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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0109

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~ 107

auch iſt ihm unbelaſſen: Keller, Speicher, Holzremiſe, tc., voraus-
geſett, daß diese Localitäten „mit dem Wohngebäude aufs engste
zuſammenhängen“, vorübergehend zu benutzen, und er Wein für den
Keller, Korn für den Speicher und Holz für das Remise zu beſschaf-
fen im Stande iſt, was bei dem ohnedies hochgehängten Brodkorb
eines Pfarrverwesers sehr selten der Fall sein wird.

Nun es iſt eine solche freie Wohnung immerhin noch eine Be-
günſtigung für den Mann mit seinem Taglöhnersgehalt von 30
Groschen, denn wie leicht könnte es sein, entweder Hauszins für die
Intercalarkaſſe zu verlangen, oder man ließe den vorderen Theil
des Pfarrhauſes an irgend eine liberale Dorf- oder Stadtgröße mit
Nachwuchs vermiethen und dem Pfarrverweſer ein ruhiges Stübchen
auf den Hof hinaus anweiſen, wo er dann ungestört über die
„Dienstvorſchriften“, das „Staatsexamen“ und die badiſchen „Eigen-
thümlichkeiten“ meditiren könnte. Kommt vielleicht einmal der Herr
Kapitelskämmerer, um die bewohnten oder unbewohnten Localitäten
einer eingehenden Visitation zu unterziehen, so beſuchl er zuerſt den
Hausherrn und erkundigt sich über das Benehmen des Verweſers
und ertheill dann demselben je nach Umſtänden Lob oder Tadel,
und. bemerkt ihm, wie es seiner Zeit die Herrn gehabt hätten, d. h.
wie uuvergleichlich glücklich sich ſo ein Dienstverweſer der Neuzeit
gegen die früheren schätzen müsſe, wo man sich niemals getraut habe,
auch nur ein Wort gegen bestehende Verordnungen vorzubringen,
„damit die Ruhe und Abgeſchloſſenheit des Pfarrhauſes nicht gestört
werde“, soll von Vermiethung der Dekonomiegebäude und des Haus-
gartens gnädigſt Umgang genommen werden. Sollte jedoch der Pfarr-
verweser sich je unterstehen z. B. die Scheuer zu verpachten, um von
dem Erlös sich ein halbes Klafter Holz zur Erwärmung der kalten
Stube auzuſchaffen, so begeht er eine Todſünde und kann nicht eher
wieder nach Oben und Unten zu Gnaden kommen, bis die paar
Gulden Scheuerpacht der zukünstigen „Reichs - oder Jnternational-
kaſſe“ einverleibt sind; denn wer weiß, ob künftig nicht auch die
Intercalarkassen, in welche ſchon so viele Dienſtverweserthränen ge-
floſſen sind, einen deutſchen Namen werden annehmen miſsen.

Den Garten, wenn derſelbe nach § 12 nicht zu groß für
einen Pfarrverweser iſt, darf derselbe „unentgeldlich“ düngen, und
soll es ihm auch nicht benommen sein, Sauerampfer, Meerrettig
oder Zuckerrüben darauf zu bauen. Ist aber nach demſelben Para-
graphen der Garten für einen Verweser zu groß, so muß er abge-
zeichnet und nach Karlsruhe an den Oberstiftungsrath geschickt wer-
den; dieſer entſcheidet nun einerseits über den zu leiſtenden Schaden-
erſat eines früher zu viel einheimſenden Pfarrverwesers , anderseits
erläßt er im Kanzleiſtil den „Beſchluß“ zur sofortigen öffentlichen
Verpachtung des etwas größer als nothwendigen Gartens, und der
getäuſchte Verweſer hat nun das Vergnügen, den Pächter mit seinen
Kindern und Kühen unter dem Schatten einladender Obstbäume auf
ur c Rue Kurt uo th U vg hectit
dann nimnt er sich einen Groſchen von 30 anderen und kauft sich
von dem Pächter dafür ein paar Aepfel und beißt in Gottes Namen
in den eigenthümlich schmeckenden Intercalarapfel.

Das sind so die mit dem „Wohngebäude eng zuſammenhängen-
den“ Freuden und Nebenverdienste eines Pfarrverwesers, dabei geht
ri. ſéet tif „unentgeldliche Ruhe und Abgeſchlossenheit“ in ſei-
nem Pfarrhauſe.

