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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0236

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tivismus huldige, und selbſt den Namen der Altkatholiken d. i. der
eigentlichen und wahren Katholiken für sich in Anspruch nehmen,
das iſt eine Halbheit, die Geiſt und Character in Schatten ſtellt.
Ganz der gleichen Halbheit machen sich Jene ſchuldig, welche gegen-
wärtig Herrn Döllinger ihre Zuſtimmung erklären und dabei in Alt-
katholicismus machen. Durch ihre Adressen gaben sie sich den An-
ſchein, als ob sie der katholiſchen Kirchenlehre und Verfassung bis-
her in allen Stücken treu gewesen wären, als ob sie also auch die
Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramts der Concilien gläubig aner-
kannt hätten, nun aber plötlich durch die „aller Vernunft Hohn
ſprechende“ päpſtliche Infallibilitätserklärung zum feierlichen Proteſte
und zur Entfaltung der altkatholiſchen Fahne genöthigt wären, –
und doch sind sie längst ſchon mit der lettten Faser der katholiſchen
Kirche und Lehre entfremdet und haben nur den Muth nicht, offen
von derſelben Abschied zu nehmen. Sie sind mit der Kirche zerfal-
len, aber es graut ihnen davor, zum Protestantismus überzutreten
und nun wollen sie als Auskunftsmittel die Continuität mit der apo-
ſtoliſchen Lehre in Besitz nehmen. Aber außer Stande, eine neue
Kirche aufzurichten, hauchen sie ihre Seufzer in Adreſſen aus und
betteln bei der Siaatsgewalt, sie möge aus ihnen eine deutſche Na-
tionalkirche bilden. Ein Gutes hat aber die Döllinger’'ſche Affaire.
Sie hat Viele dazu gebracht, seit vielen Jahren zum erſtenmale wie-
der Zeichen eines religiösen Bedürfniſſes zum Beſten zu geben!

§ Wiesloch, 20. Mai. Die kalte Nacht vom 17./18. Mai
hat in den Weinbergen großen Schaden angerichtet; überhaupt
herrſcht bei dem kalten Nordwind und der damit zuſammenhängen-
den ungünstigen Witterung überall ein verhängnißvoller Stillstand
im Wachsthum und Gedeihen. Mit banger Sorge sieht der Land-
mann der Zukunft entgegen; die Hopfen finden keinen Absatz, die
Reben großentheils erfroren, keine Aussicht auf reichen Obſtertrag,
dabei Futtermangel und Geldnoth. Die Preise der Lebensmittel
ſehr hoch: Rindfleiſch 18 kr., Schweinenfleiſch 18 kr., Kalbfleiſch
16 kr., 4.Pfd. Schwarzbrod 20 kr., das Pfd. Butter 40 kr. u. s. f.

V Bruchſal, 21. Mai. Die Kraichgauer Zeitung von heute
bringt in ihrem Jnſeratentheil die Nachricht, daß Rathſchreiber Herr
Andreas Heck zum Bürgermeiſter der Stadt gewählt und uuterm
17. Mai verpflichtet worden sei. Nachdem endlich die Gemeinde
nach langwierigen Geburtswehen – wieder ihren Bürgermeiſter
hat, droht in derselben Nummer eine neue Aufregung der Gemüther.
Die Liſten der wahlberechtigten und wählbaren Bürger dahier zur
Wahl in den Gemeinderath sind nämlich vom Montag den 22. d.
M.'s 8 Tage lang zur Einsicht und allenfallſiger Berichtigung in
der Rathskanzlei aufgelegt. Aus dieser erſten Amtshandlung des
neuen Bürgermeiſters, aus der Raſchheit der Fertigung der Liſten
läßt sich ſchließen, daß die Wahlen ebenso raſch folgen werden. Die
alten Väter der Stadt mögen sich ſputen, den Bündel zu ſchnüren,
denn an ihre Stelle ſoll nunmehr ein „gesinnungstüchtiges" Collegium
treten. – In dem vermiſchten Theil derſelben Zeitung von heute
lieſt man von der Schwarzamſel, daß sie ſehr leicht jede Melodie
nachſingen lernt und in der Loire-Gegend der Spottvogel genannt
wird; ein Franzose soll es sogar dahin gebracht haben, daß alle
Amseln des Bezirks die Marſeilaisſe sangen, nachdem er einer , die
in der Gefangenschaft diese Melodie erlernt hatte , die Freiheit gab.

