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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0577

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eingerichtete Wohnungen es gibt, denn man kann
ja nicht feststellen, wieviele Menschen es gibt, die
sich gern modern einrichten würden, und man kann
auch nicht untersuchen, aus welchen oft recht
äußerlichen Gründen die Menschen eine alte Woh-
nungseinrichtung besitzen. Wer eine Selbstmord-
statistik als kulturellen Gradmesser eines Volkes
ansieht, der hat wohl nie versucht, auf jene gehei-
men merkwürdigen triebhaften Kräfte der Menschen
einer Epoche und der Massenpsychologie zu achten.
Der ist versucht, nur Tatsachen anzuerkennen und
die Kraft der Ideen zu unterschätzen, er unterschei-
det nicht krankhafte und gesunde Kräfte im Leben
einer Kulturgemeinschaft und ist daher leicht ge-
neigt. Selbstmordstatistik und Wohnungseinrich-
tungsstatistik als falsche Größen in die Rechnung
einzusetzen. Hiermit soll und kann gegen die er-
staunliche positive Arbeit, die in Neuraths Museum
liegt, nichts gesagt sein.

Und nun wieder zurück zum Vortrag Frank. In der
Geschichte haben Leidenschaften und fanatischer
Wille, die Zeit und Entwicklung zu bejahen, stärke-
ren Ausschlag gegeben als eine ruhige, klärenwol-
lende Feststellung. Man kann sicherlich an dem Pro-
gramm radikaler Neuerer auf allen Gebieten Denk-
und Tatsachenfehler nachweisen, aber man darf
nicht die Augen verschließen vor dem aktiven leiden-
schaftlichen Gehalt, der Programme und Schöpfun-
gen werden läßt. Das flache Dach hätte nicht so
schnell Eingang gefunden ohne die radikale Demon-
stration der Stuttgarter Ausstellung, und das indu-
strielle Massenerzeugnis wird nie eine gute Form
erhalten, wenn nicht Menschen leidenschaftlich
diese Erscheinung und die Kräfte, die sie werden
läßt, bejahen.

Frank spricht immer von einem Pathos. Wer jenes
lebendige Streben ablehnt, wird es Pathos nennen,
wer es bejaht, nennt es Leidenschaft. Gewiß, es

ist bei alledem viel Maschinenschwärmerei, es ist
viel Sachlichkeitsanbetung dabei und auch ein Stre-
ben nach Primitivität. Aber nicht nach Primitivität
im Sinne historischer Primitivität, sondern es ist der
Versuch, das Elementare und Grundsätzliche zu er-
kennen. Und das ist modern. Nämlich der Versuch,
alles, was man mit Leidenschaft tut, logisch und
folgerichtig zu erklären, und wenn man heute für
Rationalisierung. Mechanisierung schwärmt, so sieht
man in jenen Dingen ja nicht das Ziel aller Wünsche,
sondern betrachtet sie nur als unumgängliche Mit-
tel, ohne die wir, wenn wir diese Zeit bejahen, nun
einmal nicht arbeiten und vorwärtskommen können.
Und das ist oft das merkwürdige an modernen radi-
kalen Erscheinungen, daß sie logisch oft etwas
anderes sagen als sie mit dem Herzen meinen und
daß sie scheu und prüde jenes Letzte im Herzen
verschließen und auf die Mittel mehr hinweisen als
auf das Ziel. Die Mechanisierung ist nicht Selbst-
zweck, das Ziel aber ist, allen Menschen gute Dinge
zu geben, mit denen sie glücklich und zufrieden ihr
Dasein fristen können, dieses soziale Ethos ist
schließlich doch das letzte Ziel, das vorsichtig und
leise durch alle Programme und Werke der Radika-
len hindurchschaut. Es ist gewiß eine Tragik, daß
die modernen Schöpfungen zum Objekt der Mode
werden, und nicht zum Gebrauchsobjekt in der Hand
eines jeden Menschen. Aber vielleicht gilt immer
noch der alte Spruch, daß der Bauer sich nach dem
König richtet und nicht umgekehrt, daß der Arbeiter
sich erst modern einrichtet, wenn er gesehen hat,
daß der Bürger es auch tut.

Wir stehen am Beginn einer Entwicklung, und des-
halb wollen wir nicht resümieren, sondern Ideen be-
jahen und uns hinter die Kräfte stellen, von denen
wir glauben, daß sie in die Zukunft weisen. Das ist
modern.

Wilhelm Lötz

EINIGES ÜBER DIE SCHMUCKLOSIGKEIT

Der bekannte um sein Handwerk hochverdiente Kunstschmiedemeister Julius Schramm schreibt uns:

Gelegentlich der diesjährigen Tagung des DWB
in Wien hat sich gezeigt, daß ein großer Teil der
Mitglieder mit der vielgepriesenen sogenannten
„Neuen Sachlichkeit" nicht 'einverstanden ist und
sich sehr energisch gegen die einseitige Bevorzu-
gung derselben durch den DWB und dessen Zeit-
schrift wendet. Diese ..Richtung" ist in letzter Zei+
bereits in Tageszeitungen angegriffen worden, und
auch in der Unterhaltung hören wir sie als ..Neue
Machlichkeit" oder als Hinterhausstil oder Gefäng-
nisstil bezeichnen: ihr besonderes Merkmal scheint
weniger die Sachlichkeit als die Schmucklosigkeit
zu sein, und da die Zeit derselben bald vorüber sein
wird, könnten wir es uns ersparen, uns noch mit
dieser Angelegenheit zu beschäftigen, wenn wir
nicht befürchten müßten, daß man mit ähnlichen Mit-
teln und unter einem neuen Schlagwort eine neue
..Richtung" anpreisen werde — ganz ähnlich, wie es
vor nicht langer Zeit in der Malerei geschehen. Ge-
wiß haben einzelne Architekten für ganz bestimmte
Bauaufgaben ganz neue Lösungen gefunden, die
trotz scheinbarer oder wirklicher Schmucklosigkeit
von allen Seiten anerkannt worden sind: aber diese
Architekten beklagen sich selbst darüber, daß ein-
zelne Formen ihrer Arbeit nun auf fast jede andere

Bauaufgabe übertragen und mehr oder weniger
nachgeahmt werden. Jedes Nachahmen von Äußer-
lichkeiten „moderner Bauten" ist mindestens nicht
besser als das verpönte Nachahmen alter Baufor-
men, und eine große Zahl von Architekten mag sich
nach vergeblicher Gegenwehr gezwungen gesehen
haben, die Mode mitzumachen, um nicht als „ver-
altet" und ..unmodern" verrufen zu werden. Wohl
kann sich unter bestimmten Voraussetzungen wie-
der ein Baustil entwickeln, niemals sollten Bau-
werke aber etwas mit Konfektion oder Mode ge-
mein haben, die bekanntlich schnell wechselt und
nur so lange Anerkennung findet, als sie neu und
auffallend ist.

Jeder weiß, daß eine schlechte Grundform durch
Anbringung und Anhäufung von Schmuckformen nicht
besser werden kann, und niemand wird die Schmuck-
überladung der achtziger und folgenden Jahre ver-
teidigen oder zurückwünschen, die von einer gro-
ßen Zahl namhafter Architekten bereits seit Beginn
dieses Jahrhunderts mit Nachdruck bekämpft wor-
den ist. Die grundsätzliche Schmucklosigkeit muß
aber als unnatürlich bezeichnet werden, sie ent-
spricht nicht dem Empfinden der Menschen, und ich
bezweifle, daß z. B. eine Dame ein Stück Gold als

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