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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.9503#0466

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8elie 2

„llMsgemelnschast^
Lomrtag, d«» k. F«dr»,r 1SS«

Boden dte Hand. Di« LentsHen Elportl«r be-
grüßen freudig die Sportkameraden der Welt.
Jhr Wunsch ist es, üatz der Geist, der ihren
Wettstreit beseelen wird, über die olyurpischen
Kampfbahnen hinaus sich zwischen den Völ-
kevn Geltung verschaffen möge. Gleichzeitig
aber gehen Deutschlands junge Arbetter ans
Werk, um im Berufsleben bem sportlichen
und politischen Geist der Ertüchtigung für die
Nation zu dienen. Sie zeigen aller Welt in
diesen Stunden, daß ber olympische
Geist der Kameradschaft nicht nur
auf den üeutschen Rasenflächen,
sondern überall tm Herzen der
Nation.indenBtriebenund Werk-
stätten, in öen Berufsschulen und
in den Hochschulen lebt.
Wohl unterscheiden sich der sportliche und
der berufliche Olympiagedanke. Sollen sich hier
di« Besten der Nation im Kampfe mit den
Desten der Welt messen, so soll in dem Wett-
kampf der deutschen Arbeiterjugend nicht öer
Rekord, sondern die gute Durchschnittsletstung,
nicht eine abnorme Geschicklichketi, sondern
eine kbrperliche, berufliche und politische Aus-
geglichenheit, der gesunde Geist im gefunden
Körper erzogen werden. Jn der Gesamt-
leistung der Mannschaften ftndet das beruf-
liche und öas sportliche Jdeal seine Gemein-
samkeit. Ethische und phystsche Werte sollen
geweckt werden, Gesichtspunkte, die vielleicht
nicht tn demselben Matze im griechischen
Olympia vorhanden waren, Jdeale aber, die
im gesamten Leben öes spartanischen
Staates immer wieder ausschlaggebend ge-
wesen stnd.
Die Männer und Jdeale von Olympia und
von Sparta sind noch immer in der Weltge-
schichte stärker gewefen, als jene Krämer- und
Hänblerseelen, öie einst die Unruhe unter den
griechischen Staüt-Staaten schürten und da-
raus ihre Gewinne zogen. Die delphische Py-
thta hat bie Zukunft des Völkerschicksals nicht
im Angesicht des Völkergemischs auf dem
Marki von Piräus gedeutet, sondern bestimmte
das Schicksal der Welt im Anblick der stärk-
sten und gewaltigsten Männer der alten Welt,
di« auf den olympischen Bahnen zum Kampf
antraten.
Jn Deutschland hat di« olympische Jdee ihre
moderne Wiedergeburt erfahren. Mögen in die«
sem Sinne die starken und gesunden Kräfte der
Welt jene grotze geistige Wende und den politi-
schen Umbruch in Deutschland verstehen, aus
dem heraus sie im Reiche einer so herzlichen Auf-
nahme gewitz sein dürfen. Das Hämmern und
Klopfen der deutschen Arbeiterjugend in den
Detrieben soll als wahres Sinnbild deutschen
Geistes-iUNd als die deutsch« Vegleitmustk ver-
standen werden, welche der Wirt den olym-
pischen Eästen der Welt als Ausdruck seines
Wesens und Wollens zum Empfang darbieten
kann. Günter Kaufmann.
Leichk krkanbunii des Papstes
Rom, 1. Febr. Zu den umlaufenden Eerllchten
Lber eine Erkrankung des Papstes wird hisr
erklärt, datz es sich um eine leichte Erkrankung
handele, die es ratsam erscheinen lieh, datz der
Papst für zwei Tage die üblichen Audienzen
nicht abhielt. Am 31. Januar habe Pius XI.
aber bereits wieder wie gewöhnllch zahlreiche
Personen in Privataudienz empfangen.

