BAUPOLITIK UND BAUWIRTSCHAFT
Die Zementverbände bedroht?
Die Nachrichten aus der Zementindustrie sind
gsgenwärtig für jeden Praktiker des Bauens von
höchster Bedeutung. Der größte der drei Verbände,
der Westdeutsche Zementverband, hat seinen sämt-
lichen Angestellten vorsorglich gekündigt, nicht, um
ihre Gehälter zu kürzen, sondern offenbar, weil der
Bestand des Syndikats über das Ende dieses Jahres
hinaus ernsthaft bedroht erscheint. Die großen
Werke, die unter den heutigen Verhältnissen auf
Grund ihrer Leistungsfähigkeit den Bedarf ganz oder
nahezu allein decken könnten, haben offenbar wenig
Neigung, sich den Syndikatsbindungen noch länger
zu fügen. Der Erfolg einer Verbandssprengung
könnte ein Konkurrenzkampf mit Preisunterbietungen
sein, die den sogenannten Preisabbau der gegen-
wärtigen Regierungsaktion bei weitem in den Schat-
ten stellen dürften.
Die Zukunft der Wohnungswirtschaft.
Die Zukunftsaussichten aller Produktionszweige,
die mit dem Bauen und der Inneneinrichtung von
Wohnungen zu tun haben, werden aufs stärkste von
den Plänen berührt, die gegenwärtig im Schöße der
Reichsregierung reifen. Will man alle Programme als
bare Münze nehmen, so ergibt sich etwa folgende
Perspektive: Der Wohnungsbau mit Hauszinssteuer-
mitteln wird 1931 auf 215 000 Wohnungen herabge-
setzt, für die nur 400 (statt bisher 800) Millionen aus
der Hauszinssteuer zur Verfügung gestellt werden;
weitere 400 Millionen sollen aus dem freien Kapital-
markt aufgebracht werden. In den folgenden Jahren
sollen dann die Zuschüsse aus der Hauszinssteuer
weiter abgebaut werden und im Haushaltsjahr
1936/37 völlig verschwinden. Gleichzeitig wird
Stück um Stück der Mieterschutz abgebaut.
Wird dies Programm durchgeführt, so wird der-
jenige Teil des Wohnungsbaus, der staatlich ge-
sichert ist, immer kleiner: ob im gleichen Maße der
andere Teil, der aus dem freien Kapitalmarkt zu
finanzieren wäre, immer größer wird, muß — ent-
gegen dem amtlichen Optimismus — sehr bezweifelt
werden. Sicher dagegen ist, daß bei Abbau des Mie-
terschutzes große Wohnungen in erheblichem Um-
fang frei werden; daraus mögen sich Aufträge für
Renovierungen, für Umbau in Geschäftsräume usw.
ergeben. Immerhin dürfte ein Uberangebot an gro-
ßen Wohnungen bleiben.
Daß der Bau von Klein- und Arbeiterwohnungen von
Jahr zu Jahr weniger gefördert werden soll, ist sowohl
sozial als auch für das Baugewerbe eine bedenk-
liche Perspektive; vom freien Kapitalmarkt ist hier-
für bekanntlich wenig zu erhoffen. Ebenso bedenk-
lich — sozial wie für das Baugewerbe — ist die Tat-
sache, daß für den Ersatz von rd. 300 bis 360 000
überalterten Wohnungen im Regierungsprogramm
überhaupt nichts vorgesehen ist.
In Rechnung zu setzen ist allerdings die Tatsache,
daß infolge des Altersaufbaus der deutschen Bevöl-
kerung, also letzten Endes infolge des Krieges, die
Zahl der neuen Familien und damit auch der notwen-
dig werdenden neuen Wohnungen etwa von 1936
ab von Jahr zu Jahr rasch zurückgehen wird, und
zwar von einer Ausgangsziffer von etwa 250 000
bis auf etwa 190 000 im Jahre 1941, während man
für 1945 nur noch etwa einen Neubedarf von rd.
85 000 Wohnungen annimmt. Die nüchterne Sprache
dieser Zahlen bedeutet eine ernste Warnung vor
jeder Expansion in allen Zweigen des Bau- und Ein-
richtungsgewerbes. Zugleich mag man aus ihnen
entnehmen, daß die deutsche Produktion in den kom-
menden Jahren in wachsendem Maße gezwungen
sein wird, ihren enger werdenden Inlandsmarkt zu
ergänzen durch den Export, in dem sie nur mit höch-
ster sachlicher Leistung und mit weltgängiger Form
konkurrenzfähig sein wird.
Ephraim und Städtebau.
