Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0519
DOI article:
Riezler, Walter: "Stockholmutställningen 1930"
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0519
„STOCKHOLMUTSTALLNINGEN 1930
W. RIEZLER
Wenn man in diesem Jahre nach Stockholm
kommt, hat man den Eindruck, als hole diese
Stadt „mit einem Sprunge" die baukünstlerische
Entwicklung nach, die andernorts in den letzten
■Jahrzehnten vorsichtig und unsicher tastend „mit
tausend Schritten" vor sich gegangen ist.
Erst vor sieben Jahren wurde östbergs er-
staunliches Stadthaus vollendet, von Deutsch-
land aus gesehen ein nachgeborener Sproß der
historisierenden Baukunst um 1880 bis 1890, in
Schweden aber nur ein Glied einer Kette, an die
sich auch später noch andere Glieder ange-
schlossen haben, wie unter vielem anderen Teng-
boms erst vor kurzem bezogenes Verwaltungs-
gebäude des Zündholztrusts beweist. Man muß
gestehen, daß die Existenz dieses Stadthauses
für denjenigen, der an eine einheitliche Stilten-
denz des geschichtlichen Augenblickes glaubt
und ein im tiefsten „unzeitgemäßes" Talent nicht
für möglich hält, eine unbequeme Tatsache ist.
Denn es ist schlechterdings nicht zu leugnen,
daß hier ein ausgesprochenes „Talent" am
Werke ist, und zwar nicht nur ein kombinatori-
sches und Kopistentalent, das alte Formen ge-
schmackvoll und lebendig anzuwenden versteht
(wie etwa Gabriel Seidl, der zudem noch einen
sehr starken Sinn für das echt Architektonische
besaß), sondern ein Talent von unleugbarer Kraft
441
W. RIEZLER
Wenn man in diesem Jahre nach Stockholm
kommt, hat man den Eindruck, als hole diese
Stadt „mit einem Sprunge" die baukünstlerische
Entwicklung nach, die andernorts in den letzten
■Jahrzehnten vorsichtig und unsicher tastend „mit
tausend Schritten" vor sich gegangen ist.
Erst vor sieben Jahren wurde östbergs er-
staunliches Stadthaus vollendet, von Deutsch-
land aus gesehen ein nachgeborener Sproß der
historisierenden Baukunst um 1880 bis 1890, in
Schweden aber nur ein Glied einer Kette, an die
sich auch später noch andere Glieder ange-
schlossen haben, wie unter vielem anderen Teng-
boms erst vor kurzem bezogenes Verwaltungs-
gebäude des Zündholztrusts beweist. Man muß
gestehen, daß die Existenz dieses Stadthauses
für denjenigen, der an eine einheitliche Stilten-
denz des geschichtlichen Augenblickes glaubt
und ein im tiefsten „unzeitgemäßes" Talent nicht
für möglich hält, eine unbequeme Tatsache ist.
Denn es ist schlechterdings nicht zu leugnen,
daß hier ein ausgesprochenes „Talent" am
Werke ist, und zwar nicht nur ein kombinatori-
sches und Kopistentalent, das alte Formen ge-
schmackvoll und lebendig anzuwenden versteht
(wie etwa Gabriel Seidl, der zudem noch einen
sehr starken Sinn für das echt Architektonische
besaß), sondern ein Talent von unleugbarer Kraft
441