~ 494
Ws ! §zjieht auf die Noth, und Weltstadt in Hinsicht auf
den Schwindel.“ ~ j
In erster Linie ſteht die Wohnungsnoth, worüber schau-
deröſe Schilderungen gegeben werden – und worauf wir zurückkom-
men. –~ Die Sitlenlosigkeit nimmt in gräßlichem Maße zu.
— Nach den Aussagen von Aerzten gab es z. B. kaum je ſo
viele Syphiliskranke als gegenwärtig; aber nicht blos unter dem
Proletariat, sondern auch in den „gebildeten“ Klassen. Ein Arzt
ſagte mir, es läge hier ganz dieselbe Erscheinung vor wie in Lon-
don, und machte mich dabei aufmerkſam auf eine kürzlich vom eng-
liſchen ſstatiſtiſchen Büreau veröffentlichte Arbeit, worin unter der
Rubrik Syphilis für das Jahr 1869 nicht weniger als 1859 Todes-
fälle angegeben werden, mit dem Bemerken, die Zahl von Todes-
fällen in Folge dieser Krankheit ſei „in so furchtbarer Weise im
Wachsen begiffen, daß in den letzten sſiebenzehn Jahren sich das Ver-
hältniß von 35 auf 85 verändert“ habe. Will man für ſolche Er-
ſcheinungen in Berlin und London etwa auch die Jeſuiten und die
„Janze geiſtesverdummende Wirksamkeit der römiſch geschulten Klerisei“,
worüber das tief herabgekommene Augsb. Blatt zeitweilig ſo ſchwung-
hafte Artikel zu ſchreiben weiß, verantwortlich machen ?
In furchtbarem Wachsthum begriffen iſt ebenfalls die Zahl
der Geiſteskrauken und die Zahl der Selbstmorde, über
welch' leßtere wir auf das neueſte Heft der ,„HZeitſchrift des königl.
preuß. ſtatistiſchen Bureau’'s“ verweisen. Hiernach betrug die Zahl
der Selbstmorde in Königreich Preußen während des Jahres 1869
nach den Liſten der weltlichen Behörden 3187, nach den Kirchenlisten
ſogar 3554, somit faſt 15 auf 100,000 Einwohner. Im Regie-
rungsrezirt Magdebucg wurden 196, reſp. 214 conſtatirt , beinahe
26 auf 100,000 Einwohner, ungefähr eben so viel im Regiernugs-
bezirk Merſeburg. Was die Confesſſion der Selbstmörder betrifft,
ſo fehlen darüber noch die näheren Erhebungen aus Schleswig-Hol-
ſtein, Hannover, Heſſen-Naſſau und den beiden Regierungsbezirken
Düsseldorf und Coblenz. In den übrigen Landestheilen wurden
aber constatirt: 2231 Selbſtmorde von Proteſtanten, 390 von
Katholiken, 24 von Juden. Hiernach kommen auf je 100,000 pro-
teſtantiſche Cinwohner 18'/2, auf eben ſo viele katholische ka um
sieben auf die jüdiſchen etwa 9/2 Selbſtmorde. Is das nicht
eine beachtenswerthe Erſcheinung, beachtenswerth auch zur richtigen
Beurtheilung der ,geiſtesverdummenden Wirksamkeit der römiſch-ge-
ſchulten Kleriſei ?“ Wir fügen zu dieser Beurtheilung noch einiges
Material hinzu. Nach den Angaben des Statiſtikers Kolb in der
Frkf. Ztg. Nr. 245 vertheilen sſich die in Bayern constatirten Selbſt-
morde in der vierjährigen Periode 1857 – 61 und dann im Jahre
1866 folgendermaßen auf die einzelnen Confeſsſionen. Auf 100,000
Proteſtanten über 15, auf eben so viele Juden über 14, dagegen
anf eben ſo viele Katholiken k aum fün f. Jm Königreich Sachsen
tamen von 18561860 auf 100,000 Einwohner über 24, in Meck-
lenburg über 16, dagegen im katholiſchen Deſterreich nur sechs, im
katholiſchen Belgien nur v ier, in Italien ſtark z w ei, in Spanien
ſogar nur stark ein Selbstmord vor. Soll man aus ſolchen Er-
ſcheinungen keine Lehren ziehen?