Der Gelehrſamkeit der Amsel wollen wir nun zwar das Wort
reden, jedoch nicht wünschen, daß alle zu wählenden Glieder des
neuen Stadtcollegiums die Manſseillaiſe lernen. ~

Soeben machl ein neues Stadtgeſpräch die Runde: es ſoll
nämlich Herr Bürgermeiſter Heck, neben seiner Stellung als Bürger-
meiſter, auch zugleich die Pfandſchreiberei verwalten wollen, welche
allein ein Einkommen von etwa 2500 fl. jährlich abwerfen ſoll.
Der Gemeinderath soll in seiner letzten Sitzung die Vereinigung
dieſer beiden Stellen jedoch abgelehnt und beſchloſſen haben , daß
die Pfandſchreiberei neu zu beſeten ſei. Dieser ganz correcten Hand-
lungsweise des Gemeinderathes wird allenthalben vollkommener Bei-
fall gezollt und kann die Bürgerſchaft nur wünſchen, daß beide
Stellen getrennt und durch tüchtige Kräfte verwaltet werden.

: : Aus dem Kreis Karlsruhe, 20. Mai. In No. 58 des Pfälz.
Boten will Unterlehrer Link in Wiesenthal sich rechtfertigen gegen
den Bericht in No. 52 d. genannlen Blattes, worin gesagt iſt, daß
derſelbe einem Kinde die Zähne eingeſchlagen. Er erklärt : „Eine
ſolche Mißhandlung iſt mir durchaus unbekannt. Jeder Unbefangene
muß zugeben, daß es unmöglich iſt, mit der Hand auf eine Art,
wie ſie der Artikelſcyreiber angibt, die Zähne einzuſchlagen. Eine
ſolche Mißhandlung wäre gewiß strafbar und die Eltern eines auf
dieſe Art mißhandelten Kindes würden dies nicht ungerügt vorüber
gehen laſſen; auch der Wachſaunkeit des hiesigen Ortsſchulraths könnte
so etwas nicht entgangen sein und er würde mich gewiß zur Rechen-
ſchaft gezogen haben. Ich weise alſo dieſe Beſchuldigung als eine
Verläumdung hiermit zurück und überlaſſe es einem Jeden, über
einen ſolchen Artikelſchreiber sein eigenes Urtheil zu bilden.“ Dar-
auf diene zur heilſamen Belehrung und Bekehrung des Unterklehrers
Link Folgendes: Ganz Wieſenthal weiß, daß die Mißhandlung eines
Kindes auf die angegebere Art Wahrheit iſt, nur dem Thäter will
ſie unbekannt sein. Wenn es bisher unmöglich war, mit der Hand
die Zähne einzuſchlagen, ſo hat Unterlehrer Link diese Unmöglich-
keit zur Möglichkeit gemacht. Die Hähne fielen auf den Backen-



ſtreich aus dem Munde des Kindes und wurden auch von Vielen
gesehen. Später probirte Unterlehrer Link einen Schlag auf die
andere Wange des Kindes, wahrſcheinlich um das Gleichgewicht
herzustellen; die Zähne ſtacken hier fester, die Wange ſchwoll aber
hoch auf. Das Kind heißt Franziska Gentner, iſt beiläufig 13
Jahre alt und die eheliche Tochter der Gregor Gentneriſchen Ehe-
leute. Dieſes Zähneeinſchlagen ging nicht ohne Rüge von Seiten
der Eltern vorüber ; die Eltern haben rechtzeitige Anzeige bei dem
Ortsſchulrath gemacht, man hört sogar ſagen , daß der Kreisſchul-
rath davon in Kenntniß gesetzt worden iſt. Was hierauf erfolgte,
weiß man nicht. Am Besten aber wäre es, wenn Unterlehrer Link
selbſt den Muth hätte, eine Unterſuchung zu verlangen. Auch steht
demſelben der Weg offen, gegen den Schreiber dieſes eine Klage
wegen Verläumdung zu erheben. Die Redaktion dürfte in dieſem
Falle vor Gericht seinen Namen nennen. – Außer obiger Miß-
handlung, in Betreff der Zähne, hat sich Unterlehrer Link auch noch
andere Handlungen in Betreff der Ohren und Waden der Schul-
kinder zu Schulden kommen laſſen. Derſelbe hat einem Mädchen,
mit Namen Maria Joſepha Machauer, eine ſolche Ohrfeige gege.
ben, daß ihre Ohrenringe auf den Boden fielen; ferner hat derſelbe
den an der Schultafel stehenden Knaben mit der Reißſchiene Hiebe
auf die Waden und in die Kniekehlen applicirt, daß die Spuren 8
Tage lang sichtbar waren. Hierüber könnten die Schulkinder: Jo-
docus Scharf, Joſef Schamati, Karl Amann tc. Auskunft geben.
Unterlehrer Link möge nun dieſe Angaben Verläumdung nennen,
andere Leute heißen sie Wahrheit und dieſe Wahrheit bezeugt, daß
Unterlehrer Link in Wieſenthal mehrere Kinder mißhandelt hat.

