DIE DOPPELGESCHOSSIGE ETAGENWOHNUNG
OTTO HAESLER, CELLE
Es ist verständlich, daß viele Kritiker von
der Gesamtwirkung des noch in den Anfängen
steckenden Zeilenbaues mit seinem stark sach-
lichen Ausdruck nicht befriedigt oder gar über-
zeugt sind, aber es liegt dies weniger an der
grundsätzlichen Sachlichkeit als vielmehr an dem
noch zu schematischen, d. h. noch nicht genü-
gend abgerundeten, lebensstarken und lebens-
bewegten Inhalt der Bau- und Städtebauaufga-
ben selbst, für den sie ja nur der entsprechende
Ausdruck sein können. Es wird dabei übersehen,
daß Städtebau nach einseitigen Richtlinien eben
nicht genügend starker lebendiger Ausdruck sein
kann. Weil man nun nicht in der Lage ist, sol-
chen ersehnten, lebensstarken bau- und städte-
baulichen Ausdruck aus ebenso lebensfähigen
Voraussetzungen biologisch entwickeln zu kön-
nen, sucht man analog der Fassade als Schürze
für das Gebäude auch nach Schürzen im Städte-
bau. Mit solchen Mittelchen läßt sich aber die
zu schematische Handhabung an sich richtiger
Richtlinien nicht korrigieren oder gar fehlerhafte
in ihr Gegenteil verwandeln. Auch die so häufig
beanstandeten fensterlosen Giebelwände des
Zeilenbaues fallen unter diese Betrachtung. Bei
systematischer Unterbringung gleicher Wohnun-
gen unter gleichen — optimalen — Bedingungen
ist die glatte Giebelwand der gegebene Aus-
druck. Erst wenn es möglich ist, das gleichge-
artete Bauprogramm der Wohnzeile z. B. durch
größere — sprich: teurere Wohnungen zu ergän-
zen, um so bestimmten Räumen außer der Ost-
und Westsonne auch noch die Südsonne zugäng-
lich zu machen, ist auch die Vorbedingung für
eine andere Gestaltung der südlichen Wohn-
zeilenenden mit ihren nach Süden gelegenen
Giebelwänden gegeben, ohne daß solche ästhe-
tischen Auswirkungen die Preisgestaltung oder
die Nutzbarkeit der Wohnungen beeinträchtigen.
(In den zu erwartenden architekturästhetischen
Auseinandersetzungen wird deshalb auch die
Frage der glatten Wand als Ausdruck von Raum
und Spannung von Bedeutung sein.)
Bei gleichgeartetem Städtebauprogramm ver-
hält es sich nicht anders. Auch hier gibt es nur
Mittelchen, um den aus monotonen, schemati-
schen Bauaufgaben bedingten schematischen
Ausdruck verwischen zu können. Um so mehr
ist es notwendig, daß möglichst alle jene Fak-
toren in solche städtebaulichen Aufgaben ein-
bezogen werden, die für deren lebendige Durch-
dringung in Frage kommen. Bei den heute ent-
stehenden Stadtteilen und Siedlungen ist ein sol-
cher Faktor die stärkere Durchdringung mit den
verschiedensten Wohnformen. Für eine solche
geeignete neue Wohnform halte ich die doppel-
geschossige Etagenwohnung.
Diese Wohnform entwickelt sich unter Ver-
meidung der Fehler und Nachteile des sogenann-
ten Laubenganghauses, die hauptsächlich darin
bestehen, daß man bei letzterem erst ein gegen
die Witterung geschütztes Treppenhaus passiert,
um aann wieder über einen der Witterung aus-
gesetzten vorspringenden Verkehrsbalkon zu den
einzelnen Wohnungen zu gelangen, deren Ab-
schlußtüren direkt — also ungeschützt — nach
diesem Freibalkon zu liegen. Ferner entwickelt
sich bei dem bisherigen Laubenganghaus der
ganze Verkehr an den zuvorderst gelegenen
Wohnungen vorbei, und nur die zuletzt gelegenen
Wohnungen bleiben von dieser Belästigung frei,
die um so einschneidender empfunden wird, als
in den meisten Fällen an den Freibalkons Wohn-
räume mit normaler Fensterbrüstung liegen. Eine
solche allgemeine Sicht in die Räume ist für
alle Beteiligten nicht erwünscht.
