URHEBERRECHT UND WERKBUNDARBEIT
Jede Beschäftigung mit den Fragen des Urheber-
rechtes auf dem Gebiete der Werkbundarbeit ist
peinlich und unfruchtbar: es ist nicht möglich, zu
einem ganz klaren und gesicherten Standpunkt zu
kommen.
Auf der einen Seite steht der sehr begreifliche,
durch die Struktur unseres Wirtschaftslebens mehr
oder weniger erzwungene Anspruch des Künstlers
(meistens Architekten) auf einen finanziellen Ertrag
aus seiner Arbeit. Dieser Ertrag wird in dem Augen-
blick in Frage gestellt, da irgendein nach langer
geistiger, oft mit großen Opfern verbundener Arbeit
endlich bis zur Reife gediehener und auch ausge-
führter Entwurf — nehmen wir an ein Türgriff — von
einer geschäftstüchtigen Konkurrenz in seiner Be-
deutung und Ausnutzungsmöglichkeit erkannt und
nachgemacht wird, wobei aus Gründen der Konkur-
renz meistens auch noch irgendeine Verbilligung.
d. h. Verschlechterung versucht wird. Dadurch wird
es der Konkurrenz sehr leicht, den ursprünglichen
Entwurf aus dem Felde zu schlagen, zumal da ja von
ihr kein Künstlerhonorar gezahlt werden muß. Die
Art, wie hier vorgegangen wird, ist oft wirklich nichts
anderes wie ein einfacher Diebstahl, und es wäre
schon aus Reinlichkeitsgründen sehr wünschens-
wert, wenn es gelänge, diesen Freibeutern das
Handwerk zu legen.
Auf der anderen Seite aber ist die heutige Lage
so, daß jene Leistung, die geschützt werden soll,
nicht eigentlich als einmalige und persönliche anzu-
sehen ist, sondern für um so vollendeter und end-
gültiger gilt, je mehr das Persönliche in ihr über-
wunden ist. Meistens überwiegt das, was man das
„Kollektive" nennen möchte, bei weitem das ..In-
dividuelle", — das aber doch eigentlich allein durch
das Urheberrecht geschützt werden sollte. Es ist
kein Zufall, daß das 19. Jahrhundert, also das Zeit-
alter des liberalen Individualismus und der mangeln-
den stilbildenden Kraft, den Begriff des „geistigen
Eigentums" eigentlich erst geschaffen hat. Man
kann sich diesen Begriff in Zeiten, die von einem
einheitlichen überpersönlichen Stilgefühl beherrscht
waren, gar nicht denken. Denn diese Zeiten wußten
sehr wohl, daß die größte individuelle Leistung ein-
gebettet ist in den Zusammenhang der Stilentwick-
lung, und daß an der erreichten „Vollkommenheit"
nicht nur der geniale Schöpfer des endgültigen
Werks, sondern auch jeder einzelne, der Vorarbeit
geleistet hat und dessen Arbeit von den Späteren
und Größeren übernommen und weitergebildet wird,
Anteil hat. Dies gilt für die Entwicklungsreihen der
griechischen Plastik ebensosehr wie für irgendeine
der großen baukünstlerischen Epochen, es gilt noch
mehr für das Gebiet der gewerblichen Produktion.
Es wäre für einen alten Kunsthandwerker schlech-
terdings unvorstellbar gewesen, daß es ihm nicht
erlaubt sein sollte, von den Schöpfungen seiner Zeit-
genossen zu übernehmen, was ihm wünschenswert
erschien.
Die Situation mag sich sonst gegen die früheren
Jahrhunderte noch so sehr geändert haben, — in
dem einen Punkte ist sie heute wieder genau so wie
damals: jede gewerbliche wie auch jede baukünst-
lerische Leistung ist nur als Glied einer überpersön-
lichen Entwicklung zu verstehen, an der Lösung
eines jeden Problems arbeiten viele, kleine und
große Talente, schöpferische und originelle Köpfe
und tüchtige, aber kleine Geister. Kaum jemals wird
man sagen können, daß irgendeine Lösung wirklich
nur geistiges Eigentum eines Einzelnen ist, nur ganz
selten wird eine nach langen Vorarbeiten endlich
gefundene Lösung so endgültig sein, daß sie nicht
durch Änderungen vervollkommnet werden könnte,
daß also die strenge Berufung auf das geistige
Eigentum eines Einzelnen nicht den „Fortschritt"
aufs verhängnisvollste hemmen müßte.