Karlsruhe, 17. Mai. Heute Vormittag fand die Vermählung
Seiner Großherzoglichen Hoheit des Prinzen und Markgrafen Karl
von Baden mit Freifräulein Roſalie Louiſe von Beuſt statt. Nach-
dem die Chesſchließung in den Formen des neuen Gesetzes vor dem
ordentlichen Beamten des bürgerlichen Standes, dem erſten Bürger-
meiſtec der Stadt Karlsruhe, dahier erfolgt war, wurde die kirch-
liche Trauung, welcher Seine Königliche Hoheit der Großherzog und
Seine Großherzogliche Hoheit der Markgraf Maximilian beiwohnten,
im Schloſſe zu Bauſchlott, einer nahen Besitung des Prinzen Karl,
durch Hrn. Hofprediger Doll vollzogen.

Die beim Abschluß morganatiſcher Ehen bezüglichen Erklä-
rungen bezüglich des Ausſchluſſes der Ebenbürtigkeit und Erbfolge-
fähigkeit waren auch in diesem Falle abgegeben worden. Freifräu-
lein von Beuſt wurde in den Grafenſtand erhoben und es wurde
derselben für sich und ihre Nachkommen der Name von Rhena
verliehen. (Krlsr. Ztg.)

Vom Rheine, 16. Mai. Was unsere Liberalen in manchen

Orten unter Wahlfreiheit eigentlich verſtehen, das haben ſie an

12. Mai fast noch besſſer gezeigt, als am 3. März. In Söllingen
z. B. ſchüchterte man vor der Wahl die Leute dadurch ein, daß
man sagte: „Wer dem Lender seine Stimme gibt, bekommt keinen
Verdienſt mehr von der Gemeinde; wenn Renck nicht durchgeht, dann
erhaltet ihr vom Kriegsministerium keine Entſchädigung für die ver-
lorene Brücke u. s. w.“ Auch ſchickte der Dorfmonarch einen Maun
im Ort herum , welcher unter allerlei Drohungen den Leuten die
Lenderzettel abzufordern hatte. Jm Wahllokal ſelbſt lagen, obgleich
dieses ausdrücklich im Gesetze verboten ist, auf dem Tiſch zur Rech-
ten des Wahlvorstandes eine Anzahl Renckzettel, von denen Solchen,
die keinen „r echten“ Zettel mitbrachten, angeboten, ja, man kann
ſagen, aufgedrängt wurden. ~ Aehnlich wie in Söllingen, fuhr-
werkte man auch in Otters dorf, wo der Gemeinderath E. eben-
falls gegen die ausdrückliche Beſtimmung des Wahlgeſetzes im Wahl-
lokale die Renckzettel aufdrängte. |

In Plittersdorf ſtellten ſich, um den am 3. März abhanden ge-
kommenen Ortsfrieden wieder herzuſtellen, einige Männer im Rathhause
auf, welche nach der Anleitung des Profeſſor Gſcheidtle den Leuten
die Lenderzettel aus den Händen zu reißen hatten.

In Steinmauer n, wo die Zärtlichkeiten von Seiten der
Gewalthaber das letzte Mal ſchon groß waren, mußte der Ortsdie-
ner um die Esſenszeit Folgendes mit der Schelle bekannt machen :
„Jeder Bürger hat bei Vermeidung einer Strafe von 30 Kreuzern
auf dem Wahllokale zu erscheinen und zu wählen.“ Die Leute
meinten, es müsſſe Renck gewählt werden [sind denn die Leute immer
noch so einfältig] und so fiel die Wahl für diesen so günſtig aus,
daß er 149, Lender aber nur 26 Stimmen erhielt, auffal len-
derweiſe gerade ſo viel, wie Lindau das lette Mal.

In Detigheim behauptete der Ortsdiener, er habe das Recht,
jedem Wähler seinen Stimmzettel zu visitiren ! !!

Wir wollen unſere Leſer mit weiteren Erempeln liberaler Wahl-
art verſchonen und zum Schlusse nur eine Frage an die ehrlichen
Leute stellen: Haben diejenigen, welche dem Wahlgeseße in ſolcher
Weise zuwiderhandeln, noch das Recht, Andere, welche dem Gesetze
gemäß ihre Ueberzeugung zum freien Ausdruck bringen wollen, va-
terlandslos zu nennen, sich ſelbſt aber als jene Partei hinzuſtellen,
welche es allein gut meine rmit dem innern und freien Ausbau unſeres
deutſchen Vaterlandesn. . z9(Raſtatter Anzeiger.) ..,

* Aus Württemberg iſt nur Erfreuliches zu berichten, weil dort
vollkommene Ru he auf confeſſionellem Gebiete herrſcht, im Gegen-
ſat zu Bayern, wo ein wahrer Höllenlärm los iſt wegen der Döl-
 
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