~ Ju Wien iſt noch immer die Entſcheidung nicht gefallen.
Am 20. hat ein großer Miniſterath unter dem Vorsitz des Kaiſers
ſtatigefunden. Zum Besten für die deutſchliberale Fraktion zu stehen
ſcheint es nicht, da dieselbe Unterſtüßungsdemonſtrationen bei den
geſinnungsfreundlichen Liberalen in Deutſchland beſtelt hat. Mün-
chen, Breslau, Dresden thaten hierin ſich bereits hervor.
— Wiener Blätter veröffentlichen zwei Schreiben des Cardinals
v. Rauſch er. In dem erſten Schreiben an den Kultusminiſter
verlangt der Cardinal, dem „deabſichtigten Mißbrauche der Salva-
torkapelle durch Ueberlaſſung an die Altkatholiken“ durch ge-
eignete Regierungsverfügungen zuvorzukommmen. Aus dem zweiten
Schreiben erhellt, daß der Kultusminister den Gegenſtand als eine
innertirchliche Angelegenheit bezeichnete, welche sich „nach der bestehen-
den Geseßgebung“ der Ingerenz der Staatsverwaltung entziehe.
Damit zeigt die Regierung ihre Schwäche dem Liberalismus gegen-
nüber. Eine starke Regierung hätte den Wiener Gemeinderath, der
Uebergriff auf Uebergriff häuſt, längſt anflöſen müssen.
— Der Prinas von Ungarn hat ſich uach Prag begeben, wo
derſelbe mit dem Cardinal- Erzbiſchof Fürſten Schwarzenberg, mit
dern Stadthaller Grafen Chotek und zweimal mit dem Grafen Leo
Thun conferirte, und Abends den Beſuch des Statthalters empfing.
Von Prag reiste der Primas zum Beſuche des Biſchofs von Olmütz
nach Kremſier ab. Man glaubt, diese Neiſe des ungariſchen Kirchen-
fürſten habe Zusammenhang mit der gegenwärtigen inneren Krisis
des Reiches. Das Organ des Primas, „Magyar Allam“, hat
unter allen ungariſchen Blättern allein für die Prager Fundamental-
Artikel entschieden Partei genommen.
— Der ,Preſſe" wird aus Prag gemeldet : Der ungariſche
Primas verhandelte mit dem Kardinal - Erzbiſchof Sch warzen-
b erg wegen gemeinſamen Vorgehens gegen die Altkatholiken ; der-
ſelbe drängte auf Exkommunication Schultes. Die hiesigen ultramon-
ianenen Cavaliere riethen von diesem Schritt ab.
~ Aus Stuttgart meldet das Deutſche Volksblatt: Es
verlautet, daß gleichzeitig mit dem preuß. General Stülpnagel,
dem neuen Commandanten unſeres Armeecorps, eine Anzahl Subal:-
tern- und Unteroffiziere eintreffen und in die einzelnen Re-
gimenter vertheilt werden, um sie nach dem ſtrammpreußiſchen Reg-
lement zu dreſſiren. Viele unserer Unterofficiere sollen keine Luſt
haben, länger als das Geset fordert, beim Militär zu bleiben.
Der Austauſch der Ratiſicationen zur deutſch- französischen
Convention vom 12. d. M. war auf vorigen Samftag angesetzt.
. ~ Die Errichtung der St. Gotthardbahn iſt gesichert. Von
Seiten des deutschen Reiches sollen dem Unternehmen 20 Millionen
ha y Unterſtütung zugesichert werden, laut Vorlage an den ß
B a d e t.