Studentenunruhen in paris
Me miederum niedergelchrieen — Vorlesungsrllum mit Irönengllsbomlien gestürmt

Paris, 1. Febr. (Funkspruch.) Die Aufnahme
der Vorlesungen von Profesior 2«ze am Sonn-
abendvormittag in der Pariser Rechtsfakultät
sind auf erneuten heftigen Widerstand der Stu-
dentenschaft gestotzen.
Bereits um 7 Uhr früh waren gegenüber
dem Haupteingang der Fakultät vier Ueberfall-
wagen der Polizei angefahren und zahlreiche
Polizeistrelscn sollten weiterhin die Gewähr da-
sur geben, datz Ruhe und Ordnung ausrecht-
erhaltcn würden. Der Dekan der Fakultät hatte
autzerdem die für 11 Uhr vorgesehene Vorlesung
vorsichwhalber auf 9 Uhr vorverlegt in der
Hoffnung, datz die Studenten zu dieser Zeit noch
nichr allzu zahlreich versammelt sein würden.
Eine strenge Kontrolle der studentischen Aus-
weise wurde an dea Eingängen zur Fakultät
ausgeübl. Zahlreiche Studenten und Hörer fan-
den keinen Zutritt in das Eebäude der Fakultär.
Trotzdem hallten bereits vor Beginn der
Norlesung Prosessor ISzes die Eänge der Fakul-
tät von dem Ruf „Abtreten! Abtreten!" wider.
Als Profesior Jeze unter dem Schutz einer Ee-
leitmannschaft von Fakultätsbeamten den Vor-
lesungsraum betrat, waren zunächst etwa nur
15 Studenten anwesend. Kaum wollte Professor
Ieze mit seinem Vortrag begtnnen, als die auf
den Gängen des Fakultätsgebäudes immer zahl-
reicher werdenden Studenten den Vorlesungs-
raum stllrmten und mit Stinkbomben und
Tränengasbomben und mit lruten
Schreien „Abtreten! Abtreten!" den Rückzug
Professor Jözes erzwangen. Durch eine Seiten-

tür mutzte Profesior 2«ze den Saal und schlietz«
lich auch die Fakultät verlassen.
Starke Polizeikräfte stnd eingeseht worden,
die ein Aufflackern der Unruhen verhindern
sollen.
Scharfe Kngriffe gegen litwinllw
„Eiu verbrecherisches Beispiel von
Unverschämtheit"
London, 1. Februar. Unter der Ueberschrift
„Der Triumph der Verderbtheit" richtet die
Tochter des früheren britischen Botschasters in
Petersburg, Vuchanan, in dcr Wochenzeitschrift
„Saturday Review" llbsraus scharfe Angriffe
gegen den sowjetrussischen Autzenkommissar Lit-
winow wegen seiner Veteiligung an der Beer-
digung des Königs Eeorg. Die Versasierin
bezejchnet es als eine Schmach und eine Schande,
datz ein Mann wie Litwinow, der für die Er-
mordung des Zaren Nikolaus mitverantwortlich
sei, die Möglichkeit gehabt habe. gemeinsam mit
den Vertretern der europäischen Herrscherhäussr
hinter dem Sarg des toten Königs zu gehen,
der dem ermordeten Zaren in herzlicher Freund-
schaft zugetan gewesen sei und der das Trauer-
fpiel von Iekaterinburg niemals völlig Lber-
wunden habe. 2n der ganzen Eeschichte gebe es
kein so verbrecherisches Beispiel von Unver-
schämtheit als die Entsendung dieses Vertreters
der Sowjets zur Beisetzung des englischen Herr-
schers.

