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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0576

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RUNDSCHAU

DAMM ERSTOCK-SCHLUSSWORT

Was wollte ich mit meiner Dammerstock-Kritik
treffen?

Weder die Sonne, noch den Zeilenbau, noch
irgendeinen Architekten, sondern die vorzeitige Er-
starrung des neuen Bauens in Dogmen, zu denen wir
noch lange keine Berechtigung haben. Ich wollte
den unter der Maske der Wissenschaft sich ausbrei-
tenden Formalismus treffen, die Neigung, sich auf
einer schicken und patenten Form bequem niederzu-
lassen, von ihr aus eine, doch nur unter dem Schutze
der Wohnungsnot mögliche, ästhetische Diktatur
über den Mieter auszuüben und in Acht und Bann zu
tun, wer die landesübliche Verwechslung von „kol-
lektiv" und „en gros" nicht mitmacht.

Ich wollte zu einer gemeinschaftlichen Überle-
gung anregen, ob wir nicht die Ziele wieder einmal
etwas weiter stecken sollten. Die Pioniere haben
eine Brücke geschlagen, und nun scheint es mir die
nächste Aufgabe, das Fußvolk hinüberzuführen, die
Brücke dem Verkehr zu übergeben. Statt dessen
verstärkt sich die Neigung, die Brücke kunstgewerb-
lich zu polieren.

Die Frage, die ich stellte — Dammerstock war
ja nur ein Beispiel — lautete: kann man per Dikta-
tur soziologisch sein? Hans Schmidt schiebt die
Mentalität der Bewohner glatt beiseite. Das geht
eine Zeitlang, auf die Dauer rächt es sich. Ich halte
Ouds Verfahren für klüger, der — in der gleichen

STIMMEN ZUR TAGUNG

DAS IST MODERN!

Es ist nicht möglich, sich im einzelnen mit dem
Vortrag von Professor Frank auseinanderzusetzen,
besonders deshalb nicht, weil nicht eindeutig und
klar gesagt wird, was nun eigentlich modern ist,
sondern immer nur von dem gesprochen ist, was
nicht modern ist. Gewiß ist es äußerst heilsam,
wenn gegenüber den vielen radikal modernen Theo-
rien einmal jemand auf die lebendige Vielheit des
modernen Lebens hinweist. Aber von da bis zu dem
Standpunkt, daß man einfach alles nur aus sich her-
aus so laufen lassen soll, wie es nun eben läuft, ist
kein großer Schritt mehr. Dann müssen aller Werk-
bund-Glaube und alle Werkbund-Arbeit begraben
werden. Denn wer nicht den Glauben hat, daß er
ein Stückchen weiter hinaus die Entwicklung ahnt,
und wer nicht ein größeres Ziel, das hinter der Ent-
wicklung steht, zu erreichen sucht, der ist — nicht
modern. Modern im besten Sinn genommen, denn
der Skeptizismus ist wohl eine Zeiterscheinung, aber
er ist nicht modern. Man kann jenes fanatische Wol-
len und jenen festen Glauben, daß eine neue Zeit
hereinbricht, der beinahe in jeder denkenden Men-
schenseele heute liegt, nicht einfach negieren.
Solche Mächte des Glaubens haben in der Ge-
schichte und vor allem in der Kulturgeschichte letzt-
hin immer den Ausschlag gegeben: Vor allen Dingen
deshalb, weil in ihnen immer etwas wie eine richtige
Vorahnung gelegen hat. Ohne den fanatischen
Glauben der Menschen der Renaissance könnten wir
heute rückblickend nicht konstatieren, daß jene Zeit

Nummer 14/1930 — den Bewohnern seiner neuen
Siedlung die Wahl, z. B. der Sonnenlage, freiläßt.

Das jetzige System schwebt in der Luft. Ich halte
es aber für notwendig, den Boden zu berühren, auch
wenn da so gefährliche Wesen wie Vögel und
Schmetterlinge hausen sollten.

Wer aus meinem Aufsatz eine Wendung gegen die
modernen Ideen herausliest, gar die Sehnsucht nach
Dachwohnung und Villenkolonie, der muß sich schon
sehr angestrengt haben, so zu lesen, wie „die kleine
Welt liest". Daß gerade Hans Schmidt den jetzigen
Formalismus für eine „Idee" des neuen Bauens hält,
überrascht mich eigentlich. Wir haben noch eine
ganz große Aufgabe vor uns: die Verankerung des
neuen Bauens im Volksmassiv, die Umwandlung
eines passiv hingenommenen Systems in einen
Gegenstand des Konsums und der Nachfrage, auch
wenn dabei ein paar Edelsteine aus der ästheti-
schen Krone brechen.

Ich denke nicht daran, die schon geleistete Arbeit
zu verkennen. Aber ich verkenne auch nicht die Ge-
fahr, daß moderne Architektur Artistik und Selbst-
zweck wird. Max Osborn ist vom „Konstruktivismus"
schon ebenso begeistert wie von Krauskopf.

Für Bauten, die uns weiter führen, halte ich Wal-
ter Gropius' Arbeitsamt in Dessau, Hannes Meyers
Bundesschule in Bernau und Hugo Härings Wohn-
zeilen in Berlin-Siemensstadt. Adolf Behne

wirklich der Menschheit eine neue Entwicklungs-
epoche gebracht hat. Wer so denkt wie Frank, kann
nicht an die Notwendigkeit glauben, 'in einer gro-
ßen Demonstration, wie es die Ausstellung „Die
Neue Zeit" werden soll, all das zu zeigen, wovon
wir glauben, daß es in die Zukunft weist. Wer so
denkt, kann nur konstatieren, was im Augenblick vor-
handen ist. Aber er darf auch nicht eine Erschei-
nung, wie es der Radikalismus in der modernen Ge-
staltung ist, einfach übersehen wollen, sondern muß
auch jenen starken Klang in der großen Sinfonie
unserer Zeit wahrnehmen.

Die Diskussionsrede Dr. Neurath in der Mitglieder-
versammlung, die zwar von ganz anderen Voraus-
setzungen ausging, stimmte mit Frank in manchen
Folgerungen merkwürdigerweise überein. Er schlug
vor, daß auf der Ausstellung „Die Neue Zeit"
einmal deutlich und zahlenmäßig gezeigt wird, wo
moderne Einrichtung vorhanden ist und wie diese
Gebilde der neuen Zeit quantitativ verbreitet sind.
Eine Ausstellung wie „Die Neue Zeit" braucht
wohl einem zahlenmäßigen Nachweis dann nicht aus
dem Wege zu gehen, wenn sie in ihrem bejahenden
und vorwärtsweisenden Gehalt so stark ist, wenn
man in ihr bis zum letzten ausgestellten Objekt den
eine neue Zeit bejahenden Glauben so sehr heraus-
fühlt, daß jeder Beschauer spürt, daß sie Dokument
eines Glaubens und nicht einer Tatsache ist. Wir
wollen uns doch darüber klar sein, daß es rein gar
nichts besagt, wenn man feststellt, wieviel modern

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