Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1871

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43884#0462

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
|

die römiſche Frage bezüglichen Interpellation widerſeßzt, um keine
erregten Debatten zu veranlaſſen und den Schein eines Verdachtes
gegen die guten Absichten des Kaiſers und des Kanzlers zu meiden.
„Troßdem ging bereits während der Session das Gerücht, daß die
Fraction beim Reichskanzler in Ungnade gefallen sei."

Hr. Reichensperger kommt dann auf den bekannten Verſuch einer
Desavouirung der Centrumsfraktion durch den Cardinal Antonelli
zu ſprechen ~ und fährt fort: „Ale dieſe Zwiſchenfälle würden
kein allgemeines Intereſſe darbieten, wenn sie nicht augenſcheinlich
das Vorſpiel einer Action wären, deren Tragweite noch nicht
ermeſſen werden kann. Nicht die Bestrebungen der Centrums-
fraction sind es, welche die gewaltsamen, gegen sie gerichteten An-
griffe veranlaßten; ihre Exiſte nz ſelbſt wird ihr zum Verbrechen
angerechnet. Die der Kirche feindlichen Parteien hatten ohne Unter-
ſchied der politiſchen Farbe calculirt, daß der erſte deutſche Reichstag
den erſten Schlag gegen den „Romanismus,, in Deulſchland aus-
führen, daß auf den Trümmern desselben sich in Folge eine deutsche
Nationalkirche erheben würde und daß dieſe Kirche endlich in
einen kosmopolitiſchen „Humanismus“ übergehen würde, ohne Dog-
men, ohne Sacramente, ohne Altäre, das ſchöne Ideal der Frei-
mauerei."

Die Zusammenwirkung der Ereignisse schien günſtig, und man
glaubte, aus Anlaß des Unfehlbarkeitsdogmas müßte ein Schi s ma
entſteßen. Die feſte und muthige Einigung der aus den Wahlen
hervorgegangenen kathol. Volksvertreter lies es den gesetzgebenden
Verſammlungen in Berlin faſt unmöglich erſcheinen, das Signal
eines ernſten Vorgehens gegen den Katholicismus zu geben. Man
hoffte im Gegentheil in Berlin, daß die Jnitiative von München
ausgehen würde, wo der „Luther des neunzehnten Jahrhunderts“
die Fahne der Revolution gegen den römiſchen Pontificat entrollt
hatte. Aber zu München hatte man ſich auch in Jlusionen gewiegt.
Namentlich war darauf gerechnet worden, daß der Biſchof von Rot-
tenburg seine kirchliche Autorität der wisſ enſchaf iliche n Auto-
rität des Profeſſors Döllinger zur Verfügung gestellt und ihr so eine
höhere Sanction gegeben haben würde. Man hielt ſich auch über-
zeugt, daß eine große Zahl von Zöglingen der theologischen Facul-
täten dem Aufrufe Döllinger's und ſeiner gelehrten Anhänger folgen
würden. Döllinger, man wird sich deſſen erinnern, hatte öffentlich
erklärt, daß Tauſende von Prieſtern genau so dächten, wie er.

Nun ist aber der Herr Biſchof v. Hefele dem Papſte treu ge-
blieben, und ber dentſche Clerus hat einſtimmig der Welt erklärt,
daß die Behauptung Döllingers eine Verleumdung sei. Selbſt der
König von Bayern, der dem Professor Döllinger so viele Beweiſe
ſeiner Achtung gegeben, schwankte lange Zeit, ihm seinen Einfluß
zu leihen, weil er sich nicht verheimlichen konnte, daß die anutikirch-
liche Bewegung haupiſächlich von einer paolitiſchen Partei geleitet
werde, deren Beſtrebungen offen darauf hinausgehen, die Dynaſtien
erſten und zweiten Ranges zu mediatiſiren, um ein Deulſchland
herſtellen zu können, das centraliſirt und geeint iſt nach dem Muſter
des Reiches Napoleons III.

B a d e u:
Die Karlsr. Ztg. erhielt aus Baden folgende Mit-



Karlsruhe.
theilung : Uu den 1. Oktober fand im großherzogl. Schlosse
fürstliche Familientafel statt, an welcher Ihre Majestäten der Kaiſer
und die Kaiſerin Theil nahmen. Um 9 Uhr Abends besuchten Ihre
Königl. Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin, sowie die
Kronprinzliche Herrſchaft eine bei Ihren Majeſtäten stattfindende Ge
ſellſchaft, zu welcher zahlreiche Einladungen ergangen waren.