Wir stehen hier vor einer der nicht wenigen „An-
tinomien" unserer Zeit, deren restlose Auflösung nie-
mals gelingen kann, weil ein tiefer Widerspruch zwi-
schen der augenblicklichen wirtschaftlichen Struktur
und den Formtendenzen unserer Zeit, die offenbar
die kommende Wirtschaftsform schon vorausneh-
men, besteht. Diesen Widerspruch können wir nicht
aus der Welt schaffen, aber wir müssen versuchen,
die sich daraus ergebenden Härten und Konflikte
möglichst zu mildern, was am ehesten noch gelingen
kann, wenn wir den ja nicht immer sehr beliebten
und angesehenen „Mittelweg" einschlagen, — wie
er etwa durch den Vorschlag von Otto B a u r, auf
diesem Gebiete an Stelle des Urheberrechtes den
..Musterschutz" walten zu lassen, bezeichnet wird.
Wenn auf diese Weise das geistige Eigentum an
irgendeinem Entwurf für drei Jahre, vielleicht in be-
sonderen Fällen auch noch etwas länger, vor dem
Diebstahl geschützt wird, so wird dem „Erfinder" sein
Recht, ohne daß die gesunde und natürliche Weiter-
entwicklung der Formen durch kollektive Arbeit un-
möglich gemacht wird. W. Riezler
BAUPOLITIK UND BAUWIRTSCHAFT
ALEXANDER SCHWAB
Wende im Wohnungsbau?
Seit langem der beachtlichste Beitrag zur Dis-
kussion über die Wohnungsbauwirtschaft ist ein
Aufsatz, den Bürgermeister Büchner, Mannheim,
in Heft 2 des „Städtetag" veröffentlicht. Büchner
kündet eine Wende im Wohnungsbau an: angeregt
durch die Tatsache, daß in Mannheim, trotz eines
Wohnungsbedarfs von etwa 3000 bis 4000 Familien,
die wirksame Nachfrage nach Neubauwohnungen
mit 4 (und auch schon mit 3) Zimmern nachzulassen
beginnt, stellt er fest, daß bei den heutigen Bau-
kosten und Mieten der Bedarf einer breiten unter-
sten Schicht unbefriedigt bleiben muß. Diese Er-
scheinung werde in den nächsten Jahren um so
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Jede Beschäftigung mit den Fragen des Urheber-
rechtes auf dem Gebiete der Werkbundarbeit ist
peinlich und unfruchtbar: es ist nicht möglich, zu
einem ganz klaren und gesicherten Standpunkt zu
kommen.
Auf der einen Seite steht der sehr begreifliche,
durch die Struktur unseres Wirtschaftslebens mehr
oder weniger erzwungene Anspruch des Künstlers
(meistens Architekten) auf einen finanziellen Ertrag
aus seiner Arbeit. Dieser Ertrag wird in dem Augen-
blick in Frage gestellt, da irgendein nach langer
geistiger, oft mit großen Opfern verbundener Arbeit
endlich bis zur Reife gediehener und auch ausge-
führter Entwurf — nehmen wir an ein Türgriff — von
einer geschäftstüchtigen Konkurrenz in seiner Be-
deutung und Ausnutzungsmöglichkeit erkannt und
nachgemacht wird, wobei aus Gründen der Konkur-
renz meistens auch noch irgendeine Verbilligung.
d. h. Verschlechterung versucht wird. Dadurch wird
es der Konkurrenz sehr leicht, den ursprünglichen
Entwurf aus dem Felde zu schlagen, zumal da ja von
ihr kein Künstlerhonorar gezahlt werden muß. Die
Art, wie hier vorgegangen wird, ist oft wirklich nichts
anderes wie ein einfacher Diebstahl, und es wäre
schon aus Reinlichkeitsgründen sehr wünschens-
wert, wenn es gelänge, diesen Freibeutern das
Handwerk zu legen.