/\ Heidelberg, 22. Oct. Wie wohlthuend der Telegraph uns
beruhigt! Heute Äbend brachte die neueſte Beilage zur Alg. Ztg.
zwei Depeſchen: die erſte aus dem reichsſeligen Miniſterium in
München über die brüderlichen Umarmungen zwiſchen preußiſchen
und bayeriſchen Soldaten in Metz. Wir werden getröſtet, es seien
keine großen Schlägereien dort vorgefallen, noch Zeichen großer ge-
genseitiger Erbitterung sichtbar geworden, sondern es sei nur ein
„unbedeutender Raufexceß“ gewesen iu welchem der tapfere bayeriſche
Kriegsmann, wie alle Zeitungenmel den, ~ ein bischen todt geſtochen
worden iſt. Uns scheint es, man hätte zuwarten sollen, bis die
beklagenswerthen Vorgänge in ihrer ganzen Wahrheit mitgetheilt
werden konnten. Die uns ſo vielfach zugetragenen Erfahrungen
von dem ätzenden Spott und dem herausfordernden Uebermuthe
unserer nordiſchen Kampfgenoſſen haben Ueberzeugungen begründet,
welche ein fliegendes Wort der Herren v. Luß und Conſorten nicht
verwischen kann.
Die andere Depesche gibt einen Auszug aus der miniſteriellen
Norddeutſchen Allg. Ztg. , welche die Versicherung spendet, daß die
Jieichsregierung der Zumuthung ,in Elsaß Lothringen energisch vor-
zugehen“ nicht entſpreche, vielmehr „die Herrſchaft im Geiſte des
Wohlwollens handhabe, die gewaltiger sei als brutale Gewalt." Das
iſt wohlfeiles Zuckerbrod. Wenn vir auch Zeugen der Großmuth
waren, mit welcher Bismarck fünfzig und mehr Millionen aus der
gemeinſchaftlichen Kriegsbeute der hartgetroffenen Stadt Straßurg
zuwendete, und wenn wir in vielen Anordnungen des Eroberers die
ſtarke Hand gerne, wenn nicht küſſen, doch anerkennen, ſo mußte
ſich uns in neuerer Zeit oft die Ansicht aufdrängen, daß der Reichs-
kanzler, der vor Monaten den unglücklichen Brief an Hrn. v. Fran-
kenberg geschrieben hat, das Vogesenland als ein Verſuchsfeld behan-
delt, wie weit man den Staat allmächtig , die katholiſche Kirche zur
Sklavin machen könne. Die rücksichtslose Weise wie man die Be-
ziehungen der Kirche zur Schule dort löſt, die Prieſter hungern und
die Gendarmen ſchockweise Hausſnchungen und Verhaftungen in den
Pfarrhäuſern vornehmen läßt ~ dies sind Maßregeln, welche wohl
an die höchſte, fortschrittliche Staatsweisheit diesſeits des Oceaus
erinnern, aber einem Staatsmanne nicht unterlaufen soliten, der
nicht vom Muthwillen des Augenblicks oder einer kindiſchängſtlichen
Eiferſucht für seine arme Staatshoheit beherrſcht wird, sondern ein
ſtarkes Herz unter dem Cuirasse trägt und wissen sollte, daß die
Kirche das Volt sicherer leitet als – die Ruthe.
— Geh. Rath von Mohl iſt zum Präſidenten der Oberrech-
nungskammer ernannt worden.
— Im 24. Walbezirke: Haslach - Gengenbach, wurde Herr
Stadtpfarrer Förderer in Lahr zum Abgeordneten gewählt.
— Vie der Bad. Beob. meldet hat der von den Grundherren
oberhalb der Murg in die erſte Kammer gewählte Frhr. v. B oul-
Ber,enberg nicht angenommen.
— Der bisherige bad. Gesandte in Stuttgart und Bern, Geh.
