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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Lotz, Wilhelm: Die Mitarbeit des Künstlers am industriellen Erzeugnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0244

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viel. Hier unterscheidet sich der künstlerische
Angestellte ganz wesentlich vom technischen
oder kaufmännischen. Für ihn ist trotz genauester
Kenntnis aller Grundbedingungen der industriel-
len Formung ein gewisser Abstand und eine
ziemlich starke Freiheit gegenüber dem Betrieb
notwendig. So tritt die Gefahr auf, daß die In-
dustrie nach einer Zeit der Auswertung der fri-
schen Kräfte sich wieder jüngere holt, und dann
wird sich eine ähnliche Erscheinung zeigen wie
früher im Falle der Musterzeichner und heute
im Falle der Schaufensterdekorateure. Hier liegt
ein verhängnisvolles, man kann fast sagen tra-
gisches Moment in diesem ganzen Problem.
Selbstverständlich begegnen wir ähnlichen Er-
scheinungen auch auf anderen Gebieten der
künstlerischen Gestaltung, wir begegnen ihnen
bei den Kunstgewerblern und auch bei den Ar-
Entwicklung einer technischen Form in
hundert Jahren

1829 „The rocket"

chitekten geringerer Stärke, die, der Schule des
Meisters entlassen, durch die vielen Bauaufträge,
die sie bekommen, sich mehr und mehr dem kon-
ventionellen Geschmack anpassen und nicht mit
den neuen Forderungen der Zeit weitergehen
können.

Wenn man die Entwicklung der Form der tech-
nischen Objekte verfolgt und beobachtet, wie sie
allmählich aus ihren eigensten Bedingungen her-
aus eine immer bessere Form erhalten, so muß
man die Frage stellen, ob überhaupt der Künst-
ler als eigene Persönlichkeit in der Industrie
seinen Platz hat, wenigstens in der Industrie, die
nicht mit der alten Bezeichnung Kunstindustrie
erfaßt werden kann. Wiehert, der Leiter der
Frankfurter Kunstschule, hat ja erst kürzlich in
dieser Zeitschrift seiner Meinung Ausdruck ge-
geben, daß in der modernen Ingenieurkonstruk-
tion der künstlerische Gestaltungstrieb in einem
hohen Grade schöpferisch mitbeteiligt ist.
Sicherlich sind die modernen Ingenieurformen
Gebilde von einer neuen starken Schönheit, ohne
daß ein Künstler an der Formung irgendwie be-
teiligt war. Die Frage muß also sogar dahin er-
weitert werden, ob der zum bewußten Gestalter
erzogene Künstler — wenn auch versehen mit
technischem Verständnis und Einfühlungsgabe
— in der modernen Produktion notwendig ist.

Diese Fragen lassen sich nicht allgemeingül-
tig beantworten. Sie müssen für jedes einzelne
Gebiet besonders untersucht werden, wobei
nicht nur der heutige tatsächliche Stand der
Dinge festgestellt werden müßte, sondern auch
die Einstellung des Fabrikanten, die Psycholo-
gie des Käufers und noch vieles andere. Jeden-
falls muß derjenige, der die Verantwortung auf
sich nimmt, junge Menschen in dieser Richtung
auszubilden, sich eingehend mit diesen Fragen
auseinandersetzen und sich Rechenschaft für
jedes Gebiet seiner Ausbildung geben.

1929 Heißdampf-Schnellzug-Lokomotive für die Deutsche Reichsbahn

A. Borsig G. m. b. H.

198
 
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