Zu dem Berliner Streit um Mühlendammschleuse
und Ephraimsches Palais, dessen Einzelheiten aus
der Tagespresse bekannt sind, an dieser Stelle nur
noch ein Wort. Es ist nahezu scherzhaft (und wird
vielleicht manchem zu denken geben), wie eng hier
Kunstpolitik und Städtebau verbunden sind. Das
Schicksal macht sich den Witz, daß das Ephraim-
sche Palais, von allen Liebhabern alter Baukunst als
Juwel geschätzt, ausgerechnet an der Stelle stehen
muß, an der künftig die 1000-Tons-Xähne der Berli-
ner Schiffahrt durchfahren sollen. Das Problem
scheint also zu sein: Bewahrung eines wertvollen
Stücks baulicher Tradition — oder Opferung zugun-
sten von Wirtschaft und Technik? Kürzer gesagt:
Wer hat recht, Landeskonservator oder Stadtbau-
rat? Der zweite Witz aber ist, daß das Problem in
Wahrheit gar nicht so steht. Die Frage ist vielmehr
schon innerhalb der Sphäre der Verkehrswirtschaft
zu lösen; man kann nämlich der Meinung sein, daß
der Wasserdurchbruch für die 1000-Tons-Kähne gar
nicht nötig ist, daß im Osten Berlins durchaus die
schlesische Kohle (um die handelt es sich haupt-
sächlich) genügt, und daß das Palais keineswegs der
freien Durchfahrt der Ruhrkohle geopfert werden
muß. In diesem Fall wäre also der Kampf zwischen
den beiden inkommensurablen Gegnern zu vermei-
den; freilich geht es nicht immer so. A. S.
Adolf B e h n e , Eine Stunde Architektur. Akade-
mischer Verlag Dr. Fritz Wedekind & Co., Stuttgart.
Ein Manifest des Funktionalismus ist dieses Heft
von 64 Seiten, halb Text und halb Bilder. Wer noch
nicht verstanden hat, mit wieviel Recht der nächsten
großen Werkbundausstellung das Thema „Die Neue
Zeit" als Aufgabe gestellt wurde, oder wem der Sinn
dieser Aufgabe im Ubermaß der Diskussion verloren
ging, der mag sich hier wenigstens ein Stück davon
lebendig machen. Behnes Gedankengang führt vom
Anfang der Kunst in einem einzigen hochgeschwun-
genen Bogen bis zum heutigen Tag. „Die Kunst
kommt vom Tode her und will zum Leben." — „Der
Pol. dem sich das Bauen nähert, ist die Vollkom-
menheit des Instrumentes." Und, gegen Schluß: „Die
Phantasie, die fruchtbar ist, ist geknüpft an die här-
teste Wirklichkeit." Man kann es nicht besser sagen.
_ Und wenn etwas zu ergänzen ist, so ist das kein
Einwand. Zu ergänzen wäre vielleicht die Frage: In-
strument - wozu? Behne sagt selbst: „Entschei-
dend ist die Leistung für den Menschen." Für welche
Art von Mensch? - Die Frage gehört hierher; aber
nicht mehr die Antwort. a
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Die Zementverbände bedroht?
Die Nachrichten aus der Zementindustrie sind
gsgenwärtig für jeden Praktiker des Bauens von
höchster Bedeutung. Der größte der drei Verbände,
der Westdeutsche Zementverband, hat seinen sämt-
lichen Angestellten vorsorglich gekündigt, nicht, um
ihre Gehälter zu kürzen, sondern offenbar, weil der
Bestand des Syndikats über das Ende dieses Jahres
hinaus ernsthaft bedroht erscheint. Die großen
Werke, die unter den heutigen Verhältnissen auf
Grund ihrer Leistungsfähigkeit den Bedarf ganz oder
nahezu allein decken könnten, haben offenbar wenig
Neigung, sich den Syndikatsbindungen noch länger
zu fügen. Der Erfolg einer Verbandssprengung
könnte ein Konkurrenzkampf mit Preisunterbietungen
sein, die den sogenannten Preisabbau der gegen-
wärtigen Regierungsaktion bei weitem in den Schat-
ten stellen dürften.
Die Zukunft der Wohnungswirtschaft.
Die Zukunftsaussichten aller Produktionszweige,
die mit dem Bauen und der Inneneinrichtung von
Wohnungen zu tun haben, werden aufs stärkste von
den Plänen berührt, die gegenwärtig im Schöße der
Reichsregierung reifen. Will man alle Programme als
bare Münze nehmen, so ergibt sich etwa folgende
Perspektive: Der Wohnungsbau mit Hauszinssteuer-
mitteln wird 1931 auf 215 000 Wohnungen herabge-
setzt, für die nur 400 (statt bisher 800) Millionen aus
der Hauszinssteuer zur Verfügung gestellt werden;
weitere 400 Millionen sollen aus dem freien Kapital-
markt aufgebracht werden. In den folgenden Jahren
sollen dann die Zuschüsse aus der Hauszinssteuer
weiter abgebaut werden und im Haushaltsjahr
1936/37 völlig verschwinden. Gleichzeitig wird
Stück um Stück der Mieterschutz abgebaut.
Wird dies Programm durchgeführt, so wird der-
jenige Teil des Wohnungsbaus, der staatlich ge-
sichert ist, immer kleiner: ob im gleichen Maße der
andere Teil, der aus dem freien Kapitalmarkt zu
finanzieren wäre, immer größer wird, muß — ent-
gegen dem amtlichen Optimismus — sehr bezweifelt
werden. Sicher dagegen ist, daß bei Abbau des Mie-
terschutzes große Wohnungen in erheblichem Um-
fang frei werden; daraus mögen sich Aufträge für
Renovierungen, für Umbau in Geschäftsräume usw.
ergeben. Immerhin dürfte ein Uberangebot an gro-
ßen Wohnungen bleiben.