Legationsrath Frhr. von Duſch, iſt nach Aufhebung der Gesandtſchaf-
ten nach Karlsruhe zurückgekehrt.
Sonntag 15. d. M. wurde die Gemeinde Ottersweier
während des Gottesdienſtes in nicht geringen Schrecken verſeßt. Der
dienſtthuende Caplan mußte nänlich die gottesdienſtliche Handlung
unterbrechen, um dem mit dem Tode ringenden Pfarrer die Sterb-
ſakramente zu reichen. Ein Schlaganfall hatte deſſen plötzliches Ende
erbeigeführt.
; f Das Geset - und Verord.- Blatt Nr. 36 enthält eine Ver-
ordnung der Miniſterien des Handels und der Finanzen, die am
1. December d. J. vorzunehmende Volkszählung betr.
Aus Bayern.
~ Es wird immer ſchöner in Bayern, ruft die A. P. Z. aus ;
ein bayeriſcher Bischof, der Oberhirt der Diözese Regensburg. welcher
in Aus übung seines geiſtlichen Amtes eine Handlung als
das bezeichnet hat, als was sie vom katholiſcy-kirchlichen Standpuntte
aus jederzeit erschien, ~ iſt wegen Ehrenkränkung zur Verantwor-
tung vor ein Landgericht geladen! Als Ankläger wird ein katholiſch-
getaufter Concipient Berchtold in München genannt. Ganz richtig
bemerkt die A. P. Z., daß falls ein verurtheilendes Erkenntniß
käme, die prieſterliche Thätigkeit auf der Kanzel, im Veichtſtuhle uud
in der Schule dann nicht minder ,ſstaatsgefährlich“ wäre und die
Ausübung des prieſterlichen Amtes nicht minder „Polizeiwiderig“
als vor 1600 Jahren im altheidniſchen Staate der römischen Kaiser;
die Gerichtsſäle würden sich dann füllen mit angeklagten Prieſtern.
Ws ! §zjieht auf die Noth, und Weltstadt in Hinsicht auf
den Schwindel.“ ~ j
In erster Linie ſteht die Wohnungsnoth, worüber schau-
deröſe Schilderungen gegeben werden – und worauf wir zurückkom-
men. –~ Die Sitlenlosigkeit nimmt in gräßlichem Maße zu.
— Nach den Aussagen von Aerzten gab es z. B. kaum je ſo
viele Syphiliskranke als gegenwärtig; aber nicht blos unter dem
Proletariat, sondern auch in den „gebildeten“ Klassen. Ein Arzt
ſagte mir, es läge hier ganz dieselbe Erscheinung vor wie in Lon-
don, und machte mich dabei aufmerkſam auf eine kürzlich vom eng-
liſchen ſstatiſtiſchen Büreau veröffentlichte Arbeit, worin unter der
Rubrik Syphilis für das Jahr 1869 nicht weniger als 1859 Todes-
fälle angegeben werden, mit dem Bemerken, die Zahl von Todes-
fällen in Folge dieser Krankheit ſei „in so furchtbarer Weise im
Wachsen begiffen, daß in den letzten sſiebenzehn Jahren sich das Ver-
hältniß von 35 auf 85 verändert“ habe. Will man für ſolche Er-
ſcheinungen in Berlin und London etwa auch die Jeſuiten und die
„Janze geiſtesverdummende Wirksamkeit der römiſch geschulten Klerisei“,
worüber das tief herabgekommene Augsb. Blatt zeitweilig ſo ſchwung-
hafte Artikel zu ſchreiben weiß, verantwortlich machen ?