kreuzer „karlsrulfe" im Urteil des Uuslandes

„Ueberzeugender kindrut vom
Batavia» 1. Febr. (Eigene Meldung.) Der
Besuch des deutschen Kreuzers „Karlsruhe" in
Vatavia wird noch immer in spaltenlangen Ve-
trachtungen von der gesamten Presse Nieder-
ländisch-Indiens behandelt. Insbesondere wird
anetkannt, dah Offiziere wie Mannschaften des
deutschen Kriegsschiffes durch ihre vorbild-
liche Haltung bet der gesamten Bevölkerung
den allerbesten Eindruck hinterlassen hätten.
Allgemein aufgefallen sei es, so schreibt der
„Preangerbode", datz kein Fest veranstaltet wor-
den sei, an dem nicht die gesamte Besatzung,
vom Kommandanten bis zum Matrosen, teil-
genommen habe. Diese Feststellung habe man
sowohl bei dem grotzen Empfang in der Woh-
nung des deutschen Eeneralkonsuls als auch bei
dem „Kreuzerfest" im Zoo von Batavia und bei
dem Abschiedsfest in Prick machen können. Diesen
Veranstaltungen habe jeder „exklusive Charakter"
gefehlt. Man habe auf diese Weise einen über-
zeugenden Eindruck von dem Geiste der
Volksgemeinschaft" erhalten, der das
neue Deutschland beseele, und zwar zu nieman-
des Vedauern, denn die Höflichkeit der Ofsizier»
und nicht weniger das tadellose Betragen der
Matrosen sei geeignet gewesen, alle Pflichten
einer korrekten Repräsentation ihres Landes zu
erfüllen. So seien die „Kreuzertage" in vollen-
deter Harmonie verlaufen und geeignet gewesen,
einmal das Band zwischen der deutschen Kolonie
in Niederländisch-2ndien und dem Heimatlanoe
zu stärken, zum anderen auch unter der ein-
heimischen Bevölkerung dem Deutschen Reich
neue Freunde zu erwerben.

ffeist des neuen IleulsklilanL"
kultusminister MalsuLllk
Plötzlich einem Herzschlag erlege«
Tokio, 1. Febr. Kultusminister Matsuda,
einer der bekanntesten Führer der Minseito-
Partei, ist im Alter von S2 Iahren plötzlich an
Herzischlag gestorben.
Ursprünglich 2urist und Anwalt, wurde er
später Kolonialminister und übernahm 1934 das
Amt des Kultusministers. Sein Tod bedeutet
angefichtg der bevorstehenden Wahlen einen
schweren Verlust fllr die Regierungspartei Min-
seito. Matsüda war ein eifriger Förderer der
deutsch-japanischen Kulturbeziehungen und eine
Stütze der japanischen Kulturbestrebungen. Ge-
legentlich Üer Eröffnung des Deutschen For-
schungsinstituts in Kyoto hatte er eine viel be-
achtete Ansprache gehalten. Deutschland verliert
in dem Toten einen guten Freund, der auch das
Di« zum Tode verurteilte« Vozene» begnadigt
Boze», 1i Februar. Wie gemeldet, hat der
Kassationshof in Rom die gegen die beiden
Südtiroler Paul Hofer und Hans Gufler wegen
der Ermordung eines Finanzsoldaten auf der
Plan-Hütte verhängten Todesurteile bestätigt,
wodurch die Urteile endgültig Rechtskraft er-
halten haben. Nunmehr hat der König von
Italien den eingebrachten Enadengesuchen statt-
gegeben und die betden Todesstrafen in lebens-
längliche Zuchthausstrafen umgewandelt.

Vie Lage in kriechenland
Augenoperation Demerdzis'
Athen, 1. Febr. Ministerprästdent Demerdzis
hat sich am Sonnabendvormittag in eine Klinik
begeben, wo er sich einer leichten Augenoperation
unterziehen wird.
Der Tod des Generals Kondylis hat zu
einem festeren Zusammenhalt der Armee geführt.
Die Armee ist fest entschlossen, eine Wiederein-
stellung der revolutionären Offiziere nicht zu
dulden. Die Armee würde ferner entschieden
Einspruch gegen eine neue Regierung erheben,
die irgcndwie mit den Kommunisten zusammen-
zuarbeiten gedächte.
2n Regierungskreisen rechnet man mit einsr
ruhigen Weiterentwicklung der in-
nenpolitischen Lage.