Karlsruhe, 1. Okt. Die Edelmann 'ſche Sache iſt in ein
weiteres Stadium getreten. Am lettten Donnerſtag erhielt Herr Edel-
mann ein Schreiben des Oberſtiftungsrathes Manz, worin dieſer Er-
ſteren einlud, mit dem von ihm zum Depoſitenkomissär ernannten
Oberstiftungsrath Wagner am folgenden Tage den Sturz des Depots
vorzunehmen. Herr Edelmann erwiederte darauf, daß es ihm ſehr
angenehm sei, wenn dieser von ihm längſt gewünſchte Sturz ſtatt-
finde, daß er aber zu demſelben ſich nnr dann verstehen könne, wenn
der Sturz uud die Uebergabe rechtmäßig angeordnet und die Beſtel-
lung eines neuen Depoſsitenkommissärs auch von der Kirchenbehörde
gutgeheißen sei. Zudem muüſte es ihn sehr befremden, daß man ihn
an einem Tage und zu einer Zeit einlade, wo der Oberſtiftungsrath
Situng halte, und er daher nach gemachten Erfahrungen ſich der
Gefahr ausſetze, durch Polizeimannſchast aus dem Gebäude entfernt
zu werden. Herr Manz beeilte sich zwar, die Verſicherung zu geben,
daß keine polizeilichen Maßnahmen gegen Edelmann eintreteu würden,
allein dieſer konnte aus dem angegebenen prinzipiellen Grunde der
Cinladuug nicht Folge leiſten. Zur angegebenen Zeit des 29. Sept.
erschien nun Herr Wagner und ließ unter Beizug eines Polizeiſer-
geanten die Thüren des Zimmers erbrechen, in welchem die Depositen
aufbewahrt werden, und geſtern wurde in dieſem Geschäfte fortgefahren.
Wie wir hören, wurde das Gehäude des Oberſtiftugsrathes in den
beiden folgenden Nächten polizeilich überwachhn. (Bad. B.)

Lauda. Dem Correſpondenten „Von der Tauber“, 27. Sept.,
Landeszeitung No. 230, gegenüber die Ertlärung : Es iſt poſitiv,
mit Namensuuterſchriſt aus competenteſter Haud verhürgt, daß hier
bei der Wahlmännerwahl uur ein Liberaler gewählt wurde.





~ Man nennt einige Abgeordnete der alten Kammer, darun.
ter Kusel und Kiefer, welche ein Mandat für den nächſten Land-
tag nicht annehmen werden. : G §

In Mannheim war der Wahlkampf ein sehr heißer; es spielte
ſogar eine Revolvergeschichte mit.

Für den Bezirk Weinheim wird Herr Ingenieur Bür klin
als Landtags-Caudidat genannt. Eine Wahlmännerverſammlung in
zt ſtelte die Candidatur des Herrn Ec h ard in Mann-
eim auf. i
X Brutchal, 1. October. Der ſeithertge Herausgeber der Kraich-
gauer Zeitung, Ludwig Rodrian , iſt nach Karlsruhe übergesiedelt;
wir haben ihn nicht mehr in unsereu Mauern. Jahre lang haben
wir in diesem Blatte unſere Beziehungen zu ihm kund gegeben, ſind
in mancher Fehde mit ihm gelegen, weßhalb wir es trotz der ganz
ſchmerzlos erfoigten Trennung doch für angemessen erachten, uns
ſachgemäß zu verabſchieden. ;

. Jn Nr. 230 der Kraichgauer Zeitung richtet Rodrian noch
einige Worte an ſeine Parteigenoſſen uud betont sein feſtgehaltenes
Bestreben für den Sieg ,des Fortschrittes und echter Humanität“
seit einer zehnjährigen Wirkſamkeit. An ſchönen Phraſen hat cs
Rodrian nie gefehlt und es wäre wirklich zu verwundern gewesen,
wenn er seine lezten Abſchiedsworte nicht mit solchen gespickt hätte.

Forischritt und Humanität! Welcher ehrliche Menſch in der
Welt weiß nicht, was der gemeine Liberalismus , dem Rodrian sich
verſchrieben hat, hierunter verſteht? Den confessionellen Polterer
gegen die kirchlich treuen Katholiken in der rückſichtsloſeſten Weise zu
ſpielen, heißi nach dem liberalen Wörterbuch den Sieg der Huma-
nität befördern. Und darauf hat ſich der abgekommene Redakteur
Rodrian ausweislich der Kraichgauer Zeitung vortrefflich verstanden.
Vor ſoicher Humanitätspflege haben wir allen Reſpeckt, besonders
seit wir in der unzweideutigſten Weiſe belehrt worden ſind, daß der
tte derselben in der Pariſer Commune die zeitige Frucht gezeigt
at.

