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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0171

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sind; denn sie täuschen eine Funktion vor. die nicht
existiert.

Das technische Werk ist nur dann schön,
wenn es vollendet seine Funktion erfüllt und die-
sen Stempel in geistig formaler Hinsicht rein an
sich trägt. Dies zu werten, ist nur durch das Er-
lebnis der technischen Funktion möglich, nicht
durch das Anlegen kunstästhetischer Maßstäbe.

Wenn die Träger einer Brücke aus Stahl aus
ästhetischen Gefühlsgründen auch nur ein Prozent
dicker gemacht würden, als es für ihre vollendete
Funktion nötig ist, wäre dies ein Beweis dafür, daß
dieses verlangende Gefühl noch an Rudimenten
alter Baumaße geschult ist und sich an Maße, die
die enorme Widerstandskraft des Stahls zuläßt,
noch nicht gewöhnt hat.

Die Wertmaßgefühle am technischen Werk sind
dauernd in Fluß, und wandelbar passen sie sich
stets an die technischen Verwirklichungsmöglich-
keiten und Erfordernisse an.

Die Wertmaßgefühle für Werke der Kunst sind
dauernd im Fluß, und wandelbar passen sie sich
ewig der inneren, weitabgewandten Erlebnis-
fähigkeit an.

Beide Phänomene haben ihre eigenen Gesetze, und
ihre Quellen liegen in zwei ganz verschiedenen Er-
lebniszentren. Nebeneinander bereichern, miteinan-
der verquickt, verkitschen sie die Welt.

Wenn mit den modernsten Baumitteln eine Fabrik
gebaut wird, die den Eindruck einer Kirche macht,
ist es Kitsch. Wenn mit denselben Baumitteln eine
Kirche gebaut wird, die den Eindruck einer Fabrik
macht, ist es Kitsch.

Ist das Baumittel bis ins Letzte verwendet, die
Funktion in einer Fabrik erlebnishaft zum Ausdruck
zu bringen, ist sie wahr. (Technische Schönheit.)

Ist dasselbe Baumittel bis ins Letzte verwendet,
die weitabgewandte, religiöse Handlung in einer
Kirche erlebnishaft zum Ausdruck zu bringen, ist sie
wahr. (Schönheit der Kunst.)

Dasselbe Mittel oder Werkzeug gestaltet einer-
seits zweckhaft funktionellen Raum (Raum der Tat
nach außen), andrerseits unwirklichen, mystischen,
zweckaufhebenden Raum. (Raum der Einkehr und
Stille für die Tat nach innen.) Zwei entgegenge-
setzte Quellen, zwei grundverschiedene
Resultate.

Die geistigen Urgründe beider Ergebnisse sind so
polar gelagert wie Nord und Süd, links und rechts.

Daß das technische Werk schön ist, kann nur das
volle Erlebnis seiner Funktion beweisen, es lebt da-
mit und verdankt diesem sein Entstehen.

Daß das künstlerische Werk schön ist, kann nur
inneres Erlebnis beweisen, es lebt damit und ver-
dankt diesem sein Entstehen.

Ludwig Gies

Lieber Herr Professor Gies!

Daß nun auch ein Künstler in die Debatte eingreift,
ist sehr erfreulich, und daß es in Ihrem Sinne ge-
schieht natürlich! Sie müssen den Trennungsstrich
zwischen dem künstlerischen und dem technischen
Bereich so scharf wie möglich ziehen, und sicher hat
Sie das, was der Ingenieur Dr. Feige von seinem
Standpunkt aus zu sagen hatte, nur darin bestärkt.
Auch ich würde Bedenken tragen, wie Dr. Lötz von
dem „künstlerischen Erleben der Funktion" zu
sprechen, aus dem heraus der Techniker die Form
gestaltet, weil ich eine Gefahr darin sehe, wenn
man die Grenzen zwischen den beiden Gebieten ter-
minologisch verwischt. Vielleicht wird der Gegen-
satz am deutlichsten da, wo sich die beiden Reiche
am nächsten kommen: in der Architektur, wo man
ganz sicher von einem ..künstlerischen Erleben der
Funktion" reden kann (etwa beim stark „funktionel-
len" gotischen Stil), wo aber eben doch das ,,Künst-
lerische" in der über das Funktionelle hinausgehen-
den „absoluten" Formung, in der Proportion und der
sonstigen Beziehung auf das Ganze beruht, —
während es ganz zweifellos eine derartige ..abso-
lute" Formung im technischen Bereich nicht gibt.
Ein ausgezeichnetes Beispiel hierfür ist der von
Dr. Lötz angeführte Hammer des Goldschmieds, der
rein aus dem Gefühl für die Funktion, ohne jede Be-
teiligung des Auges geformt wird und doch vollendet
„schön" ist. Aber das ist wiederum ein Sonderfall,
weil hier die Form durch den Zweck, d. h. in diesem
Fall durch die Rücksicht auf die Besonderheit der
bestimmten Hand ganz eindeutig festgelegt ist —
während in zahllosen anderen Fällen dem Techni-
ker doch noch eine gewisse Wahl bei der Formung
freibleibt. Und darin liegt das eigentliche Problem
der „technischen Form": nach welchen Gesichts-

punkten hier die Wahl vor sich geht, d. h. auf wel-
chem Wege die „technische Schönheit" entsteht.
Daß nicht die Gesichtspunkte, nach denen der Künst-
ler formt, dabei maßgebend sind, das heben Sie mit
vollem Recht hervor. Aber welche anderen sind es?
Hier liegt ein Geheimnis verborgen. — wie schließ-
lich auch bei der Tatsache der Schönheit der Natur-
form. Aber während wir uns bei diesem Geheimnis
beruhigen dürfen und müssen, weil diese Form ent-
steht ohne unser Zutun — möchten wir dem ande-
ren Geheimnis gern auf den Grund kommen, weil wir
es hier ja mit Dingen zu tun haben, die ganz mensch-
lichen und noch dazu rein zweckhaften, also nicht
eigentlich seelisch lebendigen, sondern durchaus
geistig bewußten Ursprungs sind.

Vielleicht gibt schließlich doch die unleugbare Ver-
wandtschaft zwischen den Naturformen und denen
der Technik einen Hinweis, — ist der Ursprung der
Schönheit im einen Fall die frei waltende, im andern
Fall die vom Menschen gelenkte, aber nicht in ihrer
Besonderheit veränderte ..Naturkraft", um diesen in
der Wissenschaft längst entthronten Begriff zu ge-
brauchen. Dann würde sich die Sonderstellung der
menschlichen Kunst sehr wohl erklären — aber da
schließlich auch jede Lebensäußerung der Men-
schennatur ein Teil der großen Allnatur ist, dürften
wir im tiefsten Grunde doch auch eine Gemeinsam-
keit dieser Formungen mit allen andern annehmen,
d. h. doch an die „Einheit der Welt", so wie sie sich
in den drei großen Formenreichen der Natur, Kunst
und Technik äußert, glauben. Doch davon zu reden,
ist gefährlich — denn hier betreten wir bereits den
Bezirk der Mystik!

Herzlichst Ihr

Riezler

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