In furchtbarem Wachsthum begriffen iſt ebenfalls die Zahl
der Geiſteskrauken und die Zahl der Selbstmorde, über
welch' leßtere wir auf das neueſte Heft der ,„HZeitſchrift des königl.
preuß. ſtatistiſchen Bureau’'s“ verweisen. Hiernach betrug die Zahl
der Selbstmorde in Königreich Preußen während des Jahres 1869
nach den Liſten der weltlichen Behörden 3187, nach den Kirchenlisten
ſogar 3554, somit faſt 15 auf 100,000 Einwohner. Im Regie-
rungsrezirt Magdebucg wurden 196, reſp. 214 conſtatirt , beinahe
26 auf 100,000 Einwohner, ungefähr eben so viel im Regiernugs-
bezirk Merſeburg. Was die Confesſſion der Selbstmörder betrifft,
ſo fehlen darüber noch die näheren Erhebungen aus Schleswig-Hol-
ſtein, Hannover, Heſſen-Naſſau und den beiden Regierungsbezirken
Düsseldorf und Coblenz. In den übrigen Landestheilen wurden
aber constatirt: 2231 Selbſtmorde von Proteſtanten, 390 von
Katholiken, 24 von Juden. Hiernach kommen auf je 100,000 pro-
teſtantiſche Cinwohner 18'/2, auf eben ſo viele katholische ka um
sieben auf die jüdiſchen etwa 9/2 Selbſtmorde. Is das nicht
eine beachtenswerthe Erſcheinung, beachtenswerth auch zur richtigen
Beurtheilung der ,geiſtesverdummenden Wirksamkeit der römiſch-ge-
ſchulten Kleriſei ?“ Wir fügen zu dieser Beurtheilung noch einiges
Material hinzu. Nach den Angaben des Statiſtikers Kolb in der
Frkf. Ztg. Nr. 245 vertheilen sſich die in Bayern constatirten Selbſt-
morde in der vierjährigen Periode 1857 – 61 und dann im Jahre
1866 folgendermaßen auf die einzelnen Confeſsſionen. Auf 100,000
Proteſtanten über 15, auf eben so viele Juden über 14, dagegen
anf eben ſo viele Katholiken k aum fün f. Jm Königreich Sachsen
tamen von 18561860 auf 100,000 Einwohner über 24, in Meck-
lenburg über 16, dagegen im katholiſchen Deſterreich nur sechs, im
katholiſchen Belgien nur v ier, in Italien ſtark z w ei, in Spanien
ſogar nur stark ein Selbstmord vor. Soll man aus ſolchen Er-
ſcheinungen keine Lehren ziehen?
~ Ju Wien iſt noch immer die Entſcheidung nicht gefallen.
Am 20. hat ein großer Miniſterath unter dem Vorsitz des Kaiſers
ſtatigefunden. Zum Besten für die deutſchliberale Fraktion zu stehen
ſcheint es nicht, da dieselbe Unterſtüßungsdemonſtrationen bei den
geſinnungsfreundlichen Liberalen in Deutſchland beſtelt hat. Mün-
chen, Breslau, Dresden thaten hierin ſich bereits hervor.
— Wiener Blätter veröffentlichen zwei Schreiben des Cardinals
v. Rauſch er. In dem erſten Schreiben an den Kultusminiſter
verlangt der Cardinal, dem „deabſichtigten Mißbrauche der Salva-
torkapelle durch Ueberlaſſung an die Altkatholiken“ durch ge-
eignete Regierungsverfügungen zuvorzukommmen. Aus dem zweiten
Schreiben erhellt, daß der Kultusminister den Gegenſtand als eine
innertirchliche Angelegenheit bezeichnete, welche sich „nach der bestehen-
den Geseßgebung“ der Ingerenz der Staatsverwaltung entziehe.
Damit zeigt die Regierung ihre Schwäche dem Liberalismus gegen-
nüber. Eine starke Regierung hätte den Wiener Gemeinderath, der
Uebergriff auf Uebergriff häuſt, längſt anflöſen müssen.
