegen ihren Mann aus-
geſtoßen, und ſie hielt ihn ſür fähig, ſeinen Worten die That folgen zu laſſen.
Vergebens waren die Bemühungen des Oberinſpectors geweſen, ein freund-
ſchaſtliches Verhältniß mit jenem herzuſtelen und den unbegründeten Haß zu
beſeitigen. Vergebens hatte er die Hand der Verſöhnung geboten. Auch die
Hrau des Obrrinspectors hatte perſönliche Urſache, jenen Mann zu fürchten,
da ſie deſſen Bewerbung um ihre Hand zurückgewieſen. Er aber hatte ge-
ſchworen, diese Kränkung nie zu verzeihen. Ulle dieſe Umſtände wirkten mäch-
tig zuſammen, die Frau glauben zu machen, daß jener der Thäter ſei, weil es
sſonſt Niemand gab, der ihrem Gatten übel wolte, und ſie war der festen
Ueberzeugung, daß ihr Mann dieselbe Vermuthung hege. Dieſe Umstände, die
Erbſchaftsangelegenheiten und die Ciferſucht, waren freilich Familiengeheim-
nisſe, von denen die Welt keine Ahnung hatte; man wußte nur, daß der Kauf-
mann Sturm ein entfernter Verwandter des Oberinſpectors ſei, und daß beide
Familien, die zwar in einer und derſelben Stadt wohnten, wenig oder gar
nicht mit einander verkehrten. Wären jene tiefer liegenden Gründe des Zwistes
und die Drohungen des Kaufmannes der Polizeibehörde bekannt geweſen, ſo
hätte dieſe ſich vieleicht veranlaßt geſehen, ihre Nachforschungen auf ein bestimm-
tes Ziel zu richten. Wie aber auch der Oberinſpector hierüber denken mochte,

L' esst kein Wort über ſeine Lippen, das seinen Vermuthungen Aus-



Eines Morgens – es moechten drei Monate nach jenem Altentate ver-
flossen ſein ~ begehrte ein Eiſenbahnarbeiter den Oberinſpector in ſeiner Privat-
wohnung zu sprechen. Der Arbeiter theilte ſeinem Vorgeſezten mit, daß er
bei den Reparaturbauten in dem Tunnel zwiſchen R. und H. längere Zeit be-
ſchäſtigt gewesen und daſelbſt eine Reiſemüte gesunden habe; da in derſelben
eine Ädréßtarte eingenäht sei, welche ſeinen Namen trage, ſo habe er ange-
nommen, daß der Herr Oberinſpector dieſe Mütze dort verloren habe.

Ein seltſamer Gedanke zuckte in der Seele Sturm's auf ; dieſer Gedanke
sprach sich deutlich in ſeinem staunend forſchenden Blicke aus. „Das iſt brav
von Ihnen, Werner“, ſagte er, gewaltſam seine Erregung unterdrückend, in
gelasscnem Tone; „Sie sind ein ehrlicher Mann; geben Sie mir die Müyte ;
— so ~ ich danke Ihnen." Gleichzeitig reichte er dem Mann ein Geldstück,
welches dieſer dankend in die Taſche ſchob.

Uh Ui t:! ; t'tzuzisttitt Mütze ? fragte Sturm,

1 ! © .

„Es iſt gut, Werner ~ Sie können gehen."

Aufgeregt ſchritt Sturm in seinem Zimmer auf und ab. Seine Bruſt
arbeitete heftig, sein Herz klopſte stürmisch ; die Pulſe in den Schläfen häm-
merten, als wollten ſie die Adern ſprengen; kalter Schweiß war auf ſeine
Stirne getreten. Stumm betrachtete er die verhängnißvolle Müte; ſie gehörte
ihm nicht, ſie war ihm fremd. Es war augenſcheinlich, daß dieſelbe längere
Zeit in dem Tunnel gelegen. Der heftige Wind konnte die Mütze jenem Manne
vom Kopfe geweht haben, der in demſelben Tunnel ihm nach dem Leben ge-
trachtet – und der Träger dieſer Müte hieß Sturm. Das konnte nur ſein
Verwandter, der Mann ſein, der ihm ſo bitter grollte.

Eben wollte er den verrätheriſchen Gegenstand bei Seite legen, als ſeine
Frau eintrat und seine Erregung bemerkte.

„Was iſt Dir, Franz, was haſt Du da ?"

„Nichts, nichts, Eliſe, laß mich.!

„Du biſt ſeltſam, was bedeutet die Müghe ?"

Ut „Hier hg: s Ft geh§st einem Manne mit Namen Sturm und wurde
in dem Tunnel bei H. gefunden.

Ein leiſer Schrei fue den Lippen der Frau.
sie, „Robert iſt der Thäter."

(Fortſeßung folgt).

„Meine Ahnung!" rief
 
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