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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

DOI Artikel:
Schwab, Alexander: Baupolitik und Bauwirtschaft, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0206

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den Christlichen Gewerkschaften nahestehen. Die
Freien Gewerkschaften ihrerseits prüfen in
einer besonderen Kommission den Bauspargedanken
und dürften nächstens grundsätzlich dazu Stellung
nehmen, vielleicht sogar eine eigene Aktion vorbe-
reiten, etwa im Anschluß an die rasch aufblühende
Bank für Arbeiter, Angestellte und Beamte.

In dieser Atmosphäre der allgemeinen Rüstung
großer Machtgruppierungen ist die Lage des freien
Architekten, insbesondere soweit er zugleich not-
gedrungen Unternehmer ist, nicht beneidenswert.
Die gedrückte allgemeine Konjunktur äußert sich in
stockender Zahlungsweise aller Auftraggeber und
im Mangel an neuen Aufträgen. Aber auch die be-
amteten und angestellten Architekten werden stän-
dig mehr von Abbautendenzen betroffen oder min-
destens bedroht. Früher war es im Ablauf der wirt-
schaftlichen Zyklen normal, daß eine Zeit rück-
läufiger Konjunktur allmählich von selbst zu einer
Belebung des Baumarktes führte, weil das im Pro-
duktionsprozeß brachliegende oder gefährdete Ka-
pital es vorzog, sich in langfristige, sichere Anlagen
zu bescheidenen Zinssätzen zu flüchten, also in
Hypotheken, Pfandbriefe usw. Heute ist dieser
Mechanismus schwer gestört durch Reparations-
zahlungen, durch absoluten Kapitalmangel und durch
die Fernhaltung ausländischen Kapitals. Eine Bes-
serung wird sich nur langsam und in bescheidenen
Grenzen durchsetzen können.

Die Kollektivwohnung.

Aus Rußland kommen Nachrichten über den Bau
von Kollektivwohnungen, die sowohl in Gestalt neuer
zusammenhängender Siedlungen wie im Rahmen der
bestehenden Städte errichtet werden sollen. Woh-

nungen, bei denen für alle Funktionen, die kollektiv
durchgeführt werden können — für Kochen, Wa-
schen, Heizung, Reinigung, Kinderaufzucht — von
vornherein überhaupt nur gemeinsame Einrichtun-
gen vorgesehen sein sollen, während der Raum für
individuelle Wohnfunktionen auf ein Minimum be-
schränkt sein soll. Ganz abgesehen von der Frage
der Distanz zwischen Plan und Verwirklichung wird
man auch zur Beurteilung des Projektes selbst zu-
verlässige und im einzelnen genauere Nachrichten
abwarten müssen. Doch kann man immerhin schon
heute zum Grundgedanken der Meldung — abseits
aller politischen oder moralischen Beurteilung —
eine Feststellung und eine Frage aussprechen. Fest-
zustellen ist, daß Ansätze zu einer ähnlichen Ent-
wicklung auch bei uns und in den Vereinigten Staa-
ten da sind, z. B. in den verschiedenen Formen des
Boardinghauses, des Familien- und Wohnhotels mit
seinen Variationen, ohne alle soziale Theorie oder
Tendenz, rein aus wachsenden Bedürfnissen her-
aus. Natürlich kommt es hier eben auf die Unter-
schiede im einzelnen an, nämlich darauf, wie die
Grenze verläuft zwischen den zentralisierten Funk-
tionen und dem individuellen Lebensraum. Fragen
könnte man ferner, wie die Träger des russischen
Projektes sich damit wohl in den Rahmen ihrer
eigenen Gesamttheorie einordnen. Versucht man
hier vielleicht von der Konsumtionsseite her die Be-
wußtseinsumwälzung vorwärtszustoßen, die von der
Umwälzung der Produktion aus noch nicht breit und
rasch genug ist?

Als ein Beispiel der gesellschaftlichen Gebunden-
heit jedes Bauschaffens bleiben diese Pläne und
Versuche auf alle Fälle interessant und sollen weiter
beobachtet werden.

BUCHBESPRECHUNG

Otto Haesler, Zum Problem des Wohnungs-
baues; Gesteigerter Nutzeffekt bei verringertem
Aufwand. 20 Seiten. Verlag Hermann Reckendorf
G. m. b. H. Preis 1,40 RM.

In dieser dünnen Broschüre gibt Haesler-Celle
nichts geringeres als die vollständigen Grundlinien
für ein synthetisches Programm der wohnkulturellen
Wirtschaftlichkeit. Daß er sich dabei auf konkrete
Ziffern aus der von ihm geleiteten Rothenbergbe-
bauung bei Kassel stützen kann, verleiht zwar sei-
nen Darlegungen die erhöhte Standfestigkeit der
Empirie, erscheint aber fast nur als Zugabe zu der
geleisteten gedanklichen Zusammenfassung. Wenig-
stens gestehe ich persönlich, daß ich auf diesen
paar Seiten mehr Beherrschung der Probleme — ge-
schweige denn der Lösungen — künftigen Woh-
nungsbaues finde als in allen Drucksachen der
Reichsforschungsgesellschaft.

Wesentlich ist vor allem, daß Haesler die wech-
selseitige Abhängigkeit und Verflochtenheit aller
Forderungen ans Licht stellt, die sich ergeben, wenn
die Wohnung als ein Ganzes betrachtet wird.

Diese Forderungen werden in einem Katalog zu-
sammengestellt, und zwar als „soziologische, psy-
chologische, hygienische, wohnfunktionelle, bauwirt-
schaftliche", doch lehnt Haesler jede prinzipielle
Trennung zwischen Verbilligung und Verbesserung
ab und formuliert einen zusammenfassenden Begriff
der „materiellen und ideellen Wirtschaftlichkeit".
Diese Einstellung hat ihn keineswegs gehindert, in
Kassel eine Verbilligung um 20—25 v. H. zu errei-
chen, und sie hindert ihn auch nicht, die Grundlagen
seiner Arbeit zahlenmäßig genau durchzurechnen
und der Nachprüfung der Öffentlichkeit zu unter-
breiten.

Das Buch, das Haesler für den Spätsommer,
ebenfalls im Verlage Reckendorf, ankündigt, kann
nur mit größter Spannung erwartet werden. A. S.

Anschriften der Mitarbeiter dieses Heftes:

Professor Johannes Itten, Berlin-Wilmersdorf, Konstanzer Str. 14
Dr. Adolf Behne, Berlin-Charlottenburg, Grünstr. 16
Dr. Alexander Schwab, Berlin W 57, Potsdamer Str. 93

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