Indessen packt der Verweser seine sieben Sachen wieder zusam-
men, denn um das Maaß seiner Freuden und Nebenverdienste
voll zu machen, darf er wieder auf einen anderen Posten ziehen, um
auch anderwärts Land und Leute auf 3 Wochen kennen zu lernen.
Und sein erstes Vergnügen auf der neuen Stelle iſt jedesmal dieses,
daß er den Staatsatlas zu Rathe zieht, um genau die Meilen zu
berechnen, nach welchen sich die Reiſekoſtenentſchädigung bestimmt,
welche dann Summa Summarum ſo viel ausmacht, daß damit die

entsprechenden Trinkgelder beim Auf- und Abladen, Hin- und Her- |

ziehen, An- und Vorspannen gedeckt werden können.

K Säckingen, 28. Febr. Unſere Partei hat im hiesigen Städt-
chen bedeutende Wahlsiege errungen: jüngſt war Ort ss <ulra th s-
w a h l, bei der sämmtliche von uns vorgeſchlagene Candidaten mit
ganz bedeutender Stimmenmehrheit gewählt wurden; gestern fand
die Wahl in den G emeinderath statt, bei welcher die kathol.
Volkspartei wieder den Sieg errungen hat. Die Betheiligung war
eine ganz außergewöhnlich große, indem mit verſchwindend geringer
Ausnahme sämmtliche Stimmberechtigte abstimmten. Die beiden
Parteien haben sich in heißem Wahlkampfe gemessen, desſen Reſul-
tat unser Sieg war. Die erwählten acht Räth e gehören mit Aus-
nahme zweier unserer Partei an. Die beiden liberalen Candidaten
wurden übrigens auch von den Unsrigen erkoren ; man wollte auch
Vertreter der Gegenpartei im Gemeindecollegium haben. Die Er-
Bo UU U ut Fu ! U h. ut t e qg14s
Landwirth Fried. Schwan r § Kaufmann Al e x. R ößle, Müller
B aumgartner, Gerber Schaubinge r. Die beiden Letzteren
gehören der liberalen Partei an.*)

Vorgeſtern war hier stark beſuchte Wahlvers ammlung,,



_ +* ) Dies als Antwort auf den unverſchämten Angriff. der Nationalliberalen
gegen die „Schworzen® iu dem Mantifeſte gegen Nx. Mittermaier] D. R.

die auch von Gesinnungsgenoſsen der umliegenden Orte stark beſucht
war. Die von Geistlichen und Mitgliedern unseres kath. Caſino's

Anwesenden erklärten sich einstimmig für Frhrn. v. Stotzingen
als Abgeordneten für den III. Wahlkreis.

Die kathol. Sache hat hier einen starken Schlag erlitten. Der
treffliche, auch in Ihren Kreiſen sehr bekannte Fabricant Ignaz
B erberich iſt am 11. Febr. nach kurzem, ſchweren Leiden im
72. Lebensjahre geſtorben. Der Geschiedene gehörte stets mit Geist
und Herz der kath. Sache an, er war ein ebenſo warmer als ent-
schiedener Vertheidiger der kirchlichen Rechte. Die wohlbekannte Fa-
brik iſt auf zwei Söhne übergegangen.

München, 1. März. Dem Vernehmen nach regt Preußen
einen gemeinsamen Friedensfesttag in Deutschland an.

Berlin, 2. März. Der ,Staatsanzeiger“ veröffentlich eine
kaiſerliche Verordnung, durch welche die Einberufung des Reichsta-
ges auf den 21. März festgeſetßt wird.

Die ,„Norddeutſche Allgemeine Zeitung“ erklärt, es ſeien mehr-
fach irrige Anschauungen über die Haltung der Regierung zu den
confeſſionellen Einflüssen, welche bei den Reichstagswahlen mitwirk-
ten, verbreitet; die Regierung sei nie aus der zurückhaltung heraus-
getreten, die sie den Angehörigen der verſchiedenen Confesſionen
schulde, beabsichtige dies auch für die Zukunft nicht ; jede dem wider-
sprechende Schlußfolgerung aus der Haltung eirzelner Perſönlichkei-
ten sei unberechtigt.

Thorn, 28. Febr. Der Eisgang auf der Weichſel hat heute
Morgen um 9 Uhr von neuem begonnen und den noch stehen ge-
bliebenen Theil der Brücke zerstört.

A u s l a n d.