— Der Prinas von Ungarn hat ſich uach Prag begeben, wo
derſelbe mit dem Cardinal- Erzbiſchof Fürſten Schwarzenberg, mit
dern Stadthaller Grafen Chotek und zweimal mit dem Grafen Leo
Thun conferirte, und Abends den Beſuch des Statthalters empfing.
Von Prag reiste der Primas zum Beſuche des Biſchofs von Olmütz
nach Kremſier ab. Man glaubt, diese Neiſe des ungariſchen Kirchen-
fürſten habe Zusammenhang mit der gegenwärtigen inneren Krisis
des Reiches. Das Organ des Primas, „Magyar Allam“, hat
unter allen ungariſchen Blättern allein für die Prager Fundamental-
Artikel entschieden Partei genommen.
— Der ,Preſſe" wird aus Prag gemeldet : Der ungariſche
Primas verhandelte mit dem Kardinal - Erzbiſchof Sch warzen-
b erg wegen gemeinſamen Vorgehens gegen die Altkatholiken ; der-
ſelbe drängte auf Exkommunication Schultes. Die hiesigen ultramon-
ianenen Cavaliere riethen von diesem Schritt ab.
~ Aus Stuttgart meldet das Deutſche Volksblatt: Es
verlautet, daß gleichzeitig mit dem preuß. General Stülpnagel,
dem neuen Commandanten unſeres Armeecorps, eine Anzahl Subal:-
tern- und Unteroffiziere eintreffen und in die einzelnen Re-
gimenter vertheilt werden, um sie nach dem ſtrammpreußiſchen Reg-
lement zu dreſſiren. Viele unserer Unterofficiere sollen keine Luſt
haben, länger als das Geset fordert, beim Militär zu bleiben.
Der Austauſch der Ratiſicationen zur deutſch- französischen
Convention vom 12. d. M. war auf vorigen Samftag angesetzt.
. ~ Die Errichtung der St. Gotthardbahn iſt gesichert. Von
Seiten des deutschen Reiches sollen dem Unternehmen 20 Millionen
ha y Unterſtütung zugesichert werden, laut Vorlage an den ß
B a d e t.
/\ Heidelberg, 22. Oct. Wie wohlthuend der Telegraph uns
beruhigt! Heute Äbend brachte die neueſte Beilage zur Alg. Ztg.
zwei Depeſchen: die erſte aus dem reichsſeligen Miniſterium in
München über die brüderlichen Umarmungen zwiſchen preußiſchen
und bayeriſchen Soldaten in Metz. Wir werden getröſtet, es seien
keine großen Schlägereien dort vorgefallen, noch Zeichen großer ge-
genseitiger Erbitterung sichtbar geworden, sondern es sei nur ein
„unbedeutender Raufexceß“ gewesen iu welchem der tapfere bayeriſche
Kriegsmann, wie alle Zeitungenmel den, ~ ein bischen todt geſtochen
worden iſt. Uns scheint es, man hätte zuwarten sollen, bis die
beklagenswerthen Vorgänge in ihrer ganzen Wahrheit mitgetheilt
werden konnten. Die uns ſo vielfach zugetragenen Erfahrungen
von dem ätzenden Spott und dem herausfordernden Uebermuthe
unserer nordiſchen Kampfgenoſſen haben Ueberzeugungen begründet,
welche ein fliegendes Wort der Herren v. Luß und Conſorten nicht
verwischen kann.
