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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0235

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Erſcheint wöchentlich 3, Mal: Dienstag, Donnerstag yy / J t ſersten! Inhatt der Auyoncen->xpedls
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Trägerlohn und Poſtaufschlag, Inſ.-Geb. 2 kr. d. Z. f E: München, Frankfurt u. Stuttgart 2c.
„Is 59. Dienstag den 23. Mai 1871
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| Beſtellungen auf den Yfälzer Boten für den Monat | + In Folge der ſchlechten Aussichten, welche die Rebberge bieten,

Juni zum PYPreiſe von 14 kr. werden von der Expedition
entgegengenommen, welchezu zahlreicher Wetheiligung einladet.

Deutſcchl aud.

* Heidelberg, 19. Mai. [§! Bad. Beob. erzä;lt von dem
Inhalt eines Aktenstückes, welches höchst bezeichnend für unsere Zu-
stände in Baden iſt. Ein Bezirksbcamter berichtete über die Wahl
eines Bürgermeiſters im Kreiſe Freiburg an den Landescommiſsär,
dieſelbe sei keine glückliche, da der Gewählte ein Trinker, in
ſchlechten Bermögensverhältniſſen sich befinde und schon mehrfach be-
ſtraft worden ſei. Troßdem wird die Bestätigung der Wahl empfohlen,
insbesondere auch aus dem Grunde, weil „die zwei Bürger, welche
nach ihm die meiſten Stimmen erhalten haben, entschieden der
chericalen Partei angehören, während der Gewählte der
nationalliberalen Partei zugezählt wird.“ Der Gewählte erhielt die
Bestätigung vom Großh. Landescommissär — und damit Balſta!
und wer noch ein Wort ſagt, vergleiche erſt den Art. 631 a!

* Heidelberg, 20. Mai. Wenn die Köln. Volkszeitung be-
hauptet, daß ein innerer Zersezungsprozeß in der nationalliberalen
Fraction sich raſch vollziehe, ſo ſcheint uns dies ſehr wahrſcheinlich
zu sein und erweiſt die Richtigkeit unſerer Voraussage in Betreff
der Zukunft dieser Partei. Es iſt ſchon offenes Geheimniß, daß die
ſtärkſten Mißhelligkeiten unter den Nationalliberalen tagtäglich vor-
kommen, die theils mit dem „strammen Regiment“ zuſammenhängen,
das einzelne Führer sich anmaßen, theils aber auch in grundſäglich
verſchiedenen Auffaſſungen wurzeln, die eine Scheidung nach Rechts
und nach Links zur Folge haben müsſſen. Wie Abraham und Lot
ſich trennten, weil sie in Streit gerathen waren, ſo heißt's auch jetzt
wieder, wie in jener minder parlamentarischen Zeit: „Willst du zur
Rechten, so wende ich mich zur Linken!“ Sind doch die norddeut-
schen Nationalliberalen etwas weniger erbaut und entzückt von den
Sitzen des Bundesrathes, während die ſüddeutſchen, vor allem die



badiſchen, dem Cultus der Sonnenanbetung um jeden Preis zuge-
than sind! Die Debatte am 17. (Interpellation von Bank s be-
züglich der Versezung zweier Poſtsecretäre) die wir ausführlich nach-
tragen müſſen, gab wenigstens Zeugniß davon, daß unter der natio-
nalliberalen Partei noch Leute sind, die nicht gerade zu allem Ja
und. Amen zu ſagen vermögen, andrerseits aber iſt es auch auffal-
lend, daß kein einziger badiſcher Nationaler den Mund aufthat, um
gegen die höchſt reactionären Deductionen des Herrn Delbrück sich
zu äußern. Für die Centrumsfraction dagegen lag. dazu. kein An-
laß vor ; sie hat keinen Grund, hitzig mit den. Liberalen gegen den
Tiſch der Bundescommissäre anzuſtürmen, da sie in der Adreß - und
Grundrechtsdebatte von jenen in so beiſpiellos gehäſſiger Weise sich
anfeinden laſſen mußte.

