TYPUS UND INDIVIDUUM IN KLEIDUNG UND MODE
Wl LH E LM LÖTZ
Foto: Stone, Berlin
Der Eindruck des Menschen ist stärker als der der Kleidung.
Die Kleidung ist vollkommen dem Eindruck des persönlichen
Wesens untergeordnet
L'impression qui se degage de la personne en soi est plus forte que
Celle qui resulte du vetement. Le vetement est absolument aban-
donne, ä cet egard, ä l'impression produite par la facon d'etre et
les manieres de l'individu lui-meme
The individual makes a slronger impression than the dress. Wearing
apparel is fully subordinate to the impression of the individual as
a personality
Wenn wir von der Kleidung der Menschen in
unserer Zeit sprechen, denken wir immer gleich
an die Mode. Wir sehen in ihr nicht ein ideales,
aber doch ein tatsächliches Vorbild für die Klei-
dung der breiteren Masse. Die Konfektion ist stets
bestrebt, die Mode nachzuahmen. Die Modelle
werden von den besseren bis zu den billigsten
Kleidern immer mehr vereinfacht. Aber selbst bei
diesen billigsten Kleidern findet man noch die
Spuren des Vorbildes. Der Stil der großen Mode
wechselt von Saison zu Saison, ja, dieser Wech-
sel ist geradezu ihr besonderes Kennzeichen. Es
gibt kein Gebiet in der menschlichen Formen-
schöpfung, auf dem ein spielerischer Formen-
und Farbentrieb so unbehindert von allen realen
und technischen Vorbedingungen sich auswirkt.
Wenn in der heutigen Zeit der sachlichen Form
irgendeine Erscheinung noch mit dem üppigen
Spiel von Formen und Farben, das wir im Liebes-
leben der Natur sehen, zu vergleichen ist, so ist
es die Mode. Sicherlich hängt die Mode auch mit
dem Wandel unserer ästhetischen Anschauun-
gen zusammen. Sie ist mit einem Indikator zu
vergleichen, der auf leiseste Schwankungen mit
stärkstem Ausschlag reagiert. Sie neigt zu Über-
treibungen und zu Überspitzungen. Die Mode
zieht auch oft aus ganz realen technischen Vor-
bedingungen Nutzen. Ein neuer Farbstoff, den
die chemische Industrie propagiert, ein neues
Material, eine neue Webart sind oft Anregungen
zu ganz neuen modischen Schöpfungen.
Das. was wir die große Mode nennen, sind un-
geschriebene Diktate, nach denen sich die Ate-
lier-Mode und die Konfektion richten. Die Atelier-
Mode leistet der großen Mode unmittelbare Ge-
folgschaft, während für die Konfektion die Ate-
lier-Mode die Verkörperung der großen Mode
darstellt. Man kann diesen Unterschied zwischen
der großen Mode und der Atelier-Mode machen,
weil Mode-Ideen, wenn sie von Ateliers kreiert
werden, nur dann aufgenommen werden, wenn
von den Schöpfern ein modisches Bedürfnis vor-
Die Kleidung ist wichtig und erdrückt alles Persönliche und
Menschliche
Foto: C. Riebecke, Berlin
Le vetement est important, il etouffe tout ce qu'il y a de personnel
et d'humain dans une etre
The dress is important in itself, and suppresses the personal and
human touch
428
Wl LH E LM LÖTZ
Foto: Stone, Berlin
Der Eindruck des Menschen ist stärker als der der Kleidung.
Die Kleidung ist vollkommen dem Eindruck des persönlichen
Wesens untergeordnet
L'impression qui se degage de la personne en soi est plus forte que
Celle qui resulte du vetement. Le vetement est absolument aban-
donne, ä cet egard, ä l'impression produite par la facon d'etre et
les manieres de l'individu lui-meme
The individual makes a slronger impression than the dress. Wearing
apparel is fully subordinate to the impression of the individual as
a personality
Wenn wir von der Kleidung der Menschen in
unserer Zeit sprechen, denken wir immer gleich
an die Mode. Wir sehen in ihr nicht ein ideales,
aber doch ein tatsächliches Vorbild für die Klei-
dung der breiteren Masse. Die Konfektion ist stets
bestrebt, die Mode nachzuahmen. Die Modelle
werden von den besseren bis zu den billigsten
Kleidern immer mehr vereinfacht. Aber selbst bei
diesen billigsten Kleidern findet man noch die
Spuren des Vorbildes. Der Stil der großen Mode
wechselt von Saison zu Saison, ja, dieser Wech-
sel ist geradezu ihr besonderes Kennzeichen. Es
gibt kein Gebiet in der menschlichen Formen-
schöpfung, auf dem ein spielerischer Formen-
und Farbentrieb so unbehindert von allen realen
und technischen Vorbedingungen sich auswirkt.
Wenn in der heutigen Zeit der sachlichen Form
irgendeine Erscheinung noch mit dem üppigen
Spiel von Formen und Farben, das wir im Liebes-
leben der Natur sehen, zu vergleichen ist, so ist
es die Mode. Sicherlich hängt die Mode auch mit
dem Wandel unserer ästhetischen Anschauun-
gen zusammen. Sie ist mit einem Indikator zu
vergleichen, der auf leiseste Schwankungen mit
stärkstem Ausschlag reagiert. Sie neigt zu Über-
treibungen und zu Überspitzungen. Die Mode
zieht auch oft aus ganz realen technischen Vor-
bedingungen Nutzen. Ein neuer Farbstoff, den
die chemische Industrie propagiert, ein neues
Material, eine neue Webart sind oft Anregungen
zu ganz neuen modischen Schöpfungen.
Das. was wir die große Mode nennen, sind un-
geschriebene Diktate, nach denen sich die Ate-
lier-Mode und die Konfektion richten. Die Atelier-
Mode leistet der großen Mode unmittelbare Ge-
folgschaft, während für die Konfektion die Ate-
lier-Mode die Verkörperung der großen Mode
darstellt. Man kann diesen Unterschied zwischen
der großen Mode und der Atelier-Mode machen,
weil Mode-Ideen, wenn sie von Ateliers kreiert
werden, nur dann aufgenommen werden, wenn
von den Schöpfern ein modisches Bedürfnis vor-
Die Kleidung ist wichtig und erdrückt alles Persönliche und
Menschliche
Foto: C. Riebecke, Berlin
Le vetement est important, il etouffe tout ce qu'il y a de personnel
et d'humain dans une etre
The dress is important in itself, and suppresses the personal and
human touch
428