Fortschritt! Wiederum ein reizendes Wort. Liberal genommen
bedeutet daſſelbe in politiſcher Beziehung die bedingungslose Aner-
kennungdes Erfolges und den kraſſeſten Sevilismus nach Oben. Die
Kraichgauer Zeitung unter der Redaktion Rodrians hat auch in die-
ſer Beziehung großartige Proben geliefert, weßhalb, um nur Eines
zu erwähnen, aus dem pomumerſchen „Blutjunker“ Bismarck von
1866 im Handumdrehen der allverehrteſte Staatsmann der Welt
geworden iſt. Rodrians ſchleunigſter Rückzug in der Offenburger
Angelegenheit iſt bekannt. Nur wenige Tage hatte er gegen Karls-
ruhe einen Drohfinger gemacht, als ihn ein Wink von daher in
das erwünſchte Geleiſe des Fortſchritts zurückbrachte, aus dem er
anch ſchwerlich mehr entgleiſen wird, zumal er jeßt als avancirter
Bruder der Loge unmittelbar nahe gerückt iſt, von wo aus jeder Zeit
der Intelligenz Zuwachs gewonnen und in forcirter Weise für den
Sieg des Fortſchrittes und der Humanität geſtrampelt werden kann.

Als Rodrians Mobilmachung bekannt wurde, lag es schwüle
über den Häuptern ſeiner Gesinnungsgenossen, denn es plagte sie
die Ungewißheit der Farbe seines Nachfolgers, des nunmehrigen
Herausgebers Gr o ß m a n n.\ Die Betlommenheit iſt jetzt zerſtreut, denn
in Nr. 231 der Kr. Ztg. empfiehlt sich mit noch viel ſchöneren libe-
ralen Phraſen der neue Redakteur; bekennt sich zu denſelben Grund-
ſäten wie Rodrian und ſchreibt auf seine Fahne die geflügelten Worte:
„Nicht der Rückschritt sondern der Fortſchritt!“ – Wir
werden hierauf nochmals zurückkommen, um unsere Bekanntſchaft mit
dem Fortſchrittsmann zu machen. ;

K Bruchsal, 3. October. Die Kraichgauer Zeitung bringt den
liberalen Klatſch, es habe ein Vater aus B. im dieſſeitigen Bezirk
ſein Mädchen bei Androhung der Verſtoßung veranlaßt, den Dienſt_
bei Juden zu kündigen, was ein Zeichen der niederen Culturſtufe in
den untern Schichten des Volkes und der ,„ge iſtli ch en“ Erziehung
ſei. Beinahe bei jedem Quartalwechsel bringt die Kr. Ztg. derartige
Klatscherei. Wir sind der Ansicht, ein Vater habe so viel Recht
über sein Kind, um über dessen Dienſtſtelle ein Wort mitzusprechen,
und will er's nicht leiden, daß sein Mädchen bei Juden dient, so
kann er dabei noch ein sehr gut cultivirter Mann sein, auch wenn
er einen groben Rock trägt. Die Kr. Ztg. hat wahrscheinlich noch
nichts davon gehört, daß kathol. Dienſtboten den Dienſt bei Jîrae-
liten schon oft deßwegen aufgaben, weil sie die Tortur wegen ihres
kath. Glaubens nicht mehr länger aushalten konnten. Man ver-
ſchone uns doch mit den niederen Culturſtufen in den untern Schich-
ten des Volkes, solange den Dienſtboten bei sehr vielen Leuten der
höheren Culturſtufe und der oberen Regionen gar vielmal ein wah-
res Hundeleben zu Theil wird, woran die „geistliche“ Erziehung
doch gewiß keine Schuld hat. ~ Nur noch eine Frage: Zu welcher
Culturſtufe gehören denn jene Fabrikherrn, welche ihre Arbeiter zu
Duyenden sortjagen, wenn dieſe z. B. bei einer Waht ihrer eigenen
Ueberzeugung folgen?

Das International-Jnſtitut in Bruchs al bereitete dieses Jahr
39 Candidaten zur Prüfung für den einjährigen Militärdienſt vor
und 26 ſind bestanden. Die Klaſſen beginnen für die Handelsschule
am 10. Olt., für die Vorbereitungsanstalt am 17. Okt wieder.

Zu Philipps burg wird am 2l1. d. ein größeres Gaufeſt
der pſälzer und anderer landwirthſchaftlichen Vereine abgehalten.


 
Annotationen