Verſailles, 1. März. (Officielle militärische Nachrichten). Der
Kaiſerin und Königin in. Berlin.. Soeben kehre ich von
Longchamps zurück, wo ich die Truppen des 6., 11. und 1. bay-
riſchen Corps, 30,000 Mann, inſspizirte, die zuerſt Paris besetzen.
Die Truppen sahen vortrefflich aus. Die Avantgarde iſt um 8
Uhr eingerückt ohne alle und jede Störung.

Paris, 27. Febr. Das „Journ. officiel‘ berichtet über die
geſtrigen Unruhen: Die Aufrührer warfen einen Polizeiagenten
in die Seine und irieben denselben, als es ihm gelang, das Ufer
zu erreichen, zurück. Der Polizeiagent ertrank. Magiſtratsperſonen,
die ihn retten wollten, mußten flüchten, um einem ähnlichen Schick-
sal zu entgehen. ~ 3proz. Rente eröffnete zu 51.65. Stimmung träge.
Wenig Geſchäft.

Paris, 27. Febr. Die Direktoren von 43 Zeitungen haben
ein Manifeſt erlaſſen, in welchem sie die Bevölkerung auffordern,
die Ruhe und Würde zu bewahren, welche die Umſtände gebieteriſch
forderten. Gleichzeitig wird mitgetheilt, daß die 43 Blätter während
der Occupation nicht erſcheinen werden. – Die Börse und die Thea-
ter bleiben bis zur Wiederräumung der Stadt geſchloſſen. Die Deut-
schen dürfen die Stadtviertel, welche sie occupirt halten, nicht ver-
laſſen. – Gestern wurde die Pulverfabrik in Villette durch Solda-
ten der Nationalgarde geplündert. Dem ,Frangais“ zufolge werden
die ſüdlich der Seine gelegenen Departements nach der Ratification
der Friedenspräliminarien durch die Nationalverſammlung geräumt
werden.

Paris, 27. Febr. Eine Proclamation der HH. Thiers, Favre
und Pi card fordert die Pariſer auf, sich während der Occupation
ruhig zu verhalten. Sie sagt: „Die Regierung hat das Menſchen-
mögliche gethan, um besſere Bedingungen zu erlangen; sie konnte
jedoch die Occupation nicht abwenden. Feindſeligkeiten gegen die
Occupationsarmee würden dazu führen, die Kriegsverheerungen bis
an die Pyrenäen auszudehnen.“

Ein Tagesbefehl V inoy’s appellirt an das Pflichtgefühl der
mit der Handhabung der Ordnung betrauten Nationalgarde.

Paris, 28. Febr. Die A ufr e gung nimmt ab. Die Pro-
clamation der Regierung und der Tagsbefehl Vinoy'’s brachten eine
gute Wirkung hervor.

Paris, 1. März, Mittags. Mehrere deutſche Bataillone sind
um 7 Uhr, um Quartiere zu machen, in die Stadt eingerückt. Um
8/2 Uhr haben dieselben den Induſtriepalaſt besetzt. Einige De-
tachements sind auf dem Place de la Concorde erſchienen. Eine kleine
Anzahl Neugieriger wohnte ihrer Ankunft bei, keine Demonſtration
fand statt. Ein Cordon, von französiſchen Truppen und National-
garden gebildet, verhinderte den Eintritt uniformirter Personen in
die von den deutschen Truppen besetzten Stadttheile. Die Haltung
der Nationalgarde ift im Allgemeinen eine ruhige, kein beklagens-
werther Vorfall hat stattgefunden. Das Gros der deutſchen Be-
satungstruppen steht im Bois de Boulogne, wo es Revue paſssiren
wird. Dasselbe wird um Mittag in Paris einziehen. Die besetzten
Stadtviertel sind beinahe verödet, die Thüren und Fenster ſind
geſchloſſewm; im andern Stadtvierteln, besonders auf den Boulevards
und in der Rue Rivoli, sind gleichfals die Läden und Kaffee-
häuser geſchlosſen.

Paris, 1. März. Die Journale sind faſt alle, mit einem Trauer-
rande verſehen, doch erſchienen, und es herrscht volllommene Ruhe.
Alle Theater geben wie gewöhnlich ihre Vorstellungen. Die Mor-
genblätter verkünden, daß noch heute die Occupation des Quartiers



gehaltenen Reden wurden mit vieler Begeisterung aufgenommen. De
 
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