.. Aus dem Amtsbezirk Siusheim. Die Badiſche Landeszei-
tung hat aus der Feder eines. Wohlbekannten den Verſuch gemacht,
die Darstellung des Pfälzer Boten über den Scandal bei dem Feſt-
eſſen zu Ehren des Oberamtmanns Otto abzuſchwächen und die Schuld
von ihren Parteigenoſſen abzuwälzen. Nun. entſprach aber die Dar-
ſtelung im Pfälzer Boten, wie wir als anwesend bei Tiſch bezeugen
können, volllommen der Wahrheit, nur war es nicht ganz correct,
daß die Beamten höheren Rangs den Scandal veranlaßt hätten,
wie man etwa aus dem Artikel des Pfälzer Boten hätte folgern
können. Nicht diese waren die Ursache des Streites, sondern die
Schreiber und was man darunter verſteht, die der Pfälzer Bote
wohl auch gemeint haben wird, und unter diesen in erster Linie
der Stadtschreiber von Sinsheim, der ſo ſchön auf e in em Beine
balancirte. Wie arg der Scandal war, geht am besten daraus her-
vor, daß ein Pfarrer einem der Erregteſten, der ihn fortwährend
anbrüllte, eine Champagnerflaſche hinhielt, mit der Aufforderung sie
zu benüten, damit es ganz à la Stockach zugehe. Um auf das
bekannte „zweierlei Maß“ überzugehen, ſo fragen wir die Tumul-
tuanten ſammt der Landesbaſe, was geſchehen wäre, wenn ein Ka-
tholik bei einem Feſteſſen in confesſionell gemischter Gesellſchaft sich
herausgenommen hätte, über Luther herzufallen oder sonst in einer
Weise dem Protestantismus zu nahe zu treten?

_ H Boxberg, 15. Mai. Im Laufe dieses Sommers ſoll die
vielbeſprochene Zufuhrſstraße auf den Bahnhof endlich zur Ausführung
kommen. Dieselbe wird durch den Pfarrgarten, an dem Hinterge-
bäude des „,deutſchen Hauſes“ vorbei nach der Rindmühle führen.



faugen die Weinpreiſe an zu steigen. Für Neuen werden ſchon
9-10 fl. gefordert per Eimer, weiter im Taubergrund haben die
Preiſe noch weniger angezogen. + Durch die strenge Kälte des ver-
gangenen Winters haben nicht nur die Reben, ſondern auch die
Kleefelder sehr gelitten, auch die Kartoffeln, welche bei nassem kloti-
gem Boden gelegt werden mußten, lassen keine besondere Fruchtbar-
keit erwarten. – Der einzige Thurm, welcher ſich über die Häuſer
der Amtsstadt erhob, und zugleich das lezte Denkmal, das an die
Geschichte Boxbergs erinnerte, iſt kürzlich auf Abbruch versteigert
worden und liegt nun, dem gleichen Schicksal wie das Bergſchloß
verfallen, als Steinbruch in Trümmern. Ueber den Geſchmack un-
serer weiſen Stadtväter wollen wir hier nicht reden.

Z Boxberg, 13. Mai. Heute hat dahier die Wahl eines gro-
ßen Aussſchuſſes unter so geringer Betheiligung von Wählern ſtait-
gefunden, daß 24 Anwesende 27 Ausschußmänner wählen mußten.
Es zeigt dies auf's Neue, daß das Vertrauen der Bürgerſchaft in
manchfacher Hinsicht erſchüttert iſt. So wird es bleiben, so lange
nicht die deutlich genug charcteriſirten Vorgänge bei der hiesigen
Reichstagswahl die Auſmerkſamkeit der Behörden in einem höhern
Maaße in Anspruch nehmen, als dies seither der Fall war. Allge-
mein äußert sich die Verwunderung darüber, daß die zur Kenntniß
des Bezirksamts sowie des Ministeriums gebrachten Beſchwerdepunkte
so ohne alle Beachtung beiben kannten. Man kann ſich darüber
mit Recht um so mehr verwundern, als ſeiner Zeit ſelbſt in hie-
sigen Beamtenkreiſen geäußert wurde, die einer öffentlichen Anklage
ähnlichen Mittheilnngen des Pf. Boten müßten entweder die Incri-

