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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Hammann, J. E.: Weiss, alles weiss: von der Wertstellung der Farbe "Weiß" in unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0155

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WEISS, ALLES WEISS

Von der Wertstellung der Farbe „Weiß" in unserer Zeit
J. E. HAMMANN

Farben stellen nicht nur meß-, greif- oder wieg-
bare Werte, sondern in erster Linie in den Gebieten
der Empfindungen verankerte Kräfte dar. Über
diese zu allertiefst seelisch ursprünglichsten Zu-
sammenhänge und Wirkungen konnten uns bis jetzt
keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die oft,
über das Kennen der Farben hinaus, zu ..Erkennt-
nissen" kommen wollten, Aufklärung geben.

Alle diese Forschungen werden auch in Zukunft
immer wieder vor dem Undurchdringlichsten aller
Schöpfungen Halt machen müssen.

Nur die wahrhaft schöpferischen Eingebungen,
„das Künstlerische", durch den Künstler lassen uns
von dem geheimnisvollen unterirdischen Wirken et-
was erfahren. Sie allein „deuten" uns die tieferen
Zusammenhänge und gehen mit ihren Werken über
diejenigen aller Wissenschaften hinaus. Sie. die
schöpferisch Tätigen, brauchen keine Methoden,
keine Farbenlehren, und wenn sie noch so geordnet,
überzeugend und exakt erfunden würden. Sie er-
rechnen nicht, aber sie empfinden und „gestalten".
Sie geben ihrer Zeit Ansehen, Führung und Gehalt.
Mögen es früher Dichter, Maler, Bildhauer oder Bau-
meister gewesen sein: heute sind es andere! Künst-
ler nie gekannter Gattung, die „Künstler-Ingenieure",
deren Erfindergeist den Ausdruck der neuen Zeit
auf allen Gebieten bestimmen. Es ist erstmalig, daß
ein ganz neuer Berufsstand (wogegen die bekannten
Künste ordentlich historisch wirken und abgetan er-
scheinen) seine Zeit so restlos beherrscht.

Durch diesen neugeistigen Stand von Menschen
wurde ein neues nie dagewesenes Lebensgefühl ge-
boren, dessen Einfluß sich kein anderes Geistes-
oder Wirtschaftsgebiet mehr entziehen kann. Alles
steht im Bann dieses ganz Neuen. Wer nicht mit-
will oder diesen Geist nicht spürt, wird durch die
Gewalt, die von diesem ausgeht, dazu gezwungen,
umgeformt oder sonst irgendwie bestimmt.

Vielleicht hat das kein Beruf mehr und eindring-
licher erfahren als der der Maler, „das Malerhand-
werk". Weiß! Warum heute alles weiß gestrichen
wird? Weil dieses Weiß — nicht die Farbe, der Farb-
stoff, sondern der Farb-Ton Weiß, einen neuen
Klang bekommen hat und aus dem neuen Zeitgeist
heraus geschaffen, als Begriff neu erfunden, neu er-
lebt und gewiß zu unserem neuen Weltbild zu eben
diesem erstmaligen Zeitgeist als organisch notwen-
dig empfunden wurde. Zeitgeist ist Gegenwartsbe-
jahung, Begreifen und Erkennen gegenüber allem
Neuentstehen.

Ausgehend vom Geistigen schafft sich jede Zeit
ihr eigenes einmaliges Leben und gibt ihr die be-
stimmte Note. Auch die Farben erhalten dann je-
weils neue Bedeutungen und Werte.

Ganz besonders bekommt diese Tatsache das
Malerhandwerk und die dadurch endgültig historisch
gewordene Dekorationsmalerei zu spüren. Wie die
Beseitigung jeglicher Schmuckform der Geist des
Maschinenzeitalters mit sich brachte, genau so
schonungslos räumte die Vorstellungswelt des neuen
Geistes mit allen seither gültig gewesenen Farb-
anschauungen auf und stellte vorerst einmal ein-
deutig die Farbe „Weiß", den Farbton Weiß als Be-
griff neu heraus.

Es ist gewiß nicht Zufall, daß zum Beispiel in
Dessau die Häuserfassaden der Maler-Künstlerkolo-
nie blendend weiß gestrichen — gleichsam als
Protest gegen sinnlose Buntheiten vergangener
Jahre — und so auf laubgrünen Wäldern, auf na-
türlich farbigem Hintergrund rein zur Wirkung kom-
men. Uberhaupt wird die farbige Betonung maleri-
scher Bedürfnisse an der Hauswand auch in anderen
modernen Siedlungen wie hier nur noch mit Weiß
und durch gärtnerische Anlagen bestritten. Die Fas-
sadenmalerei ist dadurch so gut wie ganz ausge-
schaltet.

Aber auch im Innern heutiger Neubauten steht und
bewegt sich alles vor Weiß, vor der mit Weiß ge-
strichenen Zimmerwand. Im Bauhaus selbst ist es
heute, nachdem Gropius nach Berlin gezogen ist —
noch weißer, luftiger, ätherischer geworden. Die
künstlerisch-malerischen Operationen spielen sich
dort heute mehr auf der Filmleinwand als auf dem
weißen Maueranstrich ab. Der Malkasten ist hier
längst mit dem Fotografenkasten, mit dem Film-
apparat vertauscht.

Man sucht mit den Mitteln dieser Techniken des
Films und der Fotografie etwa durch Schüttelungen
zu neuartigen malerisch-künstlerischen Ergebnissen
zu kommen.

Für die Gebiete des Films und der Fotografie
wohlberechtigte und interessante Übungen: wenn
man sie aber als neue Wege für die Malerei bezeich-
net, werden sie erneut Verwirrungen bringen.

Jedenfalls aber hat Dessau mit ein Verdienst,
das farbige Durcheinander der letzten Jahrzehnte
mit Weiß endgültig eingedeckt zu haben.

Das heißt aber nicht, daß es in Dessau selbst
nur Weißanstreicher gibt. Es bemühen sich viel-
mehr gerade im Bauhaus eine ganze Anzahl der be-
kanntesten Maler — wie Kandinsky, Klee u. a. —
weiter um die Wertstellung der Farbe, allerdings für
das Tafelbild, anstatt für den von ihrem Führer, dem
Techniker Gropius, geschaffenen Hintergrund, die
weiße Wandfläche, für unsere Zeit praktisch-brauch-
bare Inhalte zu finden.

Dieses Weiß ist aber mehr als nur der Farbstoff
Weiß und die damit angestrichene Wand. Sie, die

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