Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0172

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZUM KUNSTSCHUTZGESETZ

Das Kunstschutzgesetz zeigt deutliche Merkmale,
die man als Altersschwäche bezeichnen könnte. Als
es im Juli 1907 in Kraft trat, verstand man unter
Kunst offenbar etwas anderes als heute. Ganz be-
sonders macht sich dies bemerkbar beim Kunst-
gewerbe. Was ist Kunstgewerbe? Diese Frage wird
heute sehr verschieden beantwortet. Die einen
sagen: Kunstgewerbe ist Kitsch; denn schon die
bewußte Hinzufügung von Kunst zu einem gewerb-
lichen Erzeugnis ist ihnen Beweis, daß es sich nicht
um ein „Kunstwerk" handelt. Die anderen wollen
in den Schöpfungen unserer besten Künstlernamen
keine künstlerische Leistung sehen. Ein Stuhl von
Mies, ein Türgriff von Gropius, eine Krone von
Tessenow ist ihnen nur eine sachliche, technische
Lösung ohne Gemüt und Kunst, wie sie die Kunst
verstehen. Manche Verkünder zeitgemäßer Formen-
sprache bestärken sie in solchen Anschauungen, in-
dem sie gar nicht mehr das Individuelle, sondern das
Selbstverständliche und Unpersönliche als künstle-
risches Ziel bezeichnen. So ist schon beim Begriff
Kunstgewerbe und ebenso bei „Bauwerken, soweit
sie künstlerische Zwecke verfolgen" sehr schwer
festzustellen, ob es sich um Erzeugnisse handelt,
denen das Gesetz vom Januar 1907 gilt. Noch
schwieriger aber wird die Frage, wenn bei modernen
Gebrauchsgegenständen, aus bester Künstlerhand
hervorgegangen, zu entscheiden ist, ob strafbare
Nachahmung einer früheren Lösung oder eine Neu-
schöpfung vorliegt, oder ob eine Abwandlung dieser
Schöpfung als selbständige künstlerische Lösung zu
betrachten ist. Die Ausbildung von Gebrauchsge-
genständen — architektonische Lösungen z. B. bei
Siedlungsbauten — können künstlerisch eine Tat
bedeuten, sie vertragen aber nicht einen Kunst-
schutz auf dreißig Jahre nach dem Tode des Schöp-
fers, weil man darin liegende Fortschritte im Inter-
esse der Allgemeinheit möglichst oft nachgeahmt
sehen möchte. So scheint mir notwendig, daß alle
Erzeugnisse, welche im allgemeinen nicht als Gegen-
stände der Kunst betrachtet und gehandelt werden,
durch geeignete Formulierung aus dem Gesetz aus-
zuschalten sind. Die Entscheidungen der künstle-
rischen Sachverständigenkammern würden dadurch
sofort viel klarer. Bei kunsthandwerklichen Erzeug-
nissen, welche nur einmal oder in geringer Anzahl
ausgeführt werden, oder solchen Werken, die eine
reichere Ausführung zeigen oder gar Luxusgegen-
stände sind, wird die Frage, ob man es mit einem
originalen schöpferischen Erzeugnis zu tun hat,
schon wesentlich einfacher sein. Viel schwieriger
ist diese Frage z. B. bei Nickel- oder Chromargan-
geschirren, deren Formgebung häufig von den künst-
lerischen Sachverständigen unserer Zeit besonders
geschätzt wird, die aber darum gleichwohl immer
Gebrauchsgegenstände bleiben. Ihre Formgebung
wird durch denselben Gesetzesparagraphen wie Ge-
mälde und Skulpturen geschützt. Das Gesetz sollte

doch wohl den Verfasser des Kunstwerkes schützen,
nicht den einer geschmackvollen Lösung, die wohl
Zeugnis vom künstlerischen Niveau unserer Zeit und
unseres Volkes geben kann, aber doch nicht eigent-
lich vom Volke als Kunstwerk betrachtet wird. Für
diese Dinge genügte der Schutz durch das Gesetz,
betreffend das Urheberrecht an Mustern und Mo-
dellen. Seine Beschränkung auf drei Jahre hemmt
nicht die Zusammenarbeit aller schöpferischen
Kräfte an der immer weiteren formalen Vervollkomm-
nung unseres Hausrates, unserer Bauten, während
der bis zu dreißig Jahren nach dem Tode des Schöp-
fers wirksame Kunstschutz, nach dem Wortlaut des
Gesetzes durchgeführt, jede Entwicklung hemmen
muß. Tatsächlich ist die Verwirrung, die dieses Ge-
setz anrichten müßte, nur darum noch nicht unerträg-
lich geworden, weil man sich allgemein in der In-
dustrie wenig durch seine Bestimmungen abhalten
läßt, zeitgemäße neue Formen ohne weiteres mit
geringer Abwandlung von anderen zu übernehmen.
Taucht irgendwo in den Kreisen des Kunsthand-
werks ein neuer Gedanke auf, schon auf der näch-
sten Messe findet man seine Abwandlung auf allen
Ständen der betreffenden Branche. Zu gerichtlicher
Austragung kommt es nur verhältnismäßig selten,
weil die meisten einsichtig genug sind, daß hier
juristisch eine sichere Grenze überhaupt nicht zu
ziehen und so jeder Prozeß eigentlich ein Lotte-
riespiel ist. Musterschutz wäre in den meisten
Fällen viel richtiger, zumal es sich selten um be-
deutende Einfälle künstlerischen Genies, meist mehr
um ein gewisses Einfühlungsvermögen handelt, was
zur Zeit einschlagen könnte. Nun aber sind wir
bereits so weit, daß man diskutiert, ob Fabrikbauten,
Wassertürme, Feuertonwaschbecken u. a. durch das
Kunstschutz-Gesetz vor Nachahmung geschützt
sind. Wenn wir bedenken, wie sich gerade unsere
besten künstlerischen Kräfte bemühen, auch diesen
Dingen die beste Form zu geben, so ist dies durch-
aus nicht so sonderbar, wie dies manchem Juristen
erscheinen mag. Im Interesse unserer gesamten
künstlerischen Entwicklung scheint mir zu liegen,
daß das Kunstschutzgesetz eine präzisere Fassung
erhält, welche vor allem auch die entwerfenden
Künstler vor Prozessen schützt, die nur dadurch er-
möglicht werden, daß eben der Begriff der eigen-
artigen künstlerischen Schöpfung in den vielen
Fällen gar nicht mehr zu fassen ist, wo es sich um
die Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens,
um immer wiederkehrende Formen der Bauwerke
handelt. Künstler und Juristen müßten sich darum
bemühen, eine möglichst klare Einschränkung zu
formulieren, die eine Anwendung des Gesetzes auf
Dinge verhindert, an die die Verfasser des Kunst-
schutzgesetzes sicherlich nicht gedacht hatten und
die im Interesse einer gesunden Entwicklung ver-
mieden werden müßte.

Otto Baur

138
 
Annotationen