minirung dieſes Blattes bzw. seines Correſpondenten oder ein Ein-
schreiten gegen die Wahlcommission, und in jedem Fall eine bedeu-
tende Strafe zur Folge haben. Troßdem wehen die Borberger
Mailüfte ſo kühl über die Ereigniſſe des 2. und 3. März, als ob
dieſe zu dem Gewöhnlichſten gchöcten, was sich unter Badens blauem

Himmel zutragen kann.

V Von der Tauber, 14. Mai. Die Ueberzeugung, daß die
Herren Döllingerianer in Stadt und Land sich einer unhaltbaren
Halbheit schuldig machen, bricht sich nachgerade immer weiter Bahn.

Nicht nur die Frankfurter Zeitung, der man gewiß keine clericalen,
Sympathien zutrauen kann, geißelt mit wuchtigen Hieben die gelehr-
ten Profeſſoren, Aerzte und Fabrikanten, welche ihren Unmuth über
das cultur - und ſtaatsgefährliche „neue" Dogma in sehr ungefähr-

lichen Adressen niederlegen, alle conſequent und richtigdenkenden Gei-

ster ſprechen sich in ähnlicher Weiſe aus. So hat ein Correſpon-

dent der „Warte“, deren verſchwommener Haltung in ihrer neuesten
Aera damit nicht im Mindeſten das Wort geredet werden soll, mit
anerkennenswerther Offenheit die Sätze ausgeſprochen: „Uns iſt

weniger die Aufstellung dieses Dogma’s befremdlich, als die darüber
allgemein herrſchende Verwunderung. Das Dogma von der päpſt-

lichen Jnfallibilität in Glaubenssachen ist weiter nichts, als der
Schlußstein des Gehäudes der römiſchen Kirchenlehre. Das kathol.
Volk uuſerer Tage im Großen und Ganzen nahm die päpſtliche
Unfehlbarkeit schon. vor ihrer Dogmatisirung als Glaubenssatz an,
wenn auch nicht überall von den Priestern so belehrt, ſo doch als
etwas für sein Bewußtsein aus der ganzen römiſchen Anschauung
sich ihm von ſelbſt Ergebendes. Döllinger und seine kath. Freunde,
welche die römiſche Lehre von der Stellvertretung Chriſti durch den
Papſt und überhaupt das römiſche Syſtem annehmen, sind nicht
conſequent. Sie haben früher die Consequenzen der römiſchen Lehre
nicht gezogen und Manches anerkannt, was zu dem Grunde ihrer
Ueberzeugung nicht stimmte. Jetzt, nachdem Rom die Consequenzen
gezogen, iſt es an ihnen, daraus einen Rückſchluß auf ihre manch-
fach unrichtigen religiös-kirchlichen Anschauungen der Vergangenheit
und Gegenwart zu machen und sie auf Grund der hl. Schrift (des
Protestantismus) zu berichtigen. Dies würde freilich mehr als den
Proteſt gegen das neue römiſche Dogma zur Folge haben, nämlich
den Austritt aus der römiſchen und den UÜebertritt in die evange-
lische Kirche." Wir stimmen dieſer Ausführung in der Hauptſache
vollkommen bei. Döllinger und seine Freunde hätten nicht auf ihren
Ausſchluß aus der Kirche warten, sondern denselben längst ſchon ſelbst
vollziehen sollen. Unzufrieden mit der kirchlichen Verfaſſung und
zerfallen mit der kirchlichen Lehrgewalt, wie sie sind, hätten ſie als
Männer von Geist sich offen von der Kirche lossſagen müſſen. Aber
ein neues Princip aufstellen, verlangen, daß die Kirche dem Sujec-
 
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