0ll8 lldeffinWe ffllWtlluartter melLet
Schwarzhemden-Division „28. Oktober" vernichtet.
Addis Abeba, 1. Febr. Nach einem hier ein-
getrofsenen Vericht des abesiinischen Haupt-
quartiers ist die grotze Schlacht an der Nord-
sront, die am 21. 2anuar begann, endgültig zu
Ende gegangen. Die Schlacht führte nach diesem
Vericht zur Vernichtung der gesamten Schwarz-
Hemden-Divifion „28. Oktober" Die Italiener
sollen im Verlaufe der Kampfhandlungen im
Tembien-Eebiet und bei Makalle insgesamt
etwa 3000 Tote und rund 4000 Verwundete ver«
loren haben; ferner melden die Abessinier di»
Erbeutung von 30 Feldgeschützen, 175Maschinen-
gewehren, 2653 Gewehren und 18 Tanks. Die
Verluste der abessinischen Truppen betragen an-
nähernd 1200 Mann. Die stärksten abesiinischsn
Verluste erforderte die Erstürmung von drei
italienischen Vefestigungswerken, die jetzt von
abesiinischen Scharfschützen und Maschinengewehr«
abteilungen besetzt sind.
Erhöhte Fliegertätigkeit an der abessinischr»
Nordfront
Addis Aveba, 1. Februar. Nach hier ein-
getroffenen abessinischen Frontmeldungen herrscht
an der gesamten Nordfront eine Lberaus starke
Fliegertätigkeit. Die Italiener belegen systr-
matisch die hinter der Front liegenden Städte
und Ortschaften mit Bomben. Die Luftangriff«
sollen bereits bedeutende Opser unter der Be-
völkerung gefordert haben.

Hauptschristleiter: Franz Bretz.
Strllvkrtrrt««: Bkrnhard Sregtr-Nklb«.
<th«t n«m DI«nft: Dr. Frledrich Dldie».
Verantwortlich sllr Innenpolitil: Franz Bretz; sür Autze»-
politil und Wirtschalt: Bernhard Seeger-Kelbe; sllr Badisch«
Nachrichtsn: i. V Herwann Ueberl«: sür Lolaleo: Herbert
Wiedemann; sür Beilagen und Untcrhaltung: Dr. Friedrich
Didier; sllr Spartr Heeman» Ueberl«: für Bildausnckhmen;
Bernhard Leeger-Kelb«: sür Anzeigen: Wilhelm Besper,
sämtiich in Heideiberg.
Echriftleitung: Lutherftratz« bü.
Berliaer Schrlsiieitaag:
Kan» «ras Reychach, Berlin SW S8. Tharlaltenstratz» IbS.
Slachdruck sämtlicher Origtnalbertchte oerboten. SprechstnndeN
der Schristleitung Täglich oon 1S bi» 17 llhr. Fernrus S740.
Fllr unvsrlangt eingegangene Bsiträge wird leine Bsrant-
wortung übernommen.
Berlag »Boltogemeinschast- 8. m. b. S„ Haaptftratz, 17g/irS
lllnioerfitätsplatzl.
Druck: Druckerei Wtnter. Heldeiberg.
D.-A. XII. 1985: über 25 000
Davon: BsztrksaLrgab« Odenwald un» Bauland S7i>0
Bezirlsausgabe Der Franle lllgz
Bezirlsausgab« Rund um Mosbach LSllä
Bezirlsausgabe Der Kraichgau 2716
Zur Zetl tft Anzetgen.Preislift« Nr. 6 güittg.

Die MeüWn Iüftnachtrssiiele
Urquelle des hentige« Lustspiels.

TS kst von vesowderem, kulturhistorischen
Reiz, das Werden und Vergehen der altdeut-
schen Fastnachtsspi'ele zu verfolgen, stellen si-e
doch einen fesselnöen Ausschnitt altdeutzscher
Kuttur dar. Zur sprachgeschichtlichen Erklä-
rung der Fastnchtsspiele sei daran erinnert,
baß das Wort fasten in altbeutscher Prägung
ursprünglich fasen, fas-eln — Poffen treiben —
lantete nnd daß erst eine spätere Zeit die in-
haltltche Umwertung öes Wortes im Hinblick
anf das religiöse Fasten vollzog, mit dem das
Wort nvsprltnglich nichts gemetn hatte. Die
Fastnachtsspiel« wuröen rn mittelal-terlicher
Zeit zn Beginn der grotz-en Fasten vor Ostern
«»bgehalten, ohne desweg-en mit der Ktrche in
einem irgendwie sesteren Verhältnis zn stehen.
Die Fastnachtsspiele bsginnen in ben deut-
schen Gtädten zu Anfang des 15. Jahrhund-crts
hetmisch zu werden, wobei es fich zunächst um
volkstürnltche bvamatische Laienspiele han-
delte. Der alt«, cmch heute noch in deut-schen
Gauen wtrksame Brauch, öaß zur Fa-stnachts-
zett jnnge Leute verkletdet u-mherziehen, um
lustigen Mummenschanz zu tretben, führte
schlietzlich zur Be-grüwdung rsgelvechter Fast-
nachtsspiel«, öi« für die VolkSdramatik tm 15.
und 18. Jahrhundert von nicht geringer Be-
deutung w-a ven.
Die Fastnachtsspiele mtt thver ungebändi-g-
ten Lust und Poff-enveißeret waren so recht
nach dem Geschinack -des Bolkes, das stch bc-
gei-stert diesen hingab. Mls i-m Jahre 1412 zu
Bautzen auf öem Markt ein Fastnachtsspiel
aufgeführt wurd-e, waren die Dächer der um-
kiegenden Häuser von Zu-schauern dicht bssetzt.
Eines öieser überlasteten Dächer stürzt-e schlietz-
lich ein, wob-ei 33 Personen den Tod fanden.
Der dentschen Literatur find etwa 50 Fast-
nachtsspiele überliefert worden, für zwei Ja-Hr-