Auf der anderen Seite aber ist die heutige Lage
so, daß jene Leistung, die geschützt werden soll,
nicht eigentlich als einmalige und persönliche anzu-
sehen ist, sondern für um so vollendeter und end-
gültiger gilt, je mehr das Persönliche in ihr über-
wunden ist. Meistens überwiegt das, was man das
„Kollektive" nennen möchte, bei weitem das ..In-
dividuelle", — das aber doch eigentlich allein durch
das Urheberrecht geschützt werden sollte. Es ist
kein Zufall, daß das 19. Jahrhundert, also das Zeit-
alter des liberalen Individualismus und der mangeln-
den stilbildenden Kraft, den Begriff des „geistigen
Eigentums" eigentlich erst geschaffen hat. Man
kann sich diesen Begriff in Zeiten, die von einem
einheitlichen überpersönlichen Stilgefühl beherrscht
waren, gar nicht denken. Denn diese Zeiten wußten
sehr wohl, daß die größte individuelle Leistung ein-
gebettet ist in den Zusammenhang der Stilentwick-
lung, und daß an der erreichten „Vollkommenheit"
nicht nur der geniale Schöpfer des endgültigen
Werks, sondern auch jeder einzelne, der Vorarbeit
geleistet hat und dessen Arbeit von den Späteren
und Größeren übernommen und weitergebildet wird,
Anteil hat. Dies gilt für die Entwicklungsreihen der
griechischen Plastik ebensosehr wie für irgendeine
der großen baukünstlerischen Epochen, es gilt noch
mehr für das Gebiet der gewerblichen Produktion.
Es wäre für einen alten Kunsthandwerker schlech-
terdings unvorstellbar gewesen, daß es ihm nicht
erlaubt sein sollte, von den Schöpfungen seiner Zeit-
genossen zu übernehmen, was ihm wünschenswert
erschien.
Die Situation mag sich sonst gegen die früheren
Jahrhunderte noch so sehr geändert haben, — in
dem einen Punkte ist sie heute wieder genau so wie
damals: jede gewerbliche wie auch jede baukünst-
lerische Leistung ist nur als Glied einer überpersön-
lichen Entwicklung zu verstehen, an der Lösung
eines jeden Problems arbeiten viele, kleine und
große Talente, schöpferische und originelle Köpfe
und tüchtige, aber kleine Geister. Kaum jemals wird
man sagen können, daß irgendeine Lösung wirklich
nur geistiges Eigentum eines Einzelnen ist, nur ganz
selten wird eine nach langen Vorarbeiten endlich
gefundene Lösung so endgültig sein, daß sie nicht
durch Änderungen vervollkommnet werden könnte,
daß also die strenge Berufung auf das geistige
Eigentum eines Einzelnen nicht den „Fortschritt"
aufs verhängnisvollste hemmen müßte.
Wir stehen hier vor einer der nicht wenigen „An-
tinomien" unserer Zeit, deren restlose Auflösung nie-
mals gelingen kann, weil ein tiefer Widerspruch zwi-
schen der augenblicklichen wirtschaftlichen Struktur
und den Formtendenzen unserer Zeit, die offenbar
die kommende Wirtschaftsform schon vorausneh-
men, besteht. Diesen Widerspruch können wir nicht
aus der Welt schaffen, aber wir müssen versuchen,
die sich daraus ergebenden Härten und Konflikte
möglichst zu mildern, was am ehesten noch gelingen
kann, wenn wir den ja nicht immer sehr beliebten
und angesehenen „Mittelweg" einschlagen, — wie
er etwa durch den Vorschlag von Otto B a u r, auf
diesem Gebiete an Stelle des Urheberrechtes den
..Musterschutz" walten zu lassen, bezeichnet wird.
Wenn auf diese Weise das geistige Eigentum an
irgendeinem Entwurf für drei Jahre, vielleicht in be-
sonderen Fällen auch noch etwas länger, vor dem
Diebstahl geschützt wird, so wird dem „Erfinder" sein
Recht, ohne daß die gesunde und natürliche Weiter-
entwicklung der Formen durch kollektive Arbeit un-
möglich gemacht wird. W. Riezler
BAUPOLITIK UND BAUWIRTSCHAFT
ALEXANDER SCHWAB
Wende im Wohnungsbau?
Seit langem der beachtlichste Beitrag zur Dis-
kussion über die Wohnungsbauwirtschaft ist ein
Aufsatz, den Bürgermeister Büchner, Mannheim,
in Heft 2 des „Städtetag" veröffentlicht. Büchner
kündet eine Wende im Wohnungsbau an: angeregt
durch die Tatsache, daß in Mannheim, trotz eines
Wohnungsbedarfs von etwa 3000 bis 4000 Familien,
die wirksame Nachfrage nach Neubauwohnungen
mit 4 (und auch schon mit 3) Zimmern nachzulassen
beginnt, stellt er fest, daß bei den heutigen Bau-
kosten und Mieten der Bedarf einer breiten unter-
sten Schicht unbefriedigt bleiben muß. Diese Er-
scheinung werde in den nächsten Jahren um so
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