Die andere Depesche gibt einen Auszug aus der miniſteriellen
Norddeutſchen Allg. Ztg. , welche die Versicherung spendet, daß die
Jieichsregierung der Zumuthung ,in Elsaß Lothringen energisch vor-
zugehen“ nicht entſpreche, vielmehr „die Herrſchaft im Geiſte des
Wohlwollens handhabe, die gewaltiger sei als brutale Gewalt." Das
iſt wohlfeiles Zuckerbrod. Wenn vir auch Zeugen der Großmuth
waren, mit welcher Bismarck fünfzig und mehr Millionen aus der
gemeinſchaftlichen Kriegsbeute der hartgetroffenen Stadt Straßurg
zuwendete, und wenn wir in vielen Anordnungen des Eroberers die
ſtarke Hand gerne, wenn nicht küſſen, doch anerkennen, ſo mußte
ſich uns in neuerer Zeit oft die Ansicht aufdrängen, daß der Reichs-
kanzler, der vor Monaten den unglücklichen Brief an Hrn. v. Fran-
kenberg geschrieben hat, das Vogesenland als ein Verſuchsfeld behan-
delt, wie weit man den Staat allmächtig , die katholiſche Kirche zur
Sklavin machen könne. Die rücksichtslose Weise wie man die Be-
ziehungen der Kirche zur Schule dort löſt, die Prieſter hungern und
die Gendarmen ſchockweise Hausſnchungen und Verhaftungen in den
Pfarrhäuſern vornehmen läßt ~ dies sind Maßregeln, welche wohl
an die höchſte, fortschrittliche Staatsweisheit diesſeits des Oceaus
erinnern, aber einem Staatsmanne nicht unterlaufen soliten, der
nicht vom Muthwillen des Augenblicks oder einer kindiſchängſtlichen
Eiferſucht für seine arme Staatshoheit beherrſcht wird, sondern ein
ſtarkes Herz unter dem Cuirasse trägt und wissen sollte, daß die
Kirche das Volt sicherer leitet als – die Ruthe.
— Geh. Rath von Mohl iſt zum Präſidenten der Oberrech-
nungskammer ernannt worden.
— Im 24. Walbezirke: Haslach - Gengenbach, wurde Herr
Stadtpfarrer Förderer in Lahr zum Abgeordneten gewählt.
— Vie der Bad. Beob. meldet hat der von den Grundherren
oberhalb der Murg in die erſte Kammer gewählte Frhr. v. B oul-
Ber,enberg nicht angenommen.
— Der bisherige bad. Gesandte in Stuttgart und Bern, Geh.
Legationsrath Frhr. von Duſch, iſt nach Aufhebung der Gesandtſchaf-
ten nach Karlsruhe zurückgekehrt.
Sonntag 15. d. M. wurde die Gemeinde Ottersweier
während des Gottesdienſtes in nicht geringen Schrecken verſeßt. Der
dienſtthuende Caplan mußte nänlich die gottesdienſtliche Handlung
unterbrechen, um dem mit dem Tode ringenden Pfarrer die Sterb-
ſakramente zu reichen. Ein Schlaganfall hatte deſſen plötzliches Ende
erbeigeführt.
; f Das Geset - und Verord.- Blatt Nr. 36 enthält eine Ver-
ordnung der Miniſterien des Handels und der Finanzen, die am
1. December d. J. vorzunehmende Volkszählung betr.
Aus Bayern.
~ Es wird immer ſchöner in Bayern, ruft die A. P. Z. aus ;
ein bayeriſcher Bischof, der Oberhirt der Diözese Regensburg. welcher
in Aus übung seines geiſtlichen Amtes eine Handlung als
das bezeichnet hat, als was sie vom katholiſcy-kirchlichen Standpuntte
aus jederzeit erschien, ~ iſt wegen Ehrenkränkung zur Verantwor-
tung vor ein Landgericht geladen! Als Ankläger wird ein katholiſch-
getaufter Concipient Berchtold in München genannt. Ganz richtig
bemerkt die A. P. Z., daß falls ein verurtheilendes Erkenntniß
käme, die prieſterliche Thätigkeit auf der Kanzel, im Veichtſtuhle uud
in der Schule dann nicht minder ,ſstaatsgefährlich“ wäre und die
Ausübung des prieſterlichen Amtes nicht minder „Polizeiwiderig“
als vor 1600 Jahren im altheidniſchen Staate der römischen Kaiser;
die Gerichtsſäle würden sich dann füllen mit angeklagten Prieſtern.