Daß der Bau von Klein- und Arbeiterwohnungen von
Jahr zu Jahr weniger gefördert werden soll, ist sowohl
sozial als auch für das Baugewerbe eine bedenk-
liche Perspektive; vom freien Kapitalmarkt ist hier-
für bekanntlich wenig zu erhoffen. Ebenso bedenk-
lich — sozial wie für das Baugewerbe — ist die Tat-
sache, daß für den Ersatz von rd. 300 bis 360 000
überalterten Wohnungen im Regierungsprogramm
überhaupt nichts vorgesehen ist.
In Rechnung zu setzen ist allerdings die Tatsache,
daß infolge des Altersaufbaus der deutschen Bevöl-
kerung, also letzten Endes infolge des Krieges, die
Zahl der neuen Familien und damit auch der notwen-
dig werdenden neuen Wohnungen etwa von 1936
ab von Jahr zu Jahr rasch zurückgehen wird, und
zwar von einer Ausgangsziffer von etwa 250 000
bis auf etwa 190 000 im Jahre 1941, während man
für 1945 nur noch etwa einen Neubedarf von rd.
85 000 Wohnungen annimmt. Die nüchterne Sprache
dieser Zahlen bedeutet eine ernste Warnung vor
jeder Expansion in allen Zweigen des Bau- und Ein-
richtungsgewerbes. Zugleich mag man aus ihnen
entnehmen, daß die deutsche Produktion in den kom-
menden Jahren in wachsendem Maße gezwungen
sein wird, ihren enger werdenden Inlandsmarkt zu
ergänzen durch den Export, in dem sie nur mit höch-
ster sachlicher Leistung und mit weltgängiger Form
konkurrenzfähig sein wird.
Ephraim und Städtebau.
Zu dem Berliner Streit um Mühlendammschleuse
und Ephraimsches Palais, dessen Einzelheiten aus
der Tagespresse bekannt sind, an dieser Stelle nur
noch ein Wort. Es ist nahezu scherzhaft (und wird
vielleicht manchem zu denken geben), wie eng hier
Kunstpolitik und Städtebau verbunden sind. Das
Schicksal macht sich den Witz, daß das Ephraim-
sche Palais, von allen Liebhabern alter Baukunst als
Juwel geschätzt, ausgerechnet an der Stelle stehen
muß, an der künftig die 1000-Tons-Xähne der Berli-
ner Schiffahrt durchfahren sollen. Das Problem
scheint also zu sein: Bewahrung eines wertvollen
Stücks baulicher Tradition — oder Opferung zugun-
sten von Wirtschaft und Technik? Kürzer gesagt:
Wer hat recht, Landeskonservator oder Stadtbau-
rat? Der zweite Witz aber ist, daß das Problem in
Wahrheit gar nicht so steht. Die Frage ist vielmehr
schon innerhalb der Sphäre der Verkehrswirtschaft
zu lösen; man kann nämlich der Meinung sein, daß
der Wasserdurchbruch für die 1000-Tons-Kähne gar
nicht nötig ist, daß im Osten Berlins durchaus die
schlesische Kohle (um die handelt es sich haupt-
sächlich) genügt, und daß das Palais keineswegs der
freien Durchfahrt der Ruhrkohle geopfert werden
muß. In diesem Fall wäre also der Kampf zwischen
den beiden inkommensurablen Gegnern zu vermei-
den; freilich geht es nicht immer so. A. S.
Adolf B e h n e , Eine Stunde Architektur. Akade-
mischer Verlag Dr. Fritz Wedekind & Co., Stuttgart.
Ein Manifest des Funktionalismus ist dieses Heft
von 64 Seiten, halb Text und halb Bilder. Wer noch
nicht verstanden hat, mit wieviel Recht der nächsten
großen Werkbundausstellung das Thema „Die Neue
Zeit" als Aufgabe gestellt wurde, oder wem der Sinn
dieser Aufgabe im Ubermaß der Diskussion verloren
ging, der mag sich hier wenigstens ein Stück davon
lebendig machen. Behnes Gedankengang führt vom
Anfang der Kunst in einem einzigen hochgeschwun-
genen Bogen bis zum heutigen Tag. „Die Kunst
kommt vom Tode her und will zum Leben." — „Der
Pol. dem sich das Bauen nähert, ist die Vollkom-
menheit des Instrumentes." Und, gegen Schluß: „Die
Phantasie, die fruchtbar ist, ist geknüpft an die här-
teste Wirklichkeit." Man kann es nicht besser sagen.
_ Und wenn etwas zu ergänzen ist, so ist das kein
Einwand. Zu ergänzen wäre vielleicht die Frage: In-
strument - wozu? Behne sagt selbst: „Entschei-
dend ist die Leistung für den Menschen." Für welche
Art von Mensch? - Die Frage gehört hierher; aber
nicht mehr die Antwort. a
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