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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Riezler, Walter: "Stockholmutställningen 1930"
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0520

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der Phantasie, — die allerdings sich fast nur auf
dem Gebiete der „Variationen über alte Motive"
bewegt, in dieser Hinsicht am ehesten mit Alfred
Messel vergleichbar, dessen Erfindungskraft je-
doch nicht so reich war. Wenn man dem Stock-
holmer Stadthaus, das neben begeisterter Be-
wunderung naturgemäß von den Jüngeren auch
harte Kritik erfahren hat, vorwirft, es sei im
Grunde nichts wie eine gedrängte Übersicht über
die Geschichte der Bauformen, so stimmt das
nicht ganz: in Wirklichkeit ist keine Einzelform
einfach übernommen (wie regelmäßig bei Gabriel
Seidl), weder die Raumformen, noch die Kapitelle
und Profile, sondern alles ist frei erfunden, aller-
dings im Sinne der „Tradition" — oder besser
gesagt, der Vergangenheit; denn es stehen die
verschiedensten Epochen nebeneinander. Trotz-
dem ist merkwürdigerweise die Wirkung einheit-
lich, was die Folge nicht nur der erstaunlichen
handwerklichen Lebendigkeit, sondern vor allem
auch einer gewissen „Eleganz" ist, die man als
neues Element empfindet. So wäre alles in Ord-
nung, und man müßte zugeben, daß man eben
auch heute noch so bauen kann, — wenn nicht
doch die Bindung an die Vergangenheit so stark
wäre (vor allem in dem vielbewunderten „golde-
nen Saal"), daß man sich selbst empfindet als in
einem mit Tradition überlasteten alten Hause,
in das man, nicht nur in seiner Kleidung, son-
dern in seiner ganzen Existenz doch nicht mehr
so recht hineinpaßt. Wo liegt die innere Begrün-
dung für das Pathos und die sakrale Feierlich-
keit, die in dem „goldenen Saal" mit seiner wahr-
haft ravennatischen Stimmung herrscht?

Das gleiche gilt auch für die Tengbomschen
Bauten, die wohl eine Nuance weniger ernsthaft
gestaltet, aber mindestens ebenso geschmack-
voll sind, das große Musikhaus mit dem sehr vor-
nehmen Saal, wo man aber auch den Eindruck
nicht ganz los wird, daß eine Gesellschaft hier
mit einer gewissen Hartnäckigkeit alte Vornehm-
heit und Exklusivität aufrecht erhalten will, und
ebenso merkwürdigerweise auch für das schon
erwähnte Geschäftshaus des Zündholztrusts,
dessan vornehmer Schmuckhof mit dem phan-
tastischen Brunnen von Milles die Illusion eines
alten, höchst kultivierten Herrensitzes erweckt,
während dann im Innern die Büroräume zwar
auch sehr elegant, aber doch in durchaus moder-
ner Sachlichkeit, mit viel Metall und Glas, ge-
halten sind. Und die gleiche Gesinnung geht im
ganzen durch die gesamte Stockholmer Archi-
tektur, die Einzelhäuser der Reichen und die sehr
soliden Mietshäuser der letzten Zeit: es ist der
Ausdruck einer sehr wohlhabenden, sehr soliden
und traditionsbewußten Gesellschaft, die sich

mit einer gewissen Absichtlichkeit vor dem
Neuen, wo es gefährlich werden könnte, ver-
schließt.

Das Bild wäre ganz einheitlich, einheitlicher
als das irgendeiner anderen Stadt, in der über-
haupt in den letzten Jahrzehnten gebaut worden
ist, ■— wenn nicht da und dort einzelne Bauten
von ausgesprochen „moderner" Haltung stün-
den, die nun allerdings sehr fremdartig und iso-
liert wirken, als gehörten sie in eine ganz andere
Welt. Im Grunde ist es auch so, denn es sind in
der Hauptsache die Bauten der Konsumgenos-
senschaften, also Zeugen einer neuen wirt-
schaftlich-sozialen Entwicklung, von besonderer
Bedeutung in diesem Lande, das wohl als das
erste in Europa lange Zeit eine sozialistische
Regierung hatte, in dem aber anderseits auch
die kapitalistische Wirtschaft heute noch beson-
ders mächtig dasteht. So ist dieses Nebenein-
ander zweier Bauweisen von größter Gegensätz-
lichkeit wahrscheinlich der ganz zutreffende Aus-
druck der wirtschaftspolitischen Situation.

Nun scheint es allerdings, als wäre es in die-
sem Jahre plötzlich der neuen Baugesinnung ge-
lungen, die Isolierung zu durchbrechen und die
Anteilnahme der gesamten Öffentlichkeit, man
kann wohl sagen des ganzen Landes, zu erzwin-
gen. So jedenfalls müssen die Bauten der Stock-
holmer Ausstellung auf jeden wirken, der sie im
Zusammenhange mit der bisherigen architektoni-
schen Entwicklung der schwedischen Hauptstadt
betrachtet. Denn diese Ausstellung geht ihrer
Absicht und ihrem Gehalte nach das ganze Land
an, und wenn es möglich war, die Ausstellungs-
bauten in dieser Form durchzusetzen, so muß
man daraus schließen, daß die innere Kraft der
modernen Bewegung eben doch schon größer
gewesen ist und auf weitere Kreise Einfluß ge-
wonnen hatte, als es nach außen schien. Trotz-
dem ist es sicherlich keine geringe Leistung ge-
wesen, diese Bauten gegen die noch sehr mäch-
tigen Anhänger der Tradition ohne Kompromiß
durchzusetzen, was wohl vor allem das Verdienst
des Leiters des Schwedischen Werkbundes,
Gregor Paulsson, ist, zumal da man auf kein Vor-
bild dafür verweisen konnte: bei keiner der zahl-
reichen Ausstellungen der letzten Zeit hat man
gewagt, so weit zu gehen, und man braucht nur
an die Pariser Ausstellung von 1925 oder an die
Ausstellungshallen von Düsseldorf und Köln zu
denken, um das Erreichte zu würdigen. Gelingen
freilich konnte das Unternehmen nur, weil man
in dem Architekten Asplund und seinen Mitarbei-
tern echte Talente zur Verfügung hatte, die aus
der schönen Aufgabe so viel wie möglich heraus-
holten.

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