hnnderte keine grotze Zahl. Da «8 fich metst
um Gelegenheitsstücke handett, entbehren si«
natuvgemäß einer eigentlich literariischen Prä-
gung uwö derngemätz ist auch die größte Zahl
der Verfasser im g-eschichtlichen' Dunkel ver-
sunken geblteben. Bei der Gesamtheit der
literarischen Produktion der FastnachtSspiele
steht das leben-s-lustige, mittelalterliche Nürn-
berg mit seinen idyllischen Erkern u-nd Zinnen
weidaus im Mittelpunkt. Von Nürnbevg sind
nns auch gegen Ende des Mittel-alters zwct
Verfasser von FastnachtSspielen be-kannt, näm-
lich Hans Rosenplüt, genannt der Schneppe-
rer, und Hans Folz, letzterer zwar «in gebo-
rener Pfälzcr, d-er stch jsdoch in der alten
Reichsstabt he-imisch gemacht hatte.
Von Rosenplüt, einem Nürnbevger Wap-
penmaler, sind etwa zehn und von Folz etwa
neun FastnachtSspiele bekannt. Rosenplüt
übertrifft an Derbheit öer Darstcllung unö
des Ansdrucks Hans Folz erheblich. Hans
Folz veröffentlicht« sein erstes Fastnachtsspiel
im Fahr 1474 zu Nürnibevg, betttelt „Fast-
nachtsspiel von einem Bau-ern-Gericht". Die
satyrtsche Darstellung von Prozessen war da-
m-als ein in FastnachtSspielen g-anz be-sonderS
beliebtes Mottv. Mit Hans SachS, dem
poetischen Schuhmacher und Meistersänger von
Nürnbevg, erfu-hr das Fastnachtsspiel setnen
Höhepunkt. Die Fastnachtsspiele Hans
Sachsens begnügten stch mit einer genauen
Abschrift des L-ebens, losgelöst von jeder
Phantaste, nackte Wirklichkeit wöd-er verschönt,
noch vevhätzlicht. Hans Sachs liebte es, dem
durchtriebenen Schalk und Narr, d-em Spöt-ter
und Satyriker Eulenspisgel eine Hauptrolle in
seinen Fastnachtsspi-elen zu ge-ben, wobei er
den Zuschauer mit den zeitgenösstschen Zustän-
den stets auf e-ine untevh-altsame Art vertraut