Auch die Versuche, diese Laubengänge als
Ersatz für Balkon oder Loggia breiter anzulegen,
sind nicht viel günstiger zu bewerten. In allen
Fällen aber entzieht der Laubengang als vor-
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OTTO HAESLER, CELLE
Es ist verständlich, daß viele Kritiker von
der Gesamtwirkung des noch in den Anfängen
steckenden Zeilenbaues mit seinem stark sach-
lichen Ausdruck nicht befriedigt oder gar über-
zeugt sind, aber es liegt dies weniger an der
grundsätzlichen Sachlichkeit als vielmehr an dem
noch zu schematischen, d. h. noch nicht genü-
gend abgerundeten, lebensstarken und lebens-
bewegten Inhalt der Bau- und Städtebauaufga-
ben selbst, für den sie ja nur der entsprechende
Ausdruck sein können. Es wird dabei übersehen,
daß Städtebau nach einseitigen Richtlinien eben
nicht genügend starker lebendiger Ausdruck sein
kann. Weil man nun nicht in der Lage ist, sol-
chen ersehnten, lebensstarken bau- und städte-
baulichen Ausdruck aus ebenso lebensfähigen
Voraussetzungen biologisch entwickeln zu kön-
nen, sucht man analog der Fassade als Schürze
für das Gebäude auch nach Schürzen im Städte-
bau. Mit solchen Mittelchen läßt sich aber die
zu schematische Handhabung an sich richtiger
Richtlinien nicht korrigieren oder gar fehlerhafte
in ihr Gegenteil verwandeln. Auch die so häufig
beanstandeten fensterlosen Giebelwände des
Zeilenbaues fallen unter diese Betrachtung. Bei
systematischer Unterbringung gleicher Wohnun-
gen unter gleichen — optimalen — Bedingungen
ist die glatte Giebelwand der gegebene Aus-
druck. Erst wenn es möglich ist, das gleichge-
artete Bauprogramm der Wohnzeile z. B. durch
größere — sprich: teurere Wohnungen zu ergän-
zen, um so bestimmten Räumen außer der Ost-
und Westsonne auch noch die Südsonne zugäng-
lich zu machen, ist auch die Vorbedingung für
eine andere Gestaltung der südlichen Wohn-
zeilenenden mit ihren nach Süden gelegenen
Giebelwänden gegeben, ohne daß solche ästhe-
tischen Auswirkungen die Preisgestaltung oder
die Nutzbarkeit der Wohnungen beeinträchtigen.
(In den zu erwartenden architekturästhetischen
Auseinandersetzungen wird deshalb auch die
Frage der glatten Wand als Ausdruck von Raum
und Spannung von Bedeutung sein.)
Bei gleichgeartetem Städtebauprogramm ver-
hält es sich nicht anders. Auch hier gibt es nur
Mittelchen, um den aus monotonen, schemati-
schen Bauaufgaben bedingten schematischen
Ausdruck verwischen zu können. Um so mehr
ist es notwendig, daß möglichst alle jene Fak-
toren in solche städtebaulichen Aufgaben ein-
bezogen werden, die für deren lebendige Durch-
dringung in Frage kommen. Bei den heute ent-
stehenden Stadtteilen und Siedlungen ist ein sol-
cher Faktor die stärkere Durchdringung mit den
verschiedensten Wohnformen. Für eine solche
geeignete neue Wohnform halte ich die doppel-
geschossige Etagenwohnung.
Diese Wohnform entwickelt sich unter Ver-
meidung der Fehler und Nachteile des sogenann-
ten Laubenganghauses, die hauptsächlich darin
bestehen, daß man bei letzterem erst ein gegen
die Witterung geschütztes Treppenhaus passiert,
um aann wieder über einen der Witterung aus-
gesetzten vorspringenden Verkehrsbalkon zu den
einzelnen Wohnungen zu gelangen, deren Ab-
schlußtüren direkt — also ungeschützt — nach
diesem Freibalkon zu liegen. Ferner entwickelt
sich bei dem bisherigen Laubenganghaus der
ganze Verkehr an den zuvorderst gelegenen
Wohnungen vorbei, und nur die zuletzt gelegenen
Wohnungen bleiben von dieser Belästigung frei,
die um so einschneidender empfunden wird, als
in den meisten Fällen an den Freibalkons Wohn-
räume mit normaler Fensterbrüstung liegen. Eine
solche allgemeine Sicht in die Räume ist für
alle Beteiligten nicht erwünscht.
Auch die Versuche, diese Laubengänge als
Ersatz für Balkon oder Loggia breiter anzulegen,
sind nicht viel günstiger zu bewerten. In allen
Fällen aber entzieht der Laubengang als vor-
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