macht. Hans GaHS zeichnet sür di« Zeit von
1517 Sis zu seinem Tode als Versasser von
85 Fastnachtssptelen, von denen die Mehrzah-l
jedoch nach 1550 entstand. Der große Volks-
poet -hat in manchen Jahren etne grotze Reihe
solcher Sptele versatzt, so im Jahre 1551 allein
acht. Meist handelt «s sich bei d-en alten Fast-
nachtSsptelen um Einakter, d-ie bei Hans Sachs
einen Umsang von üurchschnittlich 360 Versen
ausweisen. Man mutz auch hinsichtlich öes Um-
fanges -bei d-en Fastnachtsspi-elen zwischen sol-
chen nnterscheiden, di-e für Hausausführungcn
oder für össentltche Ausführungen au-f dsm
Markt gsbacht waren. Di« sür ösfentliche
Ausführungeu besti-mm-ten Fastnachtsspiele er-
fovderten na-türlich einen größeren Umfang,
der sich meist über die Grenze von Tausend
Versen «rstreckte.
Ntcht tmm-er waven di« Fastnachtsspiele
lnstigen, satyrischen Jnhalts, gelegentlich ent-
schloß man sich unter -bem Einslutz der Kirche
zur Aufführung geistlicher Gtücke tm Rahmen
der Fastnachtsze-tt, wo-bei dies« rel-tgiösen Fast-
nachtsspiele oft im Umsang etn bsdeutewdes
Ausm-atz annwhmen. Zu erinnern ist hier an
Joh. Brnmmers berühmter Tragtcomocdia
apostolica, die sich eine -ramati-sche Darstel-
lung der ganzen Apostsl-geschichte zur Ausgabe
stell-te und hierfür im J-ahre 1572 nicht meni-
der alS 266 Perso-nen auf die Bühne brachte.
Noch umfangretcher war daS -ber gletchen Zeit
angeh-örende religiöse FastnachtSspiel ,.Saul"
von Holzwarth, das in zehn Akten ,^.00 spre-
chenöe und 400 stumme Person-en" Über öt-e
Bühne sandte. Obwohl der B'Sgriff einer
Bü-Hnentechnik fttr di« damaltge Zeit kaum ge-
gsben war, bemühte man stch dennoch u-m daS
Technische. So deutete man etwa ein Erd-
beben dadurch an, datz sich die Türen öffneten
und aus den An-ge-ln fielen.
Zu grotz-er polit-ischer Bed-eutung gelangten
auch die FastnachtSspiele in der Reforma-
tionszeit, für die als Hanptv-ertreter

Pamphtlus Gengenbach rn Nürnberg und
Nik-laus Manuel in Bern zu nennen stnd. Be-
scndcrs in der Schweiz waren die Fastnachts-
spiele als religiöse Tendenzstück« -u weiter
Verbreitung gekommen. Als letztem großen
Fastnachtsspieldichter nach Hans Sachs begeg-
nen wir dem Nürnberger Jakob Ayrer, der
von 1543 bis 1605 wirkte und als Versasser
von 86 Fastnachtsspielen be-kannt geworden ist.
Mit Jakob Ayrer, der Notar unü Gerichts»
prokurator zu Nürnberg war, empfing daS
Fastna-chtsspiel am Schlutz seiner Entwicklung
eine gelshrte Pevsönlichkeit, die trotz ihrer
Sprachbeherrschung den nahen Verfall deS
Fastnachtsspiels nicht mshr auszuhalten ver-
mochte. Ayrer schrieb seine Fastnachtsspiel« in
Stanzen und erstrebte zugleich eine s-angbare
Sprach«, so datz seine Fastnachtsspiel« zngleich
als erste Vevsuche eines deutfchen Singspiels
zu werten sind. Jnhaltlich laffen a-ber d-ies«
kunstmätzig literari-schen Fastnachtsspiel« Ay-
rers durchaus zu wünschen übri-g, denn der
Dichter stüht sich gänzlich anf die Schwankltte-
ratur des 16. Iahrhunderts, wie er stch auch
unter den Einfluß der ähnlich gearteten eng-
lischen Schwankliteratur be-gibt. was dem
Ganzen wentg förderlich war.
Das Goethe-Zeitalter ftlhrte dann
eine gewiffe Renatssanee des FastnachtS-
sptels herbei. Der Ti-tane von Weimar hat
selb-st um 1774 einem solchen Fastnachtsspiel
„Pater Brey, ö-er falsche Prophet" zum Dasein
vevho-l-sen, das übrigens im Weimarer Goethe-
kreis zu manchen mitzverständlichen Deu-
tungen Anlatz ga-b. öa ffch Hevder und Karo-
line Fl-achsl-and satyrisch gezeichnc-t fühlten.
Um di-e Neugestaltung des Fastnachtspiels hat
sich besonders A. W. Schlegel vevdient ge-
macht. wie stch auch sonst in der Romantik daS
Fastnachtsspiel als Literatursatyre zu neuer
Gsltuna bringt. Was dem Fastnachtsspiel sein-e
wertvolle besondeve Not-e gi-bt. i-st die Tatlache,
daß wir in ihm die Urau-elle des heutigeu
Lustsviels